Über das Thema Libertarismus hatte ich bereits an verschiedenen Stellen geschrieben. Ein Aspekt von Freiheit, das ja das Grundprinzip des Libertarismus darstellt, gerät bei vielen Libertären aber regelmäßig unzulässigerweise in den Hintergrund: Die geforderte Freiheit des Einzelnen, sei es der Reise, des Eigentums, etc. findet ihre Begrenzung in den Freiheitsrechten der anderen. Banal gesagt: Ich habe nicht die Freiheit (das aus meiner Freiheit abgeleitete Recht), jemand anderen grundlos einzusperren, ihm die Freiheit zu rauben. Einen Ausweg aus diesem scheinbaren Dilemma (was besagt denn dann noch meine persönliche Freiheit?) wird meistens (!) zurecht in der übereinstimmenden Willenserklärung gesucht: einigt man sich auf ein Geschäft, so steht es niemand anderem zu, dieses zu verbieten (solange es wiederum nicht die Freiheit dritter einschränkt).
Soweit so gut sollte man meinen, und es ist auch so, dass man als Katholik damit durchaus auch seinen Frieden machen kann. Von Geschäften oder Handlungsweisen, die mir aus dem Glauben heraus unmoralisch erscheinen, kann ich anderen abraten, ich kann für meine Einstellung werben, aufzwingen kann ich sie aber niemandem. Hier wird aber schon deutlich, dass es dabei noch eine andere Grenzlinie geben muss, die ich zunächst mal an einem Extrembeispiel verdeutlichen möchte: wenn zwei Menschen gemeinsam übereinkommen, dass der eine den anderen umbringt, dann ist das nur scheinbar eine „freie“ Entscheidung. Hinter dem Wunsch zu sterben liegt im Gegenteil in der Regel eine krankhafte Depression, sodass der geäußerte Wille nicht als „frei“ angenommen werden kann. Beispiele wie diese ließen sich ausreichend finden und als Libertärer sollte man das nicht auf die leichte Schulter nehmen: weder, dem anderen abzusprechen, dass er in einer bestimmten Situation „frei“ agiert noch ihm in jedem Fall diese „Freiheit“ zu attestieren, in der er in der konkreten Situation vielleicht gar nicht handelt (nur weil es zu meinem Vorteil sein könnte). Freiheit setzt also Mündigkeit, das heißt einerseits Wissen wie auch Bewusstsein voraus: Wissen um das, was ich tue und um die Konsequenzen meiner Handlungen (im Rahmen vernünftiger Maßstäbe) und Bewusstsein im Sinne einer normalen Psyche, die mich über das Wissen hinaus in meinen Handlungen selbsterhaltend und gemäß meinem Gewissen leitet.
Dieses Wissen und Bewusstsein ist allerdings nicht nur im Falle krankhafter psychsischer Veränderungen eingeschränkt, es fehlt sogar völlig bei Babies und kleinen Kindern. Hierzu hat der von mir sehr geschätzte Gründer und Herausgeber der Zeitschrift „eigentümlich frei“, André F. Lichtschlag einen wunderbaren Beitrag geschrieben, in der er die „Übertreibungen“ des Libertarismus einbremst. Man ist versucht zu sagen, dass seine Schlüsse auf einfachem gesunden Menschenverstand basieren, er selbst schreibt, dass seitens des Staates in vielen Fällen zurecht verboten wird, „was lange vorher in unserem Kulturkreis geächtet war. Und was von den natürlichen sozialen Institutionen, die dieser Staat verdrängt hat und die nach seinem Niedergang wieder an seine Stelle treten werden, vermutlich weiter geächtet werden wird.“
Wer die Freiheit nicht nur zum Prinzip sondern zur Ideologie erhebt, der kommt ansonsten zu ganz unmenschlichen Vorschlägen wie der von ihm zitierte Kommentator, der allen Ernstes (?) schreibt, „selbst wenn Inzest systematisch zu Behinderungen führen würde, gäbe es für Liberale keinen Grund, Inzest zu verbieten. Kein ungeborenes Kind hat ein Anrecht darauf, in einem bestimmten, nicht behinderten, Zustand auf die Welt zu kommen. Es hat keinen Anspruch gegenüber den Eltern und erst Recht nicht gegenüber der Gesellschaft.“
Vor solch ideologisch verblendetem Unsinn ist eben auch ein Liberaler/Libertärer nicht gefeit, und so ist die Mahnung von Herrn Lichtschlag gar nicht stark genug zu betonen:
So säbeln Sätze, wenn man nicht mehr bereit ist, die eigenen Ideen am konkreten Fall zu prüfen, wenn man sich also lieber die Realität an der Ideologie zurechtbiegt. Der das schrieb ist offenbar jung (die Jugend hat das Privileg, auch mal über das Ziel hinauszuschießen) und vermutlich noch ohne Kinder (was in dem Fall wohl auch besser so ist). Sicher hat er im Eifer des ideologischen Scheingefechts gar nicht wahrgenommen, was er da eigentlich gesagt hat und was ihm spätestens in ein paar Jahren selbst peinlich sein wird. Besser, mein Freund, wäre es aber, schon jetzt das ideologische Kondom aus den eigenen Hirnwindungen zu ziehen, um dort Platz zu machen für etwas gesunden Menschenverstand. Frei nach dem Motto: Denke! Aber denke mit (Verstand)!
Ich danke Herrn Lichtschlag sehr für diese Klarstellung, die Protagonisten wie Kritikern des Libertarismus in gleicher Weise gelten!
Alex k
Vielen Dank für den interessanten Artikel und den Verweis auf Lichtschlags Text.
Das Kernproblem ist mE, dass viele Liberale/Libertäre übersehen, wie wichtig die Existenz eines vorstaatlichen, „überpositiven“ Rechts für die Freiheit ist. Ebenso sieht es mit Traditionen und Institutionen aus. Wer den Menschen zumutet, sämtliche Lebensverhältnisse in ihrer kurzen Lebenszeit selbst zu verhandeln, macht sie schlicht handlungsunfähig. Außerdem sollte man auch die Handlungsoptionen zukünftiger Generationen im Blick haben. Unsere derzeitige nicht nachhaltige Abtreibungs- und Verhütungspolitik könnte man mit dem Blick auf das Recht auf Selbstbesitz zu rechtfertigen versuchen. Man muss dann aber den schwerwiegenden Eingriff in dieses Recht außer Acht lassen, den diese Praxis für ganze Generationen von Menschen darstellt, weil sie gar nicht erst geboren werden. Noch krasser kann man deren Rechte gar nicht beinträchtigen.