Neuwahlen wären eine gute Gelegenheit, die Parteien nicht für ein Wahlprogramm sondern für ihre wahren Positionen zu wählen. Scheuen viele sie deswegen?
„Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren!“ Das ist der zur Zeit wohl meistzitierte Satz des FDP-Vorsitzenden Christian Lindner. Er wurde tausendfach geteilt, wobei er sowohl auf Zustimmung als auch auf Widerspruch stieß. Dabei erscheint er auf den ersten Blick völlig einleuchtend. Neutral formuliert „Lieber etwas nicht tun, als es falsch tun“ macht aber vielleicht deutlich, dass es so einfach nicht ist. Aus Fehlern kann man schließlich lernen und zum politischen Kompromiss gehört wohl auch, ab und zu mal die zweit- oder drittbeste Lösung zu akzeptieren, wenn sich die richtige, die beste nicht durchsetzt.
Richtig – Nicht richtig – Falsch
Nun liegt aber die Frage, was denn richtig und falsch ist, und ab welchem Grad von „Unrichtigkeit“ etwas so falsch wird, dass man es nicht mehr unterschreiben kann, im Auge des Betrachters. Offenbar lagen also aus Sicht der FDP-Sondierungsdelegation die Positionen so weit auseinander, dass man sich nicht mehr hat vorstellen können, dass es noch zu einer Einigung kommt, der man zumindest das Label „nicht falsch“ hätte anheften können. Da spielen also nicht nur eigene Einstellungen und Parteiprogramme eine wesentliche Rolle sondern auch Schwerpunktsetzungen.
„It’s the migration, stupid!“ ist ein Satz, den ich in diesem Zusammenhang mal gehört habe: Migration ist eines der Wahlkampf- und Aufregerthemen, an denen man beim Wähler nicht vorbei kommt, selbst wenn man sich eigentlich andere Schwerpunkte gesetzt hat. Wenn man also hier mit der „Kommt alle zu uns und bringt Eure Familien gleich mit“-Politik der Union und der Grünen nicht klar kommt, dann ist dieser Punkt alleine schon ein Argument, Sondierungsverhandlungen zu einer Regierungskoalition abzubrechen. Wenn man sich dann auch bei steuerlichen Themen wie der Abschaffung des Solidaritätszuschlags nicht einigen kann und die FDP bei anderen Themen Kompromisse schlucken musste, die bereits weh taten, und man darum den – wie es die FDP in einem Facebook-Posting nannte – „Geist des Sondierungspapiers“ nicht mit tragen kann, dann kann ich nicht anders als sagen: Richtig gemacht, nicht falsch regieren zu wollen!
Auf dem Tisch liegende Kompromissbereitschaft
Dem Liberalen fehlt dagegen mindestens ein wesentlicher Punkt in der Begründungsliste des Rückzugs aus den Jamaika-Sondierungen: Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz. Offenbar hatte man sich darauf geeinigt, dieses Gesetz einer Prüfung zu unterziehen. Dabei – das sollten bereits die vergangenen Wochen der Lösch- und Sperraktionen bei Facebook gezeigt haben – ist das Gesetz nicht nur in seiner reinen Anwendung offenbar verfassungswidrig sondern wirkt sich auch – da darf man Absicht unterstellen – in Form eines vorauseilenden Gehorsams aus: Anbieter sozialer Netzwerke löschen und sperren lieber einmal zu viel als am Ende den Gernegroß Maas (oder seinen Nachfolger) an der Backe zu haben. Das Gesetz gehört in den Orkus der Politik und nicht „überarbeitet“. Eine FDP, die sich Freiheit auf die Fahnen geschrieben hat, darf hier keine, jedenfalls nicht solche wesentlichen Kompromisse machen.
Gerade hier liegt jetzt aber auch die Option für Neuwahlen, die sich vielleicht aus der jetzigen politischen Konstellation ergeben: Die SPD steht immer noch in der Schmollecke – Martin Schulz ist immer noch beleidigt ob seines Abschneidens am 24. September und Andrea Nahles beschwert sich, dass ihre Partei jetzt Lückenbüßet spiele solle angesichts abgebrochener anderer Verhandlungen, als hätte ihre Partei nicht direkt Verhandlungen über eine Regierungsbeteiligung eine Absage erteilt. Da ist nicht viel zu erwarten. Um die AfD ist es in den vergangenen Wochen, jedenfalls nach dem Rückzug von Frauke Petry, eher still geworden, deren Position darf man also auch als unverändert annehmen. Bei Union, FDP und Grünen liegt aber jetzt auf dem Tisch, in welchen Punkten man für eine Regierungsbeteiligung kompromissbereit wäre und in welchen nicht.
Transparenz der Positionen
Der Wähler hat also die einmalige Möglichkeit, seine Wahl in Kenntnis des Nachwahlverhaltens der Parteien noch mal zu überdenken, die in den Verhandlungen und Kommentierungen bereits die Hosen herunter gelassen haben: Wer die Union in Erwartung der zeitnahen Ablösung der Kanzlerin gewählt hatte („Augen zu, CDU“) kann jetzt beobachten, wie sich schon wieder die Reihen schließen. Selbst der Bundesvorsitzende der Jungen Union, Paul Ziemiak, ließ es sich bei „Hart aber fair“ nicht nehmen, sich hinter die Kanzlerin zu stellen. Die CDU – das ist damit klar geworden – wird sich absehbar nicht ändern; wenn Jens Spahn und Co. jetzt nicht bald aus der Deckung kommen, darf man auch für die Zukunft nicht mehr mit einer Art „konservativen Aufbruch“ rechnen. Thematisch hat sich dagegen die CDU abgesehen von einem unbedingten Willen zum Kompromiss in den Verhandlungen mit absolut nichts hervorgetan. Die Grünen und die FDP haben dagegen, genauso wie die CSU, ihre Grenzen ausgelotet. So muss also ein FDP-Wähler bei Neuwahlen nicht mehr mit einer Steuerreform, die den Namen wirklich verdient rechnen, wenn „seine“ Partei in Regierungsverantwortung kommt. Und über das Thema Meinungsfreiheit – siehe oben – decken wir dann auch lieber den Mantel des Schweigens.
Wenn schon zu normalen Zeiten „nach dem Wahlkampf vor dem Wahlkampf ist“, dann gilt das für den Moment erst recht. Insofern ist es gut, wenn eine Partei in den Sondierungsverhandlungen die Reißleine gezogen hat, weil sie an einer in ihren Augen falsche Regierungsarbeit nicht beteiligt sein wollte. Ein solches Recht des Rückzugs muss jede Partei haben und es ist schon ein Zeichen von Rückgrat, sich in den Sturm zu stellen und auszudrücken: Mit uns nicht! Dieses Verhalten der FDP-Führung kann man also loben … ohne gleichzeitig deren Vorstellungen von Richtigkeit der eigenen Positionen zu bestätigen.
Nicht regiert werden!
Mit anderen Worten: Dass die FDP aus den Jamaika-Sondierungen ausgestiegen ist, war offenbar richtig. Es ist aber nur sehr indirekt ein Argument, diese Partei zu wählen. Vielleicht haben die Wähler aber die Möglichkeit, das in den kommenden Wochen noch einmal unter die Lupe zu nehmen und dann ihr Kreuzchen überzeugter als bisher an einer bestimmten Stelle zu machen. Und für alle, die echte Liberalität suchen, stelle ich den Lindner-Satz noch mal ein wenig um, sodass man an ihm auch eine Wahlentscheidung orientieren kann: „Nicht regiert werden ist in den allermeisten Themen besser, als überhaupt regiert werden!“
Konrad Kugler
Lt. Augsburger Allgemeine sagte der OB von Augsburg: „Inhaltlich hatte sich viel getan, Union und Grüne waren sich nahezu einig.“ Und die FDP behauptet, daß die Merkel nur den Grünen nachgegeben habe.
Also sollte die irre Politik in gleicher Weise fortgestzt werden.
Ein großes Dankeschön an die FDP, auch wenn ich sie nie wählen werde.
Stefan S.
Volle Zustimmung!
Die FDP hat, wenn die Verhandlungen tatsächlich so liefen, dass man sich als FDP nicht wiedergefunden hat, vollkommen richtig gehandelt.
Kompromisse müssen gemacht werden, daran zweifelt keiner, aber es gibt doch immer eine Grenze.
Es kann kein Kompromiss sein vorbehaltlos alle Positionen des Gegenübers zu übernehmen.
Ich hoffe auch, dass die SPD bei ihrer Position bleibt.
Vor allem, weil sie von Anfang an klipp und klar gesagt haben, dass sie in die Opposition gehen, unter allen Umständen!
Man sollte zu seinem Wort stehen und es halten, und wenn man öfter in Bedrängnis kommt seine Zusagen zu halten, vielleicht etwas vorsichtiger damit werden, was man so von sich gibt.
Zum Glück gibt es jemanden der nicht erst mit uns Sondieren muss um bei uns zu sein und uns zu begleiten. Ich glaube Sie kennen ihn auch. ;-)
Webdesigner
Neuwahlen sind vollkommen Sinnlos meiner Meinung, da die einzigen Gewinner die kleinen Parteien seien werden. Dadurch, das aber weiterhin keiner mit der AfD zusammenarbeiten möchte und die FDP sich weiterhin sträubt, hängt alles an der SPD. Diese will aber in der Opposition bleiben und das gleiche Spiel beginnt von vorne.
Das macht mir Angst und ich Frage mich ehrlich wo Deutschlands Mitte geblieben ist.
Muss es wirklich immer erst extrem werden ???