Etwas positives mal vorneweg: Ich mag der evangelischen Initiative Sieben Wochen ohne große Worte, die vorschlägt, in der Fastenzeit in Predigten ohne solche großen Worte auszukommen, durchaus etwas abgewinnen. Und ich vermag auch zu verstehen, dass bestimmte Worte in Predigten verwandt werden, deren Inhalt nicht mehr verstanden wird. Wer wollte bestreiten, dass in Kirchen, egal ob katholisch oder evangelisch, oft eine Sprache gesprochen wird, die Otto-Normalverbraucher nicht mehr versteht, und der sich darum möglicherweise ausgeschlossen fühlt.
Ich erinnere mich, als meine Frau und ich die ersten male katholische Messen gemeinsam besuchten, sie in Berlin evangelisch aufgewachsen, ich im Münsterland katholisch sozialisiert, und die aus ihrer Sicht dahin gemurmelten Gebete eine kleine Wand zwischen sie und die Liturgie errichteten. Man kann nicht mit sprechen, man weiß nicht, wann man stehen, knien, sitzen soll wer sich dort nicht fremd fühlt, der tut das vermutlich nirgendwo. Demnächst werden wieder die Programme der Ostermessen veröffentlicht, und in vielen Gemeinden werden die Menschen nach der Ostermesse zur Agape eingeladen ernsthaft: Wer zwei mal im Jahr in die Kirche geht, wird vermutlich nicht wissen, was das ist und fühlt sich ausgeschlossen.
Um es mal weltlich zu vergleichen: Haben Sie schon mal als totaler Laie versucht, sich in einem IT-Fachgeschäft beim Kauf eines PC beraten zu lassen? Sie verstehen oft schon die Fragen nicht, die man ihnen stellt.
Kirchensprech ist darum sicher ein Problem der Zeit, ein Problem der Evangelisierung. So darf man sich durchaus fragen, was es denn bedeutet, wenn irgend jemand schreibt, dass Predigtsprache in Substantiven gerinnt? Oder was mit kryptischen Formulierungen gemeint ist wie Wie jeder Verzicht, so ist sicher auch der Verzicht auf Große Worte mühsam. Aber er geschieht unter der Verheißung, dass sich etwas klärt und erneuert.
Die letzten Zitate, Sie haben es vermutlich erraten, stammen aus dem Aufruf des Zentrums für evangelische Predigtkultur, in der Fastenzeit auf große Worte zu verzichten, die manchmal funktionieren wie Platzhalter, aus denen die Inhalte längst ausgewandert sind. Nun kann man, ich hatte es eingangs schon geschrieben, durchaus etwas anfangen mit der Forderung, Predigten so zu gestalten, dass die Botschaften beim Menschen auch ankommen, dass die Menschen zumindest eine Chance haben zu verstehen (das, so habe ich in der Beschäftigung damit gelernt, ist ein Kern der Botschaft des 2. Vatikanischen Konzils).
Mir selbst stoßen Predigten auf, in denen gefühlt in jedem Satz die Worte die Gesellschaft vorkommt, meist verbunden mit einer Fundamentalkritik an ebendieser. Mag der Hintergrund in den meisten Fällen durchaus richtig sein: der Hinweis auf die Gesellschaft, lässt einen wohlig zurück lehnen das sind die anderen, das sind die, die nicht auf der Seite Jesu stehen. Danke Herr, dass ich nicht so bin, wie dieser Zöllner da drüben …?!
Das Wort Gesellschaft fehlt allerdings in der Liste der großen Wörter ebenso wie Solidarität, Akzeptanz, es fehlen auch Umwelt oder Armut um ein paar Wörter zu nennen, die in den Predigten vieler Pfarrer und Pastoren heute nicht fehlen dürfen, wobei es eben meistens die anderen sind, die nicht verstehen, was damit gemeint sein soll und wieso das wichtig ist.
Stattdessen sollen die evangelischen Prediger die gesamte Fastenzeit über auskommen ohne Worte wie Gott, Jesus, Christus oder Geist, womit schon mal kaum ein Ausweg mehr gelassen wird, überhaupt über die Dreifaltigkeit zu sprechen, wenn man sich nicht mit dem höheren Wesen zufrieden geben will. Es fehlen, passend zur Fastenzeit auch Begriffe wie Kreuz, Leiden und Auferstehung. Mag sich jeder selbst überlegen, wie er einem Menschen die Passion begreiflich machen will, wenn er wie im populären Spiel Tabu diese Worte nicht verwenden darf. Wenn also Gott nicht vorkommen darf und die Passion nicht mit den richtigen Worten beschrieben werden darf, dann wundert es auch nicht mehr, wenn Buße, Erbarmen, Gehorsam, Gericht, Herrschaft, Strafe, Sünde, Trost, Umkehr, Böse und Versuchung ebenso auf dem Index der Initiative stehen wie Wahrheit und Weisheit (die vollständige Liste der 49 Worte findet man hier).
Um es noch mal klar zu machen: Ich teile die Bedenken der Initiative, dass die Bedeutung der vorgeschlagenen Worte vielen heute nicht mehr klar ist. Wer das aber bemängelt, weil die Bedeutung wichtig erscheint, der muss doch diese Worte benutzen: sie erklären, im richtigen Kontext verwenden, vielleicht mit Beispielen hinterlegen, sie in die Praxis der Gläubigen und Interessierten übersetzen. Viele können mit dem Begriff Gott heute nichts mehr anfangen: aber lösen wir diese Problematik, wenn wir seinen Namen nicht mehr verwenden?
Die Initiative Sieben Wochen ohne große Worte macht am Ende einen billigen Punkt: Wer eine solche Tabu-Predigt versucht, wird sich an den meisten Themen sicher die Zähne ausbeißen, und man kann besserwisserisch mit einem Siehste! auf diese Problematik verweisen. Mein Vorschlag wäre dagegen ein anderer:
Wenn es eine Konfession flächendeckend schafft, die sieben Wochen der Fastenzeit in den Predigten auf die Nutzung der genannten Wörter zu verzichten, dann macht bitte am Karfreitag der letzte das Licht aus, man spart sich den Ostergottesdienst zu dem sind dann alle in die katholische Kirche eingeladen! Vielleicht wird vielen die bildreiche Liturgie der Osternacht anfangs fremd sein, aber ich behaupte, wer sich nur mit offenem Herzen darauf einlässt wird am Ende mehr über Gott, Jesus, Leiden und Auferstehung verstanden haben als in den sieben Wochen, in denen er mit diesen Worten nicht behelligt wurde.
Damian
Die Lösung gegen Kirchensprech – Pastoral-Buzzwordbingo:
http://www.catholicism-wow.de/pivot/entry.php?id=380
Matija Vudjan
Ein sehr interessanter Artikel; vielen Dank dafür! Ich möchte ergänzend hinzufügen, dass der evangelische Theologe Wolf Krötke vor inzwischen fast sieben Jahren die These entwickelt hat, dass die gesamte menschliche Problematik, der die Kirchen (ich rede bewusst von den Kirchen!) ausgesetzt sind, die der Gottesvergessenheit ist. Sein Lösungsansatz ist aber nicht der, den evangelische Pfarrer jetzt in der Fastenzeit anwenden sollen, sondern das vollkommene Gegenteil davon: nämlich endlich von den unzähligen Moralpredigten Abstand zu nehmen und sich endlich wieder auf den Kern der Christlichen Botschaft zu konzentrieren: Die Selbstoffenbarung Gottes in Jesus Christus!
Interessant (oder grotesk, je nachdem wie man es versteht) wird das alles vor allem aufgrund der Tatsache, dass Krötke in der evangelischen Kirche kein unbeschriebenes Blatt ist, sondern eine Persönlichkeit, dessen Wort – eigentlich – viel Gewicht hat. Ich muss deswegen wirklich sagen, dass ich über Ihren Bericht doch ziemlich erstaunt bin.
Ich will die Sache hier nicht weiter vertiefen, möchte aber doch den Hinweis auf den Artikel von Herrn Krötke geben, da ich ihn auch aus Katholischer Perspektive sehr lesenswert finde (an einigen Stellen werden zwar Unterschiede zwischen Katholischer und protestantischer Theologie deutlich, aber der Kern umfasst beide Konfessionen – wie ich denke – gleichermaßen):
Krötke, Wolf, Gottesrede inmitten von Gottesvergessenheit. Zur bleibenden Herausforderung der christlichen Verkündigung Gottes durch den Atheismus. In: Walter, Peter (Hg.): Gottesrede in postsäkularer Kultur. Freiburg i. Br. u. a. 2007 (Questiones disputatae 224), 54-71.
Viele liebe Grüße und Gottes Segen!
Matija Vudjan
Anonymous
Die evangelische Kirche fastet sich zu Tode.
Ich bin als Protestant, der versucht die Grundlagen reformatorischen Bekenntnisses ernst zu nehmen, nun schon einiges an Kummer gewöhnt. Aber diese völlige Pervertierung des Fastengedankens markiert, nach dem sogenannten Familienpapier der EKD vom letzten Jahr, einen neuerlichen Tiefpunkt evangelischer Gegenwartstheologie. Wir sollen auf Große Worte verzichten, weil sie angeblich Ihren Sinn verloren hätten. Die Worte haben ihren Sinn nicht verloren. Die aktuelle Predigtpraxis versäumt lediglich den Menschen diesen Sinn zu erklären, weil wir lieber Experten für Umweltschutz, Gender-Mainstreaming, Sozialmanagement oder im günstigsten Fall für postmoderne Religionsphilosophie sein wollen. Und dieser beschämende Mangel an Mut zum christlichen Bekenntnis wird jetzt auch noch als Fastenprogramm umgedeutet. Es ist zum katholisch werden.