Um ein brisantes Thema macht auch der Papst keinen Bogen – und verdeutlicht das mit südamerikanischem Temperament
Wenn es um das Thema Meinungsfreiheit einerseits und Respekt vor der Religion andererseits geht, liegen im Moment die Nerven blank. Niemand zieht ernsthaft in Betracht (jedenfalls niemand im öffentlichen Diskurs), dass die Anschläge von Paris, namentlich auf die Redaktion der Satirezeitung Charlie Hebdo, legitimiert werden könnten. Ob aber die Zeichnungen des Magazins, die sich ja nicht nur gegen den Islam sondern gegen alle Religionen wenden, legitimer Ausdruck der Religionskritik sein können, darf man ebenso in Frage stellen.
Dass es dabei nicht um Zensur sondern um Respekt, letzten Endes auch Stil geht, hat der Papst am Donnerstag im Interview bei seinem Flug nach Manila deutlich gemacht. In klaren Worten macht der Papst deutlich, was man in diesem Spannungsfeld unter Religionsfreiheit und Meinungs- und Redefreiheit verstehen sollte. Zur Religionsfreiheit geht der Papst auch auf Fehlentwicklungen in der katholischen Kirche ein, stellt aber insbesondere summarisch für alle Religionen fest:
Man kann nicht die Wahrheit verleugnen, dass jeder das Recht hat, seine Religion frei zu praktizieren, ohne zu beleidigen. So machen wir es, und so wollen es alle tun. Zweitens, man kann nicht beleidigen, Krieg führen, töten im Namen der eigenen Religion, das heißt im Namen Gottes. […] Man darf nicht im Namen Gottes töten. Das ist eine Verirrung. Töten im Namen Gottes ist eine Verirrung. Ich glaube, dass dies das wichtigste an der Religionsfreiheit ist: man muss sie in Freiheit ausüben, ohne zu beleidigen und ohne vorzuschreiben und ohne zu töten.
Damit besteht sicher ein Konsens unter den Menschen guten Willens. Selbst wenn man die Religion des anderen für fundamental falsch hält, sollte er die Freiheit haben, sie auszuüben – mit den Grenzen von Beleidigungen, Zwang und – gerade jetzt wesentlich und offenbar nicht für jede Religionsinterpretation selbstverständlich – Mord. Interessant finde ich an der Wortwahl, dass sie in beide Richtungen deutet: Es besteht ein Anspruch des religiösen Menschen, seine Religion auszuüben, es besteht aber auch ein Anspruch an jeden, religiöse Menschen (auch diejenigen einer anderen Religion) ihre Religion in den beschriebenen Grenzen – „ohne zu beleidigen und ohne vorzuschreiben und ohne zu töten“ – ausüben zu lassen.
Gerade zu letzterem Aspekt gesellt sich dann aber auch die Frage der Redefreiheit: Was darf man über eine (andere) Religion sagen, wie sollte man mit ihr umgehen. Dabei geht es nicht in erster Linie um gesetzliche Regelungen, die letztlich nur ein Ausfluss des „Zeitgeistes“ sein können, sondern um die altmodische Frage ob „man etwas tut oder nicht tut“. Hier bringt der Papst einen wie ich finde passenden Vergleich an, der jeden von uns ansprechen sollte (auch wenn ihn vielleicht nicht jeder so formuliert hätte). Aber erst mal den „fachlichen Teil“:
Jeder hat nicht nur die Freiheit, das Recht, sondern auch die Pflicht, das zu sagen, was er als förderlich für das Gemeinwohl betrachtet. Die Pflicht: Denken wir an einen Abgeordneten, einen Senatoren. Wenn er nicht das sagt, was er für den richtigen Weg hält, trägt er nicht zum Gemeinwohl bei. Und nicht nur sie, sondern viele andere auch. Wir haben die Pflicht, frei zu sprechen, wir haben diese Freiheit, aber ohne zu beleidigen. […] Man darf nicht provozieren, man darf nicht den Glauben der Anderen verletzen, man darf sich nicht über den Glauben lustig machen. […] Es gibt eine Grenze. Jede Religion hat Würde, jede Religion, die das menschliche Leben achtet. Und ich kann mich darüber nicht lustig machen. Und das ist eine Grenze.
Wohlgemerkt, es geht hier nicht um gesetzliche Regelungen, es geht nicht um Zensur. Es geht darum, dass man das, was anderen Menschen heilig ist, nicht beleidigt, selbst wenn man es darf. Und um die Leser nicht weiter auf die Folter zu spannen (wenn Sie es nicht schon anderswo gelesen haben), hier die Erläuterung, die in der ersten Auslassung im obigen Zitat enthalten ist:
Es ist wahr, dass man nicht mit Gewalt reagieren darf: Aber wenn mein guter Freund, Doktor Gasbarri (Anm: päpstlicher Reisemarschall, der während der Pressekonferenz neben dem Papst steht; Franziskus deutet einen Faustschlag in seine Richtung an) meine Mutter beleidigt, bekommt er eins auf die Nase (wörtlich: erreicht ihn ein Faustschlag).
Ich finde diesen Vergleich einfach bestechend in seiner Einfachheit und Klarheit. Ich nehme nicht an, dass der Papst tatsächlich zur Faust greifen würde, aber jeder, der eine einigermaßen gesunde Beziehung zu seiner Mutter hat, erkennt die Grenze die mit der Beleidigung der Mutter überschritten wird. Egal ob man in einzelnen Themen mit ihr im Streit liegt – dass ein anderer die Mutter beleidigt, ist ein Tabu. Vermutlich können Anthropologen erklären, woher dieses Tabu stammt, dass mir jedenfalls unmittelbar einsichtig ist. Man darf meine Mutter kritisieren, ich kann es nicht ändern, wenn sie jemand nicht mag … aber wer sie beleidigt hat sofort einen Feind mehr! Da ist es egal ob die Beleidigung strafrechtlich relevant ist, wer „meine Mutter beleidigt, bekommt er eins auf die Nase!“
Mit der Religion, wenn ernsthaft geglaubt wird, ist es nichts anderes: Ich kann sie kritisieren, ich kann Missstände aufzeigen, ich kann sie auch zu widerlegen versuchen, aber mit der Beleidigung einer Religion ist eine Grenze wie bei der Beleidigung der Mutter überschritten.
Nicht wenige halten das, was ich oben geschrieben habe, für „Weinerlichkeit“ religiöser Menschen, die Sonderrechte für sich in Anspruch nehmen wollten. Ich kann nur für mich sprechen, ich brauche keinen Gesetzgeber, der mich oder meine Religion, nicht mal meine Mutter, vor Beleidigungen schützt, ich brauche keine Sonderrechte. Wenn man Meinungs- und Redefreiheit zu einer Freiheit zur Beleidigung interpretiert, dann stehe ich dem – was die rechtliche Frage angeht – nicht grundsätzlich im Wege. Aber wer Religionen, nicht nur meine katholische, destruktiv beleidigt, der muss auch damit rechnen, dass ich ihn nicht ernst nehme, ignoriere und für einen Asozialen halte, der die einfachsten Regeln des Miteinanders nicht beherrscht.
Dieses Spannungsfeld zwischen Religionsfreiheit und Meinungsfreiheit müssen wir alle gemeinsam aushalten, einen Weg zu einem gesitteten und konstruktiven Miteinander finden und immer wieder einüben. Wer meint, sich außerhalb dieses Konsenses stellen zu können, steht rechtlich möglicherweise auf sicherem Boden, zum Frieden trägt er aber nicht bei.
Siegfried Simperl
Verbale und visuelle Angriffe verletzen und das sollen sie ja wohl auch. Es bedarf einer differenzierten Klärung des Gewaltbegriffs, damit Verletzungen durch symbolische Gewalt nicht mit physischer Gewalt beantwortet werden. Es darf nicht allein im letzteren die Schuld gesucht werden, sondern ebenso auch im ersteren ist sie zu sehen. Wir brauchen die Sensibilität dafür, dass Gewalt nicht erst dann beginnt, wenn Blut fließt. Das wäre in der Tat der entscheidende Schritt.
Papsttreuer
Herzlichen Dank auch für diesen Kommentar! Es ist schwer zu argumentieren, da – wie auch der Papst sagt – Gewalt nie ein Mittel der Wahl sein kann, auch nicht gegen Beleidigungen und Kränkungen. Dass letztere aber auch „Gewalt“ darstellen und Verletzungen verurschen, ist ein wichtiger Aspekt, den Sie aufgreifen. Danke dafür!
Gottes Segen!