Martin Rhonheimer liefert immer wieder vernünftige Verteidigungen der freien Wirtschaft. Gerade auch in einem Umfeld, das dem skeptisch gegenübersteht.
Wer wirtschaftlich in den Kategorien der Freiheit denkt, hat es in der Kirche nicht leicht. Das trifft nicht nur für die evangelische Kirche zu, die sich nicht erst seit gestern eher als Sozialpartner mit spirituellem Anschluss zu verstehen scheint – auch in der katholischen Kirche ist „die Wirtschaft“ nicht eben gut gelitten. Zwei wesentliche Probleme daran sind, dass diese Kritik an der freien Wirtschaft erstens meist nicht mit besonders hohem Sachverstand aber zweitens mit umso höherer moralischer Überzeugung geführt wird: Geld – fälschlich gleichgesetzt mit dem Mammon – ist in sich schlecht, Erfolg ist synonym mit Ausbeutung, Reichtum ist verantwortlich für Armut. Und da man – nicht wegzudiskutierenden – Missständen mit der Botschaft des Christentums nicht beizukommen in der Lage scheint, wird „die Kirche“ zum Lobbyisten und beauftragt den Staat mit der Korrektur dieser Widrigkeiten.
Und machen wir uns nichts vor: Mit Papst Franziskus hat man als Liberaler in diesem Thema nicht gerade unendlich viel Freude! Wenn er sagt „Diese Wirtschaft tötet!“, dann kann man ihm als Libertärer sachlich zwar zustimmen: Diese reale Mischung aus Sozialismus und Korporatimus, die eine Marktwirtschaft nur schlecht imitiert, führt tatsächlich zu Fehlentwicklungen und am Ende zu Armut. Klar ist aber auch, dass der Papst den Satz so nicht gemeint hat: Er sieht die Lösung von himmelschreiender Armut und Hunger eher in staatlichen Interventionen, die aus liberaler Sicht für den unmenschlichen Zustand in vielen Ländern erst verantwortlich ist. Was aber ist die Alternative?
Martin Rhonheimer, Schweizer Philosoph, Hochschullehrer an der Päpstlichen Universität vom Heiligen Kreuz in Rom und Priester der katholischen Personalprälatur Opus Dei, zeigt diese Alternativen immer wieder auf und gehört damit zu den wirtschaftsliberalen Rufern in der Wüste dessen, was man eine Mischung aus Sozialromantik und Befreiungstheologie nennen könnte. In seimem Beitrag vom 05.04.2016 in der Neuen Züricher Zeitung legt er die angeblichen Widersprüche zwischen wirtschaftlicher Freiheit und moralischer, christlicher Integrität offen und entschärft sie. Dabei kommt er zu – für katholische Ohren – erstaunlichen Schlüssen:
Man fragt: «Wie entsteht Armut?», und sucht die Schuldigen. Indes, diese Ausgangsfrage ist falsch, denn Armut ist der ursprüngliche Zustand des Menschen. Die richtige Frage wäre vielmehr: «Wie entstehen Reichtum und Massenwohlstand?» Aus der Geschichte ergibt sich klar die Antwort: durch freies Unternehmertum und freien Tausch, also Kapitalismus und Marktwirtschaft.
Rhonheimer verschweigt auch nicht, dass er mit dieser Darstellung nicht mit der Meinung des Papstes konform geht, der seine Aussagen hierzu aber auch oft explizit als eigene Meinung und nicht als Teil der Soziallehre der Kirche darstellt. Deutlich wird in seinem Beitrag auch, warum das Konzept des „Teilens“, verstanden als Almosengeben, im heutigen Kontext nicht funktioniert:
Natürlich geht mit Eigentum soziale Verpflichtung einher. In der klassischen christlichen Ethik lautet deshalb die Forderung an die Reichen: Ihr müsst mit den Armen teilen, indem ihr Almosen gebt! Jahrtausendelang lebten praktisch alle Menschen auf dem Niveau von Subsistenzwirtschaft: in Armut. Historisch ist Massenwohlstand ein junges Phänomen. Almosen-Geben und Teilen sind überholte Konzepte, nicht das persönliche caritative Handeln betreffend – da werden sie aktuell bleiben –, wohl aber gegenüber dem Problem der Massenarmut.
Das macht einerseits die Verpflichtung eines Christen den Armen gegenüber deutlich, stellt dies aber in den Kontext dessen, was auf unterschiedlichen Ebenen erreicht werden kann. Und da sieht Rhonheimer insbesondere die Rolle des Unternehmers oder auch Investors deutlich anders, als sie heute oft wahrgenommen wird:
Sozial handelt nicht, wer gute Absichten hat, sondern wer gesellschaftliche Probleme löst. Kapitalisten verwenden deshalb ihren Reichtum in eminent sozialer Weise. Denn sie verkonsumieren ihn nicht, sondern investieren den grössten Teil. So schaffen sie Arbeitsplätze, zahlen Löhne, was wiederum die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen generiert, die ihrerseits neue Investitionen und unternehmerische Projekte lohnend machen. So kommt ein Prozess der Kapitalakkumulation und technologischen Innovation in Gang, der die Arbeitsproduktivität steigert, das Lohnniveau und damit sukzessiv den allgemeinen Wohlstand anhebt. In den entwickelten Ländern sind heute – im Vergleich zu früheren Zeiten – alle reich.
Das hört man in weiten Teilen bei Kirchens und im Dritte-Welt-Laden nicht gerne, ist aber letztlich ein vernünftiger Ansatz, vernünftiger jedenfalls als die allgegenwärtige „Unterstützungsindustrie“ in Sozialstaat und Entwicklungshilfe. Und Rhonheimer geht in seiner Bewertung des Unternehmers als Investor in Gerechtigkeit und Wohlstand noch weiter, billigt ihm auch eine entsprechende, hohe Entlohnung zu:
Ohne unternehmerische Initiative und Visionen, ohne Risiko- und Verschuldungsbereitschaft, ohne innovative Ideen ihres Arbeitgebers hätten die Arbeiter allerdings weder Maschinen noch Arbeit oder Lohn. Seine unternehmerische Leistung schafft nicht nur Arbeitsplätze, sondern steigert die Produktivität aller involvierten Arbeitskräfte um ein Vielfaches, oft ins Unermessliche. Das darf sich auch in entsprechender Entlohnung des diesen Mehrwert schaffenden Unternehmers niederschlagen. Den Arbeitern wird dabei nichts vorenthalten: In Form ihres Lohnes erhalten sie gemäss ihrer Produktivität den ihnen zustehenden Anteil am Umsatz des Unternehmens, sozusagen ihren Anteil am Bruttogewinn. Und sie erhalten ihn, bevor der Erlös in der Kasse klingelt. Der klassische Unternehmer und Kapitalist erhält, wenn überhaupt, die «Lohntüte» als Letzter, ohne vertragliche Absicherung und mit vollem Risiko.
Ist das ein System der Ausbeutung? Wohl eher eines der wechselseitigen Bereicherung. Unternehmer, Arbeitgeber, Kapitalisten, Investoren: In Wirklichkeit sind sie die Wohlstandsgeneratoren. Mögen sie doch, wenn sie erfolgreich sind und hohe Risiken getragen haben, reich werden!
In seinem Schlusssatz macht Rhonheimer dann auch noch mal deutlich, worin das Problem eigentlich liegt: Nicht im Reichtum an sich, schon gar nicht im Unternehmertum, wohl aber im „real existierenden Kapitalismus“, der den Namen freie Wirtschaft eigentlich nicht verdient:
Solange Reichtum und unternehmerischer Erfolg nicht auf gesetzlicher Privilegierung, Subventionen und politischer Verfilzung beruhen, tragen sie zum Gemeinwohl bei. Durch öffentliche Verschuldung hingegen werden wir ärmer, zumindest die künftigen Generationen. […] Man mag hoffen, dass [die] Einsicht – Business ist die Lösung – auch in kirchlichen Kreisen immer mehr Raum gewinnt und ökonomisch unaufgeklärten Moralismus zu überwinden hilft.
Martin Rhonheimer gehört inzwischen zu meinen Lieblingsautoren und ich kann nur empfehlen, seinen Beiträgen und Veröffentlichungen zu folgen. Man muss ja nicht immer seiner Meinung sein, aber seine sowohl von Glauben als auch von wirtschaftlicher Vernunft geprägte Sichtweise ist mit Sicherheit ein Gewinn für jeden Leser!
LePenseur
Cher Papsttreuer,
Danke für den Hinweis auf diesen exzellenten Denker, den ich auf meinem Blog gerne aufgreifen werde!