Ob es daran liegt, dass am 20. September der Marsch für das Leben stattfindet, dass das Thema derzeit mehr Aufmerksamkeit erregt oder sind es nur diejenigen, die sich dafür interessieren, die für das Thema besonders empfänglich sind. Jedenfalls gab es in den vergangenen Tagen zwei Äußerungen zum Thema Lebensrecht, die es in die Presse geschafft haben.
Da ist einmal der englische Vorzeige-Atheist Richard Dawkins, der über Twitter geäußert hat, ungeborene Kinder mit dem Down-Syndrom sollten abgetrieben werden und zwar genau so: sie sollten es sei ethisch nicht verantwortbar, solche Kinder auszutragen. In der sich daran anschließenden Diskussion ließ Dawkins auch keinen Zweifel daran, wes Geistes Kind er ist. Bei dieser Forderung ging es ihm was schon an den Haaren herbeigezogen aber doch zumindest diskussionsfähig wäre nicht darum, Kindern, die mit einer Behinderung geboren werden, Leid zu ersparen. Nachdem ihn jemand befragt hatte, ob so eine Einstellung auch für Autisten gelte, machte er deutlich, dass diese ja einen Beitrag zur Gesellschaft leisten könnten, im Gegensatz zu Down-Syndrom-Kindern.
Einerseits kann man solche Äußerungen der persönlichen Eitelkeit eines Richard Dawkins zuordnen, die ihn mit provokanten Thesen in die Öffentlichkeit drängt. Andererseits entbehrt Dawkins Forderung nicht einer gewissen Stringenz: Wenn es keinen göttlichen Willen gibt, der einem Menschen ganz unabhängig von seiner Leistung Würde verleiht, dann bleiben nur noch materielle Grundlagen einer solchen Würde. Wer so argumentiert, der kann in dieser ideologischen Verblendung gar nicht anders, als den Wert eines Menschen anhand seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zu beurteilen. Die Liebe der Eltern, der soziale und ethische Beitrag eines Menschen zur Gesellschaft, gilt dann nicht als Argument. Dawkins Geheimnis wird es wohl bis auf weiteres bleiben, wieso er dann darauf hinweist, dass bereits geborene Menschen mit dem Down-Syndrom noch ein Lebensrecht haben sollten aber dieser Schluss ist womöglich sogar für ihn (noch) zu weitgehend.
Die Empörung ist jedenfalls groß, und sein Unverständnis darüber, weil es doch gängige Praxis sei, mit dem Down-Syndrom diagnostizierte Embryonen abzutreiben, macht deutlich, wie wenig er eigentlich von Ethik versteht: Offenbar ist ihm der Unterschied zwischen der eröffneten Möglichkeit, ein Kind im Mutterleib zu töten und der von ihm postulierten ethischen Verpflichtung dazu gar nicht klar. Schon ersteres ist für einen Menschen, der die Menschenwürde durch Gott und nicht durch einen halbgescheiten Biologen verliehen sieht, unerträglich, letzteres ist nichts anderes als Utilitarismus. Ich weiß wirklich nicht, ob außer ihm selbst noch Menschen in einer Welt nach der Vorstellung von Herrn Dawkins leben wollen. Im übrigen trifft seine Forderung aber recht exakt die Befürchtungen von Lebensschützern, die durch Einführung eines einfachen pränatalen Down-Syndrom-Tests den Druck auf die Mütter erhöht sehen, ihre Kinder nicht zur Welt zu bringen. Viele wischen diese Befürchtung beiseite, für einen wie Dawkins ist so etwas aber nur folgerichtig und auch ethisch geboten.
Vermeintlich besser dagegen die Äußerung einer Partei, die bei den letzten Bundestagswahlen nur knapp den Einzug ins Parlament verpasst hat und sich anschickt, in den sächsischen Landtag einzuziehen. Die Sprecherin der AfD, Frauke Petry, fordert eine Volksabstimmung zum Thema Abtreibung, offenbar in der Erwartung, dass sich die Menschen gegen die jetzige liberale Abtreibungsgesetzgebung wenden werden. Erscheint schon dieses Argument erstens risikobehaftet (Ich vermag nicht vorherzusagen, wie die Menschen in Deutschland abstimmen werden, sollte es die Forderung nach einer restriktiveren Gesetzgebung geben?) und zweitens ethisch mindestens schwierig (Sollte das Lebensrecht von Menschen tatsächlich von Mehrheiten abhängen? Kann die Frage nach der Legitimität der Kindstötung im Mutterleib demokratisch beantwortet werden?), lässt einen die Argumentation Petrys schaudern, die darauf hinweist, eine Änderung der Regelung könne ein Mittel gegen den Kindermangel in Deutschland sein
Mit Blick auf diese Frage und den möglichen Ausgleich zu geringer Geburtenraten durch Einwanderung erläuterte Petry der NOZ:
Die deutsche Politik hat eine Eigenverantwortung, das Überleben des eigenen Volkes, der eigenen Nation sicherzustellen, erklärte sie. Wünschenswert sei daher, dass eine normale deutsche Familie drei Kinder habe, bekräftigte Petry die Position ihrer Partei.
Nun kann man sich durchaus die Frage stellen, ob es einer Gesellschaft gut tut, wenn sie sich nur durch Zuwanderung wirtschaftlich über Wasser halten kann und ich bin Patriot genug, mir zu wünschen, dass es unsere Nation auch in zig Generationen noch gibt. Ich selbst bin auch immer froh, wenn ich Familien mit drei oder mehr Kindern sehe das macht mir Hoffnung, dass es noch ausreichend Familien gibt, die sich auch als solche verstehen. Aber Kinder zu bekommen, um die Nation zu retten, Abtreibung zu verbieten, um die Wirtschaftskraft des Standortes Deutschland zu sichern? Damit bewegt man sich in unangenehmer Nähe zur Formel Kinder für den Führer, trägt aber auch zu einer Argumentation bei, die der von Richard Dawkins nicht unähnlich ist.
Denn wenn ich Abtreibungen erschweren will, um den Bestand der Nation zu sichern, dann muss ich auch die Frage beantworten, was denn mit ungeborenen Kindern ist, die den Bestand oder die Wirtschaftskraft eines Landes nicht stärken? Ruckzuck bin ich dann wieder bei Überlegungen, die den Wert eines Menschen an seinem volkswirtschaftlichen Beitrag berechnen. Ich bin ja Leser dieses Blogs wissen dass überzeugter Marktwirtschaftler, aber hier wird eine Grenze erreicht, wenn die Volkswirtschaftslehre analog des biologistischen Verständnisses eines Richard Dawkins sich anmaßt, Moral und Ethik zu definieren.
Ich kann nur hoffen, dass Lebensschützer nicht auf diese Wahlkampfaktion der AfD, die nicht nur in ihrem sondern auch im nationalistischen Lager zu fischen versucht, anspringen deren Logik ist nicht besser als die eines Dawkins, der aber immerhin mit offenem Visier kämpft. Aussagen wie die von Frau Petry sind nicht pro-life sondern pro-nation das ist etwas ganz anderes als der Schutz der gottgeschenkten Würde eines Menschen vom Zeitpunkt der Zeugung an!
Anonymous
Wenn ein ungeborener Mensch nur dann lebenswert ist, wenn er später in seinem Leben einen Beitrag zur Gesellschaft leistet, dann braucht man schon eine sehr gute Kristallkugel, um zu entscheiden, wer leben darf und wer nicht.
Um zumindest möglichst viele dazu zu bringen, später einen Beitrag für die Gesellschaft zu leisten, wäre es zudem ratsam, gewisse Berufe abzuschaffen, damit keiner in die Versuchung kommt, einen unnützen Beruf zu erlernen.
So einen Gedanken hatte ja auch schon Joseph II von Österreich, der 1782 die kontemplativen Orden, weil er sie für unnütz erachtete, aufhob.
Neben den kontemplativen Orden könnte man heute sicher auch an allerlei andere Berufe denken. Wirklich nützlich sind manche sog. Künstler ja nun auch nicht und von manchen Politikern will ich gar nicht erst schreiben
Was für einen wirklichen Beitrag zur Gesellschaft leistet eigentlich Herr Dawkins?
IMST
In dem Maße, in dem Menschen automatenähnlich funktionieren müssen, werden ebenso Werte für unsere soziale Welt festgelegt. Das Werk Schöne neue Welt, dessen Titel ein geflügeltes Wort für alle wurde, die Kritik an einen übermächtigen Staat üben, der eine allzu perfekte Gesellschaftsordnung und Leben anstrebt, wurde von Aldous Huxley im Jahr 1931 geschrieben.
Nach Angaben von David Bradshaw in einer 1993 verfassten Einführung dazu war sich Huxley zunächst nicht sicher, ob er eine Satire, eine Prophezeiung oder eine Anleitung zum Gesellschaftsbau entwarf. Spätestens aber mit seinem erst im Jahr 1946 verfassten eigenen Vorwort machte Huxley klar, dass sein Klassiker als prophetische Warnung zu verstehen ist.
In der Zwischenzeit war viel passiert, unter anderem der Nationalsozialismus, der Zweite Weltkrieg sowie die Erfindung und der kriegerische Einsatz der Atombombe. Sein etwa 3000 Worte umfassender einführender Text erscheint im Rückblick noch visionärer als der eigentliche Roman. Er kann auch als skizzenhafter Vorläufer seines in den späten fünfziger Jahren verfasstes Essay Wiedersehen mit der Schönen neuen Welt betrachtet werden, worin Huxley die realen freiheitsfeindlichen Tendenzen seiner, und unserer, Zeit diskutiert.
Mit dem Trend zur Zentralisierung hatte Huxley zweifellos recht. Aber obwohl mit der Gentechnik heute eine viel effektivere Methode der Manipulation des Menschen, als er sie sich vorstellen konnte, in greifbare Nähe gerückt ist, ist es zweifelhaft, ob selbst damit eine Perfektionierung der Weltstaat-Kasten-Gesellschaft wie der Schönen neuen Welt jemals gelingen kann. Lesenswert.