Irgendwie scheint mir dieses Geheimnis des freudenreichen Rosenkranzes, das die Geschehnisse um den zwölfjährigen Jesus im Tempel in aller Kürze wiedergibt (Lukas 2, 41-52), passend zum gestrigen Muttertag:
Jesus geht mit seinen Eltern in den Tempel und wird dort vergessen. Vergessen natürlich nur in dem Sinne, dass Maria und Josef der Annahme waren, dass er in der Gruppe der Pilger und den Verwandten sicher war. Offenbar war also die Eigenständigkeit Jesu im Tempel für seine Eltern keine Besonderheit.
Als er dann jedoch nicht auftaucht, beginnen sie ihn zu suchen und waren in der Tat noch drei Tage auf der Suche nach ihm, bis sie ihn im Tempel fanden. Es hinterlässt einen heute ein wenig ratlos, wie der Ablauf wohl gewesen sein könnte, wo war Jesus über Nacht, wo hat er gegessen, wer hat ihn über die drei Tage aufgenommen? Kein Wunder also, wenn Maria, als sie ihren Sohn endlich findet, unter den Lehrern mit denen er diskutierte, ausruft:
Kind, wie konntest du uns das antun? Dein Vater und ich haben dich voll Angst gesucht.
Das ist die Seele einer Mutter, die hier deutlich wird: Irgendwie gelingt es mir nicht, in diesem Satz von Maria einen Vorwurf herauszuhören (was dem Wortlaut nach durchaus möglich wäre); ich höre die Sorge, die Erleichterung, den Sohn wiedergefunden zu haben, ich höre den Wunsch heraus zu verstehen. Papst Benedikt XVI. erläuterte in seinem dritten Band des Jesusbuches, dass dieses Bleiben im Tempel ein Akt des Gehorsams gegenüber Jesu eigentlichen Vater bedeutet:
Warum habt ihr mich gesucht? Wusstet ihr nicht, dass ich in dem sein muss, was meinem Vater gehört?
Beide, Maria wie auch Josef, wussten, wer ihr Sohn bzw. Ziehsohn wirklich war, dass er kein normaler Junge war, an den man die normalen Erziehungsmethoden der damaligen Zeit hätte anwenden können. Mit ihm zu schimpfen oder schlimmeres: es kam Maria und Josef offenbar nicht in den Sinn. Und auch wenn er anschließend mit ihnen nach Hause zieht, es bleibt bei ihnen doch das Bewusstsein, dass Jesus anders war, als die anderen Kinder in der Nachbarschaft in Nazareth. Und Maria bewahrte alles, was geschehen war, in ihrem Herzen. Egal wie Jesus gezeugt wurde, sie bleibt seine Mutter: die Sorge um ihren Sohn, die Freude ihn wiederzufinden, sein Argument, in Haus seines Vaters sein zu müssen, das alles lässt sie nicht los. Sie ist bestimmt keine Analytikerin, und doch wird ihr bewusst geworden sein (wenn es nicht schon so war), dass auch die Zukunft Jesu anders aussehen würde als die eines normalen Sohnes eines Zimmermanns.
Marias Leben wird anschließend nie mehr so gewesen sein, wie vorher. Und man darf annehmen, dass auch weiterhin die Sorge um ihren Sohn sie angetrieben hat. Eine Sorge, die eine Mutter niemals loslässt, selbst dann nicht, wenn der Sohn, das Kind, längst erwachsen geworden ist. Und so wie sie die Sorge um Jesus, bei allem Bewusstsein, wer er eigentlich ist, nicht losgelassen hat, so lässt sie auch die Sorge um uns, ihre Kinder nicht los. Sie wird nicht aufhören, uns zu suchen, wenn wir uns vom Vater entfernen, um uns zu ihm zurück zu führen. Sie wird nicht aufhören, sich um uns zu sorgen, wenn wir versuchen, unsere eigenen Wege zu gehen.
Das macht sie zur Mutter, sie ist so, weil sie Mutter ist, und vielleicht ist das ein zusätzlicher Grund, warum Gott sich bei der Menschwerdung für die Geburt durch eine Frau, die Mutter, entschieden hat. Die Liebe und die daraus resultierende Kraft und Sorge einer Mutter sind so groß, dass man sie nur als göttlich betrachten kann. Nein, Maria ist nicht Gott, Mütter sind nicht gottgleich, aber was sie tun repräsentiert Gottes mütterliche Liebe und Sorge um uns. Wenn Mann und Frau Abbilder Gottes sind, und dabei unterschiedliche Wesenseigenschaften Gottes wiedergeben, dann ist die Mutter sicher ein besonders eindringliches Abbild Gottes! Und so bietet der Blick auf das sorgenvolle Gesicht Marias auch einen Blick in Gottes Gesicht ihn treibt auch die Sorge um uns um, gespeist aus unendlicher Liebe, die für uns nur das Beste will, und was sollte besser sein für uns, als bei ihm zu sein; wie es für ein Kind keinen sichereren Ort gibt als die Arme der Mutter.