Im letzten Abschnitt geht der Papst noch mal auf eine Reihe von Aspekten des christlichen Lebens ein. Ausgehend von der Verheißung des himmlischen Jerusalem geht es dabei aber nicht um bloße Theorie sondern um die konkrete Lebensgestaltung, die sich an Glauben, Wahrheit, Liebe orientiert. Durch den Glauben, so die Argumentation des Papstes, wird ein Mehrwert für das Gemeinwohl erbracht, weil es die Welt mit eben dieser Wahrheit und Liebe durchdringt, wie es weltliche politische Systeme nicht in der Lage sind zu erreichen.
Der Glaube und das Gemeinwohl
Wie jeder Mensch ist auch der Christ nicht ein Einzelner sondern lebt in einem Gemeinswesen, in Beziehung zu einer Vielzahl von Menschen. Durch sein Christsein nimmt er auf dieses Gemeinwesen Einfluss. Diese Beziehungen werden wenn sie im Glauben gelebt werden verlässlicher, da sie auf der Wahrheit gründen. Meine Worte als Christ werden eben andere sein, meine Taten gegenüber anderen werden anders sein, als wenn ich rein innerweltlich denke und Gott, seine Liebe und mein Vertrauen in ihn nichts ins Kalkül ziehe:
Der Glaube offenbart, wie fest die Bande zwischen den Menschen sein können, wenn Gott in ihrer Mitte gegenwärtig wird. Der Glaube ruft nicht nur eine innere Festigkeit wach, eine feste Überzeugung des Glaubenden; er erleuchtet auch die zwischenmenschlichen Beziehungen, weil er aus der Liebe kommt und der Dynamik der Liebe Gottes folgt. Der verlässliche Gott schenkt den Menschen eine verlässliche Stadt.
Demgegenüber können Beziehungen, aus denen man Gott wegdenkt, am Ende nur noch auf gegenseitigem Nutzen beruhen. Die Leser dieses Blogs kennen meine Vorliebe für libertäre Gesellschaftsformen, die, unter anderem, auf der Freiwilligkeit des Miteinanders beruht und grundsätzlich den Nützlichkeitsgedanken in den Vordergrund rücken. Dem kann ich nur so lange folgen, wie der Nutzen nicht auf Geld und persönlichen Vorteil reduziert wird, sondern eben die göttliche Komponente berücksichtigt:
Ohne eine verlässliche Liebe könnte nichts die Menschen wirklich geeint halten. Die Einheit zwischen ihnen wäre nur denkbar als eine Einheit, die auf Nützlichkeit, auf die Zusammenlegung der Interessen oder auf Angst gegründet ist, aber nicht auf das Gut des Miteinanders und auf die Freude, die die bloße Gegenwart des anderen hervorrufen kann. Der Glaube macht die Strukturen der menschlichen Beziehungen einsichtig, weil er deren Urgrund und letzte Bestimmung in Gott, in seiner Liebe erfasst. Sein Licht fördert die Fähigkeit, solche Strukturen aufzubauen. So wird er zu einem Dienst am Gemeinwohl.
Auf diese Weise stellt sich der Glauben, wie der Papst sagt, in den konkreten Dienst der Gerechtigkeit, des Rechts und des Friedens.
Der Glaube und die Familie
Hinsichtlich des Ortes, in dem der Glaube selbst gedeihen kann und selbst fruchtbar für diesen Ort wird, nimmt die Familie einen besonderen Stellenwert ein. Hier begreift der Papst die Ehe, die dauerhafte Verbindung von Mann und Frau [ entstehend] aus ihrer Liebe, die Zeichen und Gegenwart der Liebe Gottes ist, und aus der Anerkennung und Annahme des Gutes der geschlechtlichen Verschiedenheit, durch welche die Ehegatten ein Fleisch werden können (vgl. Gen 2,24) und fähig sind, neues Leben zu zeugen, das Ausdruck der Güte des Schöpfers, seiner Weisheit und seines Plans der Liebe ist.
Eigentlich ist dieser ganze Abschnitt eine Art Hymnus auf die Familie und erhellt gerade heute, in der die Definition von Ehe und Familie weltlicherseits in Frage gestellt wird, den Blick des Glaubens auf diese Institution. Deutlich wird in dem Abschnitt: einer Ehe, einer Familie ohne Gott fehlt ein wesentlicher Baustein der Verlässlichkeit, das tiefe Vertrauen in Gott. Das heißt nicht, dass nicht auch eine weltliche Ehe dauerhaft sein kann, die Voraussetzungen sind aber ungleich schlechter:
Auf diese Liebe gegründet, können sich Mann und Frau mit einer Geste, die ihr ganzes Leben mit einbezieht und in vielen Zügen an den Glauben erinnert, die gegenseitige Liebe versprechen. Eine Liebe zu versprechen, die für immer gilt, ist möglich, wenn man einen Plan entdeckt, der größer ist als die eigenen Pläne, der uns trägt und uns erlaubt, der geliebten Person die ganze Zukunft zu schenken.
Intensiv geht der Papst auch auf die Bedeutung der Familie und den in der Familie gelebten Glauben für Kinder und Jugendliche ein. Die Kinder erfahren in den Familien den Glauben und die Verlässlichkeit, die sie als Fundament für ihre Lebensgestaltung und Orientierung so dringend brauchen und die den Blick auf die Welt und ihre Möglichkeiten weiten. In den Familien ist also ebenfalls der Ort, an dem der Glaube wirksam wird, ein Vorgeschmack auf das himmlische Jerusalem. Man mag sich fragen, inwieweit die eigene Familie diesem Anspruch gerecht wird, und was mein persönlicher Beitrag dazu ist? Die Fundamente für ein gelingendes junges Leben werden jedenfalls in der Familie gelegt, und wir tun gut daran, sie auch so zu behandeln und wertzuschätzen:
Der Glaube ist nicht eine Zuflucht für Menschen ohne Mut, er macht vielmehr das Leben weit. Er lässt eine große Berufung entdecken, die Berufung zur Liebe, und er garantiert, dass diese Liebe verlässlich ist und es wert ist, sich ihr zu übereignen, da ihr Fundament auf der Treue Gottes steht, die stärker ist als all unsere Schwäche.
Ein Licht für das Leben in der Gesellschaft
Die Grundlagen des Glaubens, die in der Familie gelegt werden, können dann in den Beziehungen zu anderen Menschen, in der Gesellschaft wirksam werden. Wer als weltlichen Maßstab eine universale Brüderlichkeit verlangt, kann diese nur im Rahmen einer Ideologie mit Gewalt durchsetzen oder sie ist grundgelegt in einer gemeinsamen Vaterrolle Gottes:
In der Moderne“ wurde versucht, eine universale Brüderlichkeit unter den Menschen auf der Grundlage ihrer Gleichheit aufzubauen. Nach und nach haben wir aber verstanden, dass diese Brüderlichkeit, die des Bezugs auf einen gemeinsamen Vater als ihr letztes Fundament entbehrt, nicht zu bestehen vermag. Es ist also nötig, zur wahren Wurzel der Brüderlichkeit zurückzukehren. [ ] Während die Heilsgeschichte fortschreitet, entdeckt der Mensch, dass Gott alle als Brüder und Schwestern an dem einen Segen teilhaben lassen will, der in Jesus seine Fülle findet, damit alle eins würden. Die unerschöpfliche Liebe des Vaters wird uns in Jesus auch durch die Gegenwart des Bruders mitgeteilt. Der Glaube lehrt uns zu sehen, dass in jedem Menschen ein Segen für mich gegeben ist, dass das Licht des Antlitzes Gottes mich durch das Gesicht des Bruders erleuchtet.
Diese Sicht auf Gott als den Vater, der nicht nur unser Vater ist sondern die anderen Menschen zu unseren Brüdern macht, ist es sicher wert, immer wieder ins Bewusstsein gerufen zu werden, nicht nur im Rahmen des Mitleids und der Unterstützung Schwächerer sondern generell im Umgang mit den Menschen in unserem Umfeld, die durch ihre Sohnschaft eine einzugartige Würde besitzen, die der Gläubige berücksichtigen muss.
Inn ähnlicher Weise zeigt der Glaube an Gott unsere Verantwortung gegenüber der Schöpfung, die ebenfalls eine Würde gegenüber Gott besitzt. Auch in der Politik ist der Glaube an Gott hilfreich, indem er uns hilft Entwicklungsmodelle zu finden, die nicht allein auf Nutzen und Profit gründen, sondern die Schöpfung als Gabe anerkennen, deren Schuldner wir alle sind. Er lehrt uns, gerechte Regierungsformen zu ermitteln und dabei anzuerkennen, dass die Autorität von Gott kommt, um sich in den Dienst des Gemeinwohls zu stellen.
Mit diesen Worten zeigt der Papst die Notwendigkeit des Glaubens für den Einzelnen wie für die Gesellschaft auf. Wie in den vorherigen Kapiteln erläutert wurde, ist die Weitergabe des Glaubens aber an unser Zeugnis gekoppelt und daran, dass Menschen diesen Glauben weitergeben. Gott ist bei uns, er schämt sich unser nicht. Aber und diese Fragen des Papstes müssen uns alle bewegen, mich jedenfalls beschäftigen sie, seit ich die Enzyklika gelesen habe:
Sind es vielleicht wir, die wir uns schämen, Gott unseren Gott zu nennen? Sind wir es, die ihn als solchen in unserem Leben in der Öffentlichkeit nicht bekennen und die Größe des Lebens der Gemeinschaft nicht darstellen, die er möglich macht? Der Glaube macht das Leben in der Gesellschaft hell. Er besitzt ein schöpferisches Licht für jeden neuen Moment der Geschichte, weil er alle Ereignisse in Beziehung setzt zum Ursprung und Ziel von allem im Vater, der uns liebt.
Eine tröstende Kraft im Leiden
Ein schwieriges Thema ist das des Glaubens und des Leidens. Nicht wenige betrachten den Glauben als einen notwendigen Anker im Leiden, instrumentalisieren ihn aber so als Ablenkung vom Leiden. Dem liegt ein fundamentales Missverständnis zugrunde. Der Glaube löst das Leiden nicht auf, das Leiden wird aber durch den Glauben erleuchtet. Nur im Glauben sind wir in der Lage, einen Sinn im Glauben zu erkennen. Das ist zwar auch ein Trost, aber kein Mittel zum Zweck des Trostes:
Der Christ weiß, dass das Leiden nicht beseitigt werden, aber einen Sinn erhalten kann, dass es zu einem Akt der Liebe und des Sich-Anvertrauens in die Hände Gottes, der uns nicht verlässt, und auf diese Weise zu einer Stufe des Wachstums im Glauben und in der Liebe werden kann. Wenn er betrachtet, wie Christus auch im Augenblick des größten Leidens am Kreuz (vgl. Mk 15,34) mit dem Vater eins ist, lernt der Christ, an der Sicht Jesu selbst teilzunehmen. Sogar der Tod wird hell und kann als letzter Ruf des Glaubens erlebt werden, als letztes Zieh weg aus deinem Land“ (Gen 12,1), als letztes Komm“, das der Vater spricht. Ihm übergeben wir uns in dem Vertrauen, dass er uns auch beim endgültigen Schritt stark machen wird.
Gleichzeitig öffnet der Glaube an Gott, an seine Wahrheit und Liebe, auch den Blick für das Leiden anderer Menschen. Dieses Leiden kann für uns auch Licht und Berufung sein, indem wir unseren Nächsten helfen und ihnen den Glauben bringen. Gott selbst begleitet uns im Leiden und es ist unsere Aufgabe, diese Begleitung auch anderen Menschen nahezubringen, vielleicht, wie die selige Mutter Teresa, in dem wir selbst die Leidenden begleiten:
Sicher haben sie nicht alle ihre Leiden getilgt, wenn sie sich ihnen genähert haben, und konnten auch nicht jedes Übel erklären. Der Glaube ist nicht ein Licht, das all unsere Finsternis vertreibt, sondern eine Leuchte, die unsere Schritte in der Nacht leitet, und dies genügt für den Weg. Dem Leidenden gibt Gott nicht einen Gedanken, der alles erklärt, sondern er bietet ihm seine Antwort an in Form einer begleitenden Gegenwart, einer Geschichte des Guten, die sich mit jeder Leidensgeschichte verbindet, um in ihr ein Tor zum Licht aufzutun. In Christus wollte Gott selbst diesen Weg mit uns teilen und sein Sehen schenken, um darin das Licht zu schauen. Christus, der den Schmerz erduldet hat, ist »der Urheber und Vollender des Glaubens« (Hebr 12,2).
Wie der Papst schreibt, gibt der Glaube so auch Hoffnung, vor allem im Leiden, in dem wir unsere irdische Wohnung, unser weltliches Wohlergehen zusammenbrechen sehen und uns doch bewusst bleiben, dass wir eine andere Wohnung haben, eben das eingangs erwähnte himmlische Jerusalem. Diese Hoffnung zu pflegen und sie nicht aufzugeben für kurzfristige weltliche Angebote ist ebenfalls unser Auftrag, den wir im Glauben an Gott erfüllen können:
Lassen wir uns nicht die Hoffnung stehlen; lassen wir nicht zu, dass sie vereitelt wird durch unmittelbare Lösungen und Angebote, die uns auf dem Weg aufhalten und die Zeit aufsplittern“ und in Raum umwandeln. Die Zeit steht immer über dem Raum. Der Raum lässt die Vorgänge erstarren, die Zeit hingegen führt sie in die Zukunft und drängt, voll Hoffnung voranzugehen.
Selig, die geglaubt hat (vgl. Lk 1,45)
Bereits im Teil 1 dieser Serie (http://papsttreuer.blog.de/2013/07/09/lumen-fidei-licht-glaubens-teil-16224192/) war ich auf den letzten Abschnitt der Enzyklika eingegangen, der sich mit der Rolle Marias für den Glauben beschäftigt. Sie ist unser Beispiel für einen vollkommenen Glauben, wie der Papst schreibt eine vollkommene Ikone des Glaubens. Sie nimmt Gott an und in ihr führt der Glauben zu reicher Frucht, zur Geburt Jesu, den sie durch sein Leben begleitet und ihren Glauben durch ihn wachsen lässt:
So wurde in Maria der Glaubensweg des Alten Testaments aufgenommen in die Nachfolge Jesu hinein und lässt sich von ihm verwandeln, indem er in die dem menschgewordenen Gottessohn eigene Sichtweise eintritt.
Dass Maria Jesu leibliche Mutter ist, erhellt auch unseren Blick auf ihn selbst, der einerseits belegt durch die jungfräuliche Empfängnis der Sohn Gottes ist, und andererseits eine echte menschliche Geschichte hat. Vor dem abschließenden, bereits zitierten Bittgebet zur Gottesmutter, schließt der Papst diesen Aspekt und damit die Enzyklika mit grandiosen Sätzen, und mit einem abschließenden Satz, der ein eigenes Glaubensbekenntnis sein könnte:
Maria begleitete ihn bis unter das Kreuz (vgl. Joh 19,25), von wo aus sich ihre Mutterschaft auf jeden Jünger ihres Sohnes erstrecken sollte (vgl. Joh 19,26-27). Nach der Auferstehung und Himmelfahrt Jesu war sie auch im Abendmahlssaal zugegen, um mit den Aposteln um die Gabe des Geistes zu bitten (vgl. Apg 1,14). Der Strom der Liebe zwischen Vater und Sohn im Geist hat unsere Geschichte durchlaufen; Christus zieht uns zu sich, um uns retten zu können (vgl. Joh 12,32). In der Mitte des Glaubens steht das Bekenntnis zu Jesus, dem Sohn Gottes, geboren von einer Frau, der uns durch die Gabe des Heiligen Geistes in die Gotteskindschaft hineinführt (vgl. Gal 4,4-6).
Dass der Papst die Enzyklika mit dem Bittgebet an Marie beendet zeigt noch mal ihre besondere Rolle in der Geschichte Jesu: Sie, die geglaubt hat, kann für uns den Glauben erbitten und uns beim Glauben, beim Glaubensweg helfen und wir tun gut daran, auch ihr Leben zu betrachten und um ihre Fürsprache zu bitten.
Fortsetzung folgt