Wie bringt man in Deutschland 5,7 Millionen Menschen zur Teilnahme an einer Veranstaltung?
Man stelle sich das mal vor: Eine Großveranstaltung in Deutschland, Haupt- und Abschlussveranstaltung am Sonntag in Berlin – mieses Wetter und Anreisebedingungen unter aller Kanone. Die Veranstaltung findet nicht im Olympiastadion statt sondern – sagen wir mal – vor dem Brandenburger Tor, der Siegessäule … irgendein Platz, der ausreichend erscheint, die teilnehmenden Menschenmassen aufzunehmen. Es hatte sich über Reiseveranstalter, die Bahn und Organisatoren bereits herumgesprochen: Es wird einen Besucherredkord geben! Die Polizei müht sich redlich aber vergeblich um die Regelung des Verkehrs und begnügt sich schließlich damit, einigermaßen sicherzustellen, dass die Menschen zum Veranstaltungsort kommen, man bemüht sich, die Versorgung sicherzustellen. Man hatte bereits Sorge, dass es zu Zwischenfällen kommen könnte, tut es dann aber doch nicht, jedenfalls nicht nennenswert.
Am Ende des Tages ergeben dann unterschiedliche Zählungen die Gewissheit: 5,7 Millionen Menschen sind nach Berlin gekommen! Dass das überhaupt funktioniert hat, ist ein organisatorisches und logistisches Wunder. Unnötig zu sagen, dass die Zeitungen und Nachrichten voll sind von der Berichterstattung – an einem solchen Ereignis kommt keiner vorbei, auch diejenigen nicht, die mit Inhalt und Art der Veranstaltung nichts anfangen können. Deutschland berichtet, Europa berichtet, die Welt berichtet über das, was da in Deutschland vor sich geht. Kritiker des Veranstalters versuchen, das Ereignis klein zu reden, mäkeln an der Organisation, an geringer Nachhaltigkeit … stehen am Ende aber doch nur als Ewiggestrige Kleingeister da, die nicht verstehen wollen oder können, was diese Massen und die, die im Geiste dabei waren, bewegt.
Und die Welt fragt sich, was da passiert ist in Deutschland? Was ist passiert im Vergleich zu den vergangenen Jahren, in denen ähnliche Veranstaltungen maximal ein paar zigtausend Menschen angezogen hatten, die Medien sie geflissentlich ignorierten und ignorieren konnten? Was ist passiert in einem Land, von dem man angenommen hatte, dass mit dem Thema der Veranstaltung nur eine verschwindende Minderheit etwas anfangen kann? Was ist passiert, dass eine solche Umwälzung der Verhältnisse sich in dieser Zahl – 5,7 Millionen Teilnehmer – niederschlagen konnte?
Aus heutiger Sicht fragen wir anders: Was müsste passieren, dass zu einer Papstmesse in Deutschland 5,7 Millionen Teilnehmer anreisen? Mir fehlt die Phantasie für eine Antwort – und das ist vermutlich schon Teil des generellen Problems der Differenz zwischen ein paar Tausend und mehreren Millionen!
(An der Abschlussmesse des Papstbesuches auf den Philippinen haben nach Presseberichten 7 Millionen Menschen teilgenommen; bei einer Bevölkerung von 98 Millionen sind das für die deutsche Bevölkerung von rund 80 Millionen eine Teilnehmerzahl von 5,7 Millionen – ich weiß um die Schwächen dieser Rechnung, aber auch bei nur der Hälfte der Teilnehmer würde man sich die gleichen Fragen stellen müssen)
Túrin Turambar
Ich werd immer enttäuschter vom Handelsblatt: Der Chefredakteur zitierte Marx‘ Opium für’s Volk. So viel Unverständnis – Nein! So viel mangelnder Wille zur Bereitschaft des Nachvollzugs macht mich nicht nur sprachlos (ich erzähle nur das Faktum, an Sprache mangelte es, wenn ich meine Gefühle dazu beschreiben versuche), sondern geradezu fassungslos!
Dabei habe ich das Handelsblatt für eine liberale und unabhängige (wenigstens frei davon jedem Meinungstrend blind zu folgen) Zeitung gehalten. Aber es gab schon immer die Tendenz in Europa (zumindest seit der Aufklärung!) zu meinen, daß bloßer pubertärer Widerspruch Selbstwert hätte.
Ich kann ja viele Kritikpunkte an der Kirche und ihrem Oberhaupt nachvollziehen, auch wenn ich sie nicht teile – aber das … das lese sich als ein Schlucken. Jaja ,Heiß und Kalt‘, alles andere wird ausgespuckt.
Gottes Segen jedem Christenkind und auch denen, die versuchen Vernunft zu verwenden!
Grüßle
Papsttreuer
Danke für den Kommentar … aber was hat das Handelsblatt denn dazu geschrieben – habe ich da was übersehen?
Gottes Segen!
Túrin Turambar
„Weltrekord für Papst Franziskus: Trotz strömenden Regens kamen sechs Millionen zu seinem Abschlussgottesdienst in Manila. Die Menschen, die dort mehrheitlich in Armut und ohne Impfschutz leben, jubelten, beteten und weinten. Karl Marx kommt einem in den Sinn: „Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüth einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des Volks.“ Das Zitat spricht nicht gegen den Papst – wohl aber gegen die Zustände auf den Philippinen.“
– aus dem ,,HandelsblattMorningBriefing vom 19ten Jänner, welches Abonenten und ehm. Abonenenten per E-Mail zugesandt wird mit (bildlicher) Unterschrift: Gabor Steingart Herausgeber
Der Betreff: ,,Papst verteilt Opium / Lokführer beenden Winterschlaf / Demopause für Pegida / Was treibt Zumwinkel?“
Mh, vielleicht sollte ich den Versuch einer Relativierung anrechnen – aber leider würde man das Zitat aus seinem Zusammenhang reißen, wenn es sich nicht gegen Religion allgemein und besonders den Papst und die katholische Kirche wendete. Die versuchte Relativierung ist damit logisch falsch (das Zitat spricht gegen den Papst – gemeint ist aber vermutlich, daß das Zitiert-Werden des Zitates nicht gegen Papst spräche). Damit erscheint sie mir aber vorgeschoben und nach vorbeugender Deeskalation riechend – Provokation, ohne die Eier zu haben…
Es ist einfach hässlich, wenn man versucht zu zitieren und damit nicht den allgemein anerkannten Sinn des Zitates verwenden will. Einem Herausgeber sollte ich so viel sprachliche Kompetenz zu sprechen können, daß diese Ambivalenz Absicht ist. Insbesondere, da ja der Betreff das Zitat schon einen das ganze doch recht im altbekannten Sinnzusammenhang lesen lässt.
Mir ist ein Wort eingefallen: Hinterfotziger Populismus.
Aber auch dieses: Überreaktion. Und zwar eine recht ordentliche. Und da Populismus vor allem in emotionaler Beeinflussung besteht, bin ich ihm wohl in (negativer) Form auf den Leim gegangen.
Na, immerhin begeistert mich dieses Ereignis und Glaubenszeugnis, sodaß ich unangemessen auf Kritik reagiere. Das ist auch etwas. Vielleicht habe ich an dem Tag zu wenig gegessen.
Grüßle
Papsttreuer
„Das Zitat spricht nicht gegen den Papst – wohl aber gegen die Zustände auf den Philippinen.“ Man fragt sich in der Tat, wie das Zitat nicht gegen den Papst oder zumindest gegen die Religion sprechen könnte. Ich sehe hinter einer solchen Kritik auch immer einen latenten Rassismus hervorlugen: „Naja, die armen Leute da unten/drüben/hinten, die haben halt nichts anderes, da glaubt man halt an eine Religion …“ – wenn nicht Rassismus dann mindestens Arroganz. Dass man damit in einer säkularen Gesellschaft punkten kann, verwundert nicht, dass halbwegs intelligente Menschen offenbar nicht merken, auf welche schiefe Argumentationsebene sie sich damit begeben, dagegen schon.
Danke für die Erläuterung und Gottes Segen!