Nach den Terroranschlägen und Bedrohungen stellt sich eine wesentliche Frage neu: Wem wollen wir Freiheit und innere Sicherheit anvertrauen?
Er betritt an seinem ersten Tag als Innenminister sein Büro. Sein Sekretariat und seine engsten Mitarbeiter haben ihn willkommen geheißen. Er zieht die Tür hinter sich zu, setzt sich an den großen Schreibtisch und schaut kurz aus dem Fenster, atmet ein paar mal tief ein und aus. Das ist kein leichter Job, das weiß er genau, und doch meint er, er sei gut vorbereitet. Per Gegensprechanlage bittet er seine Sekretärin, ihm einen Kaffee zu bringen. Er genießt das warme Getränk, das beruhigende Aroma … jetzt kann’s los gehen. Die Tür öffnet sich und herein kommt ein Herr in einem offenbar guten Anzug, den er noch nie gesehen hat. „Kann ich Ihnen helfen?“ fragt der Minister. „Nein, aber ich Ihnen.“ lautet die etwas unterkühlte aber nicht unfreundliche Antwort. Irgendwas beunruhigt ihn. Der Mann öffnet einen schwarzen Koffer, den er an seinen Arm gekettet hat und entnimmt ein gut zwanzigseitiges Dossier. „Lesen!“ lautet die Aufforderung, nach einer etwas zu langen Pause gefolgt von einem „Bitte.“ Der Minister nimmt das Dossier, sieht den Mann fragend an … „Nein, Sie können es nicht kopieren, Sie bekommen es auch nicht elektronisch, und wenn ich gleich gehe, nehme ich es wieder mit.“ Der Minister liest, mal langsam, mal schneller, mal mit stockendem Atem. Ab und zu schaut er den Mann zweifelnd an, der aber nur bestätigend nickt. Das Ende der letzten Seite … und der Minister atmet vernehmlich aus. Er wusste, dass seine Position nicht leicht sein würde, aber das hier … Freundlich aber bestimmt, nimmt ihm der Mann das Dossier wieder aus der Hand und lässt es wieder im Koffer verschwinden. „Viel Glück, Jim!“ sagt er noch und muss in sich hinein kichern – er benutzt immer den gleichen Satz für einen Abgang und noch jedesmal haben alle Vorgänger des Ministers dabei ein selten blödes Gesicht gemacht. Dabei meint er es durchaus ernst: Viel Glück!
So, oder so ähnlich stelle ich mir schon seit Jahren den ersten Tag eines jeden Innenministers vor. Der Grund ist, dass viele in dieser Position plötzlich ihre politische Agenda wechseln, vom Liberalen oder Linken zum Hardcore-Law-and-Order-Mann werden. Vielleicht hat es ja einen Grund, dass wir noch keine Bundesinnenministerin haben – womöglich würde denen die notwendige Härte fehlen. In guten Momenten nehme ich den Ministern dann auch ab, dass sie aus Sorge um das Land, aus Sorge um die Bürger handeln. Dass Ihre Härte und/oder Geheimniskrämerei etwas mit Verantwortungsbewusstsein zu tun hat und nicht damit, etwas aus persönlichen Gründen verheimlichen zu wollen. Ich bin da keiner, der Verschwörungstheorien anhängt (über die Eingangsgeschichte hinaus), und gestehe auch einem Minister erst mal zu, dass er versucht, nach bestem Wissen und Gewissen zu handeln und nicht im Sinne irgendeiner Geheimloge die Weltherrschaft anstrebt.
Was ist berechtigte Geheimhaltung?
Von genau dieser Einstellung leben aber auch die, die eine solche Position ausnutzen würden. Die Bevölkerung wird ruhig gehalten, je weniger sie von der Weltsituation wissen, umso besser. Das muss nicht mal mit irgendwelchen persönlichen und illegitimen Grundsätzen zu tun haben, mitunter kann es auch „nur“ darum gehen, eigene Schwächen und Fehler nicht allzu transparent zu machen. Fehlentscheidungen eines Innenministers, Fehlentscheidungen zur inneren Sicherheit eines Landes, können im Zweifel Menschenleben kosten. Dass man sich da nicht allzu tief in die Karten gucken lassen möchte, ist menschlich durchaus verständlich. Grund für die Geheimniskrämerei kann aber auch die Überzeugung sein, dass es für „das Volk“ tatsächlich besser ist, bestimmte Dinge nicht zu erfahren. Wir alle kennen Filme wie Armageddon oder ähnliche apokalyptischen Werke, bei denen ein Präsident lange überlegt, ob er offen kommuniziert, um keine Panik zu erzeugen. Es mag auch sein, dass die Veröffentlichung von Informationen die innere Sicherheit zusätzlich gefährdet, zum Beispiel in dem Fall von Fahndnungen nach Verbrechern – sagt man offen, wie es um die Verfolgung beispielsweise von Terroristen steht, verschafft man auch diesen einen Informationsvorteil. Das grundsätzliche Prinzip der Geheimhaltung ist also für die Rolle inbesondere eines Innenministers aus den unterschiedlichsten Gründen – manche mehr manche weniger – durchaus nachvollziehbar. Aber was ist berechtigte Geheimhaltung, was nicht?
Seit Wochen, spätestens auch seit dem letzten Wochenende werden Regierungspolitiker nicht müde zu behaupten, dass die derzeitige Flüchtlingssituation, unübersichtlich wie sie ist, nichts mit der inneren Sicherheit zu tun habe. Da kann man zweifeln: Auch wenn man nicht annimmt, dass mit den Flüchtlingen aus Syrien und Afrika massenweise Terroristen ins Land gespült werden, ist doch der Zustand von geschätzt 250.000 bis 300.000 Menschen, die unregistriert nach Deutschland gereist sind, beunruhigend. Dabei muss man auch noch beachten, dass dieser Zustand durch die unsere Regierung – ich unterstelle durchaus ehrenwerte Gründe – wissentlich in Kauf genommen wurde. Die Wahrheit ist: Ob unter diesen Menschen auch Terroristen sind … wissen wir schlicht nicht. Es werden Statisiken herumgereicht, nachdem unter den Flüchtlingen „höchstens“ 1 % IS-Sympathisanten wären. Das soll beruhigen? Das würde unter 300.000 Unbekannten mit ungewissem Aufenthaltsort 3.000 IS-Anhänger bedeuten, vielleicht nicht gewaltbereit … noch nicht!
Eine neue Lage
Die Anschläge von Paris und die Vorgänge in Hannover zu den Fußballländerspielen verdeutlichen die Verletzlichkeit einer freien Gesellschaft. Sie machen deutlich, dass eine solche Gesellschaft leider nicht selbstverständlich ist, sie mit Feinden zu kämpfen hat, die nicht argumentieren sondern zu Gewalt, Mord und notfalls auch Massenmord greifen. Insofern stehen Freiheit und Sicherheit immer in einem gewissen Spannungsverhältnis zueinander, wenn ich auch nicht die pessimistische Einschätzung teile, dass sie sich widersprächen. Aber Freiheit ist eben nicht selbstverständlich und muss jeden Tag neu erkämpft werden – dazu gehört die Freiheit der Rede genau so wie die Reisefreiheit, auch die Freiheit, von anderen in unzulässigerweise eingeschränkt zu werden, gar die Freiheit, sein Leben so zu leben, wie man das möchte (so lange man niemand anderen damit schadet respektive in seiner Freiheit einschränkt).
Und so ist es auch eine Frage der „Checks-and-Balance“ inwieweit man einem Politiker oder einer Regierung zutraut, sich ausreichend für die Freiheit einzusetzen. In gewisser Weise haben wir in der westlichen Welt die Sicherung unserer Freiheit an den Staat delegiert, was mindestens eine entsprechende Kontrolle notwendig macht. Eigentlich besteht die ganze Daseinsberechtigung eines Staates als Institution lediglich darin, die Freiheit der Bürger zu sichern – scheitert eine Regierung, scheitern Gesetzgeber, Polizei und Gerichte an dieser Stelle werden sie obsolet. Bedenkt man das, kommen einem im Hinblick auf die aktuelle Situation schon eigenartige Gedanken:
Die nationalen Grenzen? Angeblich nicht sicherbar! Die Zuwanderung von Flüchtlingen und Migranten: Damit im Wesentlichen nicht zu steuern? Die Herausforderungen, vor die eine Gemeinschaft durch massive Zuwanderung gestellt wird? Nur ein „Wir schaffen das!“. Die Frage, ob Zuwanderung und Flüchtlingsproblematik eine Herausforderung für die innere Sicherheit darstellen könnten und die Terrorgefahr verstärken? Politisch nicht korrekt, so zu fragen. Und auch ohne Terror und Flüchtlingsproblematik: Zunehmende Einbruchszahlen? Da müssen die Bürger besser vorsorgen. No-Go-Areas in Großstädten? Lieber nicht darüber reden.
Vetrauen in die Politik?
Dazu passt ins Bild die Antwort unseres Innenministers auf die Frage nach den Hintergründen der Terrorwarnungen von Hannover am gestrigen Abend. Spiegel Online zitiert:
„Ein Teil dieser Antworten würde die Bevölkerung verunsichern.“ Er bat die „deutsche Öffentlichkeit um einen Vertrauensvorschuss“.
Nein, ein Vertrauensvorschuss ist in dieser Situation überhaupt nicht angemessen, verschärfte Kontrolle der Verantwortlichen dagegen schon sehr viel mehr. Mag schon sein, dass es aus ermittlungstechnischen Gründen nicht gut wäre, die Quellen und Hintergründe zu nennen, aber das hat er nicht gesagt. Mag sein, dass die korrekten Antworten auf die Frage zu weiteren Nachfragen geführt hätten, aber das wäre legitim. Eine der wenigen nicht legitimen Antworten, die mir für eine solche Pressekonferenz einfallen ist: „Ein Teil dieser Antworten würde die Bevölkerung verunsichern.“
Wie es ein Kommentator in einem FB-Posting von mir zu dieser Thematik treffend gesagt hat: „Jeder Anfänger lernt auf der Pressesprechergrundschule, dass die Aussage anders lauten muss: Wir können Ihnen leider nicht mehr sagen, weil das den Tätern wichtige Hinweise geben und die Fahnung erschweren würde.“ – gefolgt von einem weiteren Kommentar: „De Maizière IST kein Anfänger. Was folgern wir daraus?“ Ja, was folgen wir daraus?
„Bitte gehen Sie weiter, es gibt nichts zu sehen, es ist besser für Sie, wenn Sie nicht wissen, was vor sich geht, vertrauen Sie uns, wir wissen, was wir tun, wir schaffen das, wir haben alles im Griff …“ – Das scheint dieser Tage die Maxime der Politik zu sein. Einer Politik, der wir die Verteidigung unserer Freiheit gegen Terrorismus wie auch gegen jede andere äußere und innere Gefahr übertragen haben.
Bei der „The Wall“-Konzertreihe von Roger Waters wurde vor ein paar Jahren ein Schriftzug auf die Mauer projeziert, auf dem es hieß „Trust us!“ – nach wenigen Sekunden wurde die Antwort auf diese Aufforderung eingeblendet: „No fucking way!“
akinom
„Die häufigste Krankheit ist die Diagnose!“ Und wieder einmal ein Hoch auf den beeindruckenden Diagnostiker Felix Honekamp! Aber wo sind die Therapeuten, die fähig, vertrauenswürdig und wählbar sind? Welche Wahlfreiheit bleibt? Heute wurde ich aufgefordert, bei „Bürgerrecht. Direkte Demokratie jetzt“ von Beatrix von Storch die Petition zu unterschreiben: „Frau Merkel, treten Sie jetzt zurück!“ Für mich ist das keine Option. Was bleibt da andereres übrig, als „heißen Kaffee“ mit dem „beruhigenden Aroma“ zu genießen ohne mir auszumalen, was kommen wird…?
Papsttreuer
Danke für den Kommentar, der einen Schwachpunkt vieler meiner Beiträge aufzeigt: Wo ist die absehbare Alternative, die Medizin, die langfristig wirkt? Dazu müsste man schon ein Buch schreiben, um zu begründen, warum ich ein Maximum an Freiheit für den richtigen Ansatz halte, erfolgversprechender jedenfalls als Einschränkungen der Freiheit, die die Sicherheit doch nicht garantieren können. Insofern stimme ich auch einer weiteren Diagnose zu: Unter den gegeben Rahmenbedingungen von Parteiendemokratie und gesellschaftlichem Klima könnte es auch noch schlimmer kommen. Mir scheint aber eine Diagnose auch ohne Medikation trotzdem sinnvoll, um überhaupt deutlich zu machen, dass es ein Problem gibt: Je mehr Menschen das so sehen, umso eher nähern wir uns einer Therapie.
Gottes Segen!
Theodreds Schicksal
Einspruch. Das ist kein Schwachpunkt. Kritik, oder Diagnose, muss nicht sofort mit dem Heilmittel, der Lösung des Problems aufwarten. Das Problem erstmal überhaupt zu erkennen, die Krankheit zu identifizieren (oder überhaupt erstmal als solche anzuerkennen) – das ist ein wichtiger Schritt.
Es gibt für manche Probleme keine Lösungen oder solche, die man nicht bereit ist anzugehen. Es gibt Probleme, die erst durch eine Art Gemeinschaftsarbeit gelöst werden können und jeder hat einen Teil der Lösung. Mitunter ist auch die Perspektive ein eigenes Problem usw. usf.
Darum: nein, dass nicht jedesmal Alternativen oder Lösungsvorschläge erfolgen ist kein Schwachpunkt. Zu glauben, man sei selbst in der Lage alles zu lösen, es besser zu machen als Andere oder sich den Mund zu verbieten, weil man es nicht besser kann – das ist ein Schwachpunkt.
Also: weiter so.
Andreas
Guten Abend zusammen,
wenn Frau Merkel mangels Alternativen nicht zurücktreten sollte, sozusagen alternativlos ist, muss man nicht nüchtern das Ende demokratischer Verfasstheit in diesem Lande konstatieren?
akinom
Ich weiß es einfach nicht. Aber ich fürchte, es geht in diese Richtung. Der große Verwirrer ist sehr aktiv!
Friedhild
…wir wissen es nicht – aber unsere Pflicht ist es, für die Situation und unser Land zu beten. Ich habe mich der Gebetskette von Astrid Eichler angeschlossen. Unter EmwAg.net/blog findet man die täglichen Gebetsanliegen.
Heute beten wir besonders für die die Christen und Gemeinden in Syrien, Jordanien, der Türkei, im Irak und Libanon, die sich tatkräftig und aufopferungsvoll um christliche und auch muslimische Flüchtlinge kümmern und dringend Unterstützung brauchen! Sie tun das schon seit Jahren. Die christlichen Flüchtlinge haben teilweise in den Flüchtlingslagern der UN keinen Platz und werden als Minderheit unter Druck gesetzt und diskrimiert. Also sind sie dringend auf die Hilfe der christlichen Gemeinden angewiesen. Beten wir für die Flüchtlinge und die christlichen Gemeinden in den genannten Ländern!