Die Landesanstalt für Medien NRW (LfM) setzt sich für Medienkompetenz ein. Ihr Appell geht aber in die entgegengesetzte Richtung.
Wenn „mein“ Erzbischof einen Appell gegen Hetze im Internet unterschreibt, dann ist es an der Zeit, mich auch damit zu befassen. Die meisten meiner Leser werden einerseits wissen, wie ich zu Hetze stehe, sie werden aber auch wissen, was meine Einstellung zu einem gesetzlichen Eingreifen gegen Hetze ist.
Kurz gesagt: Geht beides gar nicht!
Nach einer Pressemitteilung des Erzbistums Köln haben jedenfalls alle NRW-Bischöfe den Appell der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen (LfM) unter dem Titel „Für Meinungsfreiheit – gegen Hetze im Internet“ unterzeichnet. Und es wäre wohl gelogen, wenn man annehmen würde, dass es im Internet nicht Hetze geben würde, und zwar aus allen politischen Richtungen, gegen Links, gegen Rechts, gegen bestimmte Religionen, gegen Religionen im Allgemeinen, gegen andere Weltanschauungen. Und doch zeichnet sich diese Hetze abgesehen von der drastischen, mitunter gewaltverherrlichenden oder -provozierenden Wortwahl doch auch dadurch aus, dass dort Meinungen geäußert werden. Ein Appell, der gleichzeitig „für Meinungsfreiheit“ und „gegen Hetze“ eintritt, hat also einen ziemlichen Spagat zu leisten. Und die LfM – das gleich vorab – scheitert leider daran.
Den Wortlaut gebe ich gerne vollständig wieder:
(1) Ein demokratisches und tolerantes Miteinander ist auch im Internet unverzichtbar. Gegenwärtig werden dort aber Hetze, Hass und Diskriminierung immer wieder und immer mehr verbreitet – besonders in sozialen Netzwerken, Foren und Kommentarspalten. Die Landesanstalt für Medien NRW (LfM) und die in ihre Medienkommission entsandten Mitglieder appellieren daher an alle Nutzer, aber auch an die Anbieter von Internetplattformen:
(2) Rassismus, Antisemitismus, Diskriminierung und Hetze dürfen auch im Internet keinen Raum finden. Diffamierungen sind zu verurteilen und dürfen nicht heruntergespielt oder verharmlost werden. Hasserfüllte Kampagnen im Netz sind Katalysator realer Gewalt. Gerade die aktuellen politischen Debatten und Geschehnisse rund um die Flüchtlingssituation zeigen, dass „Hate Speech“ und reale Gewalt oft nah beieinander liegen.
(3) Die LfM fordert daher insbesondere die Betreiber sozialer Medien auf, ihrer Verantwortung stärker als bisher gerecht zu werden. Internetplattformen wie Facebook oder YouTube haben durch ihre Reichweite eine besondere Bedeutung und damit auch eine besondere Verantwortung. Sie finanzieren sich aus Werbeeinnahmen und anderen Erlösmodellen, die von hohen Nutzungszahlen abhängen. Dies darf aber nicht dazu führen, die Grenzen für zulässige Inhalte zu weit zu fassen, um immer höhere Nutzungszahlen zu generieren.
(4) Zwar ist es unbestritten wichtig, dass sich die Internet-Community durch Meinungen und Argumente im Rahmen von „Social Media“ deutlich positioniert. Aber auch künftig muss es gelingen, eine Diskussionskultur aufrecht zu erhalten, in der Diskriminierung und Hetze von vornherein keinen Platz finden. Daher müssen auch die Anbieter der Internetangebote selbst stärker entsprechend einwirken, Maßnahmen ergreifen und Position beziehen. Diese Verantwortung darf nicht allein auf die Nutzer verlagert werden; die in den sozialen Medien herrschende Kommunikationskultur darf nicht sich selbst überlassen werden.
(5) Immer öfter werden auch Journalisten mit ihrer Berichterstattung zu aktuellen Ereignissen zur Zielscheibe von Angriffen und Verleumdungen. Zeitungen und Zeitschriften, private wie öffentlich-rechtliche Fernseh- und Radiosender erleben auf ihren Internetseiten immer öfter Anfeindungen in zum Teil extremer Form. Auch hier gilt: Hass und Hetze dürfen nicht zur Normalität werden und somit die Chance erhalten, als ein akzeptiertes und gesellschaftsfähiges Mittel der Meinungsäußerung zu gelten. Diskriminierende, hetzerische, rassistische und hasserfüllte Kommentare dürfen nicht als Teil des legitimen Meinungsspektrums bagatellisiert werden; „Hate Speech“ gegen Medien und Medienschaffende darf keinen Raum erhalten und ist nicht zu akzeptieren.
(6) Die LfM ruft alle Betreiber von „Social Media“-Plattformen und alle Nutzer auf, Hass und Hetze zu stoppen. Und sie ruft alle gesellschaftlichen Gruppen dazu auf, sich gemeinsam für die Meinungsfreiheit und gegen die Hetze im Internet zu engagieren.
(Absatz-Nummerierung durch mich)
Meine Kritik beginnt schon beim ersten Absatz: Was bitte soll denn ein demokratisches Miteinander im Internet sein? Demokratie als Herrschaft des Volkes würde bedeuten, dass sich jeder dort äußern darf, wie er es für richtig hält. Zu befürchten ist aber, dass hier eher eine Orientierung an der Mehrheit zu erfolgen hat: Das, was die Mehrheit für Toleranz hält, ist Maßstab dessen, an dem man sich zu orientieren hat. Mit Meinungsfreiheit hat das natürlich erst mal nichts zu tun. Richtig ist, dass Hetze – jeder meiner Leser wird eine grobe Vorstellung davon haben, was dazu zählt – einer Diskussionskultur, einem Austausch von Meinungen mit dem Ziel, den anderen zu verstehen, gar von ihm zu lernen, nicht eben zuträglich ist. Das ist aber ein Allgemeinplatz, der hier wohl nicht gemeint sein kann.
Der zweite Absatz macht dann durch die Reihenfolge der Begriffe deutlicher, worum es eigentlich geht, und zwar in der Tat nicht generell um Hetze sondern in erster Linie um Rassismus und Antisemitismus. Dabei ist auch hier im Sinne der Meinungsfreiheit Vorsicht geboten: Wo fängt eine rassistische Äußerung an? Und ist jede rassistische Äußerung als illegitime Meinungsäußerung zu sehen? Wobei diese von mir benutzte Begriffsdefinition schon entlarvend ist für den Ansatz: Gibt es illegitime Meinungen? Wie kann man dann noch von Meinungsfreiheit sprechen?
Natürlich kann man solche Äußerungen nicht völlig losgelöst von der Gewalt sehen, die sich auf sie beruft: Ich bin der Ansicht, dass jemand, der seine Meinung auf eine Art und Weise kundtut, die zu Gewalt anstacheln könnte, dafür auch eine moralische Verantwortung trägt. Inwieweit eine in diesem Zusammenhang nicht näher definierte Hate-speech aber ursächlich für Gewaltausübungen ist, das ist leider nicht so leicht nachzuvollziehen.
Bis dahin richtete sich der Appell aber noch an die Mediennutzer und konnte mit dem Ziel verstanden werden, für ein zivileres Miteinander zu werben. Da kann kein vernünftiger Mensch dagegen sein. Wenn der Appell sich aber im dritten Absatz an die „Betreiber sozialer Medien“ wendet, dann wird deutlich, dass hier Einfluss ausgeübt werden soll. Die Aufforderung „die Grenzen für zulässige Inhalte [nicht] zu weit zu fassen, um immer höhere Nutzungszahlen zu generieren“ bedeutet am Ende nichts anderes, als Mechanismen einzufordern, die bestimmte Meinungen aufgrund ihres Inhaltes (z.B. Rassismus) oder ihrer Wortwahl (z.B. Hetze) aus dem Diskurs ausschließen sollen.
An dieser Stelle muss man auch verstehen, dass solche Appelle natürlich auch „normativen Charakter“ haben: Beobachtet man, dass ein solcher Appell nicht in gewünschter Weise fruchtet, dann steht die unausgesprochen Drohung im Raum, notfalls auch den Gesetzgeber um eine Regulierung zu bitten. Dies umso mehr, als zwischenzeitlich auch hochrangige Politiker den Appell unterschrieben haben. Wie frei kann also nach einem solchen Appell ein Betreiber noch sein, auf seinem Medium die Fahne der tatsächlich unbegrenzten Meinungsfreiheit hochzuhalten?
Dieser Ansatz wird im vierten Absatz noch vertieft: Den Betreibern von Facebook und Co. wird eine Art „Erziehungsverantwortung“ zugeordnet, die sie eigentlich nicht haben: vermutlich nicht haben wollten, und darum ganz sicher nicht aufgezwungen bekommen sollten. Umgekehrt: Befürchtet Facebook durch eine nicht adäquate Diskussionskultur einen Einbruch bei den Nutzerzahlen, dann ist es eine freie, betriebswirtschaftliche Entscheidung, solches zu unterbinden. Wollen die Betreiber dieses oder ähnlicher Netzwerke aus eigener Überzeugung gegen hetzerische Äußerungen zu Felde ziehen, so ist das ebenfalls eine freie Entscheidung.
Geschieht dies jedoch nicht, dann ist es kaum legitim, ihnen eine derartige Verantwortung für ein Wohlverhalten der Nutzer zuzuschreiben. Zumal mit der globalen Beschreibung von Hetze und „Hate Speech“ nicht mal eine eindeutige Abgrenzung vorliegt. Gerade letzterer Begriff ist im englischsprachlichen Raum deutlich weiter gefasst als Hetze und kann sich beispielsweise schon auf die moralische Einschätzung anderer Religionen oder auch sexueller Orientierungen beziehen – da kann der Katechismus der katholischen Kirche schnell mal nicht mehr zitierfähig sein.
Während der fünfte Absatz des Appells diesen noch mal auf die Hetze gegen Medienschaffende konkretisiert – ob man hier eine Sonderrolle fordern muss, darüber kann man streiten – stellt der sechste und letzte Absatz noch mal die generelle Forderung dar: Hetze sollte unterbleiben, nicht als Mittel des Meinungsaustauschs akzeptiert werden. Stünden die anderen Absätze nicht da und wäre nicht klar, dass ein solcher Appell auch immer den Gesetzgeber auf den Plan ruft, ich könnte ihn glatt unterschreiben:
Wer hetzt und wer sich hasserfüllt äußert, kann nicht mit meiner Rückendeckung rechnen. Ich habe hier auf meinem Blog ein recht einfaches Kriterium, ob ich Kommentare frei schalte: Wenn ich sie für hetzerisch halte, werden sie unkommentiert gelöscht. Wenn das jeder so hält, verliert Hetze und Hass schnell seinen Resonanzboden. Wer das schon – auf einem privaten Blog – für Zensur hält, der hat nicht verstanden, was Zensur eigentlich ist. Die Befürchtung aber, dass Appelle wie der der LfM mittelfristig auf eine Zensur hinauslaufen, teile ich durchaus.
Ich will mal positiv davon ausgehen, dass die beteiligten Bischöfe aus NRW sich durch ihre Unterschrift unter den Appell nicht für Zensur sondern für ein respektvolles Miteinander aller Meinungen, Weltbilder und Einstellungen einsetzen wollen. Das ist richtig, und dazu kann ein Appell beitragen. Der Appell „Für Meinungsfreiheit – gegen Hetze im Internet“ wird dem aber nicht gerecht, und schafft den im Namen angelegten Spagat leider nicht.
akinom
Und die Moral von der Geschicht‘:
Felix Honekamp bleibt papsttreu, ganz gewiss!
Der Papst ist katholisch, wie ihr wisst!
Bei Journalisten, Priestern, Bischöfen ist’s ungewiss!
Andreas
In einem demokratisch gefassten Rechtsstaat wäre die Meinungsfreiheit ein hohes Gut, begrenzt lediglich durch das Strafrecht.
Damit sind ausreichend Leitplanken gesetzt.
Wenn wir Organisationen mit einseitig ausgerichtetem Weltbild erlauben, hier neue Grenzen zu definieren, einzufordern und letztlich durch neue Gesetze durchzusetzen, geben wir die Meinungsfreiheit auf.
Punkt.
Konrad Kugler
Schon das Strafrecht ist durch ideologische Vor-Urteile deformiert.