Ist Jesus für die Anderen geboren? Oder nur für mich und ein paar Wenige? Oder ist er einfach uns geboren – auch wenn es mir manchmal nicht gefallen mag?
Nein, es ist immer noch Weihnachten, auch wenn die Auslagen der Supermärkte eher etwas anderes vermuten lassen. Es sieht aus, als ginge es von Weihnachten direkt über nach Silvester und kurz darauf, wird es aussehen, als habe Karneval schon begonnen. Wer also sicher gehen will, der ist im Regelfall in einer Kirche gut aufgehoben, in der noch – meist bis Lichtmess – die Krippe aufgebaut stehen wird, mit dem Stall oder der Höhle in Bethlehem, dem heiligen Paar, Hirten, Schafen, Rindern, irgendwann den drei Weisen und natürlich dem Jesuskind.
Um letzteres soll es gehen: Ein Weihnachtslied spricht vom holden Knaben mit lockigem Haar, ein anderes von reinlichen Windeln, in denen Jesus gelegen habe. Und die meisten Krippenfiguren passen dazu: Jesus liegt in der Krippe mit geöffneten Augen und klarem Blick, lächelt wissend und macht in Summe eher den Eindruck eines mindestens Dreijährigen denn eines Neugeborenen. Und dass die ganze Szenerie wenig mit besonderer weihnachtlicher Heimeligkeit zu tun hat, als wir uns das manchmal wünschen, wird sich auch herumgesprochen haben.
Aber gerade dieser Kontrast ist es, der mich in diesem Jahr – gestützt auch durch die Weihnachtspredigt unseres Pastors – betroffen gemacht hat. Uns ist ein Kind geboren heißt es schließlich auch, nicht nur in Weihnachtsliedern. Zunächst mal erinnert mich das geboren genau daran, dass Jesus eben nicht als erwachsener Erlöser vom Himmel gefallen ist, sondern als eben jenes kleine und hilflose Kind geboren wurde. Er war buchstäblich nicht in der Lage, sich selbst zu helfen und wird Schafe, Esel und Ochsen, Hirten und Weise einfach nicht wahrgenommen haben. Das ist die Lage, in die Gott sich selbst gebracht hat, um für uns da zu sein, um zu uns zu kommen.
Und da ist es dann, das eigentliche Wort: Uns! Bei einer Betrachtung zum Leiden Jesu hatte ich schon mal den Satz zitiert, den ich von einem Priester gehört habe: Jesus, warum hast Du das alles erleiden müssen? – Für Dich! Gleiches lässt sich hier herein lesen oder betrachten: Wieso bist Du geboren? – Für Euch! Das uns schließt also auch erst mal niemanden aus. Es meint auch mich selbst, Jesus ist für mich geboren, Gott ist für mich Mensch geworden. Nimmt man das ernst, dann kann man sich die Frage stellen, womit ich das denn verdient habe? Und die korrekte Antwort ist: Gar nicht! Er ist aus reiner Gnade für mich Mensch geworden, wie er aus reiner Gnade für mich gelitten hat. Ich habe es nicht verdient, dass Jesus für mich geboren ist, ich habe es nötig, dass er für mich geboren ist. Ich bin also nicht so ein toller Typ, dass Jesus für mich auf die Welt gekommen ist.
Das ist noch keine besondere Neuigkeit und ist es hoffentlich für niemanden. Aber das bedeutet auch: Jeder darf diesen Satz sagen, sei er in seinen eigenen oder den Augen anderer auch noch so unwürdig. Wir alle sind nicht würdig, dass er eingeht unter unser Dach und doch wollte er bei uns leben, einer von uns sein. Wie kann ich dann jemanden von diesem uns ausschließen? Wir haben sicher alle Personen oder Gruppen vor Augen, bei denen wir nicht so recht einsehen wollen, warum Jesus ausgerechnet für denjenigen geboren sein soll. Mir jedenfalls geht es so, und ich nehme einfach mal an, vielen anderen nicht anders: Es gibt Menschen, für die es einem schon schwer fällt zu beten, geschweige denn, ihnen Gutes zu wünschen, egal ob im privaten Umfeld oder in der Weltpolitik.
Aber wieso sollte Jesus einen Unterschied machen zwischen mir und denen? Das manchmal aufkommende Gefühl, für diesen oder jenen sei der Zug jetzt abgefahren, ist im Grunde doch nichts weiter als Arroganz: Ich weiß zwar um meine Fehler, um meine Vergebungsbedürftigkeit, aber sooo schlimm wie bei dem oder denen ist es ja dann auch wieder nicht.
Und dem widerspricht dieses kleine Kind in der Krippe: Ich bin für Euch geboren! Für jeden Einzelnen und sei seine Schuld auch noch so groß – eigentlich: Je größer desto mehr! Was nun wieder nicht dazu führen sollte, dass ich mich wieder beruhigt zurück lehnen darf, weil ich seine Gnade doch gar nicht so notwendig habe. Nein, ich bin genau so auf dieses kleine Kind angewiesen, wie jeder andere auch. Wie groß seine Barmherzigkeit sein muss, ob ich ein großer oder kleiner Sünder bin, das entscheidet am Ende Gott selbst, nicht ich und auch kein anderer Mensch.
Schauen wir uns in der Welt um, in den Nachrichten dieser Tage, dann sehen wir überall Menschen oder Gruppen, denen wir entweder Weihnachten, die Geburt Jesu nicht gönnen, oder von denen wir meinen, dass sie Weihnachten, die Geburt Jesu besonders notwendig hätten. Beides stimmt nicht, und der einzig wahre Blick, bei dem man dann auch davon absehen kann, dass die Darstellung des Jesus-Babies nicht ganz stimmig ist, richtet sich auf mich: Uns ist ein Kind geboren heißt, er ist für alle geboren und er ist für mich geboren!
Für viele wird das oben Beschriebene eine Selbstverständlichkeit sein, aber ab und an sieht man bestimmte Dinge, selbst wenn man sie schon vorher wusste, besonders klar. Dann wollte Gott einem vermutlich etwas deutlich machen, das unterzugehen droht im Alltag und in der Versuchung, über andere zu urteilen. Vielleicht haben Sie Glück, dass sie sich gar nicht auf die Art und Weise haben ansprechen lassen müssen wie ich – und falls doch, freut es mich, wenn ich ein bisschen zu Ihrer Weihnachtszeit habe beitragen können.