Kardinal Marx ist nicht Olaf Latzel, aber offenbar genau so überzeugt von der Wahrheit des Christentums. Das musste man nicht unbedingt erwarten, freut mich aber umso mehr.
Es kommt nicht eben häufig vor, dass ich den Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, hier zitiere, und wenn dann meist mit einem kritischen Unterton. Als konservativer Katholik kann man mit der DBK und deren Vertretern schon mal hadern, aber dann gehört es zum guten Ton, auch auf echte Treffer hinzuweisen. Und einen solchen meine ich in der Eröffnungspredigt von Kardinal Marx zur Frühjahrs-Vollversammlung der DBK in Hildesheim gefunden zu haben. Leider liegt mir nicht der gesamte Wortlaut vor, aber aus den veröffentlichten Auszügen kann man schon einiges ableiten.
Unter dem Titel „Die große Geschichte des Christentums liegt vor uns!“ wird hier wiedergegeben, wie Kardinal Marx die Rolle der Kirche und des Christentums in Deutschland und in der Welt sieht. Natürlich geht Marx dabei auf einen gelebten Glauben ein, zu dem auch das Scheitern gehöre, das sich aus der Freiheit der Gläubigen ergebe: „Der Glaube ist ein Reich der Freiheit. Die Freiheit und das Versagen der Menschen liegen dicht beieinander. Das Verlieren des Glaubens und das Wiederfinden, das Behalten und das Vergessen – das geht durch die Geschichte der Menschheit und dieses Bistums hindurch. Sünde und Aufbruch durchziehen die Geschichte.“
Mit dieser Freiheit einher geht auch die Notwendigkeit, den Glauben immer wieder neu zu entdecken. Wird der Glaube in ein Museum gesperrt, wird er nicht mehr erlebbar gemacht, wird er als Geschenk nicht mehr angenommen, dann geht er schlicht verloren. Damit ist in erster Linie mal unsere Aufgabe als Christen umrissen: Uns selbst unseres Glaubens immer wieder zu vergewissern, den Glauben selbst zu erleben und diese Erlebnisse auch im Glauben zu bewerten. Doch dazu gehört auch das Zeugnis des Glaubens, damit diese Glaubenserfahrungen auch dort gemacht werden können, wo – noch – nicht geglaubt wird: „Wir können nur Zeugnis von dem ablegen, was uns geschenkt wurde. Wir können in der Geschichte das Evangelium lebendig werden lassen durch unser Leben. Den Glauben kann man nicht herstellen oder in Gebäuden bauen – er ist ein Geschenk der Liebe und der Gnade Gottes“. Eigenes Erleben wir so zum Zeugnis und Zeugnis abzugeben geht nur durch eigenes Erleben des Glaubensgeschenks.
Nun könnte man als Kritiker des Kardinals meinen, das sei ja alles schön und gut, aber auch ein Allgemeinplatz, den jede andere Religion auch für sich in Anspruch nehmen könnte. Dem widerspricht Marx aber mit seiner Einschätzung, welche Religion denn „die Richtige“ sei für eine Gesellschaft, „in der sich eine Vielfalt von Kulturen und Religionen, von Ungleichheiten wie reich und arm zeige“:
Es ist das Christentum. Deshalb bin ich überzeugt: Die große Geschichte des Christentums liegt nicht hinter uns, sondern vor uns! Das muss unsere Überzeugung werden.
Man kann auch hier das Haar in der Suppe finden – ich erwähne das nur , weil ich selbst immer geneigt bin, es in den Predigten und Worten von DBK-Vertretern zu suchen – und im Hinweis auf die „richtige“ Religion einen funktionalen Ansatz entdecken, sodass die Antwort in einem anderen Kontext auch eine andere sein könnte. Mir erscheint aber deutlich, dass der Kardinal das so gemeint hat, wie es hier steht und wie ich es auch interpretieren würde: Die richtige und wahre Religion in der Welt ist das Christentum! Und es ist nicht nur „eine“ richtige, es ist „die“ richtige, einzig wahre Religion. Ich weiß nicht, ob Kardinal Marx bei seinen Worten auch den protestantischen Pastor Olaf Latzel im Kopf hatte, der in seiner Wortwahl wohl daneben gelegen hat, aber letztlich auch nur den Anspurch des christlichen Glaubens auf Wahrheit wiedergegeben hat in seiner viel geschmähten und als Hasspredigt diffamierten Predigt. Nein, Marx ist kein „Latzel in diplomatisch“, aber es tut gut, bei unseren Kirchenhirten in Deutschland auch mal solche Worte zu hören.
Zu deren Richtigkeit gehört nebenbei auch die Anerkennung der Wahrheit, dass damit auch die Menschen, die nicht glauben, Geschöpfe Gottes sind, mit denen man entsprechend umzugehen hat:
Jeder Mensch ist Bild Gottes! Ob arm oder reich, jung oder alt, krank oder gesund! Alle Menschen, auch die die Kirche verfolgen oder aus ihr ausgetreten sind, bleiben Kinder Gottes und haben eine Würde. Wenn wir das einmal begriffen haben, dann spüren wir, welche revolutionäre Kraft von der Bibel ausgeht in eine Gesellschaft, die mit verschiedenen Kulturen, Religionen und Meinungen umgehen muss. Der christliche Glaube will diese Ungleichheiten überwinden.
„Ungleichheit überwinden“ muss man in diesem Kontext wohl auch übersetzen mit „zu Gott führen“, was wiederum nichts anderes bedeuten kann als christliche Mission. Unnötig zu sagen, dass man dabei nicht mit dem Holzhammer von Druck oder gar Gewalt vorgehen kann, aber notwendig zu sagen ist vielleicht folgendes:
Der Glaube sei niemals Eigentum, „sondern wir teilen den Glauben und das Leben. Jesus spricht im Evangelium nicht nur von einem großen Caritasprogramm, sondern er möchte eine Haltung deutlich machen, die notwendig ist, dass wir uns auf Augenhöhe begegnen, eben mit den Armen, Schwachen, Verwundeten. Das hilft, nicht von uns her, sondern von ihnen her zu lernen, was Glauben ist und Christentum bedeutet.“
Der christliche Glaube als „Reich der Freiheit“, das Christentum als „die“ richtige Religion für die Gesellschaft und die Notwendigkeit der Mission und des Glaubenszeugnisses abseits von geschäftiger Caritas ohne echten Glaubens- und Evangelisierungshintergrund: Ich bin – ich muss das hier noch mal schreiben – skeptisch, ob Kardinal Marx das tatsächlich alles exakt so gemeint hat, wie ich es interpretiere – gesagt hat er es aber jedenfalls und es ist doch ein gutes Zeichen, wenn wir als Katholiken auch in Deutschland Bischöfe haben, die zu solchen Worten in der Lage sind.