Das Jahr der Barmherzigkeit ist vorbei – Was für ein Glück!?
Endlich nicht mehr barmherzig sein müssen! Zum Glück ist das von Papst Franziskus ausgerufene Jubiläumsjahr vorbei. Das hätten wir auch durchgestanden und können jetzt weiter machen wie bisher. Barmherzigkeit ist aber auch so was von anstrengend – eigentlich unmenschlich, zu verlangen, immer und überall barmherzig zu sein. Wofür gibt es schließlich die Bibel und den Katechismus, in dem man ganz genau nachlesen kann, was geht und was nicht, was Sünde ist und was Gerechtigkeit. Und wenn die Sünde keine Konsequenzen hätte, wenn allüberall Barmherzigkeit herrschte, dann bräuchte man ja diese Schriften gar nicht. Die Dokumentation von Sünden – an denen schließlich auch Jesus im Grunde nicht gerüttelt hat – ist setzt also die Konsequenzen voraus, die sich aus den Sünden ergeben.Konsequenzen der Sünde
Das heißt nicht, dass es da keine Unterschiede gibt – natürlich gibt es schwerere und weniger schwere Sünden, und demnach auch schwerere und weniger schwere Konsequenzen. Das können, wenn es auch ungesetzlich zugeht, weltliche Strafen sein, es kann aber auch in der Abwendung von Gott bestehen, ohne dass der Staat tätig würde (was an sich schon schade ist, aber das ist ein anderes Thema). Umso wichtiger ist es da, die Konsequenzen aufzuzeigen, dem Sünder gang klar zu machen, dass er ein Sünder ist. Und sind wir mal ehrlich: Natürlich gehen wir alle zur Beichte, aber die Dinger, die sich so mancher in dieser Welt erlaubt, sind doch eine ganz andere Kategorie als meine Feld-Wald-und-Wiesen-Sünden.
Wenn man da nicht nach Strafen ruft, dann gilt das doch in Zukunft tatsächlich als zulässig. Wer nicht von Seiten der Kirche bestraft wird bei – sagen wir mal – einer Abtreibung, der muss doch glauben, dass eine Abtreibung erlaubt sei. Insofern ist auch die Zulassung dieser Sünde zu einer Absolution in einer normalen Beichte ein Schritt in die ganz falsche Richtung. Diese Welt wertet das ungeborene Leben sowieso schon gering, da müssen wir als Kirche doch nicht hinterherlaufen?! Nein, nein, nein, so geht das nicht: Wer abtreibt ist raus!
Primat der Barmherzigkeit? Pah!
Wenn es nach mir ginge, würden die harten Konsequenzen auch schon viel früher anfangen. Ehebruch zum Beispiel: Dass so einer oder eine, die sich nicht im Griff hat, einfach so zur Beichte gehen können soll, ist doch ein Skandal! Und jetzt schickt sich dieser Papst an, auch bei sogenannten wiederverheirateten Geschiedenen genau hinsehen zu wollen. Die gehen fremd, basta! Kann doch nicht sein, dass ich deren Anblick beim Anstehen für die Eucharistie ertragen muss! Die sollen doch froh sein, dass sie überhaupt noch in die Kirche gehen dürfen. Und wenn sie darunter leiden – tja, Pech gehabt, hätten sie sich eben früher überlegen müssen.
Und da reden diese Priester, der Papst und sogar so mancher Gläubiger was vom Primat der Barmherzigkeit – das Gott in allererster Linie mal barmherzig ist. Auch gerecht, aber immer auf der Suche nach dem Weg des Menschen zu ihm. Aber was ist dann mit mir, der ich mir doch so viel Mühe gebe? Stehe ich dann in der gleichen Rangfolge wie dieser Zöllner da hinten? Das ist doch ungerecht, wenn sich die Kirche so sehr um die Sünder kümmert, statt um die Gerechten! Wenn ich das schon höre, verlorene Schafe … das ist ja ganz nett in der Bibel beschrieben, aber das muss man doch wohl anders interpretieren, und Hirten und Schafe gibt es ja heute sowieso nicht mehr.
Misera? Ja eben!
Ich finde ja, wenn man das Bild schon bemühen möchte, dass ein Schaf, das sich von der Herde entfernt, schon froh sein kann, dass ihm überhaupt jemand hinterherläuft. Da muss man dann doch nicht noch so ein Gewese drum machen von wegen „mehr Freude über einen einzigen Sünder der umkehrt …“. Und die anderen Schafe werden in der Zwischenzeit sich selbst überlassen oder wie? Haben die nicht auch einen Anspruch auf einen Hirten, der sich um sie kümmert?
Vorbei ist es also endlich, dieses Jahr der Barmherzigkeit – aber der Papst hat es sich nicht nehmen lassen, noch mal nachzulegen. „Misericordia et Misera“ heißt das apostolische Schreiben zum Abschluss. Der Titel nimmt Bezug auf die Beschreibung des Heiligen Augustinus zu Jesus und der Ehebrecherin aus Johannes 8,1-11: „Die Barmherzigkeit und die Erbärmliche“. Klar kenne ich die Stelle „Auch ich verurteile dich nicht!“ Ja und, der Text geht aber noch weiter: „Geh und sündige von jetzt an nicht mehr!“ – Das ist doch der eigentliche Punkt! Mal ehrlich, ist ja eine hübsche Geschichte, aber wer weiß denn schon, ob die „Dame“ nicht direkt so weiter gemacht hat wie vorher? So einfach ist das eben mit der Barmherzigkeit nicht!
Und ich?
Und da schreibt der Papst doch tatsächlich:
Dies ist die Zeit der Barmherzigkeit. Jeder Tag unseres Weges ist von der Gegenwart Gottes geprägt, der unsere Schritte mit der Kraft der Gnade führt, die der Heilige Geist in unser Herz eingießt, um es zu bilden und fähig zu machen zu lieben. Es ist die Zeit der Barmherzigkeit für alle und jeden, damit niemand denkt, der Nähe Gottes und der Macht seiner Zärtlichkeit fern zu sein. Es ist die Zeit der Barmherzigkeit, damit alle Schwachen und Wehrlosen, Fernen und Einsamen die Anwesenheit der Brüder und Schwestern wahrnehmen können, die sie in ihren Nöten unterstützen. Es ist die Zeit der Barmherzigkeit, damit die Armen den respektvollen und doch aufmerksamen Blick jener auf sich spüren, die nach Überwindung der Gleichgültigkeit das Wesentliche des Lebens entdecken. Es ist die Zeit der Barmherzigkeit, damit jeder Sünder nicht müde wird, um Vergebung zu bitten und die Hand des Vaters zu spüren, der uns immer aufnimmt und an sich drückt.
Ja und ich? Wo komme ich darin vor?
Schon klar – so wird das wohl niemand formulieren, der sich selbst für einen Christen hält. Aber ist das tatsächlich so weit weg von meiner Realität, von meinem Blick auf Sünder und Bedürftige? Habe ich in diesem Jahr etwas über die Barmherzigkeit gelernt … oder habe ich dieses Jahr verstreichen lassen, ohne an Barmherzigkeit zuzunehmen?
Siegfried Simperl
Man könnte sagen, dass es keine Zivilisation ohne Barmherzigkeit gibt. Dennoch werden verschiedene kulturelle und religiöse Gruppierungen ernsthaft untereinander darüber streiten, was „wahre Barmherzigkeit“ bedeutet. Die Christen sind mit „Rache“ nicht einverstanden. Wir sollten einander nicht bestrafen, um unseren Stolz zu befriedigen oder als Antwort auf unsere Verletzten Gefühle. Gleichwohl wissen wir, dass Verbrechen bestraft werden sollte. Da gibt es ein Prinzip, welches wir alle akzeptieren – ohne dass wir es auszusprechen brauchen. Wir wissen, dass keine Gesellschaft in Frieden fortbestehen kann, wenn nicht in irgendeiner Form Barmherzigkeit herrscht. Der König der Barmherzigkeit ist auch unser Richter. So werden wir von der Liebe gerichtet.