Geht es um das Thema Freiheit scheiden sich – zur Überraschung vieler – die Geister. Freiheit wovon und wozu ist da nur eine Frage beim Burkaverbot.
„Widerlicher Liberalismus!“ Ich gebe zu, der Vorwurf saß. Im Grunde bin ich ja, bei aller notwendigen klaren Kante, ein „Konsenshansel“. 25 Jahre Wohnstatt im Rheinland haben ihre Spuren hinterlassen: Der Rheinländer „hätt et jerne nett“. Das muss einen nicht hindern, auch mal provokant zu werden, aber im Grunde steht doch immer das Bemühen im Vordergrund, verstanden zu werden. Wenn aus dem Verständnis dann noch Toleranz erwächst, ideal sogar eine Akzeptanz und ein gegenseitiger Erkenntnisgewinn – umso besser.Burka als Symbol
Widerlicher Liberalismus ist der Vorwurf, den ich mir eingefangen habe im Bemühen, meinen Standpunkt zu einem potenziellen Burka-Verbot klar zu machen. Der Standpunkt ist: Bekleidungsverbote gehen gar nicht! Sie gehen in meinen Augen im Übrigen auch nicht dort, wo es sie schon gibt. Zivilrechtlich kann man viel organisieren: Jede Diskothek hat ihre – manchmal nicht durchschaubaren – „Bekleidungsvorschriften“ und niemand sollte gezwungen werden, in seinen Räumen (egal ob privat oder geschäftlich) jemanden zu dulden, der sich unangemessen kleidet. Wenn ich also einen Laden hätte, und hineinspaziert käme jemand mit einer SS-Uniform … höflich würde ich ihn nur einmal bitten, mein Eigentum zu verlassen, der zweiten Bitte würde ich mit Gewalt Nachdruck verleihen.
Aber staatlicherseits verbieten? Warum sollte ausgerechnet der Staat der richtige Ansprechpartner und Entscheider dafür sein, was angemessene Kleidung ist? Darum halte ich von einem Verbot der Burka ebenso wenig wie von einem Verbot von 3.-Reich-Uniformen. Ich halte allerdings auch nichts von einem Diskriminierungsverbot. Wenn also eine Frau meint, sie müsse verhüllt zur Arbeit erscheinen, dann sollte ihr Arbeitgeber, wenn er das für sinnvoll hält, sie rauswerfen dürfen. Das gilt in gleicher Weise auch für andere Äußerlichkeiten. Ich trage selbst einen Bart – aber wenn mein Arbeitgeber das nicht akzeptieren wollen würde, müsste ich mir einen neuen Job suchen, oder in den sauren Apfel beißen und mich rasieren. Ist das intolerant? Ja sicher, aber wieso sollte der Staat umgekehrt vorschreiben, was jemand zu tolerieren hat? Wohlgemerkt immer zivilrechtlich!
Passende und unpassende Vergleiche
Da gehen dann allerdings die Argumente wild durcheinander. Zum Beispiel wird auf meinen Einwand, der Staat solle sich da nicht einmischen gekontert, es dürfe ja auch niemand nackt durch die Gegend laufen. Das Argument trägt allerdings nicht – und ich wäre im Prinzip sogar gegen ein solches Verbot, abgesehen davon, wenn es zu Unsittlichkeiten kommt, die Kinder gefährden könnten. Aber abgesehen davon, dass man nicht ungestraft nackt durch die Straßen laufen darf, kann man die Minimierung der Bekleidung schon recht weit ausreizen. Nur: Selbst in den letzten heißen Tagen tut das niemand! Es ist durchaus erlaubt, in Badehose oder Bikini durch die Straßen zu laufen. Aber abgesehen von vernachlässigbaren Einzelfällen passiert das nicht. In etwas gleicher Größenordnung bewegen sich die Zahlen der muslimischen Frauen in Deutschland, die vollverhült auf die Straße gehen. Deren Zahl ist schlicht irrelevant.
Da mag der eine oder andere einwenden, dass man aber damit rechnen müsse, dass es in Zukunft eine Vielzahl von Frauen in Burkas geben könnte, während die Gefahr, dass halbnackte Frauen die Straße bevölkern wohl eher gering einzuschätzen sei. Da ist sogar was dran, verlagert das Problem aber auch auf eine andere, die richtige Ebene. Die trifft sich übrigens mit dem Argument von Verbotsgegnern, die meinen, dann würden die betroffenen Frauen gar nicht mehr aus dem Haus gelassen: Toleranz gegenüber der Burka gegen die Intoleranz patriarchalischer muslimischer Männer? Nein, das ist nicht das Argument, weist allerdings ebenfalls auf eines hin: Es geht nämlich nicht um ein Bekleidungsverbot zum Schutz muslimischer Frauen (das auch diejenigen außer Acht lassen würde, die eine Verhüllung mit Überzeugung tragen). Es geht auch nicht um immer wieder vorgebrachte Sicherheitsbelange.
Die Burka als Symptom
In Wahrheit geht es um einen kulturellen Unterschied zwischen Westeuropäern und der Mehrzahl der hier sozialisierten Muslime und denjenigen, die der westlichen Kultur eine Absage erteilen. Das „offene Visier“ ist eine westliche Tradition, die jeder ablehnt, der sagt, ein anderer dürfe ihn aus welchen Gründen auch immer nicht sehen. In Wahrheit ist das Burka-Problem also ein Integrationsproblem, dem man mit gesetzlichen Regelungen eben gerade nicht beikommen kann. Das Integrationsproblem ist dabei auch noch politisch gewollt herbeigeführt: „Refugees welcome!“ und „Wir schaffen das!“, die Politik des „freundlichen Gesichts“ haben genau hier ihre Auswirkungen.
Ein großer Teil der westlich sozialisierten Deutschen und in Deutschland lebenden Menschen wurde faktisch gezwungen – manche sanken hin, manche wurden gezogen – sich darauf einzustellen, dass ein Kulturwandel stattfinden wird. Niemand ist in politisch verantwortlicher Weise gefragt worden, ob der mit der Migration einhergehende Kulturwandel gewünscht ist. Nicht mal das deutsche Parlament wurde befragt, das sich aber ohnehin seit Jahren im Dornröschenschlaf befindet, von der Kanzlerin zum Abnicken ihrer alternativlosen Politik genutzt wird und nur ab und zu aufgeschreckt durch Umfrage- und Wahlergebnisse der AfD.
Konsequenzen der Migration
Ein Land wird in Geiselhaft für einsame politische Entscheidungen genommen. Das hat mit Freiheit nicht viel zu tun. Wenn jetzt über ein Verbot diskutiert wird, um diese einsamen Entscheidungen zu entschärfen, dann ist das in gewisser Weise die Potenzierung der Unfreiheit und nebenbei auch nur Kosmetik. Denn eine Bekleidung, gerade eine religiöse begründete, in den Bereich der Illegalität zu drängen, wird das dahinter liegende Problem in der Tat nicht lösen. Wenn manche Juristen zu der Einschätzung kommen, ein solches Gebot verstoße auch gegen unser Grundgesetz, bekräftigt das nur diese Einschätzung.
Liberalismus und Konservatismus
„Widerlicher Liberalismus“ wird einem mit einer solchen Einstellung vorgeworfen, wenn man bereit ist, fremde Bekleidungsvorschriften zu tolerieren, selbst wenn man das dahinter stehende Welt- und Frauenbild ablehnt. Es wird einem vorgeworfen, man verrate die christlich-abendländische Kultur, die der Islam ohnehin nur unterwerfen wolle. Auf diese Art wird man als Liberaler zum Feind der Freiheit abgestempelt, weil man sich für die Freiheit anderer einsetzt – und sich damit gegen die wendet, die Freiheit nur für sich in Anspruch nehmen wollen.
An einer solchen Stelle wird man gewahr, das Liberalismus und (manche Spielarten eines vermeintlichen) Konservatismus nicht immer zusammen gehen. Da ist Entscheidungsbedarf des konservativen Liberalen gefragt: Bin ich im Grunde konservativ und geneigt, anderen meine Meinung notfalls auch mit gesetzlicher Gewalt aufzuzwingen, wenn sich die Gelegenheit bietet? Oder bin ich liberal und kämpfe auf dem „freien Markt der Meinungen“, um von meiner konservativen Sichtweise zu überzeugen?
Christliche Überzeugungen
Als Christ, das ist meine Überzeugung, gibt es zwei Fundamente, die Einfluss auf meine politische Einstellung nehmen: Das eine ist der Glaube an Jesus Christus. Das andere, eigentlich schon daraus abgeleitet, aber dennoch entscheidend, ist die Freiheit, in die uns Gott entlassen hat. Freiheit, auch das Falsche zu tun, Freiheit sich von ihm abzuwenden. Eine Freiheit, die nur dadurch begrenzt wird, wenn durch ihre Ausübung die Freiheit des anderen eingegrenzt wird. Diese beiden Pole sind nicht immer spannungsfrei übereinander zu bringen. Aber ich bin überzeugt, dass das genau unser Auftrag ist.
Darum kann ich nicht einerseits gegen Gesetze wettern, die die Gewissensfreiheit von Christen einschränken, und andererseits Gesetze fordern, die die Freiheit Anders- oder Nichtgläubiger einschränken. Wenn per Gesetz Eltern gezwungen werden, ihre Kinder einer unsäglichen Gender-Ideologie auszusetzen, dann ist das ein Skandal. Wenn aber per Gesetz Menschen gezwungen werden sollen, ihr Gesicht zu offenbaren, dann ist das genau so abwegig, wie wenn man ein Gesetz fordern würde, nach dem Eltern ihre Kinder nicht mit Gender-Theorien konfrontieren dürften.
Der Staat und die Politik?
Der schlechteste Ratgeber in solchen Fragestellungen ist dabei immer noch der Staat, dessen Vertreter im Zweifel andere Interessen verfolgen, Wenn also nun vermeintlich konservative politische Kräfte ein Burkaverbot fordern, dann darf man einen Blick auf die in naher Zukunft sich andeutenden Wahldebakel der bislang hier führenden Partei werfen. Hier geht es an keiner Stelle um Freiheit, nicht um den Glauben oder den Erhalt der christlichen Kultur. Hier geht es um politischen Machterhalt. Dem muss man – im Namen der Freiheit genau so wie im Namen des eigenen Glaubens – in den Arm fallen.
Mathias Schrader
Danke für diese sehr anregenden Gedankengänge Hr. Honekamp. Bislang gehörte ich zu den Anhänger des Burkaverbotes. Zumal sich deren Trägerinnen auf keine Stelle des Koran berufen können. So ist der Birks für mich nicht der „offenbarte Wille Allahs“, sondern der Fantasie bestimmter moslemischer Kreise entsprungen. Aber ich gebe Ihnen Recht, dass weder der Staat noch eines seiner Gesetze das geeignete Gegenmittel darstellen, ohne dabei nicht andere Freiheiten zu beschneiden. Also muss ich wohl meine Meinung noch einmal überdenken. Ihre Gedanken eignen sich sehr gut dafür.
Robert Nef
Ja, man kann da viele grundsätzliche Überlegungen anstellen. Was heisst „selbstbestimmt“ und was heisst freiwillig in einer Religion, deren Bezeichnung, wörtlich übersetzt „Unterwerfung“ heisst. Gibt es eine Menschenpflicht, das Gesicht zu zeigen und ein Menschenrecht, es zu verhüllen? Und gibt es einen Verzicht auf das Menschenrecht, selbst zu bestimmen, ob man das Gesicht zeigen oder verhüllen will. Aber: Wie „selbstbestimmt“ ist es, wenn sich Frauen dafür entscheiden, das zu tun, was Männer von ihnen verlangen und somit eben „dem Manne untertan“ zu sein? Muss man sich als Frau, muss man sich als Mensch „emanzipieren“, oder darf man darauf verzichten? Wenn sich Frauen nicht selbst dagegen wehren, muss der Staat ihnen dabei Hilfe leisten? Wenn persönliche Selbstbestimmung über Kleidung (im Rahmen der jeweiligen Sittenordnung) ein Menschenrecht ist, darf man darauf verzichten?
Ich neige als Freund der Freiheit dazu, dies zu bejahen, aber ich hoffe natürlich, dass sich auch viele Frauen im Islam, die Frage stellen, wo und wie und wem man sich „unterwerfen“ muss und unterwerfen will.
Marc
Vielen Dank für diese Einschätzung Felix. Unbequem, aber durchaus nachvollziehbar. Hoffentlich wird uns unser Liberalismus nicht irgendwann von den dadurch Beschützten „abgewöhnt“….