Man kann über sie schimpfen – aber absehbar führt bei der Bundestagswahl 2017 kein Weg an Angela Merkel vorbei.
Natürlich ist bis zum Herbst 2017, wenn voraussichtlich die nächsten Bundestagswahlen stattfinden werden, noch eine ganze Weile hin. Bis dahin, das hat das letzte Jahr gezeigt, kann noch eine Menge passieren. Trotzdem kann man ja mal ein paar Beispielrechnungen anstellen, um zu sehen, wie es denn ausgehen könnten. Die Seite Bundestagswahl 2017 hat dazu Ergebnisse von infratest dimap analysiert und eine Prognose der Wahlergebnisse erstellt. Okay, jede Statistik ist nur so gut, wie es eben Ersteller und Methodik zulassen, aber nehmen wir einfach mal die Zahlen für bare Münze, wie sie dort vorzufinden sind.
Dann käme die Union auf 37 % der Stimmen, die SPD auf 24 %, Grüne auf 10 %, Linke auf 9 %, die AfD auf 10 % und die FDP auf 5 %, restliche Parteien auf 5 %. Damit hätten wir ein 6-Parteien-Parlament, die mit ihren 95 % Stimmergebnis die 100 % der Bundestagsmandate aufteilen würden. Rechnen wir der Einfachheit halber mal ohne Überhangmandate etc. dann sähe die Sitzeverteilung wie folgt aus:
Da gäbe es dann einiges zu überlegen, wie es denn mit der deutschen Politik weitergehen soll. Grundsätzlich wäre beispielsweise die Fortsetzung der großen Koalition aus Union und SPD möglich, die zusammen auf immerhin rund 64 % der Stimmen kämen. Das wäre bereits aus heutiger Sicht eine sichere Bank, allerdings muss man dann langsam die Frage stellen, ob man die Demokratie nicht auch einfach abschaffen könnte, wenn man in dieser Art am Wählerwillen vorbei einfach weiter zu machen gedenkt. Sollte sich diese Konstellation abzeichen, wäre sicher auch ein Erstarken der kleineren Parteien nicht auszuschließen; wohl kaum in einer für die GroKo gefährlichen Größenordnung, aber wie bereits jetzt absehbar erstarken durch so eine Koalition die radikaleren Kräfte von links und rechts – Weimar lässt grüßen. Fraglich ist allerdings auch, ob man sich bis dahin oder dann noch mal zusammenraufen kann: Die Differenzen zwischen Union und SPD, letztere agiert jetzt schon in Regierungsverantwortung oft wie eine Oppositionskraft, sind ja nicht von der Hand zu weisen.
Aber was sind die Alternativen? Eine CDU-FDP-Koalition käme nicht auf eine ausreichende Stimmenzahl zu einer Regierungsbildung, da bräuchte es noch weitere Beteiligte. Eine könnte die Einbindung der AfD sein, mit der man gemeinsam auf immerhin knapp 55 % Stimmanteil käme. Das würde aber noch eine programmatische Klärung der AfD hin zu mehr Wirtschaftsliberalität verlangen; ohne diese würde sich die FDP in einer solchen Konstellation selbst zerlegen. Den Willen ihrer eigenen Stammwählerschaft ignorieren, darin haben die „Liberalen“ Übung, man kann aber nur hoffen, dass sie das nicht noch einmal durchziehen, ansonsten könnte man der Partei nur das endgültige Ende wünschen . Bleibt also abzuwarten, welcher Flügel der AfD sich programmatisch durchsetzt.
Eine weitere Alternative stellte die schwarz-grün-gelbe Koalition dar. Allerdings scheinen dafür FDP und Grüne durchaus weiter voneinander getrennt zu liegen als Grüne und die „moderne Großstadtpartei“ CDU. Ob die CSU diesen Marsch mitgehen würde, darf man da vielleicht in Frage stellen, auch wie sich der linke Flügel der Grünen zu einer solchen Konstellation stellt. Interessant würde eine solche Regierungskonstellation in jedem Fall werden – interessant im Sinne von Popcorn-Kino!
Abgesehen davon kämen nach jetziger Prognose bereits Union und Grüne zusammen auf rund 50 % der Stimmen – da ist noch Luft nach oben und auch eine solche Koalition wäre durchaus im Bereich des Möglichen. Der CDU-Generalsekretär lässt ja schon ab und zu mal in der Presse derartiges verlauten, womöglich als Versuchsballon, um die Stimmung zu testen. Programmatisch erscheint diese Zusammenarbeit auch deshalb naheliegender, weil die Wirtschaftsliberalität der FDP den Grünen im Zweifel ferner liegt als der noch verbliebene Konservatismus der CDU. Taktisch könnte sich auf diese Art der Linksruck der CDU auszahlen, um sich möglichst viele Optionen offenzuhalten. Aus Sicht eines potenziellen CDU-Wählers wäre die ernsthafte Diskussion einer solchen Koalition allerdings auch ein guter Grund, der CDU endgültig den Rücken zu kehren: Eine Familienpolitik unter schwarz-grün mag ich mir lieber nicht vorstellen!
Interessanterweise verbleibt, sollte sich der bisherige Trend bestätigen, für die SPD abgesehen von der großen Koalition gar keine Alteranative. Selbst eine tiefrot-grüne Koalition käme auf nur rund 45 % der Stimmanteile und würde gegen Union, AfD und FDP keine stabile Regierung bilden können. Dass sich vor diesem Hintergrund auch die SPD ihre Gedanken macht und versucht, gegen den Regierungspartner zu punkten, kann also nicht verwundern. Ob das von Erfolg gekrönt sein wird, bleibt abzuwarten – bislang bewegen sich die Sozialdemokraten weiter auf dem absteigenden Ast, und ein Ende dieser Talfahrt scheint bei aller Lautstärken-Rhetorik derzeit nicht absehbar.
Wenn man diese Konstellationen also betrachtet, und einfach mal im Sinne eines „Machterhalts“ inhaltliche Überzeugungen beiseite lässt: Es gibt derzeit in der Tat keine realistische Regierungskoalition, in der die CDU nicht als größter Partner den Kanzler oder die Kanzlerin stellen könnte. Und schaut man sich weiterhin an, dass es in der CDU ganz eindeutig an Nachwuchskräften fehlt, die ernsthaft für eine Kanzlerkandidatur in Frage kämen, wäre die Partei vor diesem Hintergrund mit dem Klammerbeutel gepudert, Angela Merkel abzusägen – wie gesagt: Inhaltliche Überzeugungen dürften dann bei all dem keine Rolle spielen, und ob sich das dann langfristig auszahlt, also über 2017 hinaus, bliebe ebenfalls abzuwarten.
Egal was man also von Angela Merkels aktueller Politik insbesondere hinsichtlich Flüchtlingen oder Eurokrise hält, egal ob man ihren Weg zur angeblich modern aufgestellten Großstadtpartei für völlig verfehlt hält, egal ob man die Regierungspolitik nur noch mit Kopfschütteln begleitet … die grausame Wahrheit scheint mir zu sein: Angela Merkel hat – aus ihrer eigenen, sehr persönlichen Sicht – alles richtig gemacht; an ihr vorbei wird es vermutlich auch 2017 keine Regierungsbildung geben!
Das alles passiert in einem demokratischen Rahmen, es ist nicht so, als ob sich die CDU oder Merkel an die Macht „putschen“ müssten. Setzen sich aktuellen Entwicklungen einfach nur fort, dann ist im demokratischen System keine Alternative abzusehen, die zu einer Veränderung der Politik nach Merkelschem Stil führen könnte. Und abgesehen davon, was das für das Erstarken radikaler Kräfte bedeutet, muss darum auch die Frage erlaubt sein: Was ist in der Demokratie in Deutschland eigentlich schief gelaufen, dass wir da hin kommen konnten?
akinom
Das „kleinere Übel“ zu wählen fiel schon einmal leichter. Und die „Partei der Nichtwähler“ ist auch keine Option.
Welcher Spürhund findet die „bessere Frau Merkel“? Noch wäre Zeit dazu!
Andreas
Hallo Herr Honekamp,
ein weises Sprichwort lehrt uns, dass Prognosen schwierig seien, die sich auf die Zukunft beziehen.
Aus meiner Sicht preschen Sie insbesondere mit Blick auf die BTW 2017 viel zu weit vor, da es zuviele unbekannte Größen sind, die vorher noch ihre Wirkung entfalten können.
Sollten beispielsweise die Wahlen in Rheinland Pfalz und Baden-Württemberg verloren gehen, ist Angela Merkel mit ziemlicher Sicherheit weg vom Fenster.
Sollten die Sozialdemokraten schlechte Ergebnisse Einfahren, wird wohl auch Herr Gabriel abgesägt und es übernehmen die Kräfte unter Stegner, die schon längst das rot/rot/grüne Projekt starten wollen.
Ob die FDP den Einzug in den Bundestag schaffen würde, ist noch längst nicht ausgemacht. Der moralischen Verrottung als Regierungspartei, folgte für mich eine Erosion programmatischer Inhalte, die lediglich in Hamburg und Bremen durch hohe Schauwerte und der Vermittlung einer gewissen Frische übertüncht wurden.
Das dürfte für den Bundestag nicht reichen. Möglicherweise besinnen sich die Medien die FDP zu puschen, um die AFD zu verhindern, wäre vielleicht noch eine Möglichkeit zumindest den Einzug zu schaffen.
Was die Flüchtlingssituation angeht, so sind deren Folgen für viele Menschen noch nicht unmittelbar spürbar. Sollte Köln wiederkehren, oder die neuerlichen „Schwimmbadereignisse“ wie in zwei Städten in Ostdeutschland zu einer Art Alltag werden, sollten mehr Gemeinden Erfahrungen mit Flüchtlingsunterkünften machen, wie die kleine Gemeinde in der Nähe von Braunschweig (die Berichte darüber waren ja u. a. auf Phoenix zu sehen), werden alle sog, demokratischen Parteien noch einmal deutlich in der Wählergunst verlieren. Auch das Thema deutlicher Steuererhöhungen um die Kosten (Familiennachzug kommt ja auch noch) decken zu können und auch signifikanter Erhöhungen der Krankenkassenbeiträge wird ja kaum thematisiert.
Ob davon aber z. B. eine AFD profitieren wird, ist für mich auch noch lange nicht ausgemacht. Zum einen haben wir sicher noch nicht mal den Anfang des Medienfurors gesehen, der über diese Partei einbrechen wird, sollten gute Umfrageergebnisse in der unmittelbaren Nähe der Landtagswahlen bestehen.
Und ob eine Stimme in der Umfrage auch einer bei der Wahl bedeutet, oder ob man doch (vielleicht aus guten Gründen) vor einer tatsächlichen Wahl zurückschreckt, wird man sehen müssen.
Vielleicht zerlegt sich die Partei auch noch selbst, das ist zumindest durchaus im Bereich des Möglichen. Und auch eine „Bremerhavisierung“ der Wahllokale wäre nicht ganz von der Hand zu weisen.
Und – Cato lässt grüßen- die Auswirkungen des „Reload“ von IM Victoria in einer neuen Überwachungsaufgabe, sind noch nicht mal am Horizont zu erkennen.
Fazit: Lassen sie uns nur noch 3-4 Monate warten, dann dürften wir klarer sehen.
Marco Gallina
Sie haben den Nagel auf den Kopf getroffen, Herr Honekamp. Merkel hat sich selbst alternativlos gemacht. Solange die SPD wenigstens 20% und die CDU 30% erhält, kann Merkel durchregieren, wie sie will. Das bedeutet, mittelfristig ist kein Ende in Sicht, und eben weil die Unionspolitiker das wissen, werden sie die Kanzlerin nicht stürzen. Einige Option ist Schäuble, aber der wäre höchstens für den Übergang geeignet. Wer kommt dann? Es gibt keine Alternative. Außer Merkel.
Die Dame ist höchst intelligent, was dieses raffinierte Schachspiel der Fesselung, Bauernopfer und der Besetzung des Strategischen Zentrums angeht. Ich halte das alles für keinen Zufall. Wenn sie nur dasselbe Talent auf dem Felde der Staatskunst zeigte. Da habe ich höchste Zweifel dran, denn dafür braucht es Kompetenzen, die über Ränkespiele und Naturgesetze hinausgehen.
Allerdings liegt eben in dieser Kühle des Rational-Naturwissenschaftlichen auch Merkels größte Schwäche. Naturwissenschaftler verifizieren ihre Arbeit mit Experimenten und Gesetzen. Ausgangsformeln und Lösungen sind logisch und folgen einem System.
Das ist in der gelebten Geschichte allerdings eben nicht der Fall.
Unser Leben wird auch vom Chaos bestimmt; vom Unvorhersehbaren, vom Schmetterling, der in interessanten Zeiten mit den Flügeln schlägt und Orkane auslöst. Die derzeitige Krise ist so ein starker Wind, der zu einem Orkan mutiert. In Italien hat ein einziger, dafür umso gewaltigerer Skandal das gesamte Parteiensystem innerhalb weniger Monate durcheinandergebracht; festgefügte Ordnungen, die ein halbes Jahrhundert galten, waren plötzlich nichtig.
Kurz: in ihrer nüchternen Welt der Gleichungen und Berechnungen, auch solcher parteipolitischer Prozentzahlen, übersieht Frau Merkel ganz, dass die Welt auch anders laufen kann. Und ich vermute, bis 2017 wird der Schmetterlinge noch mehrmals mit den Flügeln schlagen…
Andreas
Hallo Marco Gallina,
ich glaube nicht an die Eingangsthese, weil aus meiner Sicht eine 20% Spd nicht mehr in eine grosse Koalition einwilligen sondern rot-rot-grūn probieren wird und andererseits eine 30% CDU Merkel nicht an der Spitze lassen wird. Und was ein persistieren neuer Umgangsformen im Schwimmbad wie in den beiden neuen Fällen angeht, wissen wir alle noch nicht, was dann passiert.
Marco Gallina
Wie soll denn Rot-Rot-Grün bei einer 20% SPD gehen? Allein numerisch geht das nicht auf. Die Grünen haben ihren Zenit längst überschritten, werden langfristig auch ohne Flüchtlingskrise eher gegen 5% als 10% tendieren. Bliebe noch die Linkspartei. Die müsste dann näher an 20% als an 10% liegen. Auch das ist eher auszuschließen.
Trotz Medien war und ist Deutschland ein strukturkonservatives Land. Das wird durch die letzte Wahl nur verdeckt, weil zwei Parteien knapp an 5% scheiterten. Rot-Rot-Grün wäre im Zeitraum 2009-2013 möglich gewesen. Vielleicht bricht die Koalition, und die Mehrheit kommt so noch in diesem Bundestag zusammen – nach der nächsten Bundestagswahl wird das aber gar nicht mehr möglich sein.
Was die Schwimmbäder angeht, so verweise ich auf den Schmetterling.
akinom
Zur Aufheiterung ein Stück meiner „gelebten Geschichte“. Da ich mit Zahlen nie etwas am Hut hatte und mein „Zeugnis der Reife“ von 1965 ein „mangelhaft“ im Fach Mathematik ziert, kann ich Herrn Honekamps Aufforderung „Lasst uns doch mal rechnen …“ nicht nachkommen, aber auch allen düsteren Prognosen realistischer Weise leider nicht widersprechen.
Bei der NRW-Landtagswahl 1966 erstmals wahlberechtigt, gab ich meine Stimme von Berlin aus per Briefwahl ab und schrieb an meinen Vater, ich hätte mit schlechtem Gewissen „noch soeben“ die CDU gewählt. Den ärgerlichen Antwortbrief, ich solle mir meine „linksextremistischen Flausen aus dem Kopf schlagen“, fand dann ein VoPo beim Grenzübertritt nach Ostberlin bei einer Kontrolle in meiner unordentlichen Handtasche. „Sind Sie SPD-Mitglied?“ hat er mich gefragt, weil er sich überhaupt keinen Reim daraus machen konnte…Er tat mir Leid.
Martin Recke
Sehe das ähnlich wie der Autor und sah das auch schon Ende September 2013 so. Allerdings muss Angela Merkel zunächst die nächsten Monate politisch überleben, das ist keinesfalls sicher.
Andreas
@Marco Gallina,
Nun ich wuerde die 20% Spd als Ausgangspunkt sehen, noch vor der Wahl.
Ich wurde die Rolle der Medien hier nicht unterschaetzen wollen, rot- rot-gruen dürfte unter den Journalisten Fan-Quoten haben, die nahe der 100 % liegen.
Das ist ein ziemliches Pfund.
Ob ein moegliches monatelanges Medienfeuerwerk, nach der Art das jeder der dem Projekt entgegensteht, finsterer Rechtspopulist ist, folgenlos bliebe, lassen wir mal dahingestellt.
Und die neuen Internetueberwacher? Wer sagt denn, dass das Klima fuer Regierungskritiker nicht bald deutlich unbequemer wird?
Ich denke, nach den beiden Landtagswahlen, sehen wir klarer.
Konrad Kugler
Internet-Überwacher und die Journalisten-Fan-Quoten werden sicher zusammenspielen.
Vielleicht sind die Wahlen zu früh.
Aber der Frühling kommt!
Und dann sind eine Million junger, arbeitsloser Männer auf Straßen und Plätzen unterwegs – in Gruppen – oder Rudeln? Ganztags!
Ist es verfehlt, wenn ich unanständig hinzu füge?