Eine meiner Lieblingsstellen im Neuen Testament hinterlässt mich regelmäßig nachdenklich. Das ist auch gut so.

„Ihr aber, für wen haltet ihr mich“ fragt Jesus im gestrigen Sonntagsevangelium (Lukas 9, 18-24) seine Jünger, nachdem er sie vorher befragt hatte, was die Menschen ansonsten von ihm halten. Das ist zunächst mal ein wunderbares theologisches Stilmittel, denn in der Reihenfolge der Fragestellung verhindert er ein Ausweichen. Hätte er direkt gefragt, für wen ihn die Jünger halten, sie hätten vielleicht auf die gleiche Art geantwortet, wie auf die Frage nach der Meinung der anderen. Wäre durchaus bequemer.
Für wen halten ihn die Anderen?
Nicht auszuschließen daher, dass es Jesus in der Situation eigentlich gar nicht interessiert, was die Menschen von ihm halten, über ihn sagen – weiß er das doch sowieso schon. Es ist aber der Start einer Überlegung, die dem einen oder anderen Jünger in der Situation direkt durch den Kopf gegangen sein mag: „Hoffentlich fragt er mich nicht gleich nach meiner eigenen Meinung!?“ Aber genau darum geht es Jesus. Und wenn man auch einwenden könnte, dass Jesus doch schon weiß, für wen seine Jünger ihn halten, so wichtig ist es doch für ihn, dass sie sich selbst darüber klar werden – und an diesem Bild die notwendigen Korrekturen vornehmen.
Und, für wen hält die Welt heute Jesus? Für einen Reformer? Für einen Revoluzzer? Für eine religiöse Kunstfigur mit unklarer Historizität? Welche Bedeutung hat Jesus für die Politik und die Politiker, insbesondere solche, die sich christlich nennen? Wer ist Jesus für meinen Gemeindepriester, wer ist Jesus für einen Bischof? Wer ist Jesus für den Papst? Wer ist oder war Jesus für Heilige wie Mutter Theresa oder Johannes Paul II.?
Wer ist Jesus für uns?
Das sind sicher alles interessante Fragen, weil sie einen Einblick in die Gesellschaft gewähren, in der wir uns bewegen, weil sie vielleicht auch Ansatzpunkte liefern für die Beantwortung der Frage nach meiner Einstellung diesen Personen gegenüber. Aber je länger ich danach frage, wer Jesus für diese Menschen ist, umso länger umgehe ich die Frage, wer Jesus eigentlich für mich ist.
Und diese Frage hat es in sich. Denn abhängig von diesem Bild, das ich mir durch die Bibel, die Kirche, mein eigenes Erleben und meine Erfahrungen mit ihm mache, werde ich mein Leben darauf ausrichten müssen. Ist Jesus Gott? Dann ist sein Leben nicht nur ein Beispiel sondern auch Anspruch. Ist Jesus für die Sünden der Welt gestorben? Dann sollte es mir ein Anliegen sein, diese Sünden soweit zu minimieren, wie es mir im persönlichen Bereich möglich ist. Ist Jesus der Herr des Lebens? Dann sollte das Auswirkungen auf unser aller Verhältnis zu ihm haben.
Wer ist Jesus für mich persönlich?
Aber der aufmerksame Leser wird bemerkt haben, dass ich mit den obigen Formulierungen wieder nur um den heißen Brei drum herum rede: Es geht nämlich nicht darum, ob Jesus die Welt gerettet hat, ob Jesus für die Sünden der Menschen gestorben ist, sondern darum, ob ich glaube, dass Jesus mich ganz persönlich gerettet hat, mich ganz persönlich gemeint hat, als er das tat. Ob Jesus für meine ganz persönlichen Sünden gestorben ist und der Herr meines eigenen Lebens ist.
Erst das macht meinen Glauben zu einer persönlichen Beziehung, erst das befreit mich vom „Gesetz“ und gibt mir die Möglichkeit, mich seiner Gnade zu unterwerfen.
Für Jesus sterben und leben?
Die Beziehung zu Jesus muss eine persönliche sein, sonst ist sie es nicht wert, dafür zu sterben, wie es die vielen Märtyrer getan haben und noch heute tun, sonst ist sie es nicht mal wert, dafür Nachteile in Kauf zu nehmen, wie es viele heute tun. Aber Jesus hat mich erlöst! Und um das noch mal genauer zu sagen: Er hat das am Kreuz schon getan! Was ich nur begreifen muss, ist, dieses Geschenk anzunehmen. Fällt das schwer? Ja sicher, viel lieber würde ich mich selbst retten: Mein Stolz und meine Eitelkeit stehen mir im Weg, wenn mir Jesu Geschenk am Kreuz angeboten wird.
Und doch weiß ich, dass ich seine Gnade, seine Liebe brauche, um wahrhaft frei zu werden von den Verführungen der Welt. Jesus will mein Zutun, davon bin ich überzeugt, aber er will mich auch beschenken. Und ich Trotzkopf meine immer noch, alles alleine lösen zu müssen?!
Ein paar Antworten auf meine persönliche Jesus-Frage
Wer ist Jesus für mich? Ich könnte nun antworten wie Petrus im Evangelium: „Der Messias Gottes!“ und die Antwort wäre sicher richtig. Aber so persönlich wie diese Formulierung für Petrus gewesen ist, als ein Wegbegleiter Jesu, so unpersönlich und so abgedroschen fromm ist sie für mich. Also, was würde ich Jesus heute antworten auf die Frage „Wer bin ich für Dich?“
„Du bist mein Erlöser!“
Meine gefallene Natur bringt mich immer wieder dazu, mich von Gott zu entfernen. Der Widersacher hat leichtes Spiel mit mir, wenn ich mich alleine auf meine menschlichen Fähigkeiten und meinen „guten“ Willen, ein „anständiger“ Mensch zu sein, verlassen müsste. Aber ich weiß, dass der Krieg schon gewonnen ist; ich weiß, dass Jesus immer an meiner Seite ist. Ich weiß, dass er mich nicht weniger liebt, wenn ich mich von ihm wegbewege, weil seine Liebe nicht davon abhängt, wie ich bin, sondern davon, wie er ist.
„Du bist mein Vorbild und Anführer!“
Wie wäre es, wenn ich so lieben könnte, wie Jesus? Wenn auch meine Liebe zu meinen Nächsten nicht davon abhinge, wie die sich mir gegenüber verhalten, sondern davon, wie ich bin. Schwer? Sicher! Sauschwer? Ganz sicher! Unmöglich? Nicht mit Gott, mit ihm ist nichts unmöglich. Und wenn ich es wieder mal nicht schaffe, wenn ich wieder mal meinen Nächsten lieber be- und verurteile, wenn ich ihm nicht zu vergeben bereit bin, wenn ich ihn ausnutze statt ihn zu unterstützen, dann weist mir Jesus den Weg.
Und in dieser Hinsicht ist Jesus auch derjenige, der mich im Kampf gegen das Böse und den Bösen, der mich bedrängt, anführt. Ich weiß ihn an meiner Seite und gleichzeitig rüstet er mich mit allem aus, aller Gnade und aller Vollmacht, die ich brauche, um seinen Sieg fortzusetzen. Er weiß um die Kämpfe, die ich auszufechten habe, und er traut mir zu, dass ich im Kampf bestehe. Dabei lässt er mich nie aus den Augen und ich tue gut daran, ihn als meinen Feldherrn nie aus den Augen zu lassen.
„Du bist mein Freund!“
Und ich spreche hier von einem wirklichen, echten Freund. Er hat sich für mich kreuzigen lassen, als ich ihn noch gar nicht kannte. Er lässt sich für mich kreuzigen, wo ich ihn doch immer noch verlasse. Ich mache mir besser nichts vor: Ich bin kein besserer Mensch als Petrus; vermutlich wäre ich auch weggerannt. Aber selbst dann, als seine Freunde ihn verließen, blieb er ihr Freund – und bleibt er auch meiner.
„Du bist mein Befreier!“
Ist das was anderes als „Erlöser“? Für mich schon, denn oben habe ich von meiner gefallenen Natur gesprochen, die mich zur Sünde führt. Was ich hier meine ist eine Abhängigkeit von weltlichen Zusammenhängen, die sich auch der Widersacher zunutze macht. Okay, man kann das auch als Sünde sehen, aber hier wird es konkreter.
Ich hatte zum Beispiel vor einigen Wochen mit beinahe irrationalen Ängsten vor einem beruflichen Versagen zu kämpfen. Wohin immer einen eine solche Angst führt: Im Normalfall nicht zu Jesus, es sei denn, ich lasse ihn mir helfen, mich davon zu befreien. Ein Gebet der Zurückweisung dieser Ängste und ein Gebet um den heiligen Geist des Vertrauens und des Starkmuts … und ich bin frei!
„Du bist mein König und Richter!“
Natürlich ist Jesus aber auch mein Herr. Er nennt mich nicht mehr Sklave sondern Freund. Das heißt aber nicht, dass ich meine Beziehung zu ihm allzu sehr verweltlichen möchte. Ich darf ihn kritisieren, ich darf mich bei Gott beklagen, ich darf ihn vor allem bei vielen Gelegenheiten nach dem Warum fragen. Aber doch ist er mein guter König, dem ich am Ende auch vertrauen muss, gerade dann, wenn ich nicht weiß, warum manche Dinge geschehen.
Einem weltlichen Freund würde ich in manchen Situationen Vorwürfe machen und vielleicht wäre es mir irgendwann zu viel mit ihm. Jesus muss ich, kann ich aber auch vertrauen, dass sein Plan für mich besser ist als mein eigener. Einem weltlichen Freund würde ich auch kein uneingeschränktes Urteil über mich zulassen. Jesus allerdings wird und darf über mein Leben zu Gericht sitzen. Ich vertraue ihm, dass seine Gnade immer größer sein wird als meine Sünde. Es ist aber nicht so, als ob ich die Ankündigungen des Gerichts deshalb auf die leichte Schulter nehmen kann. In gewisser Weise werde ich irgendwann sein Urteil brauchen, um mich selbst richtig zu erkennen, wirklich zu bereuen und um mich Gott dann ganz nähern zu können.
„… und noch vie mehr!“
Das sind die „Rollen“ die Jesus gerade jetzt in meinem Leben hat. Wenn Jesus mich heute fragen würde „Und für Dich, wer bin ich für Dich?“ dann wären das meine Antworten. Vielleicht sehen die morgen anders aus, wenn sich mein Leben wandeln sollte. Vielleicht ist Jesu Rolle für einen Menschen in hohem Alter eine andere, so wie sie ganz sicher für Kinder eine andere ist. Wobei: Das was er mal für einen Menschen mit einer echten Gottesbeziehung war, wird vermutlich nie ganz aufhören.
Und für Sie ist Jesus vermutlich auch etwas anderes als für mich, wenn ich auch hoffe, dass Sie mit den Rollenbildern oben etwas anfangen können. Denn all das, was ich oben geschrieben habe, führt mich zu einem Schluss: Jesu Liebe zu mir ganz persönlich zeigt sich in diesen Rollen. Und ich hoffe, auch meine Liebe zu ihm kommt darin zum Ausdruck.