Geht es in Josefine Mays Buch „Willkommen in meiner Seele – Mein Leben mit Psychose“ um eine Krankheit? Auch, aber es leistet viel mehr!
Wer die ersten Seiten von „Willkommen in meiner Seele – Mein Leben mit Psychose“ geschafft hat, weiß, worauf er sich mit der Lektüre dieses Buches eingelassen hat: Das ist ein Brett! – Und gerade aus dem Grund war ich zunächst nicht sicher, ob ich einen „Lesebefehl“ aussprechen kann, wie ich es eigentlich gerne tun möchte. Denn der eine oder andere mag es doch für ein wenig viel halten, was ihm hier als wahrgewordener Albtraum zugemutet wird: Josefine May, die Autorin des Buches, leidet unter einer Psychose – und führt in ihre Geschichte ein mit einer Episode aus ihrem ersten Ausbruch:
Albtraum
Eine Frau findet sich vermeintlich in einem Gefängnis wieder und sieht ihrer Hinrichtung entgegen. Starke Aufseher packen sie, schnallen sie fest, Gegenwehr ist mehr oder weniger zwecklos. Sie wird fixiert und erhält dann eine Spritze. Als sie wieder aufwacht findet sie sich in einer Abstellkammer wieder und versucht sich zu erinnern, wie sie hier her gekommen ist, und warum sie nicht raus darf.
Das alles ist keine Realität sondern „nur“ das Symptom des Psychoseausbruchs in einer Klinik und ein kleiner Einblick in diese Krankheit, die sie heimgesucht hat. Dazu gesellt sich im Buch die Perspektive ihres Freundes, Verlobten und jetzt Ehemanns, Jeremias, der sich mit diesen Ausbrüchen konfrontiert sieht, seinen eigenen, persönlich sehr verständlichen Fluchtreflexen wiedersteht und seine Frau durch diese Krankheitsphasen begleitet. Seine persönliche Horrorvorstellung war, mit einer Frau verheiratet zu sein, die „verrückt“ ist – und genau diese Vorstellung ist kurz nach seiner Verlobung eingetreten. Seine Sicht der Dinge wird zunächst nur durch die Einschätzung Josefine Mays wiedergegeben; seine eigenen Worte finden am Schluss des Buches in einem eigenen Kapitel ihren Niederschlag.
Gott in einer Doppelrolle
Der Leser erfährt in dem Buch einiges über die Hintergründe und Folgewirkungen der Erkrankung. Das mag helfen, eine richtige Einordnung auch für sich selbst zu finden. Da drehen nicht einfach Menschen ab; es sind Menschen die erkranken, und diese Erkrankung ist erklärbar und – in vielen Fällen, wie auch dem der Autorin – therapier- bzw. eindämmbar. Das stellt sicher einen Wert dieser kurzen Biographie dar. Vor allem aber ist es ein sehr persönliches Zeugnis vom Umgang der Frau, ihres Ehemannes, der Familie und des Umfelds mit dieser Krankheit. Und dieser ist geprägt von einem tiefen Vertrauen zu Gott.
Gott spielt dabei auch deshalb eine Rolle, weil er nicht nur in „gesunden“ Zeiten Halt und Hoffnung gibt, ein Gott, der von der Autorin als „der treue Gott“ beschrieben wird, der einen niemals alleine lässt und einem nicht mehr zumutet als man ertragen kann. Dazu kommt, dass der tiefe Glaube auch Spuren in den Psychosen hinterlässt. In der Rückschau – so beschreibt es May selbst – kann man über manche Begebenheiten lachen, dass sie zum Beispiel zur Hochzeit das Westfalenstadion mieten will, um die Gäste über den bevorstehenden Weltuntergang zu informieren, oder dass sie einen Mann fotografieren möchte, der von seiner – ebenfalls psychisch erkrankten – Frau in der Klinik als „Antichrist“ bezeichnet wird, weil sie möchte, dass die Menschen in ihrer Gemeinde erfahren, wie der Antichrist aussieht.
Der Glaube bewahrt nicht vor der Psychose – aber er hilft, sie zu überwinden
Bei allem fachlichen Interesse (in der Einleitung kommen auch Mediziner und Therapeuten zur Wort) sind es nicht so sehr die Psychoseschübe, die den Inhalt des Buches definieren sondern die Beziehung der Hauptpersonen zu Gott. Möglicherweise räumt das Buch aber auch mit dem Vorurteil auf, dass der christliche Glaube ein Garant gegen psychische Erkrankungen sein könnte. Wenn die Autorin von einer „gestressten Seele“ als einen Auslöser für die Psychose spricht, dann kann das jeden treffen, egal wie tief sein Glaube sein mag. Möglicherweise kann der Glaube eine gewisse Grundgelassenheit vermitteln; wer sich allerdings bei gegebener Veranlagung körperlich oder geistig überanstrengt, Raubbau mit Körper und Seele treibt, den kann diese Krankheit genauso erwischen.
Der Glaube an Gott bewahrt also nicht vor der Krankheit – der Umgang mit der Krankheit ist aber im Glauben vermutlich ein ganz anderer, als wenn man sie nur durch eine rein weltliche Brille betrachten würde – eben genau weil es eine Seele ist, die durch einen Psychoseschub aufschreit.
Ein Buch über den festen Glauben daran, dass Gott treu ist
Und so sind die Tipps, die die Autorin am Ende für Erkrankte, ihre Familie und auch für Menschen, die Gott noch nicht gefunden haben, bereithält, in gewisser Weise auch allgemeingültig: Wie gehe ich als Angehöriger eines Erkrankten zum Beispiel mit mir selber um … immer vorausgesetzt, ich liebe andere wie mich selbst? Bin ich als Betroffener bereit, eigene Grenzen zu akzeptieren, mich nicht zu überfordern, in der Gewissheit, damit am Ende mir selbst und meinem Umfeld mehr zu schaden als zu nutzen? Das alles sind Fragestellungen, die für die Autorin überlebenswichtig geworden sind, die aber auch jeder andere für sich beantworten muss.
Josefine May weist im Vorwort darauf hin, dass das Buch für akut psychotisch erkrankte Menschen vermutlich nicht geeignet sein wird. Ansonsten aber traue ich mich, es jedem zu empfehlen: sowohl potenziellen Lesern, die Kontakt mit diesem Krankheitsbild haben, aber auch allen anderen Interessierten. Insbesondere für letztere ist „Willkommen in meiner Seele“ nicht so sehr ein Buch über Psychose sondern ein Zeugnis der Liebe eines Paares zueinander und der Liebe Gottes zu ihnen. Darum Lesebefehl? Unbedingt!
Nachtrag
Einen besonderen Wert hat das Buch für mich, weil wir die betroffene Familie ein wenig kennen. Der persönliche Kontakt mag zu der Empfehlung beigetragen haben, aber er hat mir nur umso mehr verdeutlicht, wie wenig gefeit man vor einer solchen Krankheit ist – und wie mächtig der Glaube an Gott auch in solch scheinbar ausweglosen Situationen wirkt.
Lehrer Lämpel
Ein „Klassiker“ einer Psychoseerfahrenen ist das Buch der ebenfalls unter Pseudonym dem Dorothea Buck-Zerchin schreibenden „Auf der Spur des Morgensterns“.