Bei Katastrophen, absehbaren nebenbei, wie dem Schiffsunglück der Flüchtlinge vor der libyschen Küste, kann der Zynismus in einem wachsen. Hüten wir uns davor!
Leser-Bashing ist eigentlich nicht meine Art, sollte es auch in anderen Medien nicht sein. Dennoch war ich zwar nicht überrascht über kritische Anmerkungen zu meinem Beitrag „Flüchtlinge: Was hab ich damit zu tun?„, wohl aber über die Wortwahl die teilweise – an mich direkt gesandt oder in der Wiedergabe meines Beitrags bei freiewelt.net – an den Tag gelegt wurde. Dort wurde bislang der Fortsetzungsbeitrag „Christliche Flüchtlinge über Bord geworfen: Barmherzigkeit am Limit!“ nicht veröffentlicht, so erklärt sich möglicherweise die eine oder andere verengte Sicht, dennoch stellt sich die Frage, warum man zu solch pauschalen Aussagen kommt wie diesen hier:
Es ist atemberaubend, mit welcher Chuzpe uns sog. “Christen” die Selbstauslöschung predigen – spätestens mit dem heutigen Tage bin ich glühender Atheist. Ein “Glaube”, der eine ganze Kultur und ihre Zivilisation den Barbaren zum Fraße vorwirft, ist nichts weiter als ein brandgefährlicher, antihumanitärer, satanischer Kult.
Auf das noch mehr Moslems Christen ins Meer schmeissen? Nein mein lieber Honekamp, meine Barmherzigkeit endet hier und heute.
Jesus: “Wir brauchen mehr Römer! Mehr Jebusiter, Amalekiter, Armutsritter … Mehr Hellenismus, Baalskulte …”.
Hat ER das so gesagt?Wieviele der jungen, kräftig gebauten Smartphonebesitzer beherbergen und verköstigen denn Sie bei sich zuhause? Und unterstützen Sie auch deren Clans in Afrika ausreichend, denen nun die Arbeitskräfte abhanden gekommen sind? […] Nein, in der Tat sind Sie kein Sozialromantiker. Sie sind Sozialist.
Zum Glück gab es auch differenziertere Kritik, wie die, dass die „christliche Nächstenliebe“ doch zunächst eine individuelle und keine kollektive Anforderung ist (eine Sichtweise, die ich hier auf dem Blog bereits vehement verteidigt habe – soviel zum Thema Sozialist, sowas trifft mich persönlich) und die daher in Frage stellt, ob Gemeinwesen wie Nationen bzw. Regierungen Verantwortung übernehmen und sie damit ihren Mitbürgern aufbürden dürfen.
Aber wenn wir schon beim schwarz/weiß-Malen sind, dann auch richtig: Ich habe ja nicht dazu aufgefordert, jeden aufzunehmen, der den Weg übers Mittelmeer überlebt hat (zu den Opferzahlen hat Josef Bordat eine Zusammenstellung unter dem Titel „Das Mittelmeer ist ein Massengrab“ geschrieben, die betroffen macht), sehr wohl glaube ich aber, dass wir als Christen (kollektiv wie als Einzelne) Verantwortung tragen, auch für Menschen, die lediglich wirtschaftlich in Not geraten sind. Auch wenn sie nicht der eigentlich Konvention von „Flüchtlingen“ entsprechen, so fliehen sie doch vor einem Leben in Elend. Können wir die alle hier bei uns aufnehmen? Wohl kaum! Müssen wir auch nicht „wollen“, aber die Annahme, wir hätten nichts damit zu tun, die Flüchtlinge gingen uns nichts an, und die knapp Tausend Toten vom vergangenen Wochenende trügen damit letztlich allein die Verantwortung für die Konsequenzen ihrer freien Entscheidung, das Boot zu betreten – die Sichtweise ist so zynisch, dass ich mich vom Liberalismus sofort lossage, wenn sie zum Axiom dieser Weltanschauung gehören sollte (tut sie aber nicht).
Nein, „wir“ (eigenartigerweise wird diese Kollektivierung auch von denen angewandt, die sie im Sinne einer Verantwortung ablehnen) sind nicht verpflichtet, „die“ bei uns aufzunehmen. Aber wir als Christen tragen Verantwortung für unseren Bruder – und das sind nebenbei nicht nur die Schwestern und Brüder im Glauben: „Hungrige speisen, Durstigen zu trinken geben, Nackte bekleiden, Fremde aufnehmen, Kranke pflegen, Gefangene besuchen und die Toten begraben“ das sind die zitierten leiblichen Werke der Barmherzigkeit. Dass muss man nicht auf das „Fremde aufnehmen“ beschränken: Wer Fremde hier in Deutschland – abgesehen von politischen Flüchtlingen – nicht aufnehmen will, und es gibt gute Gründe dafür, der hat noch ausreichend andere Mittel zu helfen. Über diese Mittel kann man durchaus streiten, so zum Beispiel darum, ob klassische Entwicklungshilfe eigentlich wirklich hilft oder nur Symptome lindert, die Menschen aber nicht aus ihrer Not befreit, sie im Gegenteil in ihrer Abhängigkeit bestärkt und ein Anspruchsdenken weckt, das in der Tat nur noch als sozialistisch bezeichnet werden kann.
Wogegen ich mich aber wehre ist die Beantwortung der von mir gestellten Frage mit „Nichts, ich habe nichts damit zu tun!“ Und wogegen ich mich – eingedenk meiner Antwort, dass es mich etwas angeht, wenn zwischenzeitlich Tausende Leichen das Mittelmeer füllen – ebenfalls wende ist, auch nur die Möglichkeit einer einfachen Antwort in Betracht zu ziehen: Sollte „der Staat“ seine Bürger über Steuergelder zwingen, wohltätig zu sein, Flüchtlingen zu helfen, sie bei uns aufzunehmen? Nein! Sollten wir (als Nation, Bürger oder auch nur Christen) ohne Ansehen von Religion, politischer Einstellung oder begangener Straftaten alle Flüchtlinge bei uns aufnehmen, die Hilfe von uns erwarten? Nein! Sollten wir, wie es mir ein Kritiker vorwirft, unsere Kultur über Bord werfen, um Flüchtlinge und Migranten bei uns ausreichend willkommen zu heißen? Wieder Nein!
Aber am Wochenende sind vermutlich knapp Tausend politische und Armutsflüchtlinge im Mittelmeer ertrunken. Man kann Ursachenanalyse bis ins Mittelalter hinein betreiben, man kann dem Islamismus oder dem amerikanischen „Imperialismus“ die Schuld geben, man kann darauf hinweisen, dass die dortigen Regierungen und Rebellen für das Elend verantwortlich sind. Wen diese Nachrichten aber kalt lassen, wer dazu sagt, es ginge uns (egal ob Christ oder nicht) nichts an, wer diese Nachricht mit Achselzucken oder dem Hinweis auf möglicherweise Kriminelle oder Islamisten, die sich auf den Schiffen befinden könnten, abtut, den träfe ein „Leser-Bashing“ zu Recht. Aber ich hoffe inständig, dass die Leser dieses Blogs in der Mehrzahl verstehen, dass wenn wir über Barmherzigkeit sprechen, wir auch die Not der Menschen ein weiter Ferne nicht einfach ausklammern können.
Josef Bordat
Menschen, die von sich behaupten, katholische Christen zu sein, schrieben mir auf den zitierten Text zu den Opferzahlen,
– ich sei ein „Gutmensch“ mit „falschem Mitleid“
– „jedem [Flüchtling, J.B.] sein eigenes Schicksal“ (also: Pech!)
– Flüchtlinge seien „Gesindel“
– es sei doch gar nicht so schlecht, wenn Flüchtlingsboote untergehen, schließlich hätten „wir“ bei „uns“ keinen „Mangel an schwarzafrikanischen Nichtschwimmern“
– man müsse ohnehin etwas gegen die „Zuwanderung von barbarischen Völkern in den abendländisch-christlichen Raum“ tun
Im Facebook kann man diese Menschen sperren. Im Leben?
LG, Josef Bordat
Cinderella01
Nun, mit der Hilfe sollten wir es vielleicht so machen, wie die afrikanischen Bischöfe das von uns erwarten:
„Dann und wann aber sagt ein afrikanischer Bischof zu mir: „Wenn ich in Deutschland soziale Projekte vorlege, finde ich sofort offene Türen. Aber wenn ich mit einem Evangelisierungsprojekt komme, stoße ich eher auf Zurückhaltung.“ Offenbar herrscht da bei manchen die Meinung, die sozialen Projekte müsse man mit höchster Dringlichkeit voranbringen; die Dinge mit Gott oder gar mit dem katholischen Glauben seien doch eher partikulär und nicht so vordringlich. Und doch ist es gerade die Erfahrung dieser Bischöfe, daß die Evangelisierung vorausgehen muß; daß der Gott Jesu Christi bekannt, geglaubt, geliebt werden, die Herzen umkehren muß, damit auch die sozialen Dinge vorangehen; damit Versöhnung werde; damit zum Beispiel Aids wirklich von den tiefen Ursachen her bekämpft und die Kranken mit der nötigen Zuwendung und Liebe gepflegt werden können. Das Soziale und das Evangelium sind einfach nicht zu trennen. Wo wir den Menschen nur Kenntnisse bringen, Fertigkeiten, technisches Können und Gerät, bringen wir zu wenig. Dann treten die Techniken der Gewalt ganz schnell in den Vordergrund und die Fähigkeit zum Zerstören, zum Töten wird zur obersten Fähigkeit, zur Fähigkeit, um Macht zu erlangen, die dann irgendwann einmal das Recht bringen soll und es doch nicht bringen kann: Man geht so nur immer weiter fort von der Versöhnung, vom gemeinsamen Einsatz für die Gerechtigkeit und die Liebe. Die Maßstäbe, nach denen Technik in den Dienst des Rechts und der Liebe tritt, gehen dann verloren, aber auf diese Maßstäbe kommt alles an: Maßstäbe, die nicht nur Theorien sind, sondern das Herz erleuchten und so den Verstand und das Tun auf den rechten Weg bringen.“
Das ist ein Auszug aus der Predigt von Benedikt am 9. September 2006 in München: http://w2.vatican.va/content/benedict-xvi/de/homilies/2006/documents/hf_ben-xvi_hom_20060910_neue-messe-munich.html
Und daran sieht man, warum wir das Problem nicht gebacken kriegen.
Pirkl
Stimmt. Hat er gesagt in München und ich war 2006 persönlich dabei. Seither beobachte ich, wie oft in Deutschland der Vorrang der geistlichen Bekehrung vor äußeren Änderungen gesehen wird. Ergebnis: fast nie. Das einzige Mal, an das ich mich spontan erinnere, ist Kardinal Marx zum 500. Geburtstag von Teresa von Avila, s. meinen Kommentar zum 1. April. Daher vielen Dank an Cinderella, dass sie an diese Rede erinnert, die für alle gilt, Afrikaner, Araber und Europäer, vor allem aber für uns Deutsche.
Cinderella01
Ich war auch dabei. Und diese Predigt war wirklich großartig und die ganze Messe wunderschön und sehr beeindruckend. Einer der größten Tage in meinem Leben.
Claudia Sperlich
Kommentatoren wie der oben zitierte denken nicht einmal in ihrer eigenen Ideenwelt konsequent.
„Auf das noch mehr Moslems Christen ins Meer schmeissen? Nein mein lieber Honekamp, meine Barmherzigkeit endet hier und heute.“
Das heißt im Klartext: „Ich lehne die Aufnahme von Flüchtlingen ausnahmslos ab, auch die Christen unter ihnen – zu denen ich mich zähle – weil diese möglicherweise die Flucht nicht überleben. Die Moslems überleben die Flucht zwar auch oft nicht, aber das finde ich nicht schlimm. Die Christen, die überleben, will ich aber auch nicht haben, denn die Moslems, denen sie NICHT zum Opfer gefallen sind, sitzen in dem gleichen überfüllten Boot.“
Da hat die Barmherzigkeit wohl schon sehr lange vorher geendet. Die Logik auch.
Papsttreuer
Danke liebe Claudia für den Kommentar,
je länger ich darüber nachdenke umso mehr stelle ich fest, dass die teilweise harschen Reaktionen etwas Irrationales haben. Sollte sich da eine Entwicklung manifestieren, müsste man tatsächlich überlegen, woher das kommt. Auslöser mag durchaus sein, dass „von links“ die Probleme bislang eher verschwiegen wurden, und jeder, der auf Herausforderungen hingewiesen hat, direkt in die rechte Ecke gestellt wurde – und es sich dort womöglich bequem gemacht hat? Ist aber nur ein Gedanke von vielen.
Gottes Segen!