Passen Demokratie und Freiheit eigentlich zusammen? Oder: Warum Liberale die Demokratie skeptisch sehen müssen!
Putin ist ein lupenreiner Demokrat! Zu dieser Aussage verstieg sich unser früherer Bundeskanzler Gerhard Schröder und erntete dafür viel Spott. Man kann Putin viel nachsagen, aber als lupenreinen Demokraten sieht er sich, wenn er morgens vor dem Spiegel steht, vermutlich selbst nicht. Er gehört wohl auch zu denen, die sich sagen: Es ist einfach geil, König zu sein!
Damals kam also kurz die Diskussion hoch, ob oder inwieweit Putin ein Demokrat, Russland ein demokratisches Land sei. Die Frage, die dabei nicht geklärt wurde, weil sie im Westen zwischenzeitlich sakrosankt ist: Warum sollte er ein Demokrat sein? Ist ein guter Staatschef notwendigerweise demokratisch gewählt? Ist die Demokratie DAS Staatssystem der Freiheit? Besondere Brisanz bekommt diese Frage heute ganz allgemein, wenn die Kritik an der Demokratie als „rechts“ eingeschätzt wird (wie das meiste, was nicht dem medialen Mainstream entspricht), und sich nicht wenige Liberale oder Libertäre „demokratiekritisch“ äußern.
Wer das tut, muss damit rechnen, dass einen die ganze Härte der Medienmaschinerie trifft. So sieht sich gerade jetzt der Publizist und Verleger André F. Lichtschlag Vorwürfen aufgrund eines Interviews beim Magazin „sezession“ ausgesetzt. Lichtschlag ist Herausgeber des von mir geschätzten Magazins „eigentümlich frei“ (ef), für das ich auch selbst Texte verfasse. Die „sezession“ gilt als Organ der „Neuen Rechten“ (darüber möchte ich in diesem Zusammenhang nicht diskutieren), und in diese Ecke versucht man nun auch Lichtschlag zu stecken. Und – das muss man ihm lassen – er liefert Vorwand genug. Abgesehen davon, dass er überhaupt mit der sezession spricht, tat der den für seine Kritiker entlarvenden Satz: „Das Establishment und seine Hilfstruppen grenzen sich ab von denen, die grundsätzliche Systemänderungen wollen und die Mächtigen also in ihrer Position ernsthaft herausfordern.“ In dem Gespräch ging es um die auch schon von mir thematisierten Vorgänge bei der Hayek-Gesellschaft aber auch um den Rückzug von Stefan Lucke aus der von ihm geründeten AfD – auf ihn konkret bezog sich der Satz.
„Grundsätzliche Systemänderungen“ klingt natürlich erst mal gefährlich nach Umsturz und gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung gerichtet. Wenn man dann im eigenen Blatt noch Autoren hat, die linken Kritikern ebenfalls als „rechts“ gelten, steht man schnell als Antidemokrat da. Und gegen die Demokratie zu sein ist Autobahn! Dabei liegen doch die Nachteile der Demokratie auf der Hand. Konkret kann man das an einem Zitat festmachen, dass Benjamin Franklin zugeorndet wird: „Demokratie ist, wenn zwei Wölfe und ein Schaf über die nächste Mahlzeit abstimmen.“ Irgendwo – ich meine auch bei der ef, finde es aber gerade nicht – habe ich die Ergänzung gelesen „Freiheit dagegen ist, wenn das Schaf mit einem Gewehr Einspruch erheben kann.“ Selbst der Begriff der Demokratie lässt Zweifel an der Freiheitlichkeit aufkommen: Es handelt sich um einen aus den griechischen Wörten „dēmos“ und „kratía“ zusammengesetzten Begriff: „Staatsvolk“ und „Herrschaft“ – kurz: die „Herrschaft des Staatsvolkes“.
Zugegeben, mit der Idee der Freiheit korrespondiert die Demokratie unter den bekannteren Staatsformen vermutlich noch am ehesten. „Herrschaft“ bedeutet aber auch immer „Herrschaft über“ und da scheiden sich dann die Geister, vor allem an der Frage, was denn alles demokratisch entschieden werden kann. Gehen wir gleich in die Vollen: Ich habe keinen Zweifel, dass wenn man heute demokratisch entscheiden ließe, ob Abtreibungen bis mindestens zum dritten Schwangerschaftsmonat erlaubt sein sollen, man hierfür ein Placet bekäme. Hier macht sich ein Legalismus breit, der alles erlaubt, was gesellschaftlich eine Mehrheit hinter sich sammeln kann. Alle anderen müssten diese demokratische Entscheidung nicht nur tolerieren sondern auch akzeptieren – eine Umkehr dessen, was man unter Moral verstehen kann. Neben der hier angerissenen Frage des Naturrechts gibt es aber auch vermeintlich weniger kritische demokratische Entscheidungen, vor allem in einer repräsentativen Demokratie.
Sollte morgen gesetzlich, von einer demokratisch gewählten Regierung entschieden werden, dass das Rauchen verboten wird, dass die Steuerun deutlich angehoben werden, dass in Deutschland keine SUVs mehr verkauft werden dürfen, Ihr Haus mit einer Solaranlage auszustatten ist … was würden Sie tun? Streng genommen sind das nichts anderes als die alltäglichen Entscheidungen, die eine Regierung zu treffen hat, selbst wenn sie nicht so direkte Auswirkungen auf die Bürger haben. Jede Entscheidung hat aber Einfluss auf Sie und schränkt Sie – ganz automatisch – in ihrer Freiheit ein. Damit die Regierung nicht bei der nächsten Wahl vom Hof gejagt wird, tut sie das im Wesentlichen nur in Themen, in denen sie die Mehrheit der Wähler hinter sich vermutet, aber irgendjemanden werden die Entscheidungen immer – mal mehr mal weniger direkt – betreffen. Auch Sie und mich, und sei es nur, dass die Entscheidung Geld kostet, das aus Steuern finanziert wird, von denen wir nicht bestimmen können, wofür sie eingesetzt werden, geschweige denn, ob wir sie überhaupt zahlen wollen.
Wenn es nun eine Regierung schafft, bestimmte Entscheidungen als „alternativlos“ darzustellen, ist spätestens Gefahr im Anzug: Politik ist – so ein Bonmot – die Kunst des Machbaren, und die Frage, ob etwas alternativlos ist, hängt doch davon ab, ob wirklich niemand eine Alternative sähe. Bei Atomausstieg, Erneuerbare-Energien-Gesetz, Griechenland-Hilfen oder auch Banalitäten wie Mülltrennung und örtlichen Festlegungen von Dachneigungswinkeln bei Neubauten, glaubt an diese Alternativlosigkeit wohl niemand. Mag sein, dass es eine Mehrheit für eine Entscheidung all dieser Themen gibt, aber in jedem Fall muss eine Minderheit sie mittragen und ist damit in ihrer Freiheit eingeschränkt.
Ja, so ist das in einer Demokratie, kann man sagen. Aber ja, deshalb kann sie auch unmöglich der Weisheit letzter Schluss sein. Und ja, gerade deshalb ist es notwendig, „grundsätzliche Systemänderungen“ zumindest zu erwägen, und damit „die Mächtigen in ihrer Position ernsthaft herausfordern.“ Macht bedeutet, wie die Demokratie auf der sie in unseren Breiten hoffentlich basiert, eine Einschränkung der Freiheit der Menschen. Die Einschätzung, wo eine solche Einschränkung notwendig sein kann, ist sicher von Person zu Person unterschiedlich. Dass jemand wie André Lichtschlag den Staat insofen „von null aus“ denkt, also jede staatliche Einschränkung der Freiheit, von der Steuer bis zur Straßenverkehrsordnung, erst mal in Frage stellt, und damit gleichzeitig die Systemfrage stellt, ist für mich absolut nachvollziehbar. Für einen Libertären haben Einschränkungen der Freiheit und des Eigentums auf einem gegenseitigen Vertragsverhältnis zu beruhen; er sieht mitnichten wie manche Konservative und viele Rechte den „starken Staat“ als Alternative. Wer eine solche Position als „rechts“ diffamiert, der hat weder den Gedanken der Freiheit verstanden noch ist der in der Lage, vernünftig mit einer Demokratie umzugehen, und deren Mängel notfalls in Kauf zu nehmen, sie aber niemals zu übersehen.
Ich selbst liege mit einigen politischen Einschätzungen André Lichtschlags über Kreuz, noch mehr mit denen einiger der Autoren der ef. Pro-russische Positionen beispielsweise erschließen sich mir – gerade jetzt – nicht. Was in den Kommentaren der ef teilweise auch undifferenziert artikuliert wird, ist auch nicht immer nach meinem Geschmack, ab und an bekomme ich da auch mal „den Wind von schräg vorn“. Was aber Leser und Autoren alle umtreibt ist die Frage der Freiheit, die Suche nach dem richtigen Weg, auch danach, den Menschen deutlich zu machen, wo sie unfrei sind und in Frage zu stellen, ob das wirklich so sein muss. Darunter sind vermutlich eine Menge Positionen, die ich nicht als christlich empfinde, darunter werden auch andere gesellschaftliche Positionen sein, die ich nicht vertreten kann. Und trotzdem fühle ich mich in dieser Gesellschaft wohl, wohler jedenfalls als in eingenordeten Medien, die einen Dissens nicht mal mehr zulassen.
Gregorius Braun
Am besten kann man Herrn Lichtschlag und sein Wirken mit jenem Satz von Roland Baader beschreiben: „An die Stelle der konzilianten Minimalforderungen der Liberalen an den Maximalstaat müssen die liberalen Maximalforderungen zur Rückkehr zum Minimalstaat treten.“
Hansjörg Schrade
Die Mächtigen, die mit dem aktuellen Parteien- und Medienoligopol die Demokratie quasi usurpiert haben, sind zur Zeit (Flüchtlinge, Eurorettung) etwas in der Defensive. Schönen Satz in einem guten Artikel von einem noch jungen Studenten dazu gelesen: „“Das Hauptproblem, das sich dem Staat stellt, ist ein ideologisches. Die regierende Gruppe muss die Mehrheit der Regierten von der Notwendigkeit ihres Handelns, ihrer Expertise und ihrer guten Absichten überzeugen.”(hier: http://www.misesde.org/?p=3869 und hier: http://www.misesde.org/?p=3873).
An der aktuellen Ausformung von „Demokratie“ auch nur zu kratzen, stellt die Macht dieses Oligopols in Frage, daher die z.T. harschen Reaktionen auf Lichtschlag. Offensichtlich hat er damit ins Schwarze getroffen, sonst würden die Hunde nicht so bellen.
Karl Eugen
Das Hadern der Liberalen mit der Demokratie! Das ist auch eine gewisse Mode geworden. Dagegen steht die lange liberale Tradition, nach der eine freiheitliche Verfassung ausschließlich demokratisch gedacht werden könne.
Ich lasse jetzt die modernen anarchokapitalistischen Utopisten mal außen vor. Wer keinen Staat will, also auch keine Verfassung, braucht sich keine Gedanken über deren Legitimierung zu machen. Außerdem ist bei mir das Faible für Utopien unterentwickelt, erst recht für deren Umsetzung.
Ich will aber einmal beispielhaft darauf aufmerksam machen, daß es gänige liberale Überzeugung ist, daß wir derzeit nicht in einem kapitalistischen System leben. Jedem, der den vermeintlich existierenden Kapitalismus für alle Übel in der Welt verantwortlich macht, begegnet man von liberaler Seite – und man tut das durchaus mit Recht! – mit dem Aufweis, daß das bestehende Systrem sich zwar kapitalistisch (besser: freimarktwirtschaftlich) nennt, es aber in Wirklichkeit nicht ist.
In Fragen der Demokratie aber macht man genau den gleichen Fehler, den man den antikapitalistischen Gegnern vorhält. Man hält das gegenwärtige System für demokratisch und macht deswegen die Demokratie für alle oder doch viele Übel verantwortlich. Das ist genauso falsch wie das übliche Kapitalismus-Bashing. Aber leider machen Liberale oft die gleichen Fehler wie ihre Gegner.
Mehrheit heißt auf griechisch to poly oder pluralisch ausgedrückt hoi pleious. Die hier in Frage stehende Wortwurzel ist mitnichten Bestandteil des Begriffs Demokratie. Deswegen ist es völlig willkürlich, Demokratie einzig und allein auf die Institutionalisierung von Mehrheitsentscheiden festzulegen. Ob das Wolf/Schaaf-Beispiel nun von Franklin oder von Jefferson stammt (das ist offenbar strittig – mal taucht es mit diesem, mal mit jenem Autornenamen auf) sei dahingestellt, es trifft auf den Wesensbegriff von Demokratie nicht zu, sondern nur auf eine reale Weise ihrer Ausübung.
Demokratie heißt, daß der Souverän eines Staates das ganze Volk zu je gleichen Teilen ist. D.h. ALLE (nicht die Mehrheit!!) bestimmen über das Land. Und weil das für alle am besten dadurch gewährleistet wird, daß jedem Einzelnen das Recht der Bestimmung über sich selbst zugestanden wird, ist nur die demokratische Auffassung staatlichen Lebens eine wahrlich liberale. Und deswegen war die liberale Tradition von Anfang an auch demokratrisch ausgerichtet. Gerade das Prinzip des freien Marktes ist ein urdemokratisches Prinzip; denn jeder Eingriff in den Markt ist ein Eingriff zu gunsten eines Teils, ob Oligarchen, Aristokraten, Monarchen oder auch einer beliebig konstituierten Mehrheit.
Mir scheint die Polemik vieler „Liberaler“ gegen die Demokratie, die im Kern nichts ist als Kritik an den real existierenden demokratischen Institutionen, rein utopistisch motiviert, nicht aber am Begriff und den Möglichkeiten von Demokratie ausgerichtet zu sein.
Gregorius Braun
„Demokratie heißt, daß der Souverän eines Staates das ganze Volk zu je gleichen Teilen ist.“
Daher auch meine Anerkennung für die Zauberformel in der Schweiz.
akinom
Erinnern möchte ich an den für meine Begriffe sehr liberalen Ludwig Erhardt
sein Markenzeichen „soziale Marktwirtschaft“. Wo ist es geblieben?