Es geht nicht darum, die Bedeutung von Fronleichnam zu relativieren – aber doch wieder auf Normalmaß zu bringen.

Fronleichnam 2016 in Dormagen / Zons (Bild: Felix Honekamp)
Fronleichnam, eigentlich das „Hochfest des Leibes und Blutes Christi“, ist sicher eines der bekannteren katholischen Feste. Und mit den Prozessionen, bei denen das Allerheiligste durch die Gemeinde getragen wird und dem eucharistischen Segen, sicher auch eines der katholischsten. So katholisch, dass – wie mir von meinen Eltern berichtet wird – in früheren Zeiten protestantische Bauern gerne zur Prozession die Felder gedüngt haben. Dabei gehört die Prozession eigentlich gar nicht zur eigentlichen Liturgie der Kirche sondern zu den sogenannten „frommen Übungen“ (Pia exercita), die von den Bischöfen geregelt werden (Quelle: kathpedia): „Inhaltlich ist Fronleichnam ein österliches Fest, das an den Gründonnerstag anknüpft. Die irdische Menschwerdung des Sohnes Gottes findet in der eucharistischen Gegenwart (zugleich mit den anderen Sakramenten) ihre Fortsetzung. Als Gabe der Liebe bietet Jesus seine eucharistische Gegenwart jedem an, der Hunger nach Gott hat.“
Im Wesentlichen geht es also um die Anbetung der Eucharistie, des Herrn im gewandelten Brot, und nicht um eine nach außen gerichtete Demonstration des Glaubens. Zu einem solchen Zeichen ist das Fronleichnamsfest in der Zwischenzeit allerdings geworden: Aus dem „Hunger des Volkes“, den unverhüllten Leib Christi zu sehen, hat sich eine Tradition entwickelt, die heute eher Zeugnischarakter hat, als eine Frömmigkeitsübung zu sein. Da wundert es auch nicht, dass in manchen Gegenden und in manchen katholischen Kreisen durchaus Druck aufgebaut wird, an einer Prozession teilzunehmen: Wer das nicht tut, so die Botschaft, der sei kein guter Katholik, wolle wohl kein Zeugnis geben. Die Idee der Verehrung geht dabei eher verloren, und – was Schlimmer ist – es wird zu einem Fest „gegen“ etwas: Gegen die Weltlichkeit, gegen den Atheismus der Welt, mancherorts sogar gegen den Protestantismus oder gegen Islamisierung.
Da werde ich das Gefühl nicht los: So kann das nicht gemeint sein! Natürlich: Wer an der Fronleichnamsprozession nicht teilnimmt, weil er fürchtet, von den Nachbarn dabei gesehen zu werden, der sollte doch mal seine Prioritäten prüfen. Und wer gegen anschwellende Säkularisierung oder die Islamisierung des Westens zu kämpfen meint, aber die christlichen Wurzeln lieber nicht bezeugen mag, der wird auch nicht mit meiner Zustimmung rechnen dürfen. Aber es mag auch andere Gründe außer Fußprobleme geben, an der Prozession nicht teilzunehmen. So haben wir als Familie mit kleinen Kindern heute einen Teil der Messe geschwänzt und auch nur an der „halben“ Prozession teilgenommen (immerhin inklusive Eucharistischem Segen). Ich bin dann immer erstaunt, dass ich so viele Familien mit kleinen Kindern im Alter unserer Kinder sehe, die offenbar die ganze Messe mitgefeiert haben und die Prozession bis zum Schluss begleiten. Wenig erstaunt bin ich dann aber umgekehrt, wenn diese Kinder eher schlecht gelaunt und „verdreht“ daher kommen – mit entsprechender Wirkung auf die Eltern. Es mag ja Kinder geben, die ein besonderes Gespür für die Realpräsenz Christi in der Eucharistie haben … aber seien wir ehrlich: die sind wohl eher in der Minderheit.
Unsere Kinder haben sich jedenfalls auf die Prozession gefreut – Jesus durch die Straßen unserer Stadt begleiten? Da sind sie dabei! Zu feiern, dass Jesus sich im Brot ganz klein macht um immer bei uns sein zu können? Ja, auch das kann man Kindern im Alter von 5 Jahren erklären. Ihnen nahebringen, dass Jesus heute unsere Hilfe haben möchte, sie nicht braucht, aber sich freut, wenn wir für ihn da sind, ihn begleiten, seiner Sache helfen – das geht auch bei kleinen Kindern, die von Transsubstantiation keine Vorstellung haben. Aber sie zweieinhalb Stunden durch die Sonne marschieren zu lassen – sage mir keiner, dass das der Glaubenstiefe der Kleinen gut täte. Und schon gar nicht, wenn man ihnen zu erklären versucht, damit ein Zeichen zu setzen gegen den Glaubensschwund in der Gesellschaft.
Ich will damit nicht denjenigen vor den Kopf stoßen, die den Marsch dieser Prozessionen durchaus auch als Opfer betrachten, dass sie für den Herrn und für den Glauben in der Welt bringen. Und womöglich ist das Glaubenszeichen von vielen Hundert Menschen, die singend und betend hinter der Monstranz in einer Prozession laufen, auch für diejenigen beeindruckend, die dem Glauben fernstehen und deren Interesse geweckt werden könnte. Aber ich bin andererseits ganz sicher: Wer als „Ungläubiger“ in versteinerte Gesichter der Teilnehmer einer Fronleichnamsprozession schaut, die eher zum Ausdruck bringen, dass sie nicht dazu gehören als sie einzuladen teilzunehmen; wem vermittelt wird, dass sich da eine religiöse Elite auf den Weg begeben hat, mit einem solchen Marsch zu „bekehren“; wer keine Freude am Herrn sondern Frust und Verzweiflung über den Zustand der Welt gespiegelt bekommt, der wird sich eher abwenden, als sich vom Herrn im Brot beeindrucken zu lassen.
Lassen wir also – das ist mein Appell – nicht zu, dass Fronleichnam zu einer Gegenbewegung gegen irgendetwas – sei es die Säkularisierung der Gesellschaft oder den Einfluss anderer Religionen – verkommt. Fronleichnam ist ein österliches Fest, ein Fest der Freude, dass der Herr immer bei uns ist, vor allem in Gestalt von Brot und Wein in der Eucharistie. Wir können ihn immer besuchen, regelmäßig empfangen und bei vielen Gelegenheiten anbeten. Das wäre ein starkes Glaubensleben – dass es auch ein starkes Glaubenszeugnis abgibt, ist dann ein angenehmer und evangelisierender Nebeneffekt. Bei so einem Fest sind wir – und die Kinder gleich mit – im nächsten Jahr wieder mit Freude dabei!
Nepomuk
Interessant.
Nun, ein paar Bemerkungen:
1. Ich halte Fronleichnam trotz des Alleluja nach dem Panem-de-coelo und trotz des Anknüpfens an den Gründonnerstag eigentlich nicht für ein österliches Fest, sondern sogar für das schlechthinnige Jahreskreisfest. Und fast eher weihnachtlich als österlich (daher das mit der Menschwerdung, und daher ganz-ganz früher mal die Weihnachtspräfation).
2. Ich bin zwar generell dagegen, die als quasiverpflichtend zu behandeln, die nicht verpflichtend sind… aber das Teilnehmen an der Fronleichnamsprozession, soweit möglich, gehört in der Tat zu den paar Dingen, die in so eine Kategorie ganz gut passen würden. (Ähnlich z. B. die Osterbeichte für solche, die im Jahr davor nicht schwer gesündigt haben; die Weihnachtsbeichte; die Teilnahme an doch wenigstens einem weiteren Gottesdienst zum österlichen Triduum zusätzlich zur Sonntagspflicht oder einem Karfreitagskreuzweg; das Besuchen einer Maiandacht im Jahr; vielleicht auch der Kirchbesuch an den „dispensierten gebotenen Feiertagen“ wie Maria Immaculata; usw.)
3. In der Volksfrömmigkeit ist in der Tat Fronleichnam fast schon das katholische Fest schlechthin (Oswald Spengler nennt, mehr auf die Gefühlswelt als auf den Inhalt schauend versteht sich, Fronleichnam, nicht Ostern und nicht einmal Weihnachten, das Hauptfest der katholischen Kirche)… Und es ist wunderschön triumphal und auch legitim seit langem wunderbar mit dem Thema „streitende Kirche“ assoziiert – was wäre eine Fronleichnamsprozession ohne das Lied vom Haus voll Glorie? – das kann durchaus so bleiben. Und die Kirche hat natürlich Gegner, daran beißt keine Maus einen Faden ab.
Auch die Säkularisierung der Gesellschaft ist ein solcher Gegner.
Vor allem aber hat sie Mitglieder, die auch nur Menschen sind, d. h. man muß sie, wenn sie schon gegen Gegner kämpfen müssen (daß die Waffen geistig sind, spielt keine Rolle), auch menschlich zusammenschweißen. Nicht ohne Grund drillen unsere weltlichen Armeen immer noch im Bereich Formaldienst und Marsch-im-Gleichschritt: wer eine acies bene ordinata sein will, muß sich zusammengehörig fühlen.
Und welches Fest wäre dafür besser geeignet, als das, an dem der Festinhalt ohnehin das Sakrament der Eucharistie ist, welches uns nährt und aufbaut und zum mystischen Leib Christi zusammenfügt. („Ohne Mampf kein Kampf und ohne Verpflegung keine Bewegung.“)
4. Bei welcher Fronleichnamsprozession gibt es denn versteinerte Gesichter? Also von hochsommerlicher Hitze vielleicht mal abgesehen?
5. Es geht mir hier jetzt nicht um Kinder… wenn auch bis jetzt die allermeisten Erstkommunikanten die üblichen ein bis eineinhalb (Stadtfronleichnam in sehr großen Städten zwei – zweieinhalb? wirklich?) Stunden in langsamem durchhalten… was die Sonne betrifft: Käppis können da wohl viel helfen…
Aber allgemein (wie gesagt, nicht bei kleinen Kindern jetzt – aber durchaus bei zehnjährigen Buben): natürlich mag das ein Opfer sein; aber das läßt doch den Gesichtspunkt außer acht, daß es Spaß macht, so ein Opfer darzubringen.
Es macht doch Spaß, in der Hitze vor oder hinter dem Allerheiligsten herzulaufen, den Eucharistischen Segen „abzustauben“ und hernach, auch ein bißchen zur Belohnung, zwei, drei Weißwürste zu essen und ein Weißbier zu trinken (also die zehnjährigen Buben eine Apfelschorle).
Wenn zu Fronleichnam das Weltliche (neben der direkten Feier des allerheiligsten Sakraments) ganz besonders seinen Platz hat, weil sich der Herr in Weltliche gestalt kleidet, um uns zu nähren (Fronleichnam ist bei weitem „diesseitiger“ als z. B. Ostern oder Verklärung), dann warum neben dem Fest nicht auch – der Sport.
Und Sport macht man schließlich, auch wenn das in Zeiten der Fitneß-Apps nicht mehr so gegenwärtig ist, weil er einem Spaß macht.
Papsttreuer
Ein bisschen verspätet mein Dank für den Kommentar, den ich nicht als Widerspruch sondern als Ergänzung betrachte: Freude am Glauben soll Fronleichnam auch ausstrahlen – da sind wir uns sicher einig!
Gottes Segen für Sie!
Dieter Schrader
Ein befreundeter ev. Pfarrer aus einer ostdeutschen Großstadt und sein katholischer Amtsbruder – mit beiden bin ich befreundet- berichteten mir von einer gemeinsamen Fronleichnam-Prozession auf einem Platz jener Großstadt, der „Platz der Einheit “ hieß. Was für ein wunderbares Symbol. In persönlichen Zeugnissen berichteten die ev.Christen, was ihnen die Bibel bedeutete und die kath. Christen was ihnen die hl.Eucharistie bedeutete. Hier wurde praktiziert, wie ein rein katholisches Fest etwas zur Einheit der Christen beitragen kann, ohne die jeweils wichtigen Glaubensinhalte des anderen unwichtig erscheinen zu lassen.
Es war eine Initiative der beiden befreundeten Geistlichen, die wahrscheinlich ein Unikat geblieben ist. Dennoch der Versuch war es allemal wert.
Lehrer Lämpel
Ich fand auch gut, dass Bibel.tv den vom Dom-Radio gesendezen Fronleichnams-Gottesdienst vor dem Kölner Dom, zelebriert auf einem Flüchtlingsboot als Altar und mit einer wirklich sehr hörenswerten Predigt von Kardinal Woelki, übertrug.
Auch das eine schöne ökumenische Geste.
akinom
„Seid ihr das Salz der Erde?“ hatten ’68er am Rande der Fronleichnamsprozession – wie ich mich erinnere – in Würzburg plakatiert und skandiert und so den Teilnehmern Hochmut und Überheblichkeit unterstellt.
Mein Vater hatte von den braunen Machthabern in den 30er Jahren Berufsverbot bekommen, weil er als Schriftleiter in einer kleinen Cicero-Meldung öffentlich gemacht hatte, dass eine mutige Frau Anzeige erstattet hatte gegen SA- oder SS-Leute, die bei einer Fronleichnamsprozession randaliert und gewütet hatten…
Diese Zeitzeugnisse wollen auf die Brisanz der „wunderbaren Brotvermehrung“ des Gründonnerstag aufmerksam machen, dessen Preis immer auch das Kreuz ist, unabhängig von aller Freude bei Groß und Klein, die es zu erhalten und zu mehren gilt.
Ja: „Weniger wäre manchmal mehr!“ Aber das Motto: „Wir glauben alle ohnehin nicht mehr. Dann können wir das auch gemeinsam tun!“ ist ganz sicher viel zu wenig bei Fronleichnamsprozessionen, Katholikentagen und anderswo! Hoffnung machen dagegen Sucher und Quereinsteiger aus den anderen „Schafställen“ Jesu Christi! Schaffen wir besonders auch für sie eine Willkommenskultur ohne Vorbedingungen!