Ich gehöre eigentlich nicht zu denen, die über jedes Stöckchen springen, die unserer Gesellschaft hingehalten wird im Blick auf die unrühmliche Vergangenheit der deutschen Nation im 20. Jahrhundert. Mancher Hinweis auf Antismenitismus, besonders dann wenn er aus Kritik an Israel abgeleitet wird, erklärt sich mir so gar nicht. Umgekehrt sehe ich auch nicht in einer „Gnade der späten Geburt“ die Möglichkeit, so zu tun, als ob die Nachkriegsgeborenen das alles, was zwischen ’33 und ’45 (und vorher und anschließend) passiert ist, nichts anginge: Ich bin stolz auf unser Land, fühle mich als Patriot und sehe gerade darin die Verantwortung, nicht zuzulassen, dass unser Land noch mal in eine diktatorische oder faschistische Falle tappt. Geschichtliche Verantwortung ist für mich – soviel sie auch von anderen Stellen geleugnet wird – ein Fakt, und nur weil sie von anderen Staaten von sich gewiesen wird, ist das lange kein Argument, diese Verantwortung als Deutscher nicht zu übernehmen.
Umso mehr schockiert es mich, wenn in einer an sich angesehen Zeitung, die ich zwar ob ihrer politischen Positionen und deren Einlassungen gegen die katholische Kirche meide, die aber nichtsdestotrotz (jeder darf eine andere Meinung haben als ich, auch wenn sie falsch ist) zur deutschen Medienlandschaft als Urgestein dazu gehört, in einem offenbar heiklen Thema historisch völlig Ungebildete, eben Geschichtsvergessene, Redakteure das Ruder in die Hand bekommen und sich dort benehmen, als ob es eine deutsche Vergangenheit nie gegeben hätte. Das Bild, das Gegenstand dieses Beitrag ist, möchte ich wegen Urheberrechtsfragen hier nicht veröffentlichen, verweise aber auf folgenden Link und die Beschreibung, die Hendrik Broder in der Welt benutzt hat:
Am Dienstag erschien in der „Süddeutschen Zeitung“, einer linksliberalen bürgerlichen Zeitung, eine Karikatur, mit der zwei Beiträge über den Nahen Osten illustriert wurden. Man sieht ein Wesen, das nur sehr bedingt einem Menschen ähnelt. Es hat einen großen Kopf, ein breites Maul, abstehende Ohren und zwei Hörner auf der Stirn. In der linken Hand hält es eine Gabel, in der rechten Hand ein Messer. Vor ihm steht eine weibliche Gestalt mit einem reichlich gedeckten Tablett, über das sich das Monster gleich hermachen wird. In der Unterzeile liest man: „Deutschland serviert. Seit Jahrzehnten wird Israel, teils umsonst, mit Waffen versorgt. Israels Feinde halten das Land für einen gefräßigen Moloch. Peter Beinart beklagt, dass es dazu gekommen ist.“
Interessanterweise war das Bild ursprünglich gar nicht für den Artikel und die Bildunterschrift gedacht, sondern aus dem Fundus der Süddeutschen im Original für das Magazin „Feinschmecker“ entstanden, wie die „Jüdische Allgemeine“ berichtet. Diese Zeitung beschreibt auch gut den „Effekt“, den eine solche Illustration hervorruft:
Ohne Ernst Kahls Illustration wäre an dem Text von Heiko Flottau nichts auszusetzen. Und ohne dessen Text wäre Kahls Bild harmlos. Erst in der Kombination von beiden plus der Bildunterschrift entsteht der bewusst bösartige Effekt, der an schlimmste, in Konsequenz mörderische antijüdische Hetze erinnert. Zu verantworten hat das allein die Redaktion der Süddeutschen Zeitung, in deren Ressort »Das politische Buch« Text und Zeichnung erschienen sind.
Die zuständige Redakteurin, Franziska Augstein, ist sich allerdings keiner Schuld bewußt: »Ernst Kahls gehörntes, hungriges Monster hat mit den antisemitischen Klischees nichts zu tun«, schrieb sie auf Süddeutsche.de. Immerhin: »Nachdem das Bild aber zu Missverständnissen geführt hat, wäre es besser gewesen, ein anderes zu wählen.«
Am Mittwoch distanzierte sich die Redaktion der Süddeutschen Zeitung offiziell: »Die Veröffentlichung der Zeichnung in diesem Kontext war ein Fehler«, hieß es in einer Stellungnahme.
Fehler passieren überall, und ich unterstelle der Redakteurin und ihrem Team nicht, bewusst antisemitische Tendenzen fördern zu wollen, aber wie geschichtsvergessen kann man denn sein, auf solche „Bildgewalt“ zurückzugreifen? Wie geschichtsvergessen kann man sein, wenn man in einer Bildunterschrift über die Ansichten der „Feinde Israels“ resümiert und gleichzeitig ein solches Stürmer-Bild verwendet, das man bei eben jenen Feinden Israels, also den Terroristen die beispielsweise im Iran sitzen, an der Wohnzimmerwand erwarten könnte? Fehler passieren und gut ist, wenn „die Süddeutsche“ das einsieht. Es bleibt aber der Nachgeschmack, dass hier offenbar Redaktionen am Werk sind, deren Bildung nicht von zwölf bis Mittag reicht – was mich allerdings hinsichtlich meiner eingangs erwähnten Abneigung diesem Medium gegenüber jetzt auch nicht sonderlich überrascht.
Kleine Ergänzung: Falls ich jüdische Leser haben sollte oder diese auf diesen Blog stoßen: Ich bin der Ansicht, dass man auch als Deutscher die Politik Isreals kritisch begleiten muss und darf, dass man dies aber aus historischer Verantwortung mit ausreichend historischem Weitblick zu tun hat. Ich hoffe, dass Kritik, wie sie an der Politik Israels vielleicht auch schon mal in diesem Blog geäußert wurde, nicht in einen Topf geworfen wird mit dem, was die SZ da verzapft hat.
ankerperlenfrau
Gut! Sehr gut! Voll d’accord!
Ich mache mir seit geraumer Zeit Sorgen darüber, welche Formen hierzulande „toleriert“ werden. Bei aller Kritik am Zwang der political correctness – geschichtsbedingter Anstand ist zu wahren. Die Enthemmung, da stimme ich Dir völlig zu, kann nur mit Bildungsmangel und politischem Desinteresse zu tun haben. Man fragt sich nur, welcher Chefredakteur läßt so etwas durchgehen?
Schwaches Bild!