Würde Alexander Gauland mit Jérôme Boateng in einer Nachbarschaft wohnen wollen? Es gibt keine Indizien für das Gegenteil.
Eigentlich (!) hasse ich ja auch solche Formulierungen wie „Eigentlich … aber …“: Eigentlich bin ich ja kein Rassist, aber … Eigentlich schaue ich kein Big Brother, aber … Im Falle der AfD bleibt einem aber oft gar nichts anderes übrig. Denn eigentlich bin ich kein Anhänger dieser Partei, habe sie noch nie gewählt und kann mir bei derzeitigem Personal und deren Unbeholfenheit auch nicht vorstellen, das absehbar zu tun. Der wirtschaftsliberale Flügel findet offenbar nicht mehr statt, was auch daran liegen mag, dass die Themenfokussierung im Moment eine andere ist. Aber eine reine Anti-Euro-und-Migrations-und-Islamkritik-Partei würde ich selbst dann nicht wählen, wenn ich deren Einschätzungen dazu teilte. Nun gut, die AfD hat ein Parteiprogramm und in den kommenden Monaten wird sich zeigen, wie das genau zu verstehen ist und ob sich die unterschiedlichen Flügel daran zu halten gedenken. Dann kann man überlegen, ob es einem gefällt und wenn ja, die Partei in Erwägung ziehen. Bislang allerdings befindet sich die Partei eher auf dem Weg zu einer weiteren staatstragenden Organisation, die staatliche Einflussnahme mit anderen Zielsetzungen einsetzen will als die meisten anderen. Eine Alternative ist das für einen Liberalen nicht!Eigentlich bin ich also kein besonderer Freund der AfD, aber … ich frage mich in den vergangenen Tagen, was eigentlich Funktionäre anderer Organisationen oder auch Medien umtreibt, diese Partei derart thematisch zu hypen. Keine offiziellen AfD-Vertreter beim Katholikentag, verbunden mit der wachsweichen Formulierung, Mitglieder und Anhänger könnten aber selbstverständlich kommen – „Ja, danke“, werden die sich gesagt haben, „wenn Ihr meine Positionen gar nicht hören wollt, warum soll ich dann kommen?“ Und jetzt die Aufregung um ein Interview Alexander Gaulands mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS). Hat er nun, oder hat er nicht gesagt, dass er Fußballnationalspieler Jérôme Boateng nicht als Nachbar haben will? Nein, hat er nicht, hat eigentlich auch niemand behauptet, aber so werden die Sätze „Die Leute finden ihn als Fußballspieler gut. Aber sie wollen einen Boateng nicht als Nachbarn haben.“ gerne verstanden. Gauland beleidigt Boateng … muss man bei dieser Formulierung erst mal drauf kommen. Dabei dementiert Herr Gauland bereits, das überhaupt so gesagt zu haben – die FAS-Redakteure beharren aber darauf, sich daran ganz genau zu erinnern – wobei sie offenbar nicht mal in der Lage sind, sich noch zu erinnern, ob sie den FAS-Artikel nun aufgrund eines Tonbandes oder schriftlicher Aufzeichnungen verfasst haben. Fragen?
Was er, Gauland, nach eigener Aussage habe ausdrücken wollen war, dass es eben eine Menge Leute gäbe, die durchaus Fan eines Jerome Boateng seien, aber nicht in der Nachbarschaft von Menschen mit Migrationshintergrund leben wollten. Herr Boateng sei ein Beispiel gelungener Integration … und Peng, schießt es wieder aus allen Rohren: Boateng ist schließlich in Deutschland geboren, hat eine deutsche Mutter und einen ghanaischen Vater, ist bekennender Christ – wieso solle der sich denn integrieren? Das sei erneut ein Ausweis des Rassismus eines Herrn Gauland. So kann man wohl einen Zustand beobachten, in dem der Betreffende nichts mehr richtig machen kann: Darf man nicht sagen, dass ein Deutscher mit ausländischen Wurzeln – in dem Fall des Vaters – einen Migrationshintergrund hat? Und kann es nicht sein, dass es für Boatengs Eltern nicht ganz einfach gewesen sein wird, ihren Sohn in Deutschland aufwachsen zu lassen? Eben weil es Nachbarschaften gibt, die eine Familie mit einem dunkelhäutigen Vater nicht in ihrer Nähe haben wollen? Und ist das dann nicht eine gelungene Integration, wenn jemand aus diesen Verhältnissen aufsteigt?
Ob Herr Gauland ein Rassist ist oder nicht … keine Ahnung, an seinen Aussagen im und nach dem FAS-Interview wird man das jedenfalls nicht festmachen können. Allerdings gibt es auch eine Kehrseite der Medaille: Nämlich die Solidaritätsbekundungen an Herrn Gauland zu einem Zeitpunkt, zu dem man noch annehmen konnte, er habe tatsächlich gemeint, er wolle ihn nicht in seiner Nachbarschaft wohnen haben. Sicher, die entsprechenden „Kritiker“ Boatengs werden so schnell nicht in die Verdrückung kommen, mit ihm in Nachbarschaft leben zu „müssen“, dafür ist er zu erfolgreich und seine Wohngegen zu exquisit. Wer nun aber tatsächlich meint, eine Nachbarschaft mit einem Fußballer mit Migrationshintergrund sei ihm nicht zuzumuten, der enttarnt sich als Rassist. Die AfD darf sich also bei vielen ihrer Anhänger bedanken, dass sie über das mediale Stöckchen gesprungen sind, und sich auf die Seite eines vermeintlichen (!) Rassisten gestellt haben. Man könnte auf den Gedanken kommen, dass das sogar die Absicht des FAS-Beitrags war: Einen Shitstorm auslösen und beobachten, wer sich mit dem Betreffenden aus welchen Gründen solidarisiert. Und voilà: Da sieht man mal wieder, was die AfD – wenn nicht die Funktionäre dann aber doch deren Wähler – für Nazis sind!
Mit Journalismus hätte das aber ebenso wenig zu tun wie die Reaktionen der Möchtergern-Gauland-Verteidiger mit einem wenigstens rationalen, geschweige denn christlichen Menschenbild. Mit Politik hat es auch nichts zu tun, wenn man einen Shitstorm einfach für die eigenen Zwecke nutzt und so tut, als würde es einen intellektuell überfordern, gesellschaftliche Mutmaßungen und rassistische Beleidigungen auseinanderzuhalten. AfD-Wähler – vor allem die, die mit Rassismus nichts am Hut haben – werden in diesen Tagen sehr fein beobachten, wie sich die Medien-und-Polit-Maschinerie auf diese Partei und ihren Vize einschießt. Dabei dürfen wir sicher sein, dass etwas hängen bleiben wird, dafür werden die Protagonisten schon sorgen: Jetzt ist es dann eben nicht mehr nur die Partei des Schießbefehls auf Flüchtlinge sondern auch die Partei, deren Verantwortliche nicht in der gleichen Nachbarschaft mit Jérôme Boateng oder ganz generell mit Menschen mit Migrationshintergrund leben wollen. Hat zwar beides so keiner gesagt – aber hey, es trifft doch die Richtigen!
Eigentlich, ja, eigentlich bin ich kein Wähler oder Sympathisant der AfD. Aber wer meint, eine Partei auf diese Weise demontieren zu können, sollte sich nicht wundern, wenn sie am Ende größer wird, als man sich das bis dahin vorstellen konnte. Die Erfahrungen aus den jüngsten Landtagswahlen und der Bundespräsidentenwahl in Österreich sollten den Medien und den etablierten Parteien ausreichend Lehren liefern – scheint aber noch nicht angekommen zu sein. Die FAS hat dem Kampf gegen den Begriff der „Lügenpresse“ mit der Aktion jedenfalls einen Bärendienst erwiesen – und der Rest macht mit, weil es so einfach ist!
Achso, und ich warte weiter auf eine echte Wahlalternative!
akinom
„Bewahre uns vor Verwirung und Sünde“ …und zeige uns (endlich) echte Alternativen für Deutschland und die Welt! Amen.
Irrtümlich hatte ich zunächst das Wort „Kirche“ diesem Gebet hinzu gefügt. Aber diese ist ja auf Fels (und Felix Honekamp) gebaut. Deo gratias!
Hans
Man kann Herrn Gauland gerne zu Gute halten, dass er mit seiner Bemerkung nur eine Zustandsbeschreibung der deutschen Gesellschaft geben wollte. Nur, warum macht er bzw. seine Partei sich nicht auf, dies zu ändern? Wo doch wohl gerade seine Wähler so denken werden. Aber gerade das tun er und die anderen Parteioberen eben nicht, nein, eher das Gegenteil.
Wenn Sie schreiben: „So kann man wohl einen Zustand beobachten, in dem der Betreffende nichts mehr richtig machen kann: Darf man nicht sagen, dass ein Deutscher mit ausländischen Wurzeln – in dem Fall des Vaters – einen Migrationshintergrund hat?“ Das darf man. Aber wie formuliert Gauland auf der webseite der AFD (www.alternativefuer.de/2016/05/29/gauland-ich-habe-herrn-boateng-nicht-beleidigt): Er habe sich an „keiner Stelle über Boateng geäußert, dessen gelungene Integration“ ihm von Berichten bekannt sei. Damit sagt Hr. Gauland, dass er der Meinung ist, dass es Menschen gibt, die sich integrieren müssen, obwohl sie in Deutschland geboren sind. Und unterstellt zusätzlich, dass es, zwar bei Boateng gelungen, aber dies nötig sei. Das ist seine fremdenfeindliche Grundeinstellung: Es gibt Menschen, die von Geburt oder Herkunft schon einen Makel haben und somit erst integriert werden müssen.
Sie: „Ob Herr Gauland ein Rassist ist oder nicht … keine Ahnung…“ Wirklich keine Ahnung? Wie nennen Sie so eine Einstellung dann?
Jorge
Nein, gerade das kann man ihm nicht zugute halten, denn die „Zustandsbeschreibung“ offenbart ja gerade, wie er sich das alternative Deutschland vorstellt: Man soll rassistische Ressentiments haben dürfen, ohne was dabei zu finden. Gewissermaßen als „Bürgerrecht“.
Dass viele Leute Ressentiments gegen Fremde oder auch bloß Fremdstämmige haben ist gar keine Frage. Das ist auch gar nicht so tragisch, solange der gesellschaftliche und kirchliche Konsens hält, dass man das nicht toll findet und solche Ressentiments überwinden sollte (selbst wenn man selber welche hat).
Wenn dieser Konsens gekündigt wird (indem man gewissermaßen sagt: Wir hassen Fremde/Andersartige/Andersdenkende, und das ist auch gut so!), fängt der Faschismus an (diese Denkweise ist der Kern faschistischer Weltanschauung: Feindbild aufbauen und Wir-gegen-die-Denken schüren). Genau diese Kündigung findet in den Aktionen der neuen Partei statt (darunter auch die eher ungeschickte Äußerung Gaulands).
Papsttreuer
Der Gedanke ist interessant, dazu fehlt dann jetzt aber spätestens der Kontext: Ist die Zustandsbeschreibung eine Problematisierung oder die Verteidigung dieses Umstands? Kann ich den mir bekannten Zitaten nicht entnehmen. Als Problematisierung kann die Formulierung durchaus einen richtigen Kern enthalten: Wenn es so ist, dass eine maßgebliche Zahl von Menschen keine Nachbarn mit Migrationshintergrund haben wollen, wenn es möglicherweise im Zuge der Flüchtlingskrise sogar mehr werden, dann ist das auch ein Warnsignal für die Flüchtlings- und Einwanderungspolitik. Man muss mit diesem Thema umgehen und kann es nicht einfach mit dem Hinweis, dass es sich dabei um dumpfe Rassisten handelt, abhaken. Aber wie gesagt: Das ist Spekulation, mir fehlt hier der Kontext des Gesprächs.
Gottes Segen für Sie!
Papsttreuer
Danke für den Kommentar, den man aber so nicht stehen lassen kann: Mal abgesehen davon, dass es in Deutschland durchaus ein Integrationsproblem gerade mit Einwanderern zweiter und dritter Generation gibt, man in diesem Zusammenhang also durchaus von Integration sprechen kann, stellt sich doch noch eine andere Frage: Wie Herr Gauland bin ich kein besonderer Fußballkenner, trotzdem habe ich den Namen Boateng natürlich schon mal gehört und konnte ihn als Fußballer zuordnen; ich könnte Ihnen aber ungestützt – abgesehen von der Nationalmannschaft – nicht mal den Verein nennen. Und da nicht Herr Gauland sondern da die FAS-Redakteure den Namen in das Interview eingeführt haben, muss man nicht davon ausgehen, dass Gauland klar war, dass Herr Boateng in Deutschland geboren wurde, hier zur Schule gegangen ist, etc. Ich hätte das jedenfalls auch nicht gewusst. Hätte er das annehmen müssen? Ganz ehrlich, halten Sie mich für einen Rassisten, aber meine erste Assoziation beim Namen Boateng ist nicht, dass er aus dem Schwarzwald stammt. Hätte er nachfragen können? Ja hätte er, aber muss ein AfD-Politiker tatsächlich fest davon ausgehen, dass ihn „Journalisten“ nicht nur auf’s politische Glatteis sondern in einen handfesten Skandal verwickeln wollen? Je mehr ich darüber lese, und je mehr die Presse fast durchgängig ins gleiche Horn bläst, umso mehr bin ich überzeugt, dass es sich hier eher um einen FAS- denn ein AfD-Skandal handelt.
Gottes Segen für Sie!
Hans
Wenn Gauland es nur als Zustandsbeschreibung meinte, so ist das kaum abzustreiten. Dagegen machen tut er nichts, eher das Gegenteil.
Jedoch: Ich bezog mich auf sein Statement auf der Webseite der AfD, zu der die FAS, nehme ich an, nochkeine Schreibberechtigung hat. Dort steht: „Ich habe in dem vertraulichen Hintergrundgespräch die Einstellung mancher Menschen beschrieben, aber mich an keiner Stelle über Herrn Boateng geäußert, dessen gelungene Integration und christliches Glaubensbekenntnis mir aus Berichten über ihn bekannt sind.“ >>dessen gelungene Integration<< Das ist seine fremdenfeindliche Grundeinstellung: Es gibt Menschen, die von Geburt oder Herkunft schon einen Makel haben, welcher durch Integrationsleistung abgetragen oder wenigstens vermindert werden kann/muss.
Auch wenn Sie lange begründen, was Gauland evtl. beim Interview nicht wusste, was er aber auf webseiten schreibt, sollte einen bestimmten Wissensstand zumindest nicht unterschreiten (falls doch, disqualifiziert ihn Unwissenheit für höhere pol. Ämter).
Boateng wurde in DL geboren, er hat eine deutsche Mutter und einen Vater, der nicht in DL geboren wurde. Der nicht in DL geborene Vater ist die Ursache, weswegen sich Gaulands Statement nach der kleine Jerome integrieren musste. Das ist das rassistische, fremdenfeindliche an Gaulands Gedanken: Ein von einem nicht in DL geborenen Mann gezeugtes Kind hat einen Makel, deshalb muss es sich integrieren.
Marco Gallina
Von den Kardinaltugenden ist mit Sicherheit die Besonnenheit jene, welche Sie am meisten ehrt, Herr Honekamp. Auch in solchen hitzigen Diskussionen.
Siegfried Simperl
Anders als zu Zeiten der Weimarer Republik und anders als im Italien der 20er und 30er Jahre steht hier und heute die “Elite” nicht auf der Seite der Völkischen.
Die deutsche Wirtschaft operiert erfolgreich transnational. Sie kann eine völkische Einigelung nicht brauchen. Das Hochziehen von Grenzen widerspricht dem ökonomischen Interesse. Sowohl der Freihandel als auch die Entstehung eines globalen Arbeitsmarktes sind Anliegen der Wirtschaft.
Auf etwas überraschende Weise laufen darum in Sachen Internationalität, Globalität, Kosmopolitismus, Weltoffenheit die Interessen der Wirtschaft und die natürlichen Neigungen derer, die man politisch weiter links ansiedelt bzw. derer, die die kulturelle Elite bilden, zusammen.
Gauland und seine “Leute” bekommen Gegenwind nicht nur und nicht einmal in erster Linie von links, sondern vor allem von der Wirtschaft und ihren Interessenvertretern. Deutschland ist nicht Ungarn, nicht Polen, nicht Österreich.
Auch deshalb nicht, weil der Rest der Welt eine deutsche Wendung zum Illiberalen und Völkischen vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte interpretieren würde: für uns besonders ruf- und geschäftsschädigend.