Kann man eine Rezension zu einem Buch schreiben, das man nicht vollständig gelesen hat? Wenn man Rezensionen in nicht wenigen deutschen Tageszeitungen zu Büchern wie Akif Pirinçcis Deutschland von Sinnen liest, dann beschleicht einen der Verdacht, dass der eine oder andere Rezensent sich eine andere Frage gestellt hat: Muss ich das wirklich lesen, um eine Rezension zu schreiben wo doch die Einstellung meiner Peer-Group lange klar ist, der ich sowieso nicht widersprechen werde? Trotzdem, mein Anspruch an mich selbst für eine Rezension ist ein deutlich anderer.
Und besonders wenn ich von einem Verlag ein Rezensionsexemplar gratis erhalten habe, womöglich auf meine eigene Nachfrage, dann gebietet es mir der Anstand, das Buch auch vollständig zu lesen, auch wenn es schwer fallen sollte. Umgekehrt tue ich mich dann auch mit totalen Verrissen schwer zum Glück bin ich kein Journalist und kann mir einem Verlag oder Autor gegenüber Feingefühl bewahren, wenn ich ein tatsächliches Machwerk nicht als solches bezeichne, sondern in gute Feedback-Art auch das Gute suche Jeder eignet sich schließlich als Vorbild, und sei es als abschreckendes!
In diesem Fall treffen allerdings die Beißhemmungen nur bedingt zu: Ich habe das Buch selbst käuflich erworben und die Autorin lebt schon nicht mehr. Andererseits handelt es sich nach Einschätzung von vielen Fans um ein Standardwerk, ohne dessen Lektüre man die Philosophie der Schriftstellerin gar nicht verstehen könne. Und ohne dessen Kenntnis und Goutierung man ganz offensichtlich vom Thema nicht alles Notwendige durchdrungen habe! Das vorweggeschickt, und eingestanden, das Buch nur etwa die ersten 200 Seiten (von über 1.200!) gelesen zu haben stelle ich fest, dass ich Ayn Rands Der Streik nicht weiter lesen werde, in dem ich ganz offensichtlich andere Rezensionen deuten darauf hin noch lange nicht an den entscheidenden Punkten angekommen bin und ich trotzdem von mir behaupte, ein Libertärer zu sein.
Das (angeblich) libertäre Werk ist als Roman verfasst. Über die weiteren schriftstellerischen Produkte Ayn Rands kann ich nichts sagen, aber als Romanleser bin ich innerhalb der ersten 200 Seiten tödlich gelangweilt; die Charaktere werden zwar ausführlich beschrieben, bleiben aber klischeehaft: Da sind auf der einen Seite die Macher, die Produktiven der Gesellschaft, die Unternehmer, die durchweg und bis in die optischen Beschreibungen positiv dargestellt werden. Und da sind auf der anderen Seite die Sozialstaats- und Regulierungsbefürworter, als tumbe Leistungsverweigerer und auch von ihrer Physiognomie her unsympathisch beschrieben.
Erstere lehnen sich gegen die wachsenden Regulierungen auf, die die anderen da in der Mehrheit durchzudrücken versuchen. Darunter gemischt der Kontakt zwischen den Protagonisten, die sich untereinander verstehen bis hin zu amourösen Abenteuern und den jeweils anderen in Ablehnung gegenüberstehen.
Bei dieser Schwarz/Weiß-Malerei bleibt nicht nur die Dramaturgie auf der Strecke, es fehlen auch die Zwischentöne, die notwendig sind, will man ein Gesellschaftsmodell nicht nur als Ideologie beschreiben sondern als anziehende Vision. Die Sozialromantiker und Etatisten treibt ja nicht der Wunsch nach Zerstörung der Gesellschaft und Einschränkung der Leistungsfähigkeit, sie treibt leider wenig beleckt von betriebs- und volkswirtschaftlichem Wissen der Wunsch, eine bessere Gesellschaft aufzubauen. Dass man das mit den falschen Mitteln hochkontraproduktiv tun kann, ist jedem der mit offenen Augen durch unsere Welt geht durchaus klar. Der Roman hilft einem dabei aber jedenfalls so weit ich ihn gelesen habe nicht weiter.
Teil des Problems, dass ich mit dem Buch und den Beschreibungen habe, ist, dass es sich dabei gar nicht im Wesentlichen um ein libertäres sondern um ein objektivistisches Werk handelt. Diese beiden Denkrichtungen passen zwar zusammen, genau so allerdings passen was ich nicht müde werden zu beschreiben, gegen Widerstände aus der einen wie der anderen Ecke auch christlicher Glaube und Libertarismus zusammen.
Objektivismus und Christentum, Objektivismus und Gottesglaube an sich, sind aber in der Tat nicht kompatibel was es mir erheblich schwer macht, in den Protagonisten des Romans tatsächlich die Helden zu entdecken, die Ayn Rand wohl damit gemeint hat. Es handelt sich dabei vielmehr um ichbezogene Individualisten, gefangen in einem Narzissmus, der sich in dem unbedingten Durchsetzungswillen der eigenen Ideen wiederspiegelt, und der Rücksicht oder gar einen sozialen Gedanken als Schwäche wahrnimmt.
Noch mal: Ich habe das über 1.200 Seite starke Buch nur ansatzweise gelesen; möglicherweise habe ich damit einen oder den entscheidenden Plot verpasst, der mein Urteil anders hätte ausfallen lassen. Jeder, der sich ein eigenes Bild machen will, wird also nicht umhin kommen, sich selbst durch das Werk durchzuarbeiten. Für mich aber haben die ersten 200 Seiten gezeigt, dass ich mit der vermittelten Philosophie, die eben nicht der Libertarismus sondern der Objektivismus ist, nichts anfangen kann, sodass mich die klischeehafte Darstellung der Charaktere zunehmend genervt hat.
Trotz der großen Stücke, die libertäre Denker auf Ayn Rand halten, habe ich daher die Notbremse gezogen und das Buch zur Seite gelegt zugunsten zweier anderer Bücher, die ich mir stattdessen gerade vornehme und die mich auch wenn ich nicht in allem der Meinung der Autoren bin mehr packen: Oliver Janichs Die Vereinigten Staaten von Europa und Murray N. Rothbards Für eine neue Freiheit.
Ayn Rands Der Streik ist im Verlag Kay M. John erschienen und auch als E-Book erhältlich:
Anonymous
Ich lese das Buch derzeit und hatte auch vor nach etwas mehr als 200 Seiten aufzugeben (ein Freund, der es gleichzeitig zu mir liest, konnte mich überzeugen. Auch weil mir die Charaktere zu platt vorkamen und mir das Buch extrem manipulativ vorkam. Doch es wurde immer interessanter – eine Passage ist wohl die Estätishste, die ich je über Geld gelesen habe und wohl werde und hat erstmals meine romantischen Gefühle gegenüber Wirtschaft ausgedrückt.
Es ist zu einer ziemlich interessanten Zeichnung dessen geworden, wie sich eine Mentalität, die ich im Kindergarten als Piep-piep-piep-wir-ham-uns-alle-lieb kennen und verabscheuen gelernt habe, entwickeln und zersetzend ausbreiten kann und warum.
Ich würde empfehlen weiter zu lesen. Doch bin ich erst 300 Seiten weiter. Meine Erwartungen für diese sind entsprechend hoch.
Aber ich bewundere auch Nietzsche mehr als wohl für einen Katholiken angemessen ist. Dementsprechend kann man meine Empfehlung wohl ganz in den Wind schießen.
Und ich fühle mich gerade auch mehr zu einem herzerwärmenden Roverandom hingezogen.
Danke für Ihren Blog im Übrigen.
Grüßle
Túrin Turambar
Gallia-pontificia-Arelatensis
Ich habe mal Rands „Fountainhead“ zu lesen begonnen, es aber ebenfalls aufgegeben. Das ist so klischeehaft und langweilig. Ne, es bleibt dabei, Gesinnung und literarisches Talent sind zwei verschiedene Schuhe.