Für einen papsttreuen Blog ist der Bericht über die erste Enzyklika von Papst Franziskus natürlich eine gerne erfüllte Pflichtübung die Herkunft des Dokumentes lässt mich aber auch ein bisschen melancholisch werden hinsichtlich der theologischen Predigten und Katechesen von Papst Benedikt. Von ihm nie so beabsichtigt, kann einen das Nachdenken über den Glauben aber auch vom eigentlichen Glauben, vor allem vom Handeln abhalten! Es gehört beides zusammen, Glauben und Handeln das ist es, was uns Katholiken im Unterschied zur protestantischen Sicht, die in Abkehr von einer sicher übertriebenen Werkgerechtigkeit von einer Rechtfertigung nur aus Gnade und Glauben ausgeht ausmacht oder besser: ausmachen sollte!
In dieser Hinsicht hält uns und sich selbst Papst Franziskus einen Spiegel vor, wenn er am vergangenen Montag auf die italienische Flüchtlingsinsel Lampedusa gereist ist, auf der viele Flüchtlinge aus Afrika gestrandet sind und viele sind auf dem Weg dorthin über das Meer umgekommen. Er hat sich aufgemacht zu den dort lebenden Menschen, sowohl Einwohnern und Helfern als auch den Flüchtlingen, sicher auch um sich ein Bild zu machen, vor allem aber, um dort mit den und für die Menschen zu beten, vor allem auch um denen seines Gebets zu versichern, die auf der Flucht geliebte Menschen verloren haben. Für Menschen außerhalb des Glaubens mag das wenig sein, vielleicht sogar kontraproduktiv, für einen gläubigen Katholiken ist es aber ein wunderbares Zeichen, mit dem eine Bitte an Gott gerichtet wird, doch zu helfen und uns zu helfen, helfen zu lernen!
Sicher, das Flüchtlingselend auf Lampedusa hat ungezählte Ursachen, teils in der Natur liegende, teils wirtschaftliche, teils politische aber gerade diese Gemengelage, darauf weist der Papst in seiner Predigt hin, verführt dazu, die Verantwortung abzulehnen: Ich bin nicht verantwortlich, es geht mich nichts an! Ausgehend von der Frage Gottes an Adam nach dem Sündenfall Adam, wo bist du? und an Kain nach dem Mord an seinem Bruder Abel Wo ist dein Bruder? verdeutlicht der Papst unsere Verantwortung für humanitäre Katastrophen vor Gott:
Wo ist dein Bruder? Sein Blut schreit bis zu mir, sagt Gott. Das ist keine Frage, die an andere gerichtet ist, es ist eine Frage, die an mich, an dich, an jeden von uns gerichtet ist. Diese Brüder und Schwestern von uns suchten, schwierigen Situationen zu entkommen, um ein wenig Sicherheit und Frieden zu finden; sie suchten einen besseren Ort für sich und ihre Familien, doch sie fanden den Tod. Die dies suchen, wie oft finden sie kein Verständnis, finden sie keine Aufnahme und Solidarität! [ ]
Wo ist dein Bruder? Wer ist der Verantwortliche für dieses Blut? [ ] Niemand! Wir alle antworten so: Ich bin es nicht, ich habe nichts damit zu tun, es werden andere sein, sicher nicht ich. Aber Gott fragt einen jeden von uns: Wo ist dein Bruder, dessen Blut zu mir schreit? Niemand in der Welt fühlt sich heute dafür verantwortlich; wir haben den Sinn für brüderliche Verantwortung verloren; wir sind in die heuchlerische Haltung des Priesters und des Leviten geraten, von der Jesus im Gleichnis vom barmherzigen Samariter sprach: Wir sehen den halbtoten Bruder am Straßenrand, vielleicht denken wir Der Arme und gehen auf unserem Weg weiter; es ist nicht unsere Aufgabe; und damit beruhigen wir uns selbst und fühlen uns in Ordnung. Die Wohlstandskultur, die uns dazu bringt, an uns selbst zu denken, macht uns unempfindlich gegen die Schreie der anderen; sie lässt uns in Seifenblasen leben, die schön, aber nichts sind, die eine Illusion des Nichtigen, des Flüchtigen sind, die zur Gleichgültigkeit gegenüber den anderen führen, ja zur Globalisierung der Gleichgültigkeit. In dieser Welt der Globalisierung sind wir in die Globalisierung der Gleichgültigkeit geraten. Wir haben uns an das Leiden des anderen gewöhnt, es betrifft uns nicht, es interessiert uns nicht, es geht uns nichts an!
Das ist starker Tobak und die Tatsache, dass ich bei diesen Worten unruhig auf meinem Stuhl hin und her rutsche zeigt mir: der Papst legt den Finger in eine Wunde, die schwärt und eitert. Das ist nicht eine Wunde, die wir anderen, den Flüchtlingen von Lampedusa oder den Elenden in unserem Umfeld zufügen das auch sondern eine Wunde, die wir uns selbst und Christus zufügen, wenn wir gleichgültig bleiben und der Frage Gottes danach, wo wir sind und wo unser Bruder ist, ausweichen. Der Papst beendet seine Predigt mit mich bewegenden Worten, die mir zeigen, dass er Recht hat: Man mag noch so lange auf die Hintergründe der Flüchtlingsdramen oder anderer Elendskatastrophen hinweisen, man mag sogar im Recht sein, wenn man darauf hinweist, dass unter den Flüchtlingen auch solche sind, die nur aus wirtschaftlichen Gründen die Flucht angetreten haben und nicht existenziell bedroht gewesen sind. Aber sie alle machen sich auf einen gefährlichen Weg und sind auf der Suche nach Glück und Erfüllung für sich und ihre Familien. Das zu leugnen hieße, die Bruderschaft dieser Menschen mit uns zu leugnen, die sich aus unserem Herrn und Gott, unser aller Vater ergibt. Daher hier noch dieser etwas längere Auszug aus der Predigt des Papstes:
Adam, wo bist du?, Wo ist dein Bruder? sind die zwei Fragen, die Gott am Anfang der Geschichte der Menschheit stellt und die er ebenso an alle Menschen unserer Zeit, auch an uns richtet. Ich möchte aber, dass wir eine dritte Frage anfügen: Wer von uns hat darüber und über Geschehen wie diese geweint? Wer hat geweint über den Tod dieser Brüder und Schwestern? Wer hat geweint um diese Menschen, die im Boot waren? Um die jungen Mütter, die ihre Kinder mit sich trugen? Um diese Männer, die sich nach etwas sehnten, um ihre Familien unterhalten zu können? Wir sind eine Gesellschaft, die die Erfahrung des Weinens, des Mit-Leidens vergessen hat: Die Globalisierung der Gleichgültigkeit hat uns die Fähigkeit zu weinen genommen! Im Evangelium haben wir das Geschrei, das Weinen, das laute Klagen gehört: Rahel weinte um ihre Kinder denn sie waren dahin (Mt 2,18). Herodes säte Tod, um sein eigenes Wohl zu verteidigen, seine Seifenblase. Und dies wiederholt sich weiter Bitten wir den Herrn, dass er austilge, was von Herodes auch in unserem Herzen geblieben ist; bitten wir den Herrn um die Gnade, über unsere Gleichgültigkeit zu weinen, zu weinen über die Grausamkeit in der Welt, in uns, auch in denen, die in der Anonymität sozioökonomische Entscheidungen treffen, die den Weg bereiten zu Dramen wie diesem. Wer hat geweint? Wer hat heute in der Welt geweint?
Herr, in diesem Gottesdienst, den wir zur Buße feiern, bitten wir um Vergebung für die Gleichgültigkeit gegenüber so vielen Brüdern und Schwestern, wir bitten dich, Vater, um Vergebung für den, der sich damit abgefunden, der sich im eigenen Wohlstand eingeschlossen hat, der zur Betäubung des Herzens führt; wir bitten dich um Vergebung für alle, die mit ihren Entscheidungen auf weltweiter Ebene Situationen geschaffen haben, die zu solchen Dramen führen. Vergebung, Herr!
Herr, gib, dass wir auch heute deine Fragen hören: Adam, wo bist du? Wo ist das Blut deines Bruders?
Wer von uns kann sich von diesen Worten des Papstes nicht angesprochen fühlen?
Nachtrag: einige Medien schlachten die Reise von Papst Franziskus nach Lampedusa aus, um ihn erneut gegen seinen Vorgänger auszuspielen. So zitiert Spiegel Online Christian Weisner, den Sprecher der antikatholischen Bewegung Wir sind Kirche solche Barmherzigkeit sei von vielen Gläubigen in der Amtszeit von Papst Benedikt XVI. vermisst worden. Die Abscheu auszudrücken darüber, dass diese Predigt von Papst Franziskus gegen seinen Vorgänger ausgelegt wird, dazu fehlen mir schlicht die Worte!