Die sogenannten „Dubia“ (Zweifel) sind durchaus nachvollziehbar. Hilfreich im Verständnis der Intentionen Papst Franziskus sind sie aber nicht.
Es ist ja nicht so, als ob man erst auf „Amoris Laetita“ hätte warten müssen um festzustellen, dass dieser Papst irgendwie anders ist als sein Vorgänger. Benedikt XVI. konnte ganz offenbar aus dem Stehgreif druckreif formulieren. So manches Zitat, dass wir von Papst Franziskus gehört haben – zum Beispiel das von den „Kaninchen“ – wäre Papst Benedikt dagegen nicht mal um drei Uhr nachts unter Drogen über die Lippen gekommen. Jetzt aber ist es auch eine schriftliche Darlegung, die Gegenstand der Kritik wird: Das nachsynodale Schreiben „Amoris Laetitia“ fasst einerseits viele der in der Synode dargebrachten Positionen zusammen, ist aber umgekehrt auch ein päpstliches Schreiben, von dem viele Orientierung erwarteten.Vorprogrammierte Missverständnisse
Und wenn der Papst hier insbesondere auf irreguläre Situationen, wie die von sogenannten wiederverheirateten Geschiedenen, eingeht, mit seiner besonderen Art der Suche nach Barmherzigkeit, dann sind Missverständnisse vorprogrammiert. Wenn ich ehrlich bin, kann ich bei dieser Diskussion durchaus beide Positionen verstehen, die des Papstes genauso wie die seiner Kritiker. Aber andererseits kann ich eine Vorliebe für die des Papstes nicht verhehlen, gerade dann, wenn man sie im Licht der Kirchenlehre liest und nicht einen Bruch mit ihnen unterstellt. In der Kirchenlehre, das hat schon Papst Benedikt immer wieder in Bezug auf das 2. Vatikanische Konzil herausgestellt, sind Veränderungen immer nur in Kontinuität zu verstehen, niemals als Bruch oder als Sprung.
Das führt zu der beinahe paradoxen Situation, die Dubia der Kardinäle Meisner, Brandmüller, Burke, Caffarra durchaus nachvollziehen zu können, und ihnen trotzdem zu attestieren, das Thema von „Amoris Laetitia“ genauso wie die Intention des Papstes verfehlt zu haben. Die Kardinäle sind auf der Suche nach einer eindeutigen Regelung, die man auch den Seelsorgern in den Gemeinden mit auf den Weg geben kann. Sie suchen nach Ankerpunkten, anhand derer man Entscheidungen darüber treffen kann, ob einem Menschen regulär das Sakrament der Beichte und damit anschließend der Eucharistie gespendet werden kann. Das ist beileibe kein kleines Thema, möchte man doch nicht nur die Eucharistie vor Missbrauch bewahren sondern – das wird oft vergessen – auch die Gläubigen davor, die Eucharistie zu empfangen, wenn sie nicht in der entsprechenden Verfassung sind.
Berechtigte Zweifel ohne Antwort
Liest man also die Dubia, dann gibt es daran – mal abgesehen von dem Geschmäck’le, warum es unbedingt an die Öffentlichkeit musste – nichts zu meckern. Die „Zweifel“ sind berechtigt, Aufklärung wäre nötig, gerade weil die Welt da draußen sich eine eigene Interpretation zurecht legt, an der sich zukünftig Priester aus weltlicher Sicht werden messen lassen müssen: Wer will da schon „päpstlicher sein als der Papst“?
Und doch gehen die Dubia am eigentlichen Thema vorbei: dem der Barmherzigkeit Gottes. Meine feste Überzeugung ist, dass Gott mit so einer Art „Primat der Barmherzigkeit“ auf die Menschen zugeht. Wer zur Beichte geht weiß das sehr gut: Es gibt nichts, was ich im Beichtstuhl erzählen könnte, was Gott nicht schon weiß, und alles was er von mir möchte ist, dass ich es ausspreche, bereue und mir vornehme, es nicht wieder zu tun. Und wir dürfen darüber hinaus sicher sein, dass unser liebender Gott auch sonst überall nach Wegen sucht, uns seine Barmherzigkeit zeigen zu können. Dahinter bleiben wir als Menschen – auch wenn der Anspruch der gleiche ist – immer zurück. Und doch ist es Orientierungsmaßstab. Und in diesem Sinne wird eine Antwort auf die Dubia – die ja bewusst so formuliert sind, dass sie mit einem Ja oder Nein beantwortet werden können und müssen – immer zu kurz springen. Was bedeutet zum Beispiel ein „Ja“ auf die Frage:
Ist es nach „Amoris laetitia“ Nr. 301 noch möglich, zu sagen, dass eine Person, die habituell im Widerspruch zu einem Gebot des Gesetzes Gottes lebt – wie beispielsweise dem, das den Ehebruch verbietet (vgl. Mt 19,3–9) –, sich in einer objektiven Situation der habituellen schweren Sünde befindet (vgl. Päpstlicher Rat für die Gesetzestexte, Erklärung vom 24. Juni 2000)?
Gibt es kein „Ja, aber …“?
Werden mit diesem „Ja“ Türen für Menschen geschlossen? Gibt es eine Möglichkeit, dass Gott selbst diese Frage mit einem „Ja, aber …“ beantwortet? Dann, und davon bin ich überzeugt, verbietet sich auch für den Papst ein allzu eindeutiges „Ja“, selbst wenn dies in der Welt Raum für Interpretationen lässt. Gleiches gilt nebenbei für das „Nein“ als Antwort: Wird man damit beliebig? Oder kann es sein, dass Gott selbst die Frage mit „Nein, aber …“ beantwortet. In „Amoris Laetitia“ übt sich der Papst in einem Spagat, der aus menschlicher Perspektive nicht zu lösen ist, geschweige denn, dass er allen Interessengruppen damit gerecht werden könnte.
In Amoris Laetitia wird an vielen Stellen deutlich, dass es nicht um einfache Wege gehen wird, in bestimmten Situationen einem Gläubigen guten Gewissens die Eucharistie zu spenden, wohl wissend, dass seine Situation alles andere als eindeutig ist. Wenn also „da draußen“ propagiert wird – von zwei widerstrebenden Interessengruppen – der Papst habe die Tür hier sperrangelweit aufgemacht, dann ist das schlicht nicht wahr und liegt in einer Art „Hermeneutik des Bruchs“ begründet, die davon ausgeht, dass der Papst hier etwas revolutionär Neues verordnet hätte. Das hat er nicht, das kann er auch nicht, und das weiß er natürlich auch. Wenn nun also der Präfekt der Glaubenskongregation, Kardinal Müller wie berichtet wird, klarstellt, dass das Apostolische Schreiben Amoris laetitia nicht auf eine Weise interpretiert werden dürfe, die im Widerspruch zur vorhergehenden Lehre der Päpste und der Glaubenskongregation steht, dann ist das einerseits nicht mehr als eine Selbstverständlichkeit, nimmt aber sowohl den Kritikern des Papstes als auch denen, die sein Schreiben für sich vereinnahmen wollen, den Wind aus den Segeln. Aus beiden Richtungen wird „auf Teufel komm raus“ etwas in Amoris Laetitia hineininterpretiert, was dort nicht steht und man dort auch nicht berechtigt hineininterpretieren kann.
Die Lehre ist der Maßstab der Interpretation
Mag also schon sein, dass die Formulierungen des Papstes es an Eindeutigkeit vermissen lassen in dem Bestreben, ein größtmögliches Maß an Barmherzigkeit zu vermitteln. Mag durchaus auch sein, und das wiegt durchaus schwer, dass der Papst durch diese seine Art der Rolle eines Papstes als Orientierungspunkt nicht gerecht wird. Wer aber daran zweifelt, dass der Papst noch auf dem Boden der katholischen Lehre steht oder meint, in seinen Worten einen Umbruch in der katholischen Lehre sehen zu dürfen, der sollte sich zuallererst fragen, auf welchem theologischen Boden seine eigene Interpretation steht. Widerspricht diese der Lehre der Kirche, dann liegt der Interpretierende falsch, nicht der Papst.