Lange habe ich nichts mehr zumindest nicht direkt über unseren Papst berichtet. Dabei waren die Medien in den vergangenen Tagen recht gut gefüllt mit dem, was Papst Franziskus bei einer privaten Audienz gesagt haben soll, könnte, gemeint hätte etc. Zu diesem Thema, zu dem man im Internet ausreichend Material findet, von meiner Seite nur so viel: wenn ich meine Gesprächsnotizen bspw. vom Eucharistischen Kongress veröffentlicht hätte, wäre man möglicherweise zu ganz anderen Schlüssen gekommen als ich es hier berichtet habe Handschrift, Kürze der Zeit zum Schreiben und notwendige Abkürzungen, gerade bei inhaltlich so dichten Worten des Papstes, müssen quasi zwangsläufig zu Verkürzungen führen. Dazu kommt natürlich noch die innere Einstellung (neudeutsch Mindset) des Hörenden, Schreibenden und letztlich Lesenden. Gibt es also in der römischen Kurie eine Schwulen-Lobby? Kann gut sein, und der Papst hat deutlich gemacht, was er sich damit auseinandersetzen will. Gibt es in der Kirche Zentrifugalkräfte, modernistisch wie traditionalistisch? Mit Sicherheit, und es ist Aufgabe des Papstes, hier zu vermitteln und die Einheit der Kirche zu wahren. Hat der Papst etwas gegen das Rosenkranzgebet? Sicher nicht, und trotzdem ist es nicht abwegig, über eine Quantifizierung dieses Gebets beunruhigt zu sein. Letztlich aber halte ich schon die Veröffentlichung dieser Mitschrift für einen Fehler: aus dem Zusammenhang gerissene Redebeiträge ohne Kontext und ohne vorbereitete Rede wer so auf die Ziele oder gar den Glauben unseres Papstes schließen will, der wird, der muss zu Fehleinschätzungen kommen. Trotzdem und weil wiederum aus dem Zusammenhang gerissene Zitate im Internet kursieren, verlinke ich gerne eine Übersetzung der Originalmitschrift in der sich mir ein um die Kirche und den Glauben der Menschen besorgter Papst zeigt, der um seine Rolle als Hirte weiß und auch darum, dass er Teil dieser Kirche ist und auf unser aller Gebet angewiesen.
Worüber ich aber eigentlich schreiben möchte (die Einleitung ist schon länger geworden, als ich das geplant hatte), ist die Predigt des Papstes vom vergangenen Sonntag, in der er auf die entsprechenden Lesungen eingeht aber Enzyklika ‚Evangelium vitae von Papst Johannes Paul II. gedenkt. Und diese Predigt hat es in sich, ist ein Loblied auf das Leben selbst, vor allem auf den Urheber des Lebens. In seinen Worten (die sicher besser abgewogenen sind als in einer Privataudienz, auch wenn man hört, dass sich der Papst um vorbereitete Manuskripte wenig schert) kommt soviel Liebe zu Gott und Verständnis seiner Barmherzigkeit zum Ausdruck, dass man sie nur immer wieder auf der Zunge zergehen lassen kann.
Im ersten Teil seiner Predigt geht er auf die Lesung aus dem altem Testament (Zweites Buch Samuel 12,7-10.13) ein, in der David vom Propheten Natan zur Rede gestellt wird, weil er den Hetiter Uria umbringen ließ um dessen Frau zu sich zu nehmen, mit der er Ehebruch begangen hatte. In drastischen Worten erläutert der Papst die Bedeutung dieser Stelle auch für uns heute:
Die Bibel zeigt uns das menschliche Drama in seiner ganzen Wirklichkeit, das Gute und das Böse, die Leidenschaften, die Sünde und ihre Folgen. Wenn der Mensch sich durchsetzen will, indem er sich in seinem Egoismus verschließt und sich an die Stelle Gottes setzt, sät er schließlich Tod.
Hierdurch wird direkt der Bezug zur Enzyklika Evangelium Vitae deutlich: es gibt eine Kultur des Lebens und eine Kultur des Todes und zu welcher Kultur es führt, wenn sich der Mensch von Gott abwendet, wird am Beispiel von David deutlich. Für die vielen bei der Predigt anwesenden Lebensschützer wird sich diese Aussage sicher auch leicht ins heute übersetzen lassen: wenn Menschen ihren eigenen Plan fürs Leben ohne Rücksicht auf Gott und andere Menschen durchsetzen wollen, dann sät diese Einstellung den Tod, nicht zuletzt den von nicht geborenen Kindern.
Und doch weist der Papst einen Weg aus diesem Irrweg, der natürlich wieder über Gott führt und den uns Gott selbst eröffnet. David bereut und Gott ist bereit, ihm zu vergeben:
Was für ein Bild haben wir von Gott? Vielleicht erscheint er uns als ein strenger Richter, als jemand, der unsere Freiheit zu leben einschränkt. Aber die ganze Heilige Schrift erinnert uns doch daran, dass Gott der Lebende ist, derjenige, der das Leben schenkt und den Weg zum erfüllten Leben weist. [ ]
Ich denke auch an das Geschenk der Zehn Gebote: ein Weg, den Gott uns weist, zu einem wirklich freien Leben, zu einem erfüllten Leben. Sie sind kein Hymnus an das Nein, dies darfst du nicht tun, dies darfst du nicht tun, dies darfst du nicht tun Nein! Sie sind ein Hymnus , sondern an das Ja zu Gott, zur Liebe, zum Leben. Liebe Freunde, nur in Gott ist unser Leben erfüllt, denn nur er ist der Lebende!
Wunderbar, wie der Papst deutlich macht, dass Gebote Gottes nicht unsere Freiheit einschränken, sondern sie erst ermöglichen. Gott ist der Gott des Lebens und er schenkt uns Freiheit, und mit dem freiwilligen (!) Befolgen von Geboten Gottes erfahren wir erst wahres Leben und wahre Liebe das Befolgen seiner Gebote ist quasi ein Garant der Freiheit, die er uns, wenn wir uns in unseren Egoismus verschließen und uns selbst unfrei machen, wieder schenkt.
Im zweiten, auf den ersten aufbauenden Teil der Predigt geht der Papst dann auf das Evangelium vom Sonntag ein (Lukas 7,36-50.8,1-3), das von Jesu Begegnung mit der Sünderin im Haus eines Pharisäers handelt, die seine Füße mit ihren Haaren trocknet und sie mit Öl salbte. Auch hier benutzt der Papst fast dramatische Worte um zu verdeutlichen, welche Rolle Jesus hier und im ganzen Evangelium spielt:
Jesus ist die Inkarnation des lebendigen Gottes, derjenige, der angesichts vieler Werke des Todes, angesichts der Sünde, des Egoismus, der Verschlossenheit in sich selbst das Leben bringt. Jesus nimmt auf, liebt, erhebt, ermutigt, verzeiht und schenkt erneut die Kraft voranzugehen, schenkt das Leben zurück. [ ] Das ist die Erfahrung der Frau, die die Füße des Herrn mit duftendem Öl salbt: Sie fühlt sich verstanden, geliebt und reagiert mit einer Geste der Liebe; sie lässt sich von der Barmherzigkeit Gottes anrühren und empfängt die Vergebung, beginnt ein neues Leben.
Was für eine Chance: die Frau in dieser Geschichte wird als Sünderin vorgestellt und wir alle haben ein Bild davon, was das für Frau ist, wie es auch der Pharisäer denkt. Eingedenk all dessen, was wir aber von Gott, Jesus und von uns wissen, sollte uns klar sein, dass auch wir es sein könnten, sein sollten, die wie diese Frau an Jesus handeln. Was sie erfährt ist Barmherzigkeit und Vergebung Gottes, die ihr wie uns ein neues Leben ermöglicht. Diesen starken Zusammenhang verdeutlicht der Papst, in dem er selbst wiederholt sagt und die Gläubigen auffordert, es mit ihm zu sagen:
Gott, der Lebende, ist barmherzig. Seid ihr einverstanden? Sagen wir es gemeinsam: Gott, der Lebende, ist barmherzig! Alle: Gott, der Lebende, ist barmherzig. Noch einmal: Gott, der Lebende, ist barmherzig!
Diese Worte zu wiederholen, sie wiederholen zu lassen, dient sicher der Vertiefung, aber was kann diese Einsicht mehr vertiefen als eigenes Erleben? Die Erfahrung, die die Frau gemacht hat, sie wird auch uns angeboten, wenn wir uns Christus zuwenden. Und in dieses neue Leben, dass die Frau erfährt führt uns heute der Heilige Geist, wie der Papst wenig später in Bezug auf die Lesung aus dem neuen Testament (Galater 2,16.19-21) ergänzt:
Das Leben, das ich jetzt noch in dieser Welt lebe, lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt und sich für mich hingegeben hat (vgl. Gal 2,20). Was ist das für ein Leben? Es ist das Leben Gottes selbst. Und wer führt uns in dieses Leben hinein? Der Heilige Geist, die Gabe des auferstandenen Christus. Er ist es, der uns in das göttliche Leben führt als wahre Kinder Gottes, als Söhne und Töchter im Eingeborenen Sohn Jesus Christus. [ ]
Der Christ ist ein geistlicher Mensch, und das bedeutet nicht etwa, dass er einer ist, der in den Wolken lebt, außerhalb der Wirklichkeit als sei er ein Geist. Nein! Der Christ ist ein Mensch, der im täglichen Leben Gott gemäß denkt und handelt, ein Mensch, der zulässt, dass sein Leben vom Heiligen Geist belebt und genährt wird, damit es ein erfülltes Leben sei, in der wirklichen Gotteskindschaft. Und das bedeutet Realismus und Fruchtbarkeit. Wer sich vom Heiligen Geist leiten lässt, ist ein Realist, versteht die Wirklichkeit einzuschätzen und zu beurteilen und ist auch fruchtbar: Sein Leben bringt rings um ihn Leben hervor.
Am Ende stehen wir aber vor der freien (!) Wahl, uns Christus zuzuwenden oder eben nicht. Und die Alternative ist dramatisch:
Doch oft das wissen wir aus Erfahrung wählt der Mensch nicht das Leben, nimmt das Evangelium des Lebens nicht an, sondern lässt sich von Ideologien und Logiken leiten, die dem Leben Hindernisse bereiten, es nicht respektieren, weil sie vom Egoismus, vom Eigennutz bestimmt und auf Gewinn, Macht und Genuss ausgerichtet sind und nicht von der Liebe und dem Bemühen um das Wohl des anderen ausgehen. [ ] Das Ergebnis ist, dass an die Stelle des lebendigen Gottes menschliche und vergängliche Götzen treten, die einen Augenblick des Freiheitsrausches bieten, am Ende aber neue Versklavungen und Tod bringen. Die Weisheit des Psalmisten sagt: Die Befehle des Herrn sind richtig, sie erfreuen das Herz; das Gebot des Herrn ist lauter, es erleuchtet die Augen (Ps 19,9). Erinnern wir uns immer: der Herr ist der Lebende, er ist barmherzig. Der Herr ist der Lebende, er ist barmherzig.
Versklavung so wie der Papst hier spricht ist die Folge für den Menschen, der Gott nicht mehr folgen will: er unterwirft sich anderen Götzen, die vermeintlich Freiheit bedeuten, Gewinn, Macht, Genuss, in all ihren Ausprägungen. Doch diese Abkehr von Gott bedeutet nicht nur den seelischen Tod des Menschen sondern sie kann auch für andere tödlich enden: wer wollte bezweifeln, dass der Tod ungeborener Kinder darauf zurückzuführen ist, dass sich Menschen für einen eigenen Weg entscheiden und gegen den des Lebens so schwer in ihren Augen die Argumente gegen ein Kind auch wiegen mögen.
Erlösung aus dieser Versklavung, die für uns selbst und andere tödlich sein kann, bietet nur Gott selbst, wie der Papst auch am Ende seiner Predigt wiederholt:
Liebe Brüder und Schwestern, schauen wir auf Gott als den Gott des Lebens, betrachten wir sein Gesetz, die Botschaft des Evangeliums als einen Weg der Freiheit und des Lebens. Der lebendige Gott macht uns frei! Sagen wir ja zur Liebe und nein zum Egoismus, sagen wir ja zum Leben und nein zum Tod, sagen wir ja zur Freiheit und nein zur Versklavung durch die vielen Götzen unserer Zeit; in einem Wort: Sagen wir ja zu Gott, der Liebe, Leben und Freiheit ist und niemals enttäuscht (vgl. 1 Joh 4,8; Joh 11,25; Joh 8,32), zu Gott dem Lebenden und dem Barmherzigen. Allein der Glaube an den lebendigen Gott rettet uns der Glaube an den Gott, der uns in Jesus Christus sein Leben geschenkt hat mit der Gabe des Heiligen Geistes und als wahre Kinder Gottes mit seiner Barmherzigkeit leben lässt. Dieser Glaube macht uns frei und glücklich. Bitten wir Maria, die Mutter des Lebens, dass sie uns zu helfe, das Evangelium des Lebens immer anzunehmen und zu bezeugen. So sei es.
Ich finde, diese Predigt des Papstes war einfach wunderbar und ich bereue fast, nicht dabei gewesen zu sein. Es ist ein starkes Zeugnis für den Glauben, ein starkes Zeugnis für das Leben (auch für das Lebensrecht aller Menschen) und es ist vor allem ein Zeugnis, dass uns den Weg in Liebe und Freiheit aufzeigt, der nur über Gott führen kann, der uns zu diesem Weg einlädt. Wer heute noch in welcher Form auch immer gegen das Leben argumentieren will (was nicht wenige tun, die sich sogar katholisch nennen, nehmen wir nur als Beispiel den Verein Donum Vitae, der Beratungsscheine zur Legitimierung von Abtreibungen ausstellt und vom sogenannten „Zentralkomitee der deutschen Katholiken“ noch immer unterstützt und protegiert wird), der muss deutlich machen, wofür er dann argumentiert und diese Argumentation wird deutlich machen, dass es dabei niemals um Gott gehen kann sondern um menschliche Wünsche und Egoismen, die das Leben (das eigene oder das der anderen) verneinen. Aber: Gott, der Lebende, ist barmherzig! er weist den Weg aus Sklaverei und Tod in Freiheit und Leben! Was für eine wunderbare Predigt des Papstes!