Ob Aldi nun backt oder nicht – wen interessiert das? Und wer will für die Klärung der Frage bezahlen?
„Darf ich drücken?“ – das ist eine der regelmäßigen Fragen, die ich von unseren Kleinen zu hören bekomme, wenn wir bei Aldi einkaufen. Aldi-Süd hat seit einigen Jahren in vielen Filialen „frisches“ Backwerk im Angebot. Da drückt man dann auf einen Knopf und heraus kommt zum Beispiel ein Brötchen oder ein Croissant oder – bei unseren Kindern beliebt – eine Brezel. Die werden, so die Werbung, laufend gebacken und dann recht frisch zum Verkauf gegeben. Da kann es dann auch mal passieren, dass man ein paar Minuten warten muss, weil das Produkt, das man gerne hätte, gerade nicht fertig ist. Wir selbst nutzen das nur für die genannten Brezeln, Brot macht meine Frau selbst (irgendwann muss ich mal ein Loblied auf meine Frau und den Thermomix schreiben, aber nicht heute) und Brötchen gibt es aus diesem Automaten nur im Notfall.
Sehen kann man leider den Backvorgang nicht, aber ich bin bislang nicht davon ausgegangen, dass hinter der Wand des Automaten ein weiß gekleideter Bäckermeister sitzt, Mehl, Milch, Salz, Hefe und andere Zutaten mischt und knetet um das dann von Hand in einen Ofen zu schieben und durch den „Automatenausgang“ nach draußen zu reichen. Nein, da ist kein Bäcker, das ist kein Backen „nach alter Väter Sitte“ – da werden maximal Teiglinge aufgebacken. Nicht viel anders als in den meisten anderen großen Bäckereien vor Ort auch. Vielleicht etwas anders vorbereitet … für die Massenproduktion, nur so funktionieren Discounter.
Wer sehen will, wie gebacken wird, muss zu einem Bäcker, wer nach alt hergebrachter Weise gebackene Brötchen möchte, der muss lange suchen (bei uns im erreichbaren Umfeld gibt es soweit ich weiß noch genau einen Bäcker, der nicht mit Teiglingen arbeitet). Möglicherweise also werden Brote und Brötchen und andere Backwaren bei Aldi gar nicht in der Form gebacken, wie man das vom Bäcker sonst kennt, sondern nur „gebräunt“ – der eigentliche Backvorgang läge dann im Bereich der Massenproduktion des Zuliefererers, in der Aldi-Filiale wird nur noch zu Ende gebacken.
Wie das genau funktioniert, und ob es möglicherweise nur noch ein Bräunen ist, der Begriff des Backens also streng genommen nicht korrekt verwendet wird, das Gerät in der Filiale auch kein „Backofen“ ist, wie es dran steht … darum geht es in einem Prozess vor dem Duisburger Landgericht. Der Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks (ZVDB) meint nämlich, dass Aldi-Süd mit der Bezeichnung „Backofen“ und dem Hinweis, dass in der Aldi-Filiale laufend frische Brötchen gebacken werden, die Verbraucher in die Irre führen würde. Zur Klärung des Sachverhalts hat man nun – in dem seit 2011 laufenden Prozess! – einen Gutachter bestellt, der den Tatsachen auf den Grund gehen soll. Der hat festgestellt … dass man das so genau nicht sagen könne. Offenbar war ihm als Backexperten die Brötchenqualität nicht gut genug, aber – bezeichnenderweise – verwies er darauf „Viele Verbraucher wollen es so.“
Warum schreibe ich so lang und breit über dieses Thema? Ist Ihnen was aufgefallen? Der ZVDB behauptet, Verbraucher würden irregeführt. Der Gutachter meint, die Qualität der Backwaren entspreche den Erwartungen der Verbraucher. Offenbar ist noch kein Verbraucher auf den Gedanken gekommen, Aldi-Süd zu verklagen, der sich in die Irre geführt oder betrogen fühlt, weil hinter der vermeintlichen Backofen-Wand nicht so gebacken wird, wie er sich das in seiner romantischen Vorstellung einer Bäckerei ausmalt. Und trotzdem wird seit 2011 ein Gericht mit dieser Frage belästigt – mit Richtern und Verwaltungsangestellten, die von wem bezahlt werden? Und was meinen Sie, ob so ein Gutachter für Gotteslohn arbeiten wird? Die Klärung der Frage, ob Aldi-Süd backt oder nicht, die mich jedenfalls nicht die Bohne interessiert, diese Klärung wird von Ihnen und mir als Steuerzahler mit finanziert!
Kein Gemeinnutzen aus diesem Prozess, weit und breit keiner! Nur ein Berufsverband, der seine Daseinsberechtigung aus solchen Scheingefechten bezieht. Natürlich sind die Brötchen und Brezeln bei vielen (nicht allen!) Bäckern besser als bei Aldi. Natürlich sind sie aber auch günstiger als sie es beim Handwerker sind. Die Frage ist also nicht, ob Aldi-Süd hier backt, die Frage ist, warum die Verbraucher – wie ich auch – das Massenproduktionszeug kaufen statt zum richtigen Bäcker zu gehen? Das könnte so ein Zentralverband – auf eigene Kosten bzw. auf Kosten der Mitglieder – ja mal herausfinden und seinen Mitgliedern dann empfehlen, wie man seine Brötchen besser an den Verbraucher bringt. Die Bäckereien könnten dann reagieren, mit vielleicht anderer Preisgestaltung, bestimmt aber besserer Produktinformation, einem besseren Einkaufserlebnis, Lieferservices, Sonderangeboten oder besonderen Produktspezialitäten, Events wie Bäckereibesichtigungen für die ganze Familie … was weiß ich, was es noch alles gibt, das die Verbraucher für einen kleinen Handwerksbetrieb einnimmt? Ich habe nur ganz kurz darüber nachgedacht und da vorne stehen schon sieben Verbesserungsansätze, die so ein Verband mal durchtesten könnte.
Nur eines will ich nicht: Dass ich zur Erleichterung des angeschlagenen Ego eines nutzlosen Berufsverbands die Klärung der Frage finanzieren muss, ob Aldi-Süd nun backt oder nicht. In den Medien wird über den Brötchenstreit breit geschmunzelt, aber die Frage, wieso seit vier Jahren ein Gericht mit so einer dämlichen Fragestellung belästigt wird, stellt bislang so gut wie niemand! Liebe Leserinnen und Leser: Diesen Prozess bezahlen Sie aus ihren Steuern! Wegen Dingen wie diesen – im kleineren und im größeren Maßstab – müssen Sie (Vorsicht: Kalauer!) kleinere Brötchen backen!
Turin Turambar
Also,
Ich fand das eher kurios. Aber ihre Argumente sind stichhaltig. Nun wäre ich konservativ-liberale Blogger würde ich irgendwann an der Halsschlagader platzen.
Trägt in solchen Fällen nicht der Verlierer des Verfahrens die Kosten ebenselbigens?
Grüßle
Papsttreuer
Danke für den Kommentar, in der Tat geht mir dabei der Hut hoch :-)
Bezüglich der Frage, hatte mich auch auf FB ein Kommentator korrigiert: In einem Zivilprozess wie diesem übernimmt tatsächlich der Verlierer die Kosten, die allerdings wohl nach dem Streitwert berechnet werden. Ob das kostendeckend ist … Müsste man einen Juristen fragen. Selbst wenn, werden dafür aber weiterhin Ressourcen verschwendet. Im – wie ich finde – schlimmsten Fall, verliert Aldi und muss als Unternehmen für diesen Unsinn zahlen, die Werbung und Installationen in den Filialen umstellen … Davon gehen die natürlich nicht pleite, produktiv eingesetzt wird das Geld damit aber trotzdem nicht. Mit anderen Worten: Das lässt meine Halsschlagader nur wenig abschwellen :-)
Gottes Segen!
Pirkl
Ich kaufe die Brezeln bei Aldi, weil sie dort noch nach Laugenteig schmecken. Übrigens auch an meiner Tankstelle. Bei Bäckern dagegen schmecken sie oft nur noch nach durchschnittlichem Brötchenteig, nach Semmel wie wir in Bayern sagen, statt nach Brezel. Als Jurist, der auch die Beschäftigungsmöglichkeiten für die viel zu vielen Rechtsabsolventen durch so einen Prozess sieht (wollen sie lieber deren Arbeitslosengeld zahlen, Herr Honekamp?), habe ich einen salomonischen Lösungsvorschlag: die zahllosen Jurastudenten werden einer strengen Aufnahmeprüfung unterzogen: die Hälfte, die sie nicht besteht, kann sofort einen der zahlreichen unbesetzten Ausbildungsplätze im Bäckereihandwerk haben, mit der Auflage, auch in seiner Ausbildungsbäckerei wieder Laugenteig zu verwenden.