Das nachsynodale Schreiben Amoris Laetitia verlangt Konsequenzen. Der Passauer Bischof hat sich an die Arbeit gemacht, mit bemerkenswerten Ergebnissen.
Das Dokument ist ein Monster! Amoris Laetitia, das nachsynodale Schreiben zu den Familiensynoden, ist nicht nur umfangreich, sondern lässt auch noch jede Menge Raum für Interpretationen. Eingangs eines anderen Beitrags habe ich das mal so beschrieben: „Der Papst spricht in Amoris Laetitia und in persönlichen Worten von Barmherzigkeit, interpretiert wird er im Licht der Dogmatik. Das muss schief gehen.“ Und so trauen sich die meisten Kirchenvertreter auch kaum an das Dokument heran, jedenfalls nicht in offiziellen Dokumenten. Schwadronieren über eine „Öffnung des Ehesakraments“ über ein „Überdenken den Umgangs mit wiederverheirateten Geschiedenen“ können viele. Aber Konsequenzen herleiten und ziehen?Für die deutschen Bischöfe hat da jetzt der Passauer Bischof Stefan Oster vorgelegt (kath.net hat berichtet). Bekannt und unter Liberalen berüchtigt als eine der weinigen konservativen Kräfte unter den Bischöfen hierzulande, darf man also aufmerken hinsichtlich seines an die Priester seines Bistums adressierten Schreibens, das eine vorübergehende „Orientierungslinie“ im Umgang mit eben jeden wiederverheirateten Geschiedenen sein soll. Zumal er den Brief nicht nur an die Priester versandt, sondern auch auf seinem Blog veröffentlicht hat. Man darf also durchaus davon ausgehen, dass er sich wünscht, dass auch die Gläubigen und andere Diözesen davon Kenntnis nehmen – und sei es als Diskussionspapier.
Lehre und Barmherzigkeit
Dabei ist das, was er schreibt, keine leichte Kost. Bischof Oster macht sich daran, Amoris Laetitia aus beiden Perspektiven zu beleuchten: Aus der Sicht der Wahrheit der Lehre der Kirche und aus der Sicht der Barmherzigkeit der Kirche. Beides darf nicht im Widerspruch zueinander stehen, ergibt aber nicht selten ein Spannungsfeld der Interpretation. Was, wenn jemand gegen die Lehre der Kirche verstößt und nach einer gültigen Eheschließung erneut zivil heiratet? Was, wenn jemand in einer „irregulären“ Beziehung mit einem Partner lebt? Die Lehre, die Bischof Oster wiedergibt, ist an dieser Stelle eindeutig:
Es gibt keinen Zugang zur Kommunion für Gläubige, die nach erster gültiger Ehe erneut in einer Partnerschaft mit einer anderen Person leben. Sie leben im Zustand des ständigen Widerspruchs zu ihrem ersten, unauflöslichen Ehebund, und damit eben auch im Widerspruch zum eucharistischen Geheimnis, in dem ihr Ehebund geschlossen wurde. Die Kirche hat bislang kontinuierlich vertreten, das sei grundsätzlich eine schwerwiegende Sünde, und auch Papst Franziskus wiederholt das in AL etwa dort, wo er zusammen mit den Synodenvätern sagt, dass „jeder Bruch des Ehebandes Gottes Willen zuwider läuft“ (291).
(Hervorhebung auch im Original)
Und trotzdem begibt sich Oster in Amoris Laetitia auf die Suche nach einer Erweiterung: Ein „Nein“ ist eben nicht genug! Dazu gehört auch die Feststellung, dass der Kommunionempfang kein Recht ist, das man einfordern könnte. Schon gar nicht darf man sich darüber hinwegtäuschen, dass der Kommunionempfang in einem Zustand der schweren Sünde den Glauben eher schwächt als ihn stärkt.
Altes und Neues
In dem Zusammenhang erläutert der Bischof noch mal einen Teil der Sakramentenlehre sowohl der Eucharistie als auch des Bußsakraments, von dem wiederverheiratete Geschiedene ausgeschlossen sind. Daran hat sich nichts geändert, daran kann auch der Papst nichts ändern. Das schließt allerdings nicht aus, dass der Einzelfall betrachtet und dort nach Lösungen gesucht werden kann, die der Gewissensfreiheit eines Gläubigen entsprechen. Dazu hier einen der – wie ich finde – wesentlichen Absätze aus dem Bischofsschreiben:
Nehmen wir an, ein Mensch in einer „irregulären Situation“ lebt wirklich aus dem Glauben an den Herrn und bezieht aus dieser Beziehung Kraft und die Fähigkeit zur Treue, zum Beispiel gegenüber einem (neuen) Partner, besonders auch im Fall von Krankheit oder Schwierigkeiten, oder zum Beispiel in der Fürsorge für die Kinder, die da sind. Die Frage wäre also: Ist eine solche liebende Zuwendung automatisch schon deshalb nicht von der Gnade begleitet, weil einer ja im „Zustand der Todsünde“ gar nicht in der von Gott gemeinten Weise glauben und lieben könnte? Wäre eine solche liebende Zuwendung automatisch gnadenlos, also auch nicht ehrliche Liebe oder echtes Vertrauen, weil ja im Stand der schweren Sünde? Er hätte sich ja in diesem inneren Zustand von Gottes Gnade abgeschnitten?
Oder kann es sein, dass jemand aus der Kraft des Glaubens auch dann noch viel liebt und vertraut, wenn seine Lebenssituation „irregulär“ ist? Wenn wir nun diese zweite Position bejahen, nämlich dass auch in der „irregulären Situation“ immer noch echter Glaube möglich wäre und damit auch Handlungen echter Liebe zu finden, wird man dann nicht auch berücksichtigen können, dass die „Liebe viele Sünden zudeckt“? (1 Petr 4,8, vgl. Spr 10,12).
Das scheint mir der wesentliche Aspekt der Barmherzigkeit zu sein, auf die Papst Franziskus in der Beurteilung dieser Situationen so viel Wert legt: Ist eine neue Beziehung immer und grundsätzlich ohne jede Gnade, weil sie einer ersten sakramentalen Ehe folgt? Oder lässt auch Gott Grautöne zu? Man kann sich darüber streiten, ob diese Erkenntnis unter die Überschrift „Was ist neu?“ passt – die Barmherzigkeit Gottes ist sicher keine neue Erkenntnis für einen Christen. Aber der Papst wie auch Bischof Oster machen hier eben deutlich, dass Wahrheit und Barmherzigkeit durchaus in einem Spannungsverhältnis stehen können. Das einzugestehen fällt mir jedenfalls nicht immer leicht.
Praktische Tipps für ein schwer zu lösendes Spannungsfeld
Der eigentliche Brief (ihm ist noch eine Anlage beigefügt) endet mit Ratschlägen und Vorgaben für die seelsorgliche Praxis, die dieses Spannungsfeld noch einmal gut wiedergeben, beispielsweise in den folgenden Punkten:
- Die schnelle Ausnahme bei der Sakramentenzulassung ohne intensives Hinsehen, Begleiten, Integrieren, ohne Konfrontation mit der tieferen Wahrheit des Evangeliums, ist daher nicht vorgesehen.
- Aber das schnelle Urteil über Menschen in „irregulären Situationen“ unter bloßer Beharrung auf dem Gesetz ist eben auch nicht vorgesehen, nie. Vor allem dann nicht, wenn dahinter sich die heimliche Absicht des Seelsorgers verbirgt, die Mühe der Begleitung nicht auf sich nehmen zu wollen. Wir brauchen ein geistliches Urteilsvermögen im Licht der Wahrheit und Liebe des Herrn und seines Evangeliums.
Oder hier:
- Was wir gar nicht brauchen, ist demonstrative Zurschaustellung von „Ausnahmen“.
- Was wir auch nicht brauchen ist Uneinheitlichkeit unter den Seelsorgern, die dazu führt, dass Gläubige allzu schnell sagen können: „Dann gehe ich eben zum Nachbarpfarrer, der ist großzügiger, da bekomme ich schneller, was ich möchte“.
- Was wir dafür brauchen ist Ehrlichkeit, ist Barmherzigkeit, ist Tiefe, ist Begleitung, ist intensive Reflexion, ist Gebet, ist Demut, ist Diskretion.
Diese Spannungsfelder machen das Leben der Priester nicht einfacher. Aber Oster will es eben auch nicht leicht machen, sondern vor allem sicherstellen, dass niemand leichtfertig mit vorschnellen Maßnahmen auf Amoris Laetitia reagiert. Das Dokument ist – wie der Papst immer wieder betont hat – langsam und immer wieder zu lesen; schnell eine neue Glaubenspraxis daraus abzuleiten führt dagegen in die Irre.
Ein Anhang, der es in sich hat
Wer nun glaubt, er könne sich mit Verweis auf sein Gewissen nun mal eben so über die kirchliche Lehre hinwegsetzen, der wird durch einen Anhang des Briefes ausgebremst. Bischof Oster hat den Offizial Claus Bittner beauftragt, die notwendigen „Gesprächsfelder zur Gewissenserforschung einer Person (=Bittsteller), die in „irregulären“ Verhältnissen lebt, und in der Begleitung durch den Priester Kommunionzulassung erbittet“, zu erläutern. Und auch die haben es in sich: Von der „Aufarbeitung der gescheiterten Ehe und aktuellen Lebenssituation“ über die Nachkommen aus beiden Beziehungen, den Umgang mit dem ehemaligen Partner bis hin zur Wirkung in der Öffentlichkeit reichen die zu besprechenden Themen. Aus ihnen soll sich der Schluss ableiten lassen, ob oder unter welchen Bedingungen der Empfang der Kommunion doch möglich sein könnte.
Der Beichtstuhl soll keine Folterkammer sein, das betonen sowohl Papst Franziskus immer wieder als auch Bischof Oster in seinem Schreiben. Die Themenliste macht aber deutlich, wie vielfältig die Implikationen aus einer neu eingegangenen Beziehung sind. Über sie hinwegzugehen schadet dem Gläubigen und schadet der ganzen Kirche. Oder, wie Bischof Oster an anderer Stelle des Briefes schreibt:
Ich möchte die Seelsorger bitten und ihnen ausdrücklich raten, diejenigen, die nach Prüfung ihres Gewissens entscheiden, zur Eucharistie hinzuzutreten, darauf hinzuweisen, dass ein solcher Schritt die Übernahme einer intensiven persönlichen Verantwortung für die Gläubigen selbst mit sich führt, weil sich hier jemand für eine Ausnahme von der kirchlichen Norm entscheidet, die an sich ja ihre volle Gültigkeit behält, wie Papst Franziskus bekräftigt.
So geht das!
Die Verunsicherung war nach der Veröffentlichung von Amoris Laetitia teilweise groß. Das ist nicht so sehr dem Dokument anzulasten als viel mehr den unterschiedlichen Interessengruppen, die in das Schreiben einen Freifahrtschein für die Aufweichung der Ehelehre sehen wollten, die es nutzten, um dem Papst erneut die katholische Gesinnung abzusprechen oder auch – weit weniger – die versuchten, klar zu machen, das Amoris Laetitia gar keine Änderungen enthalte.
Inhaltlich ist letzteres sogar richtig. Im Umgang mit Menschen in sogenannten „irregulären Situationen“ beinhaltet Amoris Laetitia aber einen wahren Schatz an Vorschlägen, der gehoben gehört. An genau diese Arbeit hat sich Bischof Oster gemacht. Dafür gebührt ihm Dank – und an dieser Vorlage müssen sich alle anderen jetzt erst mal messen lassen!
Klicken Sie auf den unteren Button, um den Inhalt von stefan-oster.de zu laden.
Bernhard Martin
„Aus ihnen soll sich der Schluss ableiten lassen, ob oder unter welchen Bedingungen der Empfang der Kommunion doch möglich sein könnte.“
Ich mag Oster, er ist von der kleinen Truppe der übriggebliebenen konservativen Bischöfe in der DBK der einzige, der sich traut, zu brenzligen Themata den Mund auf zu machen. (Michael Gerber zB. sollte sich an ihm dringend ein Beispiel nehmen!)
Aber hier hat er sich um ein klares Statement herumgedrückt.
Er hat eine Möglichkeit offen gelassen, die es eben nicht gibt. Vielleicht im Kopf von Franziskus, bestimmt im Kopf von Marx und Konsorten, aber eben nicht getreu der Lehre der Katholischen Kirche.
Ich hätte begrüßt, wenn er mehr über das GESCHULTE Gewissen referiert hätte, mit der Schlussfolgerung, dass das geschulte Gewissen ein solches Unterfangen niemals zulassen kann, weil es der Sakramentenordnung zu wider läuft.
es gibt zwei Parallelen, bei denen man die Wirkung einer Relativierung eine unumstößlichen Wahrheit bestens studieren kann: die Folgen der Königsteiner Erklärung und die Folgen der Neufassung des Paragraphen 218.
Der stärkste Damm kann brechen, wenn man dem Wasser einen winzigen Durchgang verschafft, durch den es mit der Zeit den gesamten Damm aushöhlen und hinwegschwemmen kann.
Das passiert gerade.
Hannelore Richter
Amoris Laetitia, Finde ich, ist wirkliche Sicht der Liebe und der Barmherzigkeit. Wenn ein Partner in seinem Verhalten das Sakrament der Ehe missbräuchlich einsetzt und damit nur sich allein absichert, um versorgt zu sein, dann sorgt er/sie ja dafür, den/die Partner/In rücksichtslos auszunützen bis die Ehe zerbricht. Die Geschädigten sind vielleicht in ihrer finanziellen Existenz schwerst bedroht. Wenn nun Gott für diese/n Geschädigte/n einen neue/en Partner/in fügt, dieser nun in wirklich christlicher Liebe, die Leben der Kinder und des Vaters/ der Mutter, schützt und achtet, dann ist das Sakrament der Ehe nicht missbräuchlich. Gott verantwortet, was ER fügt. Darauf muss man vertrauen dürfen. In der Bibel im AT gab es Situationen wo Gott solche Fügungen schenkte. Barmherzigkeit, die Schlimmeres verhindert, ist Zeichen der vollkommenen Liebe Gottes, die rettet.