Wenn ich im letzten Beitrag einiges an Kritik über Richard Dawkins ausgegossen habe (meine eigentliche Kritik galt der naheliegenderen AfD) dann ist es ein Gebot der Fairness, eine Stellungnahme von ihm ebenfalls zu erwähnen wenn sie auch meine Einschätzung gegenüber seiner Position nicht wesentlich verändert.
Natürlich beklagt er sich über die Hasstiraden, die ihn erreicht haben, die seiner Einschätzung nach daraus resultieren, dass sich deren Autoren bemühen, ihn misszuverstehen. Dennoch stellt er seine Ansicht noch mal klar und verabschiedet sich oberflächlich von dem ethischen Grundsatz einer gebotenen Abtreibung bei Down-Syndrom-Kindern. Dabei stellt er zunächst mal dar, um welchen Defekt es sich bei Trisomie-21 handelt, und welche Folgen eine entsprechende Diagnose hat, nämlich in den meisten Fällen die Tötung des Kindes im Mutterleib!
Weiterhin schreibt er, dass er seine Antwort auf die Frage einer Frau, die sich vor der ethischen Fragestellung gestellt sieht, ob sie ein mit dem Down-Syndrom diagnostiziertes Kind austragen solle, eigentlich nur an diese Frau haben richten und damit keine generelle Diskussion über seinen Twitter-Account habe auslösen wollen, und gibt dann eine Antwort, wie er sie meint gegeben zu haben, wenn er nicht durch Twitter auf 140 Zeichen begrenzt gewesen wäre.
Und hier ist die Antwort, die er gesendet hätte:
Obviously the choice would be yours. For what its worth, my own choice would be to abort the Down fetus and, assuming you want a baby at all, try again. Given a free choice of having an early abortion or deliberately bringing a Down child into the world, I think the moral and sensible choice would be to abort. And, indeed, that is what the great majority of women, in America and especially in Europe, actually do. I personally would go further and say that, if your morality is based, as mine is, on a desire to increase the sum of happiness and reduce suffering, the decision to deliberately give birth to a Down baby, when you have the choice to abort it early in the pregnancy, might actually be immoral from the point of view of the childs own welfare. I agree that that personal opinion is contentious and needs to be argued further, possibly to be withdrawn. In any case, you would probably be condemning yourself as a mother (or yourselves as a couple) to a lifetime of caring for an adult with the needs of a child. Your child would probably have a short life expectancy but, if she did outlive you, you would have the worry of who would care for her after you are gone. No wonder most people choose abortion when offered the choice. Having said that, the choice would be entirely yours and I would never dream of trying to impose my views on you or anyone else.
Natürlich wäre das Ihre Entscheidung. Ich allerdings würde mich so entscheiden, den Down-Fötus abzutreiben und, angenommen Sie wollen ein Kind, es erneut zu versuchen. Bei der freien Wahl zwischen einer frühzeitigen Abtreibung und ein Down-Kind in die Welt zu setzen, glaube ich, die moralische und vernünftige Entscheidung wäre eine Abtreibung. Und tatsächlich ist es das, was die große Mehrheit der Frauen, in Amerika und vor allem in Europa, tut. Persönlich würde ich noch weiter gehen und sagen, dass, wenn Ihre Moralvorstellungen wie meine auf dem Wunsch basieren, die Summe des Glücks zu steigern und Leiden zu vermindern, die freiwillige Entscheidung, ein Down-Kind zur Welt zu bringen, wenn Sie die Wahl haben, es in einer frühen Phase der Schwangerschaft abzutreiben, aus der Sicht des Wohlergehens des Kindes tatsächlich unmoralisch sein könnte. Ich stimme zu, dass diese persönliche Meinung strittig ist und weiter diskutiert werden müsste, vielleicht sogar zurückgezogen. Jedenfalls würden Sie sich als Mutter (oder als Paar) vermutlich selbst verurteilen zu einem Leben der Sorge um einen Erwachsenen mit den Bedürfnissen eines Kindes. Ihr Kind hätte vermutlich eine geringe Lebenserwartung, aber falls es Sie überleben würde, müssten Sie sich Sorgen machen, wer sich nach Ihrem Ableben um das Kind kümmern könnte. Kein Wunder, dass diejenigen Menschen, die die Wahl haben, sich für eine Abtreibung entscheiden. Nichtsdestotrotz ist die Wahl aber vollständig ihre eigene und ich würde nicht im Traum daran denken, Ihnen oder irgendjemand anderem meine Sicht aufzwingen zu wollen.
[Eigene Übersetzung]
Was Dawkins hier weg lässt, ist seine Twitter-Argumentation über den Nutzen, den ein Mensch gesellschaftlich stiften sollte aber nehmen wir für einen Moment an, er habe das auch nicht so gemeint. Nachfolgend lässt er sich dann noch über die aus, die seine Twitter-Äußerungen kritisiert haben, ohne jedoch auf deren Argumente einzugehen, weshalb ich mir dieses umfangreiche Zitat zu übersetzen spare zumal er hier auch nicht mehr über das Maß des oben geschrieben hinaus argumentiert. Englischsprechende Leser kann ich aber nur ermuntern, sich auch diesen Abschnitt durchzulesen.
Ich gebe zu, ich habe Dawkins Bücher nicht gelesen, die Zeit ist mir zu schade, Titel wie den Gotteswahn, in dem ein Biologe sich außerhalb seines Wissensgebietes gegen Gott und die Religionen auslässt, zu lesen. Dennoch scheint mir, kann man aus obigem Zitat einiges aus dem Menschenbild eines Richard Dawkins herauslesen. Da ist zunächst mal die Frage, ob, wie er behauptet, es moralisch ist, die Summe des Glücks zu steigern. Man müsste an dieser Stelle zunächst mal fragen, was denn Glück in diesem Zusammenhang bedeutet (es muss wohl, folgt man den weiteren Ausführungen, so etwas wie ein persönliches Wohlbefinden sein) um sich direkt der Frage zuzuwenden, von wessen Glück wir hier sprechen (abgesehen davon ist dies sicher ein Ansatz, sich eine Moral ohne Gott zu bauen, wenn man nicht zugeben will, dass ohne Gott eigentlich alles erlaubt sein müsste, nichts jedenfalls langfristige Konsequenzen hat).
Aus Dawkins Sicht ist es das Wohlbefinden einer Mutter, oder eines Paares, das durch die Entscheidung für ein Kind mit Behinderung einiges an zukünftiger Belastung auf sich nimmt. Das ist sicher auch für einen Lebensschützer ein Argument, über den Wunsch, diese Belastung zu vermeiden nicht einfach hinwegzugehen. Ob jedoch die Einschränkung des persönlichen Glücks die Tötung eines Menschen, und sei es in einer frühen Entwicklungsphase, tatsächlich moralisch rechtfertigt, darf man wohl bezweifeln. Dawkins bezieht sich aber auch nicht näher erläutert auf das Wohlergehen des Kindes mit Down-Syndrom, dass er in durch die Geburt in Frage stellt, wobei er immerhin zugesteht, dass man diese Frage näher untersuchen müsste. Letzteres ist aber der entscheidende Faktor einer Moral, die sich eben nicht nur am eigenen, persönlichen Wohlergehen sondern an so etwas wie einem gesellschaftlichen Glück orientieren sollte. Selbst jemand, der die Existenz Gottes negiert, wird kaum umhin können, Moral nicht lediglich auf sich selbst sondern auf die Gesellschaft zu beziehen. Diesen Schritt spart sich Dawkins hier, in dem er andeutet, das Wohlergehen des ungeborenen Kindes sei fraglich, die zukünftige Einschränkung der Mutter oder der Eltern dagegen Fakt.
Unsicheres Glück gegen sichere Einschränkung des Glücks, die Dawkins als Paarung offenbar synonym mit Leid betrachtet Weg damit! Das ist das Fazit Dawkins in seiner ausführlichen Antwort, von der man wohl annehmen kann, dass er die nun wirklich so gemeint hat (wenn sie auch inhaltlich nicht exakt mit dem übereinstimmt, was er vorher auf Twitter geschrieben hat, nicht mal, wenn man die notwendige Kürze eines Twitterbeitrags berücksichtigt). Dabei hilft übrigens auch seine Einschränkung nicht, er wolle seine Sicht niemandem aufdrängen. Aus irgendeinem Grund sehen viele (atheistische) Menschen Richard Dawkins als eine Instanz von Ethik und Moral, deshalb sollte er seine Worte mit Bedacht wählen, und nicht so tun, als könne er sich äußern wie ein kleiner Blogger oder Twitterer, der von nur wenigen Menschen gelesen wird.
Abschließend also: Dawkins wollte nach seinen Worten nicht, dass seine Antwort an die anfragende werdende Mutter, in die Öffentlichkeit gelangt, verstärkt seine eigene moralische Einschätzung dann aber noch mal in seinem aktuellen Statement zugegeben abzüglich der Nützlichkeitsbetrachtung, die er in seiner Entschuldigung nicht thematisiert. Diese Mutter wird seine Botschaft verstanden haben, und so steht zu befürchten sich entsprechend verhalten. Er hat damit das Todesurteil über ein Kind gesprochen (von den weiteren Folgen einer Abtreibung ganz zu schweigen) ob er sich dessen bewusst ist (bewusst sein will) oder nicht! Und er wird damit noch viele weitere Urteile gesprochen haben in einer Frage, die, man kann das nicht oft genug betonen, außerhalb seines Fachgebietes liegt!
Anonymous
Was ist die „Summe des Glücks“?
(Glück ist hierbei freilich als „happiness“ und nicht „fortune“ zu verstehen)
Dieses Glück muß auf zwei Seiten betrachtet werden, wenn auch oftmals diese Unterscheidung nicht getroffen wird und „Glück“ als höchste Maxime des Utilitarismus gesehen wird. Die Unterscheidung wäre:
Das Einzelglück für das Individuum auf der einen Seite
und die Summe des Glücks für die Gesellschaft auf der anderen.
Dummerweise ist es aber so, daß eine Erhöhung der Summe des Glücks für die Gesellschaft manchmal damit einher geht, daß das Individuum unglücklich wird.
Ferner ist sowieso das Verteilen des Glücks gar nicht so einfach, wie es auch gar nicht so einfach ist die Menge des Glücks zu bestimmen. Da fehlen einfach die objektiven Meßgeräte.
Nun sagt Dawkins aber, daß die Steigerung der Glückssume die Basis seiner Moral ist.
Daraus folgt, daß eine höhere Glückssumme etwas Gutes ist. Denn was außer das Gute könnte Basis der Moral sein?
Die Summe des Glücks ist aber doch wohl gar nichts, was irgendwer überhaupt erstrebt.
Also ich bin noch nie auf die Idee gekommen durch mein Handeln aktiv an der Glückssumme der Gesellschaft zu arbeiten. Ja nichtmals mein eigenen Glück ist Maxime kann es doch auch gar nicht sein.
Das wäre doch das Ende jeder Moral und nicht der Anfang oder die Basis.
Nächstenliebe, die mich einschränkt und einem anderen hilft, schmälert vielleicht mein Glück. Ob sie das Glück des anderen um die Maßen steigert, wie sie meins schmälert, und so wenigstens eine Null-Rechnung in der Summe dabei rum kommt, ist ungewiss. Nach der Rechnung wäre es vielleicht sinnvoll auf Nächstenliebe ganz zu verzichten.
Mein Leben für einen anderen zu riskieren, schmälert vielleicht mein Glück mehr als es dem anderen Glück verschafft: Das Ende der Rettungsdienste.
Etc.
Kurzum: Das Gerede von der Glückssumme ist reiner Unsinn!