Ich muss heute ein weltliches Laster gestehen: ich bin ein Serien-Junky! Ich mag gut gemachte amerikanische Serien wie Sopranos, Boston Legal etc. meist aus dem Hause HBO und im Unterschied zu deutschen Serien im Normalfall nicht mit sprechenden Rollkragenpullovern besetzt sondern mit echten Schauspielern! Wer könnte den depressiven Müll-Mafiosi besser spielen als James Gandolfini und wer den an BSE erkrankten Staranwalt mit einer Vorliebe für Cigarren im Ohr besser als William Shatner (der sich und seine James-T.-Kirk-Vergangenheit nebenbei wunderbar persifliert). Selbst einfache Seifenopern wie Friends sind wunderbar besetzt und wenn man sich angewöhnt, sich diese Serien nicht in der grottigen deutschen Übersetzung sondern im englischen Original anzusehen, entgehen einem auch Wortwitz und politische Anspielungen nicht.
Manche dieser Serien befassen sich auch ganz bewusst mit moralischen Themen: Anthony Soprano stellt sein Tun immer wieder in Frage, wenn er es auch nicht schafft, seinen Hang zur Gewalt in den Griff zu bekommen. Und die Anwälte von Crane, Poole & Schmidt (unvergessen: This is Crane, Poole and Schmidt Im Schmidt! der zurückgekehrten Shirley Schmidt, gespielt von Candica Bergen) hangeln sich in fast jedem Fall durch ein moralisches Dilemma. Insofern eignen sich diese Serien in den meisten Fällen durchaus auch zu einer moralischen, wenn nicht gar theologischen, Nachbetrachtung.
Jetzt aber haben meine Frau und ich 24 entdeckt. Wer die Serie und ihre Staffeln nicht kennt: die Staffeln beschreiben jeweils 24 Stunden (in Realtime inkl. Werbung auf 24 Folgen verteilt) im Leben des Antiterror-Agenten Jack Bauer. Der gerät meist mit seiner Familie in die Fallstricke von Terrorkommandos, politischen Intrigen und persönlichen Rachegelüsten. Dabei dient das Konzept des Realtime und der Splitscreens (um zeitgleiche Handlungen anzudeuten) natürlich einem Spannungsaufbau und es funktioniert: der Zeitdruck unter dem die Helden der Serie stehen wird deutlich, genau so wie die fortschreitende Müdigkeit, die Jack Bauer befällt, wenn er mehr als 24 Stunden wach ist und Entscheidungen treffen muss. Es ist aber auch eine Serie, die sich um Realität in dem Sinne bemüht, dass man keinen Zweifel daran lässt, wie man beispielsweise aus Terroristen Informationen herausbekommt: explizite Darstellungen von Gewalt auf Seiten der eigentlich Guten gehören zum Standardrepertoire der Serie und so stellt sich wieder die Frage der Moral: wenn eine Terrorgruppe plant, über Downtown Los Angeles eine Atombombe zu zünden, welche Mittel sind dann gerechtfertigt, um Millionen von Menschen zu retten? Physische Gewalt gegen den Attentäter? Durch den Präsidenten angeordnete Elektrofolter an einem mutmaßlichen Verräter? Die Androhung der (und zum Glück nur scheinbare) Ermordung der Kinder eines der Attentäter? Was ist legitim, um Millionen Menschenleben zu retten gegen einen aus den Fugen geratenen Terrorismus, der nicht auf explizite Ziele setzt sondern auf die Verbreitung von Angst und Schrecken durch millionenfache Opferzahlen?
Hilft bei der Beantwortung dieser Frage der Katechismus weiter? Der formuliert dazu unter dem Abschnitt körperliche Unversehrtheit:
2297 Entführungen und Geiselnahmen verbreiten Schrecken und üben durch Drohung auf die Opfer unzulässigen Druck aus; sie sind moralisch unzulässig. Terrorismus, der willkürlich bedroht, verwundet und tötet, ist ein schwerer Verstoß gegen die Gerechtigkeit und die christliche Liebe. Folterung, die körperliche oder seelische Gewalt anwendet, um Geständnisse zu erpressen, Schuldige zu bestrafen, Opponenten Angst einzujagen oder Haß zu befriedigen, widerspricht der Achtung vor der Person und der Menschen würde. Außer wenn streng therapeutische Gründe dafür sprechen, verstoßen direkt gewollte Amputationen, Verstümmelungen oder Sterilisationen unschuldiger Menschen gegen das sittliche Gesetz [Vgl. DS 3722]
(Hervorhebung durch mich)
Die Hervorhebung habe ich aufgenommen, weil hier direkt das Thema Folter angesprochen wird. Hier wird allerdings die Folter in einen direkten Zusammenhang mit dem Zweck gesetzt: Folter um Geständnisse zu erpressen, um zu bestrafen, um Opponenten Angst einzujagen oder um Hass zu befriedigen, dies widerspricht der Achtung vor der Person und der Menschenwürde. Oft wird im Zusammenhang damit gefolgert, dass Folter zur Geständniserpressung auch deshalb nicht sinnvoll sei, weil ab einem bestimmten Grad der Folter Menschen alles zugeben, was man von Ihnen erwartet. Wer weiß, dass von ihm das Geständnis eines Mordes verlangt wird, der wird dies irgendwann zugeben, damit die Folter ein Ende hat.
Was dagegen nicht beschrieben ist, ist die Frage, welche Mittel legitim sind, um ein unmenschliches Verbrechen zu verhindern im Fall von 24: ist es erlaubt, einen Menschen zu foltern, der weiß wie und verhindern kann, dass diese Atombombe zündet? Millionen von Menschen, die dieser einzelne Mensch töten will und das auch zugibt! Es geht nicht darum, ein Geständnis zu erpressen, es geht nicht um Erschrecken, es geht um die Rettung von Menschenleben! Dem entgegen steht aber auch der Grundsatz, dass der gute Zweck (die Rettung der Menschen) nicht das schlechte Mittel (die abzulehnende Folter) rechtfertigt.
Einen interessanten Ansatz dazu habe ich auch bei Peter Knauer SJ auf einer Seite zu den Fontes Moralites, die Kriterien für die sittliche Beurteilung von Handlungen gefunden, den man allerdings komplett und als Laie am besten wohl auch mehrmals lesen muss, um ihn zu verstehen:
Die Geltung des Satzes, dass der gute Zweck nicht das schlechte Mittel heiligt, ist so etwas wie das Gütesiegel jeder wirklichen Ethik. Deshalb erklärt auch der Katechismus:
1759 Keine in guter Absicht vollzogene schlechte Tat wird entschuldigt (Thomas v. A., dec. Praec. 1). Der Zweck rechtfertigt die Mittel nicht.
Mit diesem Satz wird ein anderer, ausführlicherer zusammengefasst:
1756 Somit ist es falsch, bei der Beurteilung des sittlichen Charakters der menschlichen Handlungen einzig die ihr zugrunde liegende Absicht oder die sie begleitenden Umstände (wie Milieu, gesellschaftlicher Druck, Zwang oder Notwendigkeit zu handeln) zu beachten. Es gibt Handlungen, die wegen ihres Objekts in schwerwiegender Weise, unabhängig von den Umständen oder Absichten, aus sich und in sich schlecht sind, z. B. Gotteslästerung und Meineid, Mord und Ehebruch.
Die bisherige Analyse hat bereits gezeigt, dass mit der Aussage, eine Handlung sei in sich schlecht, nicht eine Art rein physischer Sachverhalt gemeint ist, der davon unabhängig wäre, was der Handelnde als Gegenstand seines Willens hat. Eine Handlung kann nur dann schlecht sein, wenn sie den vom Subjekt in ihr selbst angestrebten Wert untergräbt. Allerdings ist dies durchaus davon unabhängig, ob es dem Subjekt gefällt oder nicht, und in diesem Sinn ist es völlig objektiv.
Der Satz, dass der gute Zweck nicht das schlechte Mittel heiligt, setzt voraus, dass Zweck und Mittel zwei voneinander unterschiedene Handlungen sind. Ein Mittel kann nur dann ethisch schlecht sein, wenn es eine eigene Handlung ist. Wenn diese Handlung in sich selber bereits kontraproduktiv ist, also ihrem eigenen Grund auf die Dauer und im ganzen nicht entspricht, sondern widerspricht, dann wird sie auch nicht dadurch besser, dass man sie zusätzlich benutzt, eine andere in sich selber verantwortbare Handlung zu ermöglichen.
Warum stellt die Amputation eines Körpergliedes zum Zweck der Lebensrettung keinen Verstoß gegen den Satz dar, dass der gute Zweck nicht das schlechte Mittel heiligt? Die Antwort lautet: Die Amputation des Körpergliedes und die Lebensrettung sind von vornherein gar nicht zwei verschiedene Handlungen, sondern ein und dieselbe. Die Amputation selbst ist bereits die Lebensrettung.
Warum ist dagegen Folter immer in sich schlecht und kann durch keinen noch so hehren Grund gerechtfertigt werden? Warum ist es unzulässig, zum Beispiel einem Kindesentführer mit Folter zu drohen, damit er den Aufenthalt des Kindes preisgibt? Ist nicht dieser Zweck der einzige Grund der Drohung mit Folter, so dass er der Handlungsgegenstand ist und es nur um eine einzige Handlung geht?
Es trifft leider nicht zu, dass man die Folter oder die Drohung mit Folter und das Herausbekommen der gewünschten Information genauso wie die Amputation und die Lebensrettung als ein und dieselbe Handlung ansehen kann. Zwischen der Folter und dem Herausbekommen der gewünschten Information muss ein fremder Wille tätig werden: Der Gefolterte muss klein beigeben. Dadurch aber werden Folter und Informationserlangung in zwei verschiedene Handlungen getrennt, und dann ist der Satz anzuwenden, dass der gute Zweck ein schlechtes Mittel nicht heiligen kann.
Angesichts eines Entführungsfalles wurden kürzlich in Leserbriefen diejenigen, die Folter einfachhin ablehnen, als Gutmenschen verunglimpft. Wer so denkt, verkennt, dass man mit Folter zwar jede beliebige Aussage erpressen kann, nie jedoch die Garantie hat, dass die Aussage auch wahr ist. So ist Folter Schmerzzufügung ohne entsprechenden Grund und als solche ausnahmslos unzulässig.
Warum ist Folter in sich schlecht? In ihr wird Wille gebraucht, um Willen zu brechen. Sie hat grundsätzlich keine innere Verhältnismäßigkeit. Friedrich von Spee hat dies in Bezug auf die Hexenprozesse so erläutert: Wenn jemand unter Folter gesteht, Hexe zu sein, ist für den Folterer erwiesen, dass es sich um eine Hexe handelt. Aber auch wenn man durch die Folter kein Geständnis erlangt, ist ebenfalls erwiesen, dass es sich um eine Hexe handelt, weil man ja nur mit Hilfe des Teufels in solchen Qualen standhaft bleiben könne. Folter lässt sich beliebig steigern und kennt keine innere Grenze. Genau dies ist der Grund, warum sie bereits in „sich schlecht“ ist, unabhängig davon, was man mit ihr sonst noch beabsichtigt.
Deshalb hat der Katechismus der Katholischen Kirche durchaus darin Recht, Folter einfachhin abzulehnen (Nr. 2297f).
Das ist für einen Katholiken starker Tobak: denn es steht natürlich direkt die Frage auf, die ich letztlich in einem Podcast bei John Eldredge gehört habe (der dabei aber jemand anderen zitiert hat, dessen Name mir entfallen ist):
Wenn Du keine Gewalt einsetzt, um Gewalt zu stoppen was setzt Du dann ein?
Dahinter wiederum steht die Frage, ob man, wenn man nicht jedes Mittel ausgenutzt hat, um Leid anderer Menschen zu verhindern, und sei es Gewalt gegen denjenigen, der das Leid bewusst verursacht, sich noch im Rahmen der Nächstenliebe bewegt? Liebe ich meinen Nächsten ausreichend, wenn ich ihn sterben lasse, weil ich ein Mittel gegen seinen Mörder nicht anwende (das denjenigen nicht mal töten muss)?
Einen Hinweis auf einen Ausweg aus diesem Dilemma (und in ein solches will uns Gott ganz sicher nicht führen, quasi in einen Zustand in dem wir in jeder Art der Handlung nur schuldig werden können) bietet das Konzept der Notwehr, dass der Katechismus im Zusammenhang mit der Achtung vor dem menschlichen Leben ebenfalls vorschlägt:
2265 Die Notwehr kann für den, der für das Leben anderer oder für das Wohl seiner Familie oder des Gemeinwesens verantwortlich ist, nicht nur ein Recht, sondern eine schwerwiegende Verpflichtung sein.
2266 Der Schutz des Gemeinwohls der Gesellschaft erfordert, daß der Angreifer außerstande gesetzt wird schaden. Aus diesem Grund hat die überlieferte Lehre der Kirche die Rechtmäßigkeit des Rechtes und der Pflicht der gesetzmäßigen öffentlichen Gewalt anerkannt, der Schwere des Verbrechens angemessene Strafen zu verhängen, ohne in schwerwiegendsten Fällen die Todesstrafe auszuschließen. Aus analogen Gründen haben die Verantwortungsträger das Recht, diejenigen, die das Gemeinwesen, für das sie verantwortlich sind, angreifen, mit Waffengewalt abzuwehren.
Die Straft soll in erster Linie die durch das Vergehen herbeigeführte Unordnung wiedergutmachen. Wird sie vom Schuldigen willig angenommen, gilt sie als Sühne. Zudem hat die Strafe die Wirkung, die öffentliche Ordnung und die Sicherheit der Personen zu schützen. Schließlich hat die Strafe auch eine heilende Wirkung: sie soll möglichst dazu beitragen, daß sich der Schuldige bessert [Vgl. Lk 23,40-43.].
2267 Soweit unblutige Mittel hinreichen, um das Leben der Menschen gegen Angreifer zu verteidigen und die öffentliche Ordnung und die Sicherheit der Menschen zu schützen, hat sich die Autorität an diese Mittel zu halten, denn sie entsprechen besser den konkreten Bedingungen des Gemeinwohls und sind der Menschenwürde angemessener.
Nun geht es in diesem Absatz um das Recht der Notwehr und des Einsatzes von Strafen zur Prävention und Sühne von Verbrechen. Gerade aber der letzte Absatz macht deutlich, dass unblutige Mittel zwar zu bevorzugen sind, wenn sie hinreichen und das Leben der Menschen gegen Angreifer zu verteidigen, aber die Formulierung macht andererseits deutlich, dass blutige Mittel durchaus angezeigt sein können. Was hier gefordert ist, ist die Beantwortung der Frage der Verhältnismäßigkeit. Und andererseits: wenn es sittlich angezeigt sein kann, die Todesstrafe nicht auszuschließen, wie es die katholische Kirche sicher zur Überraschung einiger Menschen tut, dann kann doch der körperliche Zwang unmöglich verboten sein?
Ich selber merke, und die Leser dieses Blogs sicher auch: man kommt an seine Grenzen und jeder darf sich bestimmt glücklich schätzen, dass wir in aller Regel nicht in die Zwangslage kommen, solche Entscheidungen zu treffen, es bleiben für die meisten von uns zum Glück hypothetische Gedankenspiele. Andererseits: wer weiß, ob nicht morgen jemand vor meiner Tür steht, der meinen Sohn entführt und ich wäre schlechterdings nicht in der Lage irgendein Mittel auszuschließen, dass ich einsetzen würde, um ihn zu schützen und ich kann mir gar nicht vorstellen, wie man das anders sehen kann.
Das Problem aber und jetzt wieder zurück zu 24 – ist nicht so sehr die Darstellung von Gewalt oder deren Einsatz, sondern die Vermittlung des Eindrucks, dass diese Methoden unzweifelhaft richtig wären, man also annehmen kann, dass in dem beschriebenen Fall die Folter eines Menschen sittlich in jedem Fall gerechtfertigt ist. Das wiederum weckt wirklich niedere Instinkte, wie sie einen manchmal bei derartigen Actionfilmen überkommen: Mach ihn fertig! ruft der alte Mensch und überlagert die Stimme des Gewissens, die sich prüfen sollte, ob man wirklich angemessen handelt. So sind solcherlei Darstellungen zwar nicht von Grund auf sinnlos, können sie doch dazu führen, dass man sich Gedanken wie die oben beschriebenen macht und damit sein Gewissen ausbildet. Der Zweck der Serie scheint aber darin nicht zu bestehen, weshalb man sie wohl – wie eben meine Frau meint – unter die Serien zählen darf, die die Welt tatsächlich nicht braucht!