Junge, da habe ich mich schwer mit getan, aber ich kann Rod Drehers „Die Benedikt-Option“ trotzdem empfehlen. Mindestens zum drüber Nachdenken.
Wir leben in einer nachchristlichen Gesellschaft, und diese Nachchristlichkeit war schon seit Jahren, vielleicht seit Jahrhunderten im Anmarsch. Die Grundthese Rod Drehers ist wohl für niemanden besonders neu. Trotzdem ist ihm mit „Die Benedikt-Option“ ein bedenkenswertes Buch gelungen. Das zeigt sich weniger am Erfolg in den USA und auch dem zwischenzeitlich in katholischen Kreisen Deutschlands sondern daran, dass man auch ganz schön zu knabbern haben kann an dem Werk und seinen Argumenten.
Situationsbeschreibung
Dabei ist die Situationsbeschreibung – von Dreher als Amerikaner naturgemäß aus US-amerikanischer Perspektive geschrieben, recht eindeutig und unterscheidet sich auch kaum von der in Westeuropa, wenn es auch noch ein bisschen dauern kann bis die hässlichsten Auswirkungen einer antireligiösen „political correctness“ auch hier Raum greifen. Sie sind auf dem Weg und sie lassen sich anscheinend nicht aufhalten. Als Libertärer ist man aber zu Beginn des Buches bei der Ursachenbeschreibung schnell geneigt, das 387-Seiten-Werk wieder wegzulegen. Als Grundübel wird da so etwas wie ein schon bei den Nominalisten grundgelegter Individualismus ausgemacht – wobei mir bis zum Ende des Buches nicht recht klar geworden ist, ob Dreher damit tatsächlich die Orientierung am Individuum meint – die tatsächlich eine Frucht des christlichen Glaubens ist mit seiner Ablehnung heidnischer Ahnen- und Sippenkulte und der Überzeugung, eine persönliche Beziehung, ganz individuell, mit Gott eingehen zu können– oder die westliche Libertinage, die heute meint, jeder Lebensentwurf sei gleich wertvoll.
Offenbar trauert Dreher tatsächlich einem gesellschaftlichen, politischen, ja staatlichen Schutz des christlichen Glaubens nach. Der hat sich in der Tat nicht erst mit den 68ern des letzten Jahrhunderts aufzulösen begonnen. Spätestens seit der allgemeinen Demokratisierung bildet sich allerdings eine – liberale – Überzeugung aus, dass Politik durchaus mit christlichen Grundeinstellungen gemacht werden kann und sollte, die Politik aber keine religiöse Anschauung erzwingen darf. Das kann man reduzieren auf ein Zurückdrängen der Religion und des Glaubens ins Private, das ist es aber nicht. Eher schon haben sich diejenigen, die bislang aus christlicher Überzeugung in die Politik eingemischt haben, diese Grundlage zugunsten eines Konsensprimats aufgegeben. Egal ob man aber Drehers Analyse folgt, das Ergebnis ist das gleiche: Der Glauben wird in die Privatsphäre gedrängt, dies vor allem in Europa umso mehr, wenn es sich um den christlichen Glauben handelt. Die Ergründung der Ursachen wäre sicher interessant, aber eine ex-post-Betrachtung, die vielleicht nur geringes Potenzial zur Verbesserung liefert.
Die Realität wahrnehmen
Die Konsequenzen, die Dreher zieht, sind aber in der Tat interessant. Ich hatte das zu Beginn der Lektüre missverstanden als einen Rückzug aus der Welt. Das ist aber – jedenfalls nicht in dem Weltflucht-Sinn des Wortes gemeint. Es geht um die Kenntnisnahme von Strukturen, die so sind, wie sie sind: Die Politik orientiert sich ganz offensichtlich nicht an christlichen Maßstäben, bei gesellschaftlichen Gruppierungen wie NGOs kann man im Wesentlichen nicht von einer christlichen Prägung ausgehen, selbst wenn deren Ziele bisweilen mit christlichen Zielen kompatibel sein können. Das gesellschaftliche Gesamtweltbild hat sich gedreht zu einem kollektivistischen, recht eigentlich anti-individualistischen Denkmuster, dass ein Heraustreten aus dem Mainstream direkt sanktioniert. Es kommt einem das Bild der 70er-Jahre mit den Bundeswehr-Parkas als „nonkonformer Uniform“ in den Sinn. Diese Uniformität ist bereits durch Papst Benedikt XVI. im Begriff der „Diktatur des Relativismus“ beschrieben. In dieser Diktatur ist fast alles erlaubt, nur keine feste Überzeugung, die eine andere Gruppe – scheinbar oder tatsächlich – bewertet.
Wenn das so ist, so schließt Dreher und wendet sich dann sehr konkreten Umsetzungsschritten zu, ist es für uns Christen an der Zeit, nicht mehr auf Politik oder Gesellschaftsmassen zu setzen sondern exakt auf diese unsere eigenen Überzeugungen, diese zu leben – gelegen oder ungelegen, um ein Wort des verstorbenen Kardinal Meisner zu Ehren zu bringen. Dabei orientiert sich Dreher an der Benedikt-Regel, die der Heilige für seine Klöster verfasst hat, um dem Leben der Mönche ein durch und durch christliches Gepräge zu geben. Dazu gehört das bekannte „Ora et labora“ (eine Formulierung die so nicht vom Heiligen Benedikt von Nursia stammt, aber recht gut einen Kern seiner Vorstellung von mönchischem Leben wiederspiegelt, aber auch ein großer Teil an gesellschaftlichem Engagement, dass sich bewusst in Widerspruch setzt zu generellen Trends.
Ein anderes Leben
Dazu gehört die Wiederentdeckung der christlichen Liturgie genauso wie der unbedingte Wille zum Zeugnis, notfalls zum Martyrium. Es gehört dazu der Gedanke des eigenen Heims als „häuslichem Kloster“, in dem weltliche Regeln, die dem Glauben widersprechen außer Kraft gesetzt sind, genauso wie der Zusammenschluss mit anderen christlichen Konfessionen; dies durchaus in Anerkenntnis der Verschiedenheit aber eben auch in der Ähnlichkeit der Überzeugungen und der sich daraus ergebenden Bedrängnisse in unserer Zeit. Dreher plädiert, und da ist er in den USA den deutschen Gesetzen und zwischenzeitlichen Denkgewohnheiten weit entrückt, für die Einrichtung eigener, christlicher Schulen, die einem klassischen Bildungsideal verpflichtet sein sollten, als auch für die Bildung eines eigenen sozialen Umfelds in dem man auch im Arbeitsleben christliche Ideale leben kann, ohne gezwungen zu sein, Kompromisse einzugehen, die das Gewissen belasten müssen.
Einen großen Teil des Buches nimmt auch die Beschäftigung mit dem „Eros“ ein, der – da sind die USA und Europa sich wiederum ganz nahe – pervertiert wird zu einem individualistischen (hier passt die Kritik) Lustempfinden, aus dem sich ein Recht auf sexuelle Befriedigung ableitet. Gender-Wahnsinn, sexuelle Perversionen, vermittelt schon in den Schulen und Kindergärten und der Siegeszug der Pornografie, sind die Symptome dieses antichristlichen und antimenschlichen Gesellschaftsbildes, das in besondere Weise Schaden anrichtet in den Gehirnen und Seelen bereits der Jüngsten.
Keine Weltflucht
Das alles ist entgegen meines ursprünglichen Verdachts kein Plädoyer für eine Weltflucht, es ist eher ein Plädoyer dafür, dass wir als Christen einen alternativen Lebensstil brauchen, wenn wir nicht selbst unseren Glauben verlieren oder ihn nicht mehr an unsere Kinder weitergeben können wollen. Gleichzeitig bietet ein solcher Lebensstil auch anderen Menschen eine Alternative, die sie in der Welt heute nicht mehr finden. Dreher geht hart mit denen ins Gericht, die sich zu sehr an die Welt angleichen und in einem ungesunden Kompromiss meinen, den Frieden mit der Welt machen zu können. Das, so seine Überzeugung, wird über kurz oder lang den eigenen Glauben kosten … und wer sich die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen auch nur der vergangenen fünf bis zehn Jahre ansieht, wird nicht umhin kommen, ihm Recht zu geben.
„Die Benedikt-Option“ rumort
Ich mag an dieser Stelle keinen Aufruf zu einem Leben nach der von Dreher beschriebenen Benedikt-Option geben, weil ich selbst nicht sicher bin, inwieweit ich bereit wäre, diesen konsequenten Weg zu gehen, wenn dies gesellschaftliche Stellung, Freundschaften, persönliche Netzwerke, die berufliche und wirtschaftliche Existenz, am Ende eines Tages vielleicht mal das Leben kosten kann. Im Grunde aber muss jedem Christen klar sein, dass dies keine Argumente sind, die man ernsthaft am jüngsten Tag seinem Richter vortragen möchte. „Die Benedikt-Option“ rumort noch in mir … und deshalb empfehle ich sie.
Gerd Franken
„Das alles ist entgegen meines ursprünglichen Verdachts kein Plädoyer für eine Weltflucht,“
Wie genau ist ihr Verdacht im Zusammenhang mit dem Begriff „Weltflucht“? Hat Jesus nicht gesagt, dass sein Reich nicht von dieser Welt ist? Wenn man sich nun in die Arme Jesu flüchtet, dann flüchtet man automatisch aus „dieser Welt“!
Papsttreuer
Weltflucht (als Verdacht) hätte für mich bedeutet, die Türen zur Welt zu schließen, was insbesondere bedeuten würde, dem Missionsauftrag nicht mehr nachzukommen. Wenn Christen ein eigenes Ghetto aufbauen, um nicht mehr mit den Sünden der Welt konfrontiert zu sein (rein christlicher Freundeskreis, rein christliche Arbeitgeber und Unternehmen, Nutzung rein christlicher Medien …) hören sie auf, Christen zu sein.
Gottes Segen!
Gerd Franken
Das 2. vatikanische Konzil hat die Türen zur Welt weit geöffnet. Gekommen sind nicht so viele, gegangen schon wesentlich mehr. Rechnen wir nun 60 Jahre zurück und betrachten realistisch den Zustand des Weinbergs, dann landen wir bei ihrem offenen Brief. Nüchtern betrachtet stehen wir am offenen Grab der Kirche. Also etwas mehr Weltflucht bitte und etwas mehr Ghetto.
Papsttreuer
Eine Rezension krankt immer daran, dass man nicht jeden Gedanken eines Buches aufgreifen kann, sonst wäre sie am Ende länger als das Buch selbst. Ich hatte allerdings gehofft, dass deutlich geworden wäre, dass Dreher keine Weltflucht sehr wohl aber eine Alternative zur Welt vorschlägt. Wenn man im Bild bleiben will: Ein Ghetto mit offenen Türen. Als Christen sind wir – gelegen oder ungelegen – verpflichtet (und selbstverpflichtet) einen christlichen Lebensstil zu pflegen, mit dem die Welt nicht viel anfangen kann. Das heißt aber nicht, dass man ihn nicht der Welt anbieten sollte. Ich glaube, in dieser Sache sind wir nicht weit auseinander und habe mich selbst vielleicht nur nicht ausreiched deutlich ausgedrückt.
Gerd Franken
Wir sind in der Tat nicht weit auseinander, wenn wir es denn überhaupt sind. Eine Flucht vor der Welt ist wesentlicher Bestandteil der Verkündigung. Mir wird in unserer Gemeinde Weltflucht, Abschottung und Gettoisierung vorgeworfen, wenn ich nur laut daran denke, christliche Maßstäbe anzulegen. Deswegen meine Empfindlichkeit.
akinom
Den dicken Wälzer von Rod Drehers will ich mir nicht antun. Ich habe aber neben der „Benedikt -Option“ und der in einem anderen Beitrag von Herrn Honekamp vorgestellten neuen christlichen APO eine weitere „Strategie für Christen in einer nachchristlichen Gesellschaft“ gefunden: Der amerikanische Bestsellerautor Peter Kreeft sieht sie in seinem Buch „Ökumenischer Djihad? Religionen im globalen Kulturkampf“: Da sich die Welt im Krieg nicht zwischen Religionen, sondern zwischen Gut und Böse befinde, zwischen den Gläubigen aller Religionen und den Mächten der Gottlosigkeit, ruft er Christen, Moslems, Juden und alle Menschen guten Willens auf, gemeinsam den Kampf aufzunehmen gegen die Bedrohung des menschlichen Lebens, der Familie und des Glaubens durch Materialismus und moralische Korruption. In einem geistigen Djihad für Gott und seine Gebote lässt er vormals „liberale“ und „konservative“ Positionen in einem ganz neuen Licht erscheinen. – Mich hat das sehr beeindruckt.
akinom
„Ökumenischer Djihad“ hat mit der Theologie von Hans Küng nichts zu tun, wie man vielleicht meinen könnte.
Maximilian Kerscher
Sie beschreiben in Ihrer Buchbesprechung in etwa das, was es seit den 80er Jahren tatsächlich bereits in der katholischen Welt gibt.
Eine gut vernetzte Gemeinschaft mit eigenen Schulen, Altersheimen, Katechismusunterricht, Zeitschriften, Buchhandel, Exerzitienhäuser und natürlich Priesterseminare. Mit Messzentren, genannt Priorate, die jeder Gläubige in einer Stunde erreichen kann und dort zu allen Sakramenten Zugang hat. Ihre Bischöfe reisen dafür um die ganze Welt, Ihre Priester haben alle Hände voll zu tun und verkündigen das Evangelium gelegen und ungelegen und beten bei jeder Hl. Messe treu für den Heiligen Vater. Und das alles ohne einen Cent Kirchensteuer.
Diese Katholiken wurden spätestens 1988 von ihren eigenen Hirten vertrieben und leben jetzt in einer Umgebung mit einer katholischen Infrastruktur, um die sie die „Normal“katholiken beneiden weil sie merken, dass Ihr Fundament durch Aggiornamento mehr und mehr sandig wird und sie nicht mehr wissen, wer Hirte und wer Wolf ist.
Doch das Exil wird auch für sie kommen, hoffentlich werden sie dann treu bleiben.
Andreas N
Man sollte schon noch unterstreichen, dass Dreher Freikirchler ist.
Und in der Tat ist das beschriebene für Mitglieder der Polit- und Machtinstitutionen mit angeschlossenem christlichen Ritualbetrieb schwer vorstellbar ist.
Übrigens, Martin Mosebach schreibt in seinem Buch „Die 21“ folgendes, was vieleicht interessant ist:
„und auch für die Zukunft des Christentums halten die Kopten Erfahrungen bereit: Wie kann Christentum aussehen und weiterbestehen, wenn die Mehrheitsgesellschaft und der Staat nicht mehr duldend ud wohlwollend sind, sondern feindselig werden und wenn den Christen die Teilnahme am öffentlichen Leben verweigert wird, weil sie die sich der Zivilreligion nicht unterwerfen wollen? Sieht es nicht beinahe so aus, als sei der Weg der westlichen Kirche durch die Jahrhunderte ein riesenhafter, höchst ereignisreicher umweg gewesen, der jetzt genau dort mündet, wo die koptische Kirche geduldig ausgehalten hat?“
Aus vielen Gründen überaus lesenswert.