Man lernt nie aus, und manchmal ist es gut, sich auch auf anderen Blogs zu tummeln um einen Blick über den Tellerrand hinaus zu werfen. Manchmal findet man dort aber auch Unerwartetes von dem man sich fragt: wie ist derjenige auf diese Quelle gekommen? In diesem Sinne danke ich dem TheoBlog, den ich auch häufiger in der Wochenend-Linkrutsche zitiere für diese schöne, vom Statistischen Bundesamt veröffentlichte Zahl der Woche, diesmal ist es die 38. In der Pressemitteilung heißt es:
WIESBADEN Die Eltern in Deutschland hatten im März 2014 für ihre unter 3-jährigen Kinder in Kindertageseinrichtungen durchschnittlich eine Betreuungszeit von fast 38 Wochenstunden vereinbart. Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) weiter mitteilt, wurden für 16 % der unter 3-Jährigen Betreuungszeiten bis zu 25 Stunden, für 28 % mehr als 25 bis 35 Stunden und für 56 % mehr als 35 Stunden pro Woche vertraglich vereinbart.
Die längste durchschnittliche Betreuungszeit vereinbarten die Eltern im Saarland mit über 45 Wochenstunden, die kürzeste in Bayern mit 31,5 Wochenstunden.
38 Stunden, das ist eine durchschnittliche tarifliche Arbeitszeit eines Arbeitnehmers wie ich es bin meine wöchentliche Soll-Arbeitszeit beträgt 38 Stunden oder 7,6 Stunden am Tag. Nun ist Arbeit und Kita-Betreuung (also passiv als Kind) sicher nicht zu vergleichen aber wer sich mal in einen durchschnittlichen Kindergarten getraut hat, der weiß, dass auch das für Kinder nicht ganz stressfrei abgeht: Die tägliche Loslösung von der Mutter oder dem Vater, der Lärmpegel bei Gruppengrößen jenseits der 20, Teilzeitkräfte in der Betreuung und damit Betreuerwechsel während der Anwesenheit, Aufbau und Pflege sozialer Kontakte und dazu noch die frühkindliche Bildung (dazu sollen unsere lieben Kleinen ja schließlich in die Kita) und das alles für Kinder unter drei Jahren, was faktisch soviel bedeutet wie ab einem Jahr!
Seit unser Großer jetzt über drei Jahre alt vor ein paar Wochen in den Kindergarten gekommen ist, steigt mein Respekt vor den Betreuerinnen und Betreuern, die mit viel Herzblut versuchen, das, was Politik und Verwaltung hinsichtlich der Kinderbetreuung verbocken wieder zu richten um den Kindern ein mögliches angenehmes und kindgerechtes Umfeld zu schaffen. Dass das für diese Erwachsenen mit erheblichem Stress verbunden ist Organisation, Verantwortung, das ganze unter den gleichen räumlichen und Lärmbedingungen wie die Kinder erscheint den meisten einsichtig. Aber warum sollen wir unsere Kleinsten diesen Stress eines ganzen Arbeitstages antun?
Ich weiß auch nicht, was Eltern im Saarland treibt, ihre Kinder im Schnitt mehr als 45 Stunden, also pro Tag im Schnitt mehr als neun Stunden, diesem Stress auszusetzen; ich gehe mal davon aus, dass es dafür gute Gründe geben wird, aber ich frage mich, ob diesen Eltern eigentlich bewusst ist, was sie ihren Kindern da antun?
Und umgekehrt weiß ich, was einige Eltern antreiben wird, ihre Kinder überhaupt in die Kita zu geben: Nicht nur medial wird heute an allen Ecken und Enden zu erklären versucht, dass wir unseren Kindern frühkindliche Bildung vorenthalten, wenn wir sie nicht direkt aus dem Kreissaal in die Kita geben (als ob Kinder in dem Alter irgendetwas notwendiger brauchten als die Nähe ihrer Eltern). Und diese Kampagne, die seit Jahren läuft und vor allem von eher linken Politikern betrieben wird (ganz im Sinne Karl Marx, der bereits wusste, dass man den Umsturz bei der Zerstörung der Familien ansetzen müsste) zeigt Erfolg: Wer heute mit seinem über zweijährigen Kind tagsüber einen Spielplatz oder eine private Spielgruppe aufsucht, wird feststellen, dass keine Gleichaltrigen mehr dort sind: Alle zumindest viele in der Kita! Da kommt man schon ins Überlegen, ob man nicht vielleicht doch selbst der Geisterfahrer ist und nicht die Hunderte anderen!
Mehr als die Hälfte der Kinder, die eine Kita besuchen bleiben dort mehr als 35 Stunden (wir erinnern uns an die Forderungen von Gewerkschaften, dass diese Zeit einem normalen Arbeitstag entsprechen solle) offenbar nicht wenige um die 45 Stunden, was auch ein häufiges Zeitmodell in Kitas und Kindergärten ist, um beiden Elternteilen nicht nur die Vollzeitbeschäftigung sondern auch die An- und Abreise an den Arbeitsplatz zu ermöglichen. 35-45 Stunden, in denen die Kinder keine Möglichkeit haben, der Mama oder dem Papa zu zeigen, was sie tolles gemacht haben! 35-45 Stunden in denen sie weder von Mama noch von Papa Trost für einen kleinen Sturz oder eine Schramme oder den Verlust eines Spielzeugs an ein anderes Kind erwarten können. 35-45 Stunden, in denen sie nicht mal eben von der Mama oder dem Papa aus welchem Grund auch immer in den Arm genommen werden können.
Wenn ich selbst neun Stunden aus dem Haus bin, vermisse ich meine Kinder und meine Familie was mag eine solche Zeit in der Seele eines Anderthalbjährigen anrichten? Ich brauche dafür keine weiteren Statistiken, der gesunde Menschenverstand sagt mir, dass diese Zahl der Woche keine gute Nachricht sondern ein Weckruf in die Gesellschaft ist. Ich vermute aber nicht, dass der gehört wird!
sl
Man sollte Angaben aus der Statistik nicht all zu ernst nehmen. Weil wir unseren Sohn einmal die Woche neun Stunden im Kindergarten lassen müssen, haben wir ihn eben für neun Stunden angemeldet. Damit dürfte er jeden Tag neun Stunden dort sein … das macht 9*5=45 Stunden. Dafür bezahlen wir auch. (Und nein, das ist nicht im Saarland.)
In einer typischen Woche ist unser Sohn jedoch zwischen 25 und 35 Stunden im Kindergarten, weil wir ihn an den meisten Tagen spät hinbringen und früh (entweder nach dem Mittagessen oder nach dem Mittagsschlaf) abholen. Diese tatsächliche Zeit wird aber in keiner Statistik auftauchen.
Moin
Ich stimme Ihnen voll zu. Selbst für aeltere Kinder kann z.B. auch Schule Stress pur sein, einfach, weil sie solange aus dem Haus sind. Unsere aelteste Tochter (11 Jahre) hat nach 2 Jahren Ganztagsschule (für die es nach der 4. Klasse gute Gründe gab) die Schule gewechselt, weil sie incl. Fahrt von 7 Uhr morgens bis 17 Uhr nachmittags unterwegs war. Das war für sie einfach zuviel, obwohl die Leistungen ok waren.
theresia_viasvitae
Vielen Dank für diesen Beitrag! Dort, wo ich gerade arbeite, ist ganz in der Nähe auch eine Kita. Jetzt sehe ich jeden Morgen „hautnah“, wie dort gut gekleidete Eltern – meist aus großen, teuren Autos steigend – ihre Kinder abgeben. Ich möchte sie nicht verurteilen, aber ich kann nur sagen, dass mich das richtig beschäftigt. Ich könnte mir das irgendwie so gar nicht vorstellen, das muss doch weh tun! Besonders, wenn es solche Ausmaße annimmt, wie in Deinem Beitrag beschrieben – und diese stützen sich ja auf Statistiken…Mir war schon vorher unwohl bei den zahlreichen Nachrichten und dem gesellschaftlichen Umgang mit dem Thema Kita, aber jetzt, wo ich jeden Morgen an einer vorbeigehe, geht es mich ungleich mehr an.
Und was ich mich auch frage: Wie geht es den Eltern, wenn sie, durch ihre Vollzeitbeschäftigung, nach einem extrem stressigen Tag müde den Feierabend beginnen, dann noch ihr Kind abholen? Haben sie dann noch die Kapazitäten, dessen Eindrücke wirklich wahrzunehmen und von ihnen gezeigt zu bekommen, was es heute gemacht hat?