Wer sich als Katholik unversehens auf der Seite der Mehrheit der Gesellschaft wiederfindet, der muss sich die Frage stellen, ob er nicht doch etwas falsch gemacht hat, in die falsche Richtung abgebogen ist den rechten Weg verlassen hat. Insofern hat mich ein Kommentar bei der Freien Welt, die meinen Beitrag Sind Pazifisten potenzielle Mörder? veröffentlicht haben, nachdenklich gemacht, der mit den Worten beginnt Klar, auf Pazifisten hackt der Zeitgeist gegenwärtig gerne herum.
Und tatsächlich, außer Frau Käßmann fordert jedenfalls mit medialer Aufmerksamkeit derzeit niemand eine friedliche Lösung für die Christenverfolgung im Irak und in Syrien, und die sieht sich einhelliger Kritik und Häme für ihren Vorschlag ausgesetzt, die Bundeswehr langfristig abzuschaffen. Konsens scheint zu sein, dass militärisch eingegriffen werden muss oder die Unterdrückten zumindest Unterstützung auch in Form von Waffen erhalten müssten.
Bei soviel Einhelligkeit stellt sich einem doch direkt die Frage, ob man selbst da nicht irgendetwas übersehen hat. Ist ein kriegerischer Einsatz gegen die IS-Milizen tatsächlich als gerechter Krieg zu werten, gegen den auch ein Christ keinen wesentlichen Einwand erheben kann. Das Konzept des gerechten Krieges ist dabei einigermaßen komplex, orientieren kann man sich möglicherweise an dem, was Thomas von Aquin darunter verstand (und wie ich ihn verstanden habe, an dieser Stelle lasse ich mich gerne korrigieren):
Ihm zufolge ist ein Krieg nicht aus sich heraus schlecht oder eine Sünde, sondern wird dies erst, wenn ihm sündhafte Absichten zugrunde liegen. Ihm geht es darum, dass ein gerechter Krieg eine gerechte Ordnung verteidige, die durch einen äußeren Feind bedroht wird:
Viel mehr aber als das Heil eines einzelnen Menschen ist das Heil des Gemeinwesens zu wahren, denn dadurch werden die Tötung sehr vieler Menschen und zahllose zeitliche sowohl wie geistliche Übel verhindert.
Für Thomas von Aquin musste ein gerechter Krieg bzw. die Berechtigung zum Führen eines Krieges daher drei Voraussetzungen erfüllen: Erstens die Vollmacht des princeps, auf dessen Befehl [mandatum] hin der Krieg geführt werden muss, zweitens ist ein gerechter Grund [causa iusta] verlangt, drittens wird verlangt, dass die Kriegführenden die rechte Absicht [recta intentio] haben
Der benannte princeps stellt dabei eine gerechtfertigte Autorität dar, deren Aufgabe in der Bewahrung des Gemeinwohls besteht und der darum quasi als Gottes Auftrag feststellen soll, wann ein Krieg aus gerechten Gründen notwendig sei. Ein solcher gerechter Grund liegt eben in der Gefährdung des Gemeinwohls durch einen äußeren Angreifer, die durch diesen Krieg mit rechter Absicht, also frei von Habgier, Hass, Rache oder Ehrgeiz, wiederhergestellt werden sollte.
Kurz gesagt war für Thomas von Aquin Krieg dann gerecht, wenn er von einer dazu legitimierten Regierung zur Verteidigung einer potentiell für alle gültigen Rechtsordnung mit Aussicht auf ein positives Ergebnis, auf weniger statt mehr Sünde und ohne eigensüchtige Motive geführt werden konnte.
(angelehnt an und zitiert aus Wikipedia)
Nimmt man sich das heute vor, bekommt man schon bei der ersten von Thomas definierten Bedingung Zweifel: Gibt es in einer nationalen Regierung oder in einer supranationalen Organisation wie der UN eine Instanz, die sich quasi von Gott berufen, das Allgemeinwohl zum Auftrag gemacht hat? Und um wessen Allgemeinwohl geht es dabei? Nun darf man wohl annehmen, dass Thomas Konflikte wie die im Nahen Osten mit ihrer Asymmetrie nicht im Auge hatte, ihm ging es um Kriege zwischen Nationen, nicht von religiös motivierten Terroristen gegen Andersgläubige in einem mehr oder weniger rechtsfreien Raum. Man kann also Zweifel haben bei der Frage, wer denn eigentlich zu einem Waffengang gegen die IS-Terroristen aufrufen darf.
Auch der zweite Grund eines gerechten Krieges nach Thomas macht einem die Begründung schwer: selbstverständlich ist das Wohl der Christen in den betroffenen Gebieten gefährdet aber ist das ein Auslöser dafür, dass beispielsweise durch die USA oder auch Deutschland ein Krieg im Irak geführt werden kann? Dass Christen dort in Notwehr Krieg führen dürfen erscheint wenig strittig, ob eine Intervention durch andere Staaten damit bereits legitimiert ist, weniger.
Zuletzt die rechte Absicht: Ich hatte schon mal geschrieben, dass es mir schwer fällt, für die Mörder der IS etwas anderes als Hass zu empfinden eine Versuchung, die gerade in einem solchen Krieg, der mit menschenverachtender Brutalität geführt wird, besteht, ist also, aus Hass zurückzuschlagen, Rache zu nehmen für die getöteten und abgeschlachteten Menschen. Selbst die Aussicht auf ein positives Ergebnis erscheint zweifelhaft: niemand wird bestreiten, dass man in einem solchen Konflikt keinen militärischen Sieg erringen kann, wie in einem normalen Krieg. Die islamistischen Ideologen verstehen den eigenen Tod als Martyrium, da kann man nicht erwarten, dass sie nach einer Niederlage sich einfach dem Sieger unterwerfen. Friede wird durch einen solchen Waffengang kaum erreicht werden können.
Man tut sich also aus christlicher Sicht schwer, einen kriegerischen Einsatz deutscher oder anderer internationaler Truppen im Irak nach solchen Maßgaben zu rechtfertigen: Es fehlt an der entsprechenden Autorität, der Kriegsgrund für streng genommen Unbeteiligte ist zweifelhaft, und mit einem Erfolg, der Wiederherstellung der Ordnung, rechnet eigentlich auch niemand. Die Alternative stellt sich aber so dar, dass man dem Treiben der IS einfach zuschaut Mit gleichem Recht könnte man sich auch eine der plakativsten Fragen stellen, nämlich ob ein militärisches Eingreifen im Deutschland des Dritten Reichs auch ohne Kriegserklärung Deutschlands an die Länder ringsum legitim gewesen wäre.
Einen der Hauptgründe, warum man sich mit einer solchen Einordung der Fragestellungen schwer tut, ist sicher die Tatsache, dass es sich bei alldem eben nicht um einen Krieg handelt, wie wir ihn aus den vergangenen Jahrhunderten kennen: Eine Nation überfällt eine andere wegen deren Bodenschätzen, Zugang zum Meer oder aus welchen Gründen auch immer, die angegriffene Nation wehrt sich, und falls die Ansprüche der Angreifer legitim gewesen sein mögen, könnte man sich am Ende des Waffengangs neben Sieg und Niederlage auch noch so etwas wie ein Verhandlungsergebnis vorstellen. An alldem fehlt es im Irak: dort zieht eine aus allen möglichen Nationen, inklusive aus der westlichen Welt, rekrutierte, durch andere islamische Staaten finanzierte Terrortruppe mordend und brandschatzend durch das von ihnen beanspruchte Territorium, nicht mit dem Ziel wirtschaftlicher oder geostrategischer Vorteile sondern um einen sogenannten Gottesstaat aufzubauen. Dem kommt man mit den Begriffen des 20. und der vorhergehenden Jahrhunderte nicht bei.
Definiert man die Kriterien für einen gerechten Krieg eigentlich einen gerechten militärischen Streit aus diesem Grund um, macht man die UN oder den Sicherheitsrat oder auch die eigene Regierung zu einer legitimen Instanz zur Entscheidung auch hinsichtlich solcher Konflikte, weitet man die Sorge um das Gemeinwohl auch auf Völker aus, die nicht zur eigenen Nation gehören aber wehrlos Angriffen anderer feindlicher Kräfte mit illegitimen Zielen ausgesetzt sind dann bleibt immer noch die Frage, ob mit einem Waffengang so etwas wie ein Frieden erreicht werden kann? Will man das gewährleisten, dann verbietet sich ein Feldzug mit dem Ziel, die IS-Truppen zu schlagen diese Hydra wird weitere Köpfe bekommen, wenn man annimmt, gewonnen zu haben.
Und hier kommt dann in der Tat eine Art realistischer Pazifismus zum Tragen: Das Ziel der eingreifenden Nationen muss der Frieden sein, die beteiligten Nationen müssten Abstand nehmen von eigenen Interessen und die Maßnahmen sich auf den Schutz der Angegriffenen und den langfristigen Stopp der Angriffe beschränken. Mir ist schon selbst klar, wie unrealistisch eine solche Vorstellung ist. Und trotzdem wird uns nichts anderes übrig bleiben, als genau in diese Richtung zu arbeiten und dafür, für die Entscheidungsträge wie für die Opfer und für die Täter, zu beten, dass Gott ihnen den Weg weise zu einem dauerhaften Frieden. Der Pazifist, den die Liebe zum Frieden umtreibt, der wird sich nicht feige aus den Konflikten der Welt heraushalten, er wird alles in seiner macht stehende tun, Gewalt und Krieg zu vermeiden, ohne die Opfer sich selbst zu überlassen. Möglicherweise sieht man sich mit einer solchen Sicht, wie ich sie beschrieben habe, ebenfalls dem Vorwurf der Naivität ausgesetzt damit muss man dann als Christ eben leben, will man noch mit einigermaßen gutem Gewissen in den Spiegel schauen können.
Vielleicht können Pazifisten und Befürworter eines militärischen Eingreifens ja voneinander lernen von den Mitteln und den Wertvorstellungen des jeweils anderen, und aufhören, aufeinander herumzuhacken, wenn man sich im Ziel, dem menschenmöglichen Frieden, erst mal einig ist?
JuergenPB
Wenn eine Handvoll Terroristen Anschläge planen (z.B. sog. Sauerland-Gruppe) dann werden sie mit etwas Glück vorher aufgegriffen, verhaftet und der Gerichtsbarkeit zugeführt; wenn Terroristen mordend durch das Land ziehen (z.B. sog. NSU), dann findet man sie vielleicht auch erst nach ihren Taten, verhaftet sie und führt sie der Gerichtsbarkeit zu.
Wenn aber die Gruppe groß wird und vielleicht aus 15.000 Mann (in einem Land mit 29 Mio Einwohnern) besteht, dann ja dann wird von „Krieg“ gesprochen über einen möglichen „gerechten Krieg“ philosophiert.
Das ist, wie hier im Artikel auch zu lesen ist, nicht passend. Man könnte vielleicht mit ganz vielen „Aber“ von einem „Bürgerkrieg“ sprechen, wenngleich das m.E. nicht passend ist. Bei einem Bürgerkrieg stehen sich zwei oder mehr Gruppen gegenüber.
Hier haben wir es aber mit einer (großen) Horder mordender Terroristen zu tun, denen bisher keiner etwas entgegensetzen konnte.
Kann man nun einfach sagen (wie es Deutschland offenbar tut): Wir liefern den Gegnern der Terroristen Waffen und Hilfsgüter?
Das mag als Lösung aufleuchten und der Hilfeleistende kann seine Hände in Unschuld waschen. Er leistet ja nur „Hilfe zur Selbsthilfe“. Das ist eine bequeme Situation. So bequem wie einst Pilatus dasaß und sich die Hände wusch.
Kann man aber andererseits z.B. Luftangriffe fliegen und die Terrorsituation als „Krieg“ und den Eingriff als „gerechten Krieg“ deklarieren?
Wohl kaum! Dabei handelt es sich weder um eine „Hilfe zur Selbsthife“ noch um eine „Nothilfe“. Dabei handelt es sich um eine ausmerzen von Schuldigen ohne Rücksicht auf die Kollateralschäden.
Ging aber vielleicht ein Einmarsch von Bodentruppen, die den Begränkten in einer Form der Nothilfe beistehen.
Dadurch würde der Krieg zwar wahrscheinlich nicht gerecht, aber es wäre ein wirkliches Vorgehen gegen die Terroristen. Dabei müßte darauf abgezielt werden, möglichst wenige Menschen zu töten und die Täter als „Kriegsgefangene“ (mit den entsprechenden Rechten) dingfest zu machen.
Doch das will keiner. Das ist sehr unpopulär, weil die große Gefahr besteht, daß auf der eigenen Seite Menschen zum Leben kommen. Das wäre der westlichen Bevölkerung kaum vermittelbar, wenn ihre Kinder und Enkel in großer Zahl in schwarzen Pastiksäcken den Heimflug antreten.
Da setzt man doch auf High-Tech-Waffen und macht aus dem Krieg ein medienwirksames Spektakel gleich eines Videospiels, das vielleicht auch an die Hinterhältigkeit von Partisanen erinnert.
Aber egal: CNN wird darüber gut berichten.
Besser wird es dadurch aber nicht.
IMST
Wenig Beachtung im Westen fand eine Mel- dung der Gulf Daily News vom 18. Juli. Die in Bahrain erscheinende Zeitung berichtete unter Berufung auf Dokumente des NSA-Enthüllers Edward Snowden, IS-Anführer Abu Bakr al-Baghdadi habe vor ein paar Jahren mit britischen und amerikanischen Geheimdiensten sowie dem israelischen Mossad zusammengearbeitet.
Ziel sei die Gründung von ISIS gewesen. Snowden sagte, die Geheimdienste der drei Länder schufen eine terroristische Organisation, die in der Lage ist, alle Extremisten der Welt auf einem Platz zusammen- zubringen, sie verwendeten eine Strategie, die Hornissennest genannt wurde, hieß es weiter. Das Hornissennest sollte Israel durch Schaffung religiöser und islamistischer Schlachtrufe schützen. Denn die einzige Möglichkeit für den Schutz des jüdischen Staaten sei es, nahe seiner Grenzen einen Feind zu schaffen.
Die Zeilen der Gulf Daily News decken sich mit dem sogenannten Yinon-Plan aus dem Jahr 1982. Dessen Verfasser, der hochrangige Beamte Oded Yinon, machte sich Gedanken, wie Israel in einer ihm feindlich gesinnten Umgebung nicht nur als Staat überleben, sondern darüber hinaus seinen Einfluss in der Region steigern kann.
Dabei kam er zu dem Schluss, dass Tel Aviv die ethnischen und religiösen Konflikte in vielen arabischen Staaten für seine strategischen Ziele nützen müsse, wobei in Syrien und dem Irak eine Entwicklung nach dem Vorbild des Libanons, der zu jener Zeit in einem blutigen Bürgerkrieg versunken war, herbeigeführt werden müsse.Mein Fazit: Kapital und Poltik haben keine Moral.
JuergenPB
So etwas hat das Ganze natürlich den Touch einer Verschwörungstheorie.
Dennoch ist wohl klar, daß es immer gefährlich sein kein, eine bestimmte Gruppe zu fördern, insbesonderen in politisch oder religiös motivierten Auseinandersetzungen. Waren die radikalen Mudchahidin in Afghanistan der 80er Jahre noch eine Gruppierung, die gerne gegen die kommunistische Regierung unterstützt wurden [es war ja „kalter Krieg“ und Kommunismus ist böse], so wandelte sich das Bild zumal nach dem Fall des „Eisernen Vorhangs“ und spätestens nach dem Scheitern der „Peshawar Accords“ und daraus erwachsenen Regierung. Danach gewannen dann – vereinfacht gesprochen – die Taliban die Oberhand. Wer wen wann in diesen ganzen Wirren unterstützt hat, ist schwer zu sagen, wenngleich natürlich einige Länder wohlbekannt sind.
Und wer nun alles die Finger bei ISIS im „Spiel“ hatte und hat ebensowenig. Das muß die Zukunft zeigen.