Nach der Einleitung und deren abschließenden Fragen geht das Papier direkt in die vollen: Was bedeutet das überhaupt: Glauben? Der Papst zieht dann aber keine theolgisch-theoretischen Bezüge heran sondern setzt sich mit den Eigenschaften des Glaubens im Licht der Geschichte des jüdisch-christlichen Glaubens auseinander vielleicht ist das schon einen Hinweis wert, wie sehr sich die katholische Kirche und der Papst um Authentizität im Sinne der Bibeltreue bemüht?
Das erste Kapitel Wir haben die Liebe gläubig angenommen geht dabei auf die Grundlagen des Glaubens bei Abraham und dem Volk Israel ein, führt über Grundlegung und Inhalt des christlichen (auf den jüdischen Wurzeln aufbauenden) Glaubens und deren Heilserwartung hin zur Kirchlichkeit des Glaubens. Wer diese Abschnitte gelesen hat, wird einiges mehr von der Verfasstheit unseres Glaubens und von der Notwendigkeit der Kirche verstanden als mystischer Leib Christi mit den einzelnen Gläubigen als Glieder und Jesus als Haupt für den Glauben verstanden haben ein Satz wie Jesus ja, Kirche nein wird einem so schnell nicht mehr über die Lippen gehen!
Abraham, unser Vater im Glauben
Historisch gründet unser Glaube auf den Erfahrungen Abrahams mit Gott. Er war es, der Gott hören konnte und auf seinen Ruf eine zustimmende Antwort gab. Der Glaube ist in diesem Sinne nicht eine Aktion des Gläubigen sondern eine Reaktion auf den Ruf Gottes:
Der Glaube ist die Antwort auf ein Wort, das eine persönliche Anrede ist, auf ein Du, das uns bei unserem Namen ruft.
Dieser Ruf, der an Abraham ergeht, sein Land zu verlassen, ist mit einer Verheißung verbunden, die wenn man so will den Erfolg des Glaubens vor Augen führt, der allerdings erst in der Zukunft liegt, in Abrahams Fall die Aussicht auf zahlreiche Nachkommen, zu einem großen Volk zu werden. Abrahams Glaube an Gott nährt sich also einerseits aus der Erinnerung an Gottes Ruf, seine Worte, und ist insofern in die Vergangenheit gerichtet, andererseits hat der Glaube eine Zukunftskomponente eine Zukunft die für den der glaubt nicht mehr im Dunkeln und rein Ungewissen liegt, sondern die durch eben diesen Glauben erleuchtet wird. Dieses Erleuchten der Zukunft, diese Verheißung, bedeutet aber auch, dass Abraham aufgeordert ist, diesen Verheißungen Vertrauen zu schenken. So wird die Verheißung durch den Glauben zu einem Wissen um die Zuverlässigkeit Gottes, damit zur Sicherheit:
Der Glaube begreift, dass das Wort, eine scheinbar flüchtige, vorübergehende Wirklichkeit, wenn es vom treuen Gott ausgesprochen wird, das Sicherste und Unerschütterlichste wird, was es geben kann, das, was die Kontinuität unseres Weges in der Zeit ermöglicht. Der Glaube nimmt dieses Wort wie einen sicheren Felsen, auf dem man mit festen Fundamenten bauen kann. [ ] Der heilige Augustinus erklärt das so: »Der Mensch ist gläubig (fidelis), indem er dem verheißenden Gott glaubt; Gott ist treu (fidelis), indem er gewährt, was er dem Menschen versprochen hat.«
Schließlich weist der Papst noch darauf hin, dass die Verheißung, die an Abraham ergangen ist, nicht außerhalb seines Erfahrungsbereichs liegt. Seine sehnlichsten Wünsche, ob bewusst oder unbewusst, finden sich in der Verheißung seiner Elternschaft wieder.
Für Abraham erhellt der Glaube an Gott die tiefsten Wurzeln seines Seins, erlaubt ihm, die Quelle des Guten zu erkennen, die der Ursprung aller Dinge ist, und gibt ihm die Bestätigung, dass sein Leben nicht vom Nichts oder vom Zufall ausgeht, sondern auf eine persönliche Berufung und Liebe zurückzuführen ist. Der geheimnisvolle Gott, der ihn gerufen hat, ist nicht ein fremder Gott, sondern derjenige, der Ursprung von allem ist und alles erhält.
Das beschriebene Vertrauen, die Gewissheit die sich aus dem Glauben ergibt, die Verbindung mit den eigenen Hoffnungen, sie erlauben schließlich auch die Nagelprobe des Glaubens, durch die Abraham auferlegte Prüfung, die Opferung seines Sohnes, auch wenn dieses Opfer der Verheißung, Vater eines großen Volkes zu sein, entgegensteht:
Das Wort, das imstande war, in seinem erstorbenen“ Leib und dem ebenso erstorbenen“ Mutterschoß der unfruchtbaren Sara einen Sohn hervorzubringen (vgl. Röm 4,19), wird auch imstande sein, jenseits aller Bedrohung oder Gefahr für die Verheißung einer Zukunft zu bürgen (vgl. Hebr 11,19; Röm 4,21).
Der Glaube Israels
Im nächsten Abschnitt erläutert der Papst, wie sich das Volk Israel in Ägypten den Verheißungen, dem Wort Gottes gegenüber öffnet. Die Erzählungen über die Wohltaten Gottes am Volk Israel, die von Generation zu Generation weitergetragen werden, sie belegen die Vertrauenswürdigkeit Gottes und sichern so den Glauben Israels. Gott erweist sich immer wieder als verlässlich und glaubwürdig im wahrsten Sinne und so wird der Glaube gestärkt
Daraus ersehen wir, dass das Licht, das der Glaube bringt, an die konkrete Erzählung des Lebens, an das dankbare Gedenken der Wohltaten Gottes und an die fortschreitende Erfüllung seiner Verheißungen gebunden ist.
Das bedeutet aber nicht, dass der Glaube nicht angreifbar wäre. Gerade das Volk Israel sieht sich immer wieder der Versuchung ausgesetzt, den Glauben an Gott zu vergessen, seinen Verheißungen, die in die Zukunft gerichtet und scheinbar unsicher sind, zu misstrauen und sich stattdessen lieber vermeintlichen Sicherheiten, selbst gemachten Götzen anzuvertrauen. Die Verheißungen des Glaubens liegen naturgemäß in der Zukunft und sind mit einer Wartezeit verbunden, wie die des Wartens Israels auf das Wort Gottes, dass Moses ihnen bringen soll; es verlässt sich lieber auf die eigenen Werke und setzt sich selbst vertreten durch die Götzen quasi als Gott ein:
Anstelle des Glaubens an Gott zieht man vor, den Götzen anzubeten, dem man ins Gesicht blicken kann, dessen Herkunft bekannt ist, weil er von uns gemacht ist. Vor dem Götzen geht man nicht das mögliche Risiko eines Rufes ein, der einen aus den eigenen Sicherheiten herausholt, denn die Götzen »haben einen Mund und reden nicht« (Ps 115,5). So begreifen wir, dass der Götze ein Vorwand ist, sich selbst ins Zentrum der Wirklichkeit zu setzen, in der Anbetung des Werkes der eigenen Hände. [ ] Wer sich nicht Gott anvertrauen will, muss die Stimmen der vielen Götzen hören, die ihm zurufen: Vertraue dich mir an!“
Der Glaube an Gott ist dabei der Weg, sich von dieser Unterwerfung unter die Götzen loszusagen. In Gott findet der Mensch wieder das Du, das ihn ruft, eine Liebe, die Gott anbietet, Annahme und Vergebung und Orientierung, die die Götzen nicht liefern können und den Menschen nur unfrei machen:
Der Glaube besteht in der Bereitschaft, sich immer neu vom Ruf Gottes verwandeln zu lassen. Das ist das Paradox: In der immer neuen Hinwendung zum Herrn findet der Mensch einen sicheren Weg, der ihn vom Hang zur Zerstreuung befreit, dem ihn die Götzen unterwerfen.
Die Fülle des christlichen Glaubens
Vom Volk Israel aus führt der Text hin zu Jesus, der in sich die Erfüllung der Verheißungen Gottes vereint. Er ist es, auf den der Glaube Israels ausgerichtet war, seine Geschichte ist der vollkommene Erweis der Verlässlichkeit Gottes. Spätestens in Jesus wird die Liebe Gottes zu den Menschen deutlich, für die er Mensch wird und sich opfert, stirbt und wieder aufersteht:
Der christliche Glaube ist also ein Glaube an die vollkommene Liebe, an ihre wirkungsvolle Macht, an ihre Fähigkeit, die Welt zu verwandeln und die Zeit zu erhellen. »Wir haben die Liebe, die Gott zu uns hat, erkannt und gläubig angenommen« (1 Joh 4,16a). Der Glaube begreift in der in Jesus offenbarten Liebe Gottes das Fundament, auf dem die Wirklichkeit und ihre letzte Bestimmung gründen. [ ]
Gerade weil Jesus der Sohn ist, weil er ganz im Vater verwurzelt ist, hat er den Tod überwinden und das Leben in Fülle erstrahlen lassen können. Unsere Kultur hat die Wahrnehmung dieser konkreten Gegenwart Gottes, seines Handelns in der Welt, verloren. Wir meinen, Gott befinde sich nur jenseits, auf einer anderen Ebene der Wirklichkeit, getrennt von unseren konkreten Beziehungen. Wenn es aber so wäre, wenn Gott unfähig wäre, in der Welt zu handeln, wäre seine Liebe nicht wirklich mächtig, nicht wirklich real und wäre folglich nicht einmal eine wahre Liebe, die das Glück zu vollbringen vermag, das sie verspricht. Dann wäre es völlig gleichgültig, ob man an ihn glaubt oder nicht. Die Christen bekennen dagegen die konkrete und mächtige Liebe Gottes, der wirklich in der Geschichte handelt und ihr endgültiges Los bestimmt eine Liebe, der man begegnen kann, die sich im Leiden und Sterben und in der Auferstehung Christi vollends offenbart hat.
Wesentlich ist für den Papst dabei auch, dass Jesus eben nicht ein anderer Gott ist sondern Gott selbst, der sich aber zum glaubwürdigen Mittler macht. Er hat unsere Natur angenommen, damit wir an ihn glauben und ihm vertrauen können denn er ist eben nicht ein weit entfernter Gott sondern ein Gott, der in unserer Realität wirkt. So gesehen bewirkt der Glauben an ihn einen tieferen Einblick in die Wirklichkeit, wie ihn nur Gott selbst bieten kann:
Der Glaube an den in Jesus Mensch gewordenen Sohn Gottes trennt uns nicht von der Wirklichkeit, sondern erlaubt uns, ihren tieferen Grund zu erfassen und zu entdecken, wie sehr Gott diese Welt liebt und sie unaufhörlich auf sich hin ausrichtet. Und dies führt den Christen dazu, sich darum zu bemühen, den Weg auf Erden in noch intensiverer Weise zu leben.
Das Heil durch den Glauben
Der Glaube an Gott bewirkt eine Abkehr von der Selbstgerechtigkeit im Sinne des Versuchs, selbst sein Leben ohne Gott in die Hand nehmen zu wollen. Die Botschaft Jesu wendet sich in vielen Fällen genau deshalb gegen die Pharisäer, weil sie meinen, sich selbst durch die Befolgung von Regeln und Geboten gerecht machen zu können. Diese Art der Gerechtigkeit setzt aber nicht Gott in den Mittelpunkt, sondern sich selbst. Und dieser Anker ist eben am Ende nicht mal ausreichend, die eigenen Regeln einzuhalten:
Der heilige Augustinus drückt das in seiner bündigen und wirkungsvollen Sprache so aus: »Ab eo qui fecit te noli deficere nec ad te« »Von dem, der dich gemacht hat, entferne dich nicht einmal, um zu dir zu gehen.«[ Wenn der Mensch meint, zu sich selber zu finden, indem er sich von Gott entfernt, dann scheitert sein Leben (vgl. Lk 15,11-24). [ ] Das Heil durch den Glauben besteht in der Anerkennung des Vorrangs der Gabe Gottes, wie der heilige Paulus zusammenfasst: »Denn aus Gnade seid ihr durch den Glauben gerettet, nicht aus eigener Kraft Gott hat es geschenkt« (Eph 2,8).
Letztlich erfährt der Mensch im Glauben an Gott und Jesus Christus seine eigene Gotteskindschaft. Er kann sich der Liebe Gottes anvertrauen und lernen, er kann durch die Hilfe des Heiligen Geistes mit den Augen Jesu zu sehen, der wie der Apostel Paulus sagt in ihm lebt:
Der Christ kann mit den Augen Jesu sehen, seine Gesinnung haben, seine Kind-Vater-Beziehung teilen, weil er seiner Liebe teilhaftig wird, die der Heilige Geist ist. In dieser Liebe empfängt man in gewisser Weise die Sichtweise Jesu. Außerhalb dieser Gleichgestaltung in der Liebe, außerhalb der Gegenwart des Geistes, der sie in unsere Herzen ausgießt (vgl. Röm 5,5), ist es unmöglich, Jesus als den Herrn zu bekennen (vgl. 1 Kor 12,3).
Die kirchliche Gestalt des Glaubens
Der letzte Abschnitt dieses ersten Kapitels beschäftigt sich mit der Kirche, verstanden als mystischer Leib Christi. An diesem Leib ist jeder Gläubige ein Glied, das notwendig ist für das Funktionieren des Leibs. Jeder trägt in dem Maße, das ihm möglich ist, für das Wohlergehen des Leibes bei ohne dabei seine Individualität zu verlieren man ist als Christ kein Rädchen in einem großen Getriebe:
Dann versteht man auch, warum außerhalb dieses Leibes, außerhalb dieser Einheit der Kirche in Christus dieser Kirche, die nach den Worten Romano Guardinis die »geschichtliche Trägerin des vollen Blicks Christi auf die Welt« ist der Glaube sein Maß“ verliert, nicht mehr sein Gleichgewicht findet, den nötigen Raum, um sich zu stützen.
Der Papst verdeutlicht daran schließlich auch den Zweck der Kirche, der in der Evangelisierung liegt, in der Form, dass das angenommene Wort selbst zum Zeugnis, zur Botschaft wird:
Der Glaube ist keine Privatsache, keine individualistische Auffassung, keine subjektive Meinung, sondern er geht aus einem Hören hervor und ist dazu bestimmt, sich auszudrücken und Verkündigung zu werden. Denn »wie sollen sie an den glauben, von dem sie nichts gehört haben? Wie sollen sie hören, wenn niemand verkündigt?« (Röm 10,14). Der Glaube wird also im Christen wirksam von der empfangenen Gabe her, der Liebe, die zu Christus hinzieht (vgl. Gal 5,6), und lässt ihn teilnehmen am Weg der Kirche, die durch die Geschichte pilgernd unterwegs ist zur Vollendung. Für den, der auf diese Weise verwandelt worden ist, öffnet sich eine neue Sichtweise, wird der Glaube zum Licht für seine Augen.
Großartig, wie der Papst in diesem Abschnitt die Eigenheiten des Glaubens, die sich in den Stichworten Ruf und Antwort, Erinnerung und Zukunft, Vertrauen und Sicherheit, Gedenken und Verheißung, Gnade und Heil in aller Kürze wiedergeben lassen, in Verbindung setzt mit Christus und seiner Kirche. Wie schon eingangs erwähnt: wer den in diesem Abschnitt enthaltenen Glaubenssätzen folgt, der kann am Ende nicht halt machen und die Kirche in sich ablehnen. Man mag über Entwicklungen stöhnen, sich an der einen oder anderen Stelle vielleicht sogar eine Kirche wünschen, die anders verfasst wäre (dazu wird an dieser Stelle der Enzyklika keine Aussage gemacht) aber ein Glauben ganz ohne Kirche ist zumindest kein christlicher Glaube!