Einen interessanten Beitrag hat Gérard Bökenkamp auf eigentümlich frei unter dem Titel Das Individuum und sein Glaube: Theismus, Atheismus und Agnostizismus veröffentlicht, den ich gerne als die Außensicht des Glaubens, besser aber nicht so prägnant, die Argumentation des Unglaubens, beschreiben möchte. Zunächst mal muss ich dazu sagen, dass ich Herrn Bökenkamp, Jahrgang 1980, Historiker und Publizist, nicht persönlich kenne, also auch nichts Erhellendes über sein Glaubensleben sagen kann. Der Bericht selbst lässt mich vermuten, dass er sich selbst als Agnostiker sieht explizit sagen tut er das aber nicht, es ist nur der Schluss aus seiner Argumentation. Dazu noch: Artikel der eigentümlich frei, die sich mit dem Glauben beschäftigen, sind für mich deshalb immer besonders interessant, weil ich mich selbst als Libertären betrachte und immer auf der Suche bin, nach Argumenten (oder Gegenargumenten) warum sich mein Glauben mit dem Libertarismus vereinbaren lässt (oder eben nicht). Bislang bin ich zu dem Schluss gekommen, dass sich Katholizismus und Libertarismus sehr gut vereinbaren lassen, das kommt aber auch immer mal wieder auf die konkrete Ausrichtung an.
Was schreibt nun Gérard Bökenkamp? Zunächst mal wählt er als Ankerpunkt, dass es keinen Beweis geben kann für die Existenz Gottes, wie es keinen geben kann für seine Nicht-Existenz. Insofern setzt die Einstellung der Existenz oder Nicht-Existenz einen Glaubensakt voraus, weshalb Bökenkamp Atheisten und Theisten näher beieinander wähnt, als die sich das in der Regel selbst eingestehen: auch ein Atheist glaubt etwas, das er nicht beweisen kann er glaubt an die Nicht-Existenz Gottes. Das Bild ähnelt sicher dem von Kardinal Ratzinger, der in seiner Einführung ins Christentum darauf hingewiesen hat, dass sich Atheisten und Gläubige im Zweifel treffen, weil beide nicht beweisen können, dass sie selbst richtig liegen und so in Erwägung ziehen müssen, dass der jeweils andere Recht haben könnte.
Von dort aus zieht Bökenkamp die Linie zu den Agnostikern, die insofern bei ihm besser wegkommen, als dass die sich eingestehen, eben nicht zu wissen, ob es Gott gibt oder nicht:
Agnostizismus ist von einer grundsätzlich anderen Qualität, denn Agnostiker können im Grunde sowohl Christen als auch Atheisten als auch Angehörige anderer Glaubensgemeinschaften sein. Denn der Agnostiker sagt nicht, es gibt keinen Gott, sondern er sagt, ich kann nicht wissen, ob es einen gibt.
In dieser für ihn unklaren Situation kann nun der Agnostiker erstens entscheiden, ob er über die Existenz Gottes spekulieren will oder nicht (er ist sich dessen bewusst, dass es sich um Spekulation handelt, da er nie zu einer Antwort kommt, in seinen Augen auch gar nicht kommen kann). Spekuliert er darüber kann er hierdurch zu dem Schluss kommen, dass ihm die Existenz Gottes nicht plausibel erscheint, so wird er in gewisser Weise zu einem Atheisten. Seine Schlussfolgerungen, wenn auch nicht final da nicht beweisbar, werden ihn zu einer konsequenterweise gottfernen (nicht zwingend unmoralischen) Lebensweise führen. Andererseits kann der Agnostiker auch zu dem Schluss kommen, dass die Existenz Gottes mit seiner Erfahrungswelt in Einklang zu bringen ist und er fortan von der Hypothese ausgeht, dass es Gott gäbe. Damit wird er zu so etwas wie einem Theisten (mal ganz unabhängig von der konkreten Religion), der eine an der Existenz Gottes orientierte (nicht zwingend moralische) Lebensweise führen wird. Ausgedrückt zusammengefasst in dem Satz von Bökenkamp:
Glaube ist im Grunde nichts anderes als die Spekulation eines Individuums oder einer Gruppe von Individuen über den metaphysischen Urgrund der Welt.
In einem späteren Absatz konkretisiert er die Aussage noch ein bisschen, nämlich bei der Fragestellungen, durch die Menschen in die eine oder andere Richtung (atheistischer Agnostizismus oder theistischer Agnostizismus) geführt werden:
In Situationen von existentieller Bedeutung kann der Wunsch sehr stark sein, die saubere Trennung von Wissen und Nichtwissenkönnen zu überschreiten und über das Sein jenseits unseres Wissenshorizonts zu spekulieren. Wenn diese Spekulation zu einer emotionalen Gewissheit wird, dann kann man das wohl als Glauben bezeichnen. Vereinbar mit dem agnostischen Paradigma bleibt es, solange die Erkenntnis bestehen bleibt, dass es sich um subjektive, spekulative Gedanken handelt, die keine intersubjektiv nachvollziehbare Tatsache abbilden.
Emotionale Gewissheit über eine nicht zu beweisende Tatsache ist also eine mögliche Definition von Glauben (das Glauben auch mehr sein kann, als ein für wahr halten wird jeder Gläubige bestätigen können, ein Aspekt des Glaubens ist hier aber sicher richtig getroffen: die Annahme, mehr noch, die gläubige Gewissheit der Existenz Gottes.
Ab da kommt Bökenkamp allerdings zu Schlüssen, die einem schwer fallen zu akzeptieren, auch wenn sie auf den ersten Blick logisch erscheinen: durch das objektive Nichtwissen kann niemand zum Glauben gezwungen werden. Der Satz Du musst glauben! ist vor dem Hintergrund unlogisch, Evangelisierung, Verbreitung von Glauben kann nur in der Form erfolgen, dass man die Vorteile des Glaubens klar macht und so einen anderen zu der Überlegung bewegt, auch an einen Gott glauben zu wollen. Diese recht technische Sicht der Glaubensverbreitung mag noch etwas für sich haben, die Schlussfolgerung, die er daraus zieht, macht aber deutlich, auf welch schiefer Ebene sich Bökenkamp bewegt, wenn er den Glauben völlig in den Rahmen des Unsicheren, transzendenten setzt und diesen ohne Nachweis mit einem Gefühl gleichsetzt:
Aus diesen meinen persönlichen privaten Gefühlen kann ich aber niemals ableiten, dass andere die Gefühle teilen, verstehen oder auch nur respektieren müssen. Tolerierung meiner Gefühle und meiner Art zu leben kann eingefordert werden, Respekt kann nicht eingefordert werden. Denn meine Gefühle für etwas haben keinen größeren Anspruch darauf, zum Ausdruck gebracht zu werden, als die anderen einen Anspruch darauf haben, ihre negativen Gefühle zum Ausdruck zu bringen. Das Recht zu sagen, dies und jenes sei heilig, gut und rein, steht nicht höher als das Recht zu sagen, genau dasselbe sei niedrig, schlecht und schmutzig.
Im Weiteren führt Bökenkamp in einen kurzen Exkurs über das Verhältnis von Glauben und Wissenschaft zurück, den man durchaus nachvollziehen kann, wenn man ihn als gläubiger Wissenschaftler vermutlich nicht so schwarz/weiß formulieren würde:
Die subjektive Spekulation über den Urgrund der Welt macht keine Aussagen, die mit empirischen Forschungen in Konflikt geraten und die von einem Wissenschaftler mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln widerlegt werden könnten.
Der Konflikt zwischen Glaube und Wissenschaft tritt immer dann auf, wenn aus dem Glauben Aussagen über konkrete naturhistorische oder historische Ereignisse abgeleitet werden.
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Religionen, die konkrete historische oder naturhistorische Aussagen machen, müssen sich auch eine konkrete naturwissenschaftliche oder historische Widerlegung gefallen lassen.
Daraus allerdings leitet er wiederum die reine Subjektivität des Glaubens und der Glaubensinhalte ab und kommt so zu dem für ihn sicher konsequenten Schluss, dass sich Religion nicht in die Sphäre der Politik einmischen soll:
Der Konflikt bricht dann aus, wenn es darum geht, verbindliche Regeln zu beschließen, die für alle gelten, ob sie den Glauben nun teilen oder nicht. Also, wenn es um die Sphäre der Politik geht. Wenn aus dem Glauben eine gesellschaftspolitische Agenda abgeleitet wird, die ohne weitere Begründung der Gesellschaft im Ganzen aufgezwungen werden soll, dann hört der Glaube auf, eine individuelle Suche nach den Urgründen der Welt zu sein und wird zu einer kollektivistischen, politischen Ideologie. Die Ableitung einer politischen Forderung aus einer absolut gesetzten Wahrheit, die nur subjektiv empfunden, aber nicht objektiv nachgeprüft werden kann, bedeutet letztlich, das persönliche Geschmacksurteil zum Maßstab aller Dinge zu machen. Da, wo Menschen vorgeben, ihren Glauben absolut zu setzen, setzen sie in Wahrheit sich selbst und ihre persönlichen Gefühle und Gedanken absolut.
Was Bökenkamp damit gleichzeitig impliziert, ist, dass moralische Aussagen, die sich an einer höheren Ordnung orientieren, nicht allgemein verbindlich sein können. Dem möchte ich aus zwei Gründen aus katholischer Sicht deutlich widersprechen:
Erstens gibt es sogenannte naturrechtliche Bewertungen, die den meisten Menschen auch klar sind, ohne dass es eines besonderen Glaubens bedarf. Als Katholiken gehen wir davon aus, dass diese Einsicht in Gut und Böse, diese Grundlagen des Gewissens jedem Menschen von Gott ins Herz gelegt worden sind. Ob das so ist oder nicht, ist aber gar nicht wesentlich. Wesentlich ist dabei, dass sich bestimmte moralische Bewertungen einer Relativierung entziehen, oder man müsste eigentlich sagen: bislang entzogen haben. Der Mord an einem Menschen aus niederen Beweggründen wird in keiner Gesellschaft gutgeheißen, so kann ich auch nicht als ungläubiger Mensch mich darauf beziehen, dass es keinen objektiven Maßstab gäbe, der dieses verbietet. Natürlich ist das keine naturwissenschaftliche Aussage, aber jedem normalen Mensche ist klar, dass es bestimmte Verhaltensweise gibt, die moralisch und trotzdem objektiv betrachtet, falsch bzw. schlecht sind. Jede darauf basierende gesetzliche Regelung, jedes nach diesem Maßstab subjektive Recht müsste man konsequenterweise ablehnen was dann noch übrig bliebe hat Augustinus, zitiert von Papst Benedikt XVI. in seiner Rede vor dem Bundestag, beschrieben: Nimm das Recht weg was ist dann ein Staat noch anderes als eine große Räuberbande (De civitate dei, IV, 4, 1. Übers.: Papst Benedikt XVI, Rede vor dem Deutschen Bundestag am 22. September 2011).
Zweitens ist die Grundlegung dessen, was Bökenkamp hier folgert schlicht falsch: er geht davon aus, dass der Glaube an Gott eben lediglich eine subjektive Annahme ist. In gewisser Weise liegt hier ein Zirkelschluss vor: Bökenkamp geht an dieser Stelle seines Beitrags von einer atheistisch-agnostischen Position aus. Man kommt zu dem Schluss, erstens nicht wissen zu können, ob es einen Gott gibt (ist gekauft), und zweitens den Glauben an einen Gott für nicht mit dem eigenen Erleben vereinbar zu halten. Letzterer Punkt mag legitim sein, es bedeutet nur nicht, dass Glaubensfragen Geschmackfragen sind. Wie Bökenkamp an früherer Stelle selbst bemerkt, kann man einen die agnostische Betrachtung tatsächlich zu einer Glaubensgewissheit führen: Man kann dem anderen die Existenz Gottes weiterhin nicht beweisen, man weiß aber, dass es Gott gibt, man hat die Wahrheit als nicht veränderbare Aussage, erkannt. Das ist deutlich mehr als ein Gefühl, eben glaubende Gewissheit!
Die sich aus einem derartigen Glauben ergebenden politischen und moralischen Aussagen müssen geradezu zwingend in der Politik Berücksichtigung finden. Nun ist es ja nicht so, als ob in einem demokratischen Staat ein einzelner Gläubiger (s)eine Glaubenswahrheit direkt zum Maßstab machen kann, legitime Mehrheiten können dies allerdings schon (ob das gut ist oder nicht, darüber ließe sich weiter streiten). Ein gläubiger, angenommen katholischer Politiker wird seinen Glauben immer als Maxime seines Handelns sehen und bestimmt moralische Fragestellungen in der Politik oder in seiner eigenen Lebens- und Amtsführung an diesem Glauben ausrichten. Um es an einem Beispiel zu verdeutlichen: selbst wenn ich auch als Katholik die Annahme vertreten kann, dass andere Menschen zu einem anderen oder gar keinem Glauben an Gott gekommen sind, so ist es mir doch nicht möglich, daraus den Schluss zu ziehen, auf diesem unterschiedlichen Glauben beruhende abweichende Bewertungen zu vertreten. Der Katholik glaubt, das Abtreibung Mord ist und er kann einer gesetzlichen Freigabe des Kindsmordes nicht zustimmen, nur weil es nur sein Glaube ist, die ihn zu diesem Urteil führt. Sein Glaube ist für ihn Wahrheit, nicht ein relatives Geschmacksurteil, der er sich nicht entziehen kann und er wird sich dafür einsetzen und muss dies tun, dieser Wahrheit zu ihrem Recht zu verhelfen.
Die Problematiken meiner Sichtweise sind mir sehr wohl bewusst: wie Bökenkamp selbst schreibt sind die moralischen Auffassungen im Christentum (und innerhalb unterschiedlicher christlicher Gemeinschaften und Kirchen) und Islam (und innerhalb der dort zu findenden Glaubensrichtungen), noch mehr zu den asiatischen Religionen, in Teilen grundverschieden.
An anderer Stelle habe ich aber schon mal geschrieben: der kleinste gemeinsame Nenner der Religionen (jedenfalls der, die ich zumindest ansatzweise kenne) ist die Einsicht, dass es eine Wahrheit jenseits des Subjektiven gibt. Dieser Wahrheit sind die Religionen verpflichtet, und diese Grundlage ist eine Vernünftige, wie der Papst in seinem Bemühen um interreligiösen Dialog zuletzt im Libanon nicht müde wird zu betonen. Gewalt und Krieg ist gegen die Vernunft, was der Vernunft widerspricht in der Tat eine Verirrung der Religion. Kritisiert werden Religionen daher in dieser Hinsicht auch nur von Menschen, für die die Vernunft an der Labortür, an der Überprüfbarkeit von Ergebnissen, aufhört. Wer sich den Blick für die Realität des Transzendenten bewahrt hat (oder ihn wieder gewonnen hat), der weiß auch, dass hier Grundlagen der Vernunft gelegt sind, die im Raum der Religion lediglich von Extremisten missachtet werden. Der weiß auch, dass es jenseits der wissenschaftlichen Überprüfbarkeit Wahrheit gibt, die sich nicht an Experimenten oder demokratischen Entscheidungen orientiert. Dieser Wahrheit, ich muss es noch mal schreiben, ist man als gläubiger Mensch verpflichtet!
Dem finalen Satz von Bökenkamp ist daher aus Sicht eines gläubigen Christen mit Vehemenz zu widersprechen: Menschen, die den Glauben absolut setzen, setzen eben gerade nicht ihre persönlichen Gefühle und Gedanken absolut, sie setzen den ganz Anderen, sie setzen Gott absolut, dem einzigen, dem dieser Absolutheitsanspruch zukommt. Wer aus der Warte eines Atheisten oder atheistischen Agnostikers auf dieses Verhalten schaut, wird dem natürlich nicht zustimmen können, der Gläubige, vielleicht auch der für den Glauben tendierende Agnostiker, sieht aber genau hierin die Wurzel seines Handelns.
Geht man von hier aus die hier eingefügten Zitate oder den gesamten Beitrag von Gérard Bökenkamp zurück, sieht man das Muster des Atheisten oder atheistischen Agnostikers (ob gewollt und bewusst oder nicht), der sich in seinem Leben gegen die Existenzmöglichkeit und erst Recht den Absolutheitsanspruch Gottes gewendet hat. Insofern muss man dankbar sein für den Einblick in diese Gedankenwelt: sie erscheint auf den ersten Blick logisch und vernünftig, am Ende entpuppt sich dann aber ihr unvernünftiger und gottferner Kern, der in der Tat das Individuum mangels eines Gottes absolut setzen muss. In Abwandlung seines eigenen Schlusssatzes muss man also sagen:
Da wo Menschen vorgeben, die weltliche Vernunft absolut zu setzen, setzen sie in Wahrheit sich selbst und ihre Gefühle und Gedanken absolut!
sttn
Die Frage – gibt es Gott Ja oder Nein – ist schon sehr alt und sie wird auch mehrfach in der Bibel angesprochen. Gerade die Frage nach den Beweis für Gott oder Gottlosigkeit ist wohl so alt wie es uns Menschen gibt.
Und die Bibel hat von Gott eine sehr einfache, ja geniale Antwort darauf: Frag Gott, Gott antwortet
Wobei wir damit dann sogar bei einem wesentlichen Kern des Christseins sind. Christen können – im Gegensatz zu anderne Religionen – eine persönliche Beziehung zu Gott haben, die Trinität macht gerade hier viel Sinn.