Ist Israelkritik automatisch antisemitisch? Oder wird mit der Kritik an Roger Waters mal wieder ein verpasster antifaschistischer Widerstand nachgeholt?
Ich sag’s gleich vorweg: Das wird ein Beitrag, von dem ich noch nicht weiß, wie er enden wird. Ab und zu passiert es, dass ich erst mal lesen muss, was ich schreibe, damit ich weiß, was ich denke … oder so ähnlich. Der konkrete Hintergrund ist der, dass einige Sender der ARD ihre Unterstützung einer Konzertreihe des früheren Pink-Floyd-Bassisten und –Sängers Roger Waters eingestellt hat. Waters, so heißt es, sei ein Antisemit und seine Shows strotzten nur so von antisemitischen Anspielungen. Auf seinen Konzerten würde er beispielsweise ein aufblasbares Schwein mit einem darauf projizierten Davidstern durch die Hallen fliegen lassen. Außerdem ruft Waters aus Protest gegen die israelische Politik gegenüber den Palästinensern zum Boykott des Landes auf.
Meine Geschichte mit Pink Floyd
Daran ist eine Menge offensichtlich wahr, eine große Menge aber zumindest unscharf. Vorab muss ich vielleicht darauf hinweisen, dass Pink Floyd die Helden meiner Jugend waren; Freunde von damals konnten davon ein Liedchen singen, da ich sie mit psychedelischen Klängen auf Geburtstagssparties gequält habe, immer in der Hoffnung, den einen oder anderen doch noch zu überzeugen. Aber abgesehen von Zugeständnissen gegenüber eher poppigen Liedern wie „We don’t need no education“ habe ich da wenig erreicht. Zumal ich auch ein Fan des Frühwerks der Band war, noch unter der Regie des Gründungsmitglieds Syd Barret, der zwischenzeitlich in einer geschlossenen Einrichtung behandelt wurde und leider viel zu früh 2006 gestorben ist. Die geistige Entwicklung und das Experimentieren mit Bewusstseinserweiterungen merkt man einer Platte wie „The Piper at the Gates of Dawn“ oder „A Saucerful of Secrets“ deutlich an … aber ich war damals begeistert und höre es noch heute gerne – sehr zum Leidwesen des Rests meiner Familie.
Weltanschaulich trennen mich von den alten Tagen heute allerdings Welten: Kapitalismuskritik, Religionskritik, das ist nichts, was mich heute noch begeistern würde, damals war es cool, „links“ zu sein. Und ich behaupte, dass die Qualität der Musik unter diesem Trend nicht gelitten hat. Zumal Werke wie „The Wall“ in ihrer Kritik an gesellschaftlicher Vermassung schon eher etwas Libertäres denn etwas Sozialistisches haben. Und wer Live-Aufnahmen, besonders die Gitarrensoli von „Comfortably Numb“ (zum Beispiel vom 1990er Roger-Waters-Konzert in Berlin, bei dem ich selbst dabei war) hört, der weiß, dass auch in Rockmusik etwas Göttliches stecken kann. Jedenfalls dann, wenn sie ordentlich gespielt wird!
Der Künstler und seine politische Meinung
Was ich damit sagen will: Die Botschaften mancher Lieder muss man nicht (mehr) teilen, aber die Musik wird durch die politische Einstellung des Künstlers nicht schlechter. Wäre das so, man hörte heute vermutlich nichts mehr von Wagner-Festspielen. Oder wie eine (ausgeweisen israelfreundliche) Facebokfreundin sehr prägnant formuliert hat: „Bereits dass es jetzt in ist, Künstlern politische Korrektheit abzuverlangen ist einfach scheiße. Wollt ihr gute Musik oder was?“ Ob also Roger Waters ein Antisemit ist, tut seiner Musik keinen Abbruch – und so lange er in seinen Liedern nicht gegen Juden (oder andere Religionen) hetzt, höre ich sie immer noch gerne. Aber ist er überhaupt ein Antisemit?
Naturgemäß habe ich nicht alles gelesen oder gehört, was Roger Waters jemals zum Thema Judentum geschrieben oder gesagt hat. Die Presseberichte, die jetzt kursieren weisen aber keine antijüdischen Aussagen nach, die über Israelkritik hinaus einen Hass auf Juden (wenn man das mal als Kurzdefinition des Antisemitisnus annimmt; ich weiß, dass das Thema komplexer ist) nahelegen. Nachgewiesen und unbestritten sind seine Boykottbestrebungen gegen Israel, die so weit gehen, dass er andere Künstler auffordert, keine Konzerte in Israel zu geben und er sich solidarisch mit der BDS-Kampagne (Boycot, Divestment and Sanctions) zeigt, die ebenfalls gegen Israel protestiert und im Verdacht steht, antisemitisch zu sein (siehe hier den Eintrag unter Wikipedia mit einigen Erläuterungen zu der Fragestellung). BDS selbst weist den Vorwurf des Antisemitismus zurück; darüber hinaus gibt es aber offenbar unterschiedliche Strömungen innerhalb dieser Kampagne; einfach davon auszugehen, dass ein Engagement in diesem Bereich antisemitisch motiviert sein muss, erscheint nicht zulässig.
Waters jedenfalls protestiert mit alldem nach eigenen Aussagen – wie bereits erwähnt – gegen die israelische Politik gegenüber den Palästinensern. Nun bin ich – aus der historischen selbst übernommenen Verantwortung heraus – ein Israelfreund und wenn ich mich entscheiden müsste, ob ich mich in diesen Nahostkonflikt auf die Seite Israels oder auf die Seite der Palästinenservertreter stelle, dann wäre mein Platz im einzigen Land des Nahen Ostens, in dem Religionsfreiheit herrscht, Homosexuelle nicht Gefahr laufen, an Straßenlaternen aufgehängt zu werden und das eine – tatsächlich – lupenreine Demokratie darstellt. Was aber erstens nicht bedeutet, dass israelische Politik über jede Kritik erhaben ist, und zweitens diese Kritik nicht zum Antisemitismus macht. Ich weiß wohl, dass es eine Menge Israelkritiker gibt, die hinter israelkritischen Äußerungen ihren Antisemitismus nur notdürftig verstecken. Das bedeutet aber nicht, dass jede Israelkritik antisemitisch sein müsste. Da muss man schon genauer hinschauen.
Das fliegende Schwein
Interessanterweise verweisen die Waters-Kritiker neben den Boykottaufrufen vor allem auf das durch die Konzertarenen schwebende Schwein – Merkmal aller Pink-Floyd-Konzerte, allerdings nur bei Waters mit dem Davidstern versehen … und mit einem Kreuz, einem Halbmond, einem Mercedesstern und einem McDonalds-M. Wer aus dem Davidstern auf dem Schwein also ein Symbol des Antisemitismus macht, beugt die Wahrheit mindestens bis zum Brechen. Waters ist ausgewiesener Atheist und seine Kapitalismuskritik, ich meinen Augen eher eine Korporatismuskritik, seine vielleicht etwas pauschale Kritik an den „Mächtigen“ in Religionen, Staat und Unternehmen, werden in der Musik und in dieser Symbolik deutlich.
Überhaupt Symbolik: Meedia zitierte dieser Tage aus einem Spiegelbeitrag aus dem Jahr 2013 den Düsseldorfer Gemeindeverwaltungsdirektor Michael Szentei-Heise, der zu einem The-Wall-Konzert äußerte „Das gesamte Bühnenbild weckt eindeutige Assoziationen an die Reichsparteitage und die Propaganda der NSDAP. […] Es macht Angst, wenn Zehntausende diese Veranstaltung besuchen und trotz antisemitischer und nationalsozialistischer Symbolik zu Roger Waters Musik feiern, tanzen und applaudieren.“ Offenbar hat sich weder Szentei-Heise noch der Spiegel die Mühe gemacht, hinter die Geschichte von „The Wall“ zu schauen, die in der Tat eine antifaschistische Botschaft enthält – der als Führer auftretende Pink ist eben nicht der Held der Geschichte sondern höchstens ein Opfer seines eigenen Größenwahns. Dieser Symbolik Faschismus oder Antisemitismus anzudichten ist darum einfach abwegig. Und das Schlimmste ist: Mehr an Argumenten wird nicht vorgebracht!
Mal eine andere Frage
Ich teile die Meinung Roger Waters zur Israelpolitik nicht, sehe darin aber auch keinen Antisemitismus nachgewiesen. Seine Kritik an gesellschaftlichen Verhältnissen mag an einigen Punkten überzogen sein, aber höchstens handelt es sich um Antikapitalismus, sicher aber nicht um Faschismus. Wenn während eines Konzerts bei der in „Mother“ formulierten Frage „Mother should I trust the government“ über den Bühnenbildern der Schriftzug „No fucking way“ auftaucht, dann mutmaße ich eher – positiv voreingenommen – Libertarismus, der aufgrund mangelnder denkerischer Freiheit in Antikapitalismus gewendet ist. Schade drum, zu kurz gedacht – aber Faschismus?
Warum unterstützen eigentlich öffentlich-rechtliche Sender überhaupt gut verdienende Künstler? Entspricht das tatsächlich ihrem Auftrag … und mit welchem Recht werden dann politisch motivierte Grenzen eingezogen? Diese Fragen werden an entscheidender Stelle natürlich nicht mal gestellt. Lieber holt man seinen leider historisch verpassten antifaschistischen Widerstand nach und sonnt sich in der „guten“ Entscheidung, einem angeblichen Antisemiten keine Bühne geboten zu haben.
Ob die Musik an sich gut und unterstützens- oder verbreitenswert wäre – zu diese Frage liest man in den Medien leider auch nichts. Also muss ich jetzt mal selbst in das neue Roger-Waters-Album „is this the life we really want“ reinhören, ob der auch heute noch was kann.
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Bild: Bundesarchiv, Bild 183-1990-0722-401 / CC-BY-SA 3.0 [CC BY-SA 3.0 de (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en)], via Wikimedia Commons
Konrad Kugler
Ich habe mir gerade „is this the life we really want“ von Roger Walters angehört. Sein Name war mir bisher völlig unbekannt. Für mich ist seine Musik so anregend wie eingeschlafene Füße. Selbstverständlich hat jeder die Freiheit, es toll zu finden.
Die Reihenfolge, die sie unter tagged aufführen, riecht teilweise.
Faschismus kann ich allmählich nicht mehr unter Ideologie einreihen, sondern sehe ihn als [faschistisches] Verhalten aller Ideologen. Seit dem V II gilt das sogar innerhalb der Kirche. Unter dem „Geist des Konzils“ begannen die Neukatholischen die Altgläubigen zu diskriminieren.
Ich behaupte, daß jede Ideologie eine Häresie zur Wahrheit darstellt, und daß jede den Vater der Lüge zum Inspirator hat. Nur mit seinen Einflußmöglichkeiten kann man den Erfolg einer so grenzenlosen Dummheit wie den Genderwahn überhaupt verstehen.
Papsttreuer
Lieber Herr Kugler, abgesehen von Ihrer Einschätzung des Albums bzw. Liedes und Ihrem „ceterum censeo“ :-) bin ich ganz bei Ihnen und hoffe, mich an den prägnanten Satz „Jede Ideologie ist eine Häresie zur Wahrheit“ auch in Zukunft zu erinnern.
Gottes Segen für Sie!