Was sollte wohl die Aufgabe von Priestern und Bischöfen sein? Ich hoffe, Sie kommen nicht auf die Antwort: Die Zufriedenheit der Katholiken zu steigern!
Wenn ich ehrlich bin: Bischof möchte ich heute auch nicht unbedingt sein! Egal ob selbstverantwortet oder später erst die Rolle übernommen: Alles zerrt an einem und am Ende ist es doch immer zu wenig! Zuwenig Kirchgänger, zu wenig Veranstaltungen, zu wenig Gemeinschaft, zu wenig Soziales, zu wenig Liturgie, zu wenig Katechese … Jede – nennen wir es mal – Zielgruppe sieht sich, zu Recht oder zu Unrecht, unterrepräsentiert und wünschte sich mehr. Und wenn mit neuen Zahlen über Kirchenaustritte das Ende der Kirche an die Wand gemalt wird, weiß jeder einzelne besser als alle anderen, wie dieses Problem zu lösen sein wird.
Den Gläubigen anstatt irgendwelchen Funktionären dafür „auf’s Maul zu schauen“ ist vor diesem Hintergrund wohl keine schlechte Idee und so kann man der Umfrage des Bistums Münster über die Zufriedenheit der Katholiken mit „ihrer“ Kirche durchaus etwas abgewinnen. Der Gesamtzusammenhang mach trotzdem stutzig, kulmuliert doch alles in der Frage nach dem Kirchenaustritt. Aber eins nach dem anderen …
Die Studie weist aus, dass die Katholiken im Bistum Münster durchweg unzufriedener mit der Kirche sind, als es die kirchlichen Mitarbeiter einschätzen. Gesamthaft werten zwar Kirchenmitarbeiter die Unzufriedenheit der Katholiken dramatischer als es die Gläubigen selbst tun. In Fragen des Rückhalts durch die Gemeinde, die Entwicklung der Zufriedenheit mit der Kirche, der Gottesdienste und Seelsorge, der Erziehungs- und Bildungsangebote, des gemeinschaftlichen Miteinanders, vor allem der sozialen und caritativen Leistungen schätzen kirchliche Mitarbeiter die Zufriedenheit der Katholiken durchweg besser ein, als sie es ist. Bei all diesen Fragen stellen sich aber direkt Nachfragen: Was ist es denn, was einen Katholiken mit der Kirche im Einzelnen unzufrieden macht? Beispiel Gottesdienste und Seelsorge: Werden mehr Messen erwartet? Sind die Predigten langweilig? Hat man schlechte Erfahrungen mit seelsorgerischen Kompetenzen der Priester und Mitarbeiter gemacht? Ein weites Feld!
Das hat man sich wohl auch in Münster gedacht und lässt die Umfrage daher an der Neigung zu und den Gründen für einen Kirchenaustritt kulminieren. Und nachdem man feststellt, dass rund 22 % der Katholiken des Bistums austrittsgefährdet sind, ist die Frage des Warum auch richtig gestellt. Ob es die vorgegebenen Antworten sind, ließe sich aber fragen: Rund 56 % der Befragten sähen einen Grund für einen Austritt in einer Rückständigkeit der Kirche (Antwort: „Die Kirche ist mir zu rückständig“), rund 40 % sehen in der Kirchensteuer einen Austrittsgrund, 37 % sind generell „von der Kirche enttäuscht“. Mit einem vergleichsweise geringen Anteil von einem Viertel meinen Katholiken, ihr Ärger über die Kirche oder einen Kirchenvertreter sei ein Grund für einen Austritt. Nur 2 % würden wegen einer anderen Religion austreten.
Interessant finde ich dabei erst mal eine fehlende Antwort, von der ich aber nicht weiß, ob sie auswählbar war: Der eine oder andere Atheist feixt ja über die Austrittszahlen, was aber hier nicht zum Ausdruck kommt, ist ein Fehlen des Glaubens als Austrittsgrund. Gehe ich mal positiv davon aus, dass es diese Antwort durchaus gegeben hätte, muss man also annehmen, und kann das in Richtung Kirche wie in Richtung der Atheisten vermitteln, dass es am Ende gläubige Menschen sind, die der Kirche den Rücken kehren, die dem Glauben an Gott zumindest nicht vollständig abschwören.
Die wesentlichen Antworten, die sich auf die Rückständigkeit der Kirche beziehen, machen aber betroffen und stellen den Umgang mit diesen Antworten in Frage. Wenn Rückständigkeit der Kirche ein Grund für den Kirchenaustritt ist, was ist dann die Lösung? Ist Modernität damit ein Wert an sich, ganz im Sinne der Hinweise von Bischof Bode bei der BDK-Frühjahrsvollversammlung, die Lehre der Kirche müsse sich an der Realität orientieren? Oder handelt es sich um ein Vermittlungsproblem? Das klingt zwar sehr nach politischem Wähler-Bashing, wenn nach einer verlorenen Wahl der Wähler beschuldigt wird, die politische Botschaft nicht verstanden zu haben. Eigentlich geht es aber dann um zwei Folgerungen: Entweder die Botschaft ist nicht gewünscht oder man hat sie tatsächlich selbst nicht richtig vermitteln können.
Gerade die christliche Botschaft ist ja eigentlich keine hochkomplizierte; Rettungspakete für Griechenland und die EU sind sicher schwerer zu verstehen als Jesu Botschaft von Glaube, Hoffnung und Liebe. Man wird sich also nicht darauf zurückziehen können, die Gläubigen seien nicht in der Lage, die Botschaft zu verstehen. Dann aber muss es eben wirklich entweder mangelnde Vermittlung oder tatsächliche Ablehnung der Botschaft sein. Auch letzteres erscheint aber eher als ein Vermittlungs- denn ein Verständnisproblem zu sein. Natürlich – wer wollte das bestreiten – gibt es katholische Glaubensinhalte, vor allem aber nicht nur in der Morallehre, die heute als „rückständig“ betrachtet werden. Aus meiner eigenen Erfahrung kann ich sagen, dass vieles von dem, was ich heute glaube und für wahr halte, mir früher nicht einsichtig erschien. Zum Glück habe ich mich aber selber in die entsprechenden Thematiken einlesen können, hatte vor allem aber das Glück, an Priester und Katecheten zu „geraten“, die die Lehre der Kirche unverfälscht weiter geben.
Mein Plädoyer in diesem Sinne ist also, dass wenn es richtig gemacht wird, die Kirche auch nicht mehr als „rückständig“ wahrgenommen werden wird, sondern als hochaktuell in den Themenstellungen und den vorgeschlagenen Lösungen. Natürlich ist es unpopulär für die katholische Ehelehre einzutreten, und es mag unbequem sein, für sie zu argumentieren. Wenn aber deutlich wird, was für einen Schatz diese Unauflöslichkeit für die Ehepartner und auch für die Gesellschaft darstellt, wird deswegen niemand mehr aus der Kirche austreten – im Gegenteil. Die Antwort auf die Umfrage darf darum nicht lauten „Lasst uns die Lehre der Kirche modernisieren!“ sondern „Lasst uns neue Wege zu den Menschen finden, damit wir ihnen das Geschenk dieser Lehre vermitteln können.“
Das ist komplizierter, man darf nicht meinen, dass von den 22 % Austrittsgefährdeten nicht noch ein großer Teil die Kirche verlassen wird, aber es ist der einzige Weg zumindest einen zeitlosen Wert in der Gesellschaft zu repräsentieren (oder ihn wieder aufzubauen): die Glaubwürdigkeit. Die Welt, auch die Gläubigen mögen sich an der Kirche reiben, mit ihr streiten, ihr widersprechen … aber wenn unsere Botschaft keine Aufmerksamkeit mehr erregt, die Kirche kein Fels mehr in der Brandung ist, dann können wir in der Tat einpacken. Hoffen und beten wir, dass der Münsteraner Bischof Felix Genn und seine Amtskollegen die richtigen Schlüsse ziehen!
Ergebnisse der Studie des Bistums Münster
Erklärung des Bischofs von Münster zur Vorstellung der Studie
Peccator quidam
Eine kleine Korrektur: Es sind nicht 56 % der Befragten, die in einer Rückständigkeit der Kirche einen Austrittsgrund sehen, sondern nur 56 % der „Austrittsgefährdeten“, denn nur diese wurden befragt; das kann man in der Präsentation allerdings nur anhand der angegebenen Größe der Stichprobe erahnen. Es sind also insgesamt „nur“ 12 % der Befragten, die die Kirche für rückständig genug für einen Austritt halten; diese Zahl hätte ich in der Größenordnung auch so erwartet.
„Rückständigkeit“ ist nach meiner Erfahrung ein typischer Scheingrund für den Austritt, der gerne angegeben wird, wenn man sich nicht weiter erklären möchte oder kann, denn die Rückständigkeit der Kirche spielt im öffentlichen Diskurs eine große Rolle, ist also am präsentesten und naheliegendsten für eine solche Angabe. Da müßte man eigentlich in jedem individuellen Fall nachfragen. Das würde natürlich die Grenzen einer Befragung überschreiten — allerdings zeigen sich die Grenzen der Befragung schon daran, daß sie darauf zurückgeworfen ist, oberflächliche Antworten gelten zu lassen und zu präsentieren, die sie nicht weiter analysieren kann.
Peccator quidam
PS: Ich persönlich habe den Eindruck, daß dieses Bild von der rückständigen Kirche hauptsächlich daher rührt, daß die Kirche in der kommunistischen oder überhaupt progressiven Propaganda durchgängig als reaktionärer Player dargestellt wird. Daß bei einer nunmehr 100jährigen Dauerbeschallung, während welcher Zeit der Progressismus einige Jahrzehnte lang die Diskurshoheit hatte (und immer noch hat), etwas von diesem Bild hängen bleibt, wundert mich überhaupt nicht.
Diese Darstellung, ich möchte bald sagen, diese Karikatur ist aber hauptsächlich eine Sache der Rhetorik. Daß sie an der Oberfläche bleibt und nicht besonders tief zu dringen vermag, meine ich daran erkennen zu können, daß als Antwort auf meine Frage, was denn an der Kirche reaktionär bzw. rückständig sei, gern wie aus der Pistole geschossen „Die Gewänder!“ kommt (das gilt natürlich nicht so sehr für ideologisch anders Gebundene wie Kommunisten oder Aktive in der Homosexuellenszene).
Hier sehe ich eine große Chance, dem Problem rhetorisch zu begegnen, und das kann jeder Einzelne sehr leicht tun, denn in Wahrheit ist die Überzeitlichkeit und von der Mode unabhängige Verläßlichkeit der Kirche ja eine ihrer größten Stärken — das sehen die allermeisten Leute auch ein, sobald man sie nur darauf anspricht. Und gerade auf das Gewänderargument kann man natürlich sehr leicht antworten, indem man deren Bedeutung und Genese erklärt. Die meisten Leute freuen sich dann, darüber etwas zu lernen, und gewinnen sofort ein ganz anderes Verhältnis zu den eben noch verachteten Brokatklamotten und „Frauenkleidern“. Das ist zumindest meine Erfahrung.
Auf diese Weise apologetisch zu wirken, sind aber nicht die Bischöfe aufgerufen, sondern jeder Einzelne. Den Bischöfen würde es obliegen, mit dafür zu sorgen, den Gläubigen das nötige Rüstzeug an Wissen an die Hand zu geben und sie ihres Beistandes zu versichern.