Mancher meint, das derzeitige Bildungsystem sei ungerecht. Das ist es sicher, aber auch anderen Gründen als die angeführten.
Gerade hat „die“ Bundesrepublik mal wieder einen ordentlichen Tritt in den Hintern bekommen: Laut einer Studie kann ein (zu) großer Teil der Viertklässler in Grundschulen nicht ausreichend gut lesen, um eine weiterführende Schule zu besuchen. Das ruft natürlich direkt mal experimentierfreudige Bildungsingenieure auf den Plan, was da zu machen sei – dazu komme ich gleich. Was bislang allerdings kaum thematisiert wird, ist die Frage, wie denn der Lebensweg für die Kinder, bei denen die sprachlichen Fähigkeiten bereits in den Brunnen gefallen sind, weiter verlaufen soll: Diese Viertklässler kommen ja jetzt (oder sind bereits) auf eine weiterführenden Schule, können dem Lesestoff nicht folgen, die Lehrpläne sind auf den Ausgleich ihrer Schwächen nicht ausgerichtet – absehbar werden sie, wenn nichts weiter passiert, nicht in der Lage sein, einen anständigen Abschluss hinzulegen. Und ob etwas passiert, daran darf man zweifeln, da diese Problematik in den Diskussionen gar nicht thematisiert wird. Bis Besserung in Sicht kommen kann (wenn sie denn kommen kann), wird so eine Schülergeneration heran „gebildet“, der mittelfristig Aussichten auf eine gute Berufstätigkeit verbaut sind.
Notwendige Eigeninitiative im staatlichen Monopolsystem
Lieber allerdings kümmert man sich darum, mit welchem Experiment man denn nun diesem Problem begegnen möchte (ein Blick in die Vergangenheit eines dreigliedrigen Schulsystems fällt dabei regelmäßig aus, weil dieses angeblich Ungleichheiten zementieren würde, wo es doch nur unterschiedliche Leistungsfähigkeiten anerkennt und berücksichtigen lehrt). Man darf vermuten, dass die gleichen Bildungsexperten, die diesen kranken Status herbeigeführt haben, nun auch die Experten sind, die die „Lösungen“ kennen. Wer’s glaubt!
Befragt man, wie ich das in den vergangenen Tagen mehrfach getan habe, Eltern (zugegeben nicht eben unter „bildungsfernen“ Ansprechpartnern und schon alleine deshalb nicht repräsentativ, dennoch beeindruckend), stellt man dabei aber tatsächlich eine erfrischende Klarsicht fest. Meine These wurde bislang noch überall bestätigt: Wer will, dass seine Kinder anständig die Grundfertigkeiten lesen, schreiben und rechnen lernen, der muss sich selbst kümmern. Leider stellen die meisten in diesem Zusammenhang nicht die Frage nach der Schulpflicht und dem damit einhergehenden staatlichen Bildungs- und Bildungsmethoden-Monopol, aber immerhin: die Eigenverantwortung wird erkannt, der Staat ist raus. Der Staat hat in den vergangenen Jahrzehnten eindrucksvoll bewiesen, dass er „es nicht kann“.
Experimente
Das ficht aber natürlich Sozialträumer nicht an. Da gab es vor einiger Zeit schon einmal die Initiative, keine Hausaufgaben mehr stellen zu dürfen, weil die zu Ungerechtigkeiten führten. Einfache Logik: Kinder, deren Eltern sie bei den Hausaufgaben adäquat unterstützen, hätten einen Vorteil gegenüber Kindern, deren Eltern das nicht können oder wollen. Ist natürlich richtig, aber anstatt zumindest einen Gedanken daran zu verschwenden, wie man einem solchen Mangel begegnen könnte, stellt man lieber die Möglichkeit eines Vorteils für die eine Klientel ab: Orientierung am unteren Rand des Möglichen.
In die gleiche Kerbe schlägt ein Vorschlag, der in der sich eigentlich noch konservativ gebenden FAZ nachzulesen ist. Morten Freidel, Jahrgang 1983, keine Ahnung, ob er Kinder hat, darf kommentieren:
Die Studie zeigt, dass Kinder, deren Eltern zu Hause mehr als hundert Bücher stehen haben, einen Riesenvorsprung gegenüber allen anderen besitzen. Im Schnitt sind sie mehr als ein Schuljahr weiter als Kinder, deren Eltern wenig lesen – ihnen fehlt der Zugang zu Bildung. Die Eltern haben keine Erfahrung mit Büchern und sind unsicher. Sie wissen oft nicht, wie sie ihren Kindern helfen sollen. Manche sehen sich außerstande, ihnen etwas vorzulesen. Sie haben es eben noch nie gemacht.
Mögliche Lösungen
Das ist so sicher richtig, und nun könnte man sich alle möglichen Ideen einfallen lassen, wie man einen solchen Missstand beheben kann. In der Grundschule unseres Sohnes gibt es da zum Beispiel die Einrichtung freiwilliger „Hilfslehrer“, Eltern, die ein- oder zweimal die Woche mit Kindern im Einzeltermin lesen und sie schreiben lassen. Bei Klassengrößen von 25 Kindern und einer Bildungsspanne im 1. Schuljahr vom recht sicheren Leser bis zu denen, die kaum die Sprache sprechen, ist so eine intensive Beschäftigung sonst nicht möglich. Die betreffenden Kinder genießen das und – ist ja auch kein Wunder – zeigen fast durchgängig Interesse am Lernen.
Man kann kritisieren, dass eine solche Unterstützung das dysfunktionale staatliche Schulsystem nur weiter stütze, aber im Interesse der Kinder, die für den Schlingerkurs in der Bildungspolitik nichts können, ist sie notwendig und hilft schwächeren Schülern aufzuholen und stärkeren, nicht von schwächeren runtergezogen zu werden.
Lösungen, die keine sind
Morton Freidel hat aber eine „bessere Idee“:
Die Politik muss anerkennen, dass Schüler in vielen Grundschulen nicht mehr das lernen, was sie können sollten. Das ist ein Nachteil fürs Leben. Ein Problem, das sich nur durch bessere soziale Mischung beheben lässt. Deshalb sollten die Länder nicht nur einen Bezirk festlegen, in dem die Kinder zur Schule gehen müssen, sie sollten auch strenger darüber wachen, dass sich die Eltern dem nur in Ausnahmefällen entziehen können. Das sind sie den Kindern schuldig.
Vermutlich glaubt Herr Freidel selbst, was er da schreibt, und vermutlich werden viele beim Lesen beifällig genickt haben, denen Privatschulen für „Reiche“ schon immer ein Dorn in ihrem sozialistischen Auge waren. Was er aber eigentlich hier meint ist, dass Kinder, die mehr Potenzial haben, auf das Niveau weniger intelligenter Kinder herunter gezogen werden sollen. Sollte es je Klasse – sagen wir mal – zwei Schüler geben, die das betrifft, die also bislang auf eine Privatschule gehen und zukünftig auf eine staatliche Schule gehen sollen: Glaubt wirklich jemand, dass das einem der weniger begabten Kinder helfen wird?
Zunächst mal wird der Klassenverband in den Schulen in der Tendenz noch mal größer, was die Möglichkeiten der individuellen Betreuung weiter einschränken wird. Vor allem aber wissen Lehrer schon heute nicht, was sie mit begabten (und ich spreche hier nicht von Hochbegabung) Kindern anstellen sollen, wenn sie sich selbst nur noch höchstens am weit darunter liegenden Klassendurchschnitt orientieren können. Das Ergebnis ist absehbar: Das Leistungsgefälle zwischen den „Guten“ und den weniger Guten wird abnehmen, aber nicht weil letztere besser sondern weil erstere schlechter werden. Dem sozialistischen Grundgedanken – „Mehr Gleichheit“ – ist damit aber erst mal genüge getan.
Nicht mehr soziale Mischung sondern mehr Leistungsdifferenzierung
Stattdessen würde umgekehrt ein Schuh draus: Mehr Leistungsdifferenzierung versetzt Lehrer – egal ob an privaten oder an staatlichen Schulen – überhaupt in die Lage, sich auf die speziellen Bedürfnisse von Kindern einzustellen. Ob sich das schon bei den Kleinsten empfiehlt? Es empfiehlt sich jedenfalls dort, wo die Leistungsdifferenzen so extrem hoch sind, wie wir sie an städtischen Grundschulen heute finden.
Trägt das nicht zur „Ghetto-Bildung“ bei? Lernstarke und Lernschwache bleiben eher unter sich? Das mag schon sein, und das ist ein Effekt, den man insbesondere als betroffene Eltern im Auge behalten sollte – aber eben genau die, nicht Lehrer und schon gar nicht irgendwelche Schulverwaltungen und Ministerien. Von staatlicher Seite Kinder in eine bestimmte „soziale Mischung“ zu drängen, ist eine Beschneidung der Freiheit von Eltern und ihren Kindern und reduziert auch noch unzulässig deren Lernpotenzial. Dass das politisch nicht anders gewollt ist, sollte nicht darüber hinweg täuschen, dass es für – alle! – Kinder ungeeignet ist.
Was noch zu sagen wäre …
Ceterum censeo … bin ich davon überzeugt, dass staatliche Regulierungen auch hier am Ende mehr schaden, als sie nutzen können. Der Staat kann keine Bildung … und mehr Staat kann erst recht keine Bildung!
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Konrad Kugler
Ceterum censeo, Ideologen bei Wahlen auszubooten.
Über 70 Kinder, ein Lehrer? In dieser Zeit hatte Deutschland etliche Nobelpreisträger.
In unserer Volksschule ab 1949 hatten wir 2 Lehrer, eins bis vier und fünf bis acht. Noch heute weiß ich: Ein achtel ist zwölfeinhalb Prozent, ein Siebtel ist vierzehnzweisiebtel Prozent. Zwei meiner Klassenkameraden wurden Raiffeisenbänker. Ohne Mittlere Reife, trotzdem erfolgreich.
Es gibt keinen Blödsinn, der den Bildungspolitikern noch nicht eingefallen wäre.
Gerd
„Die Studie zeigt, dass Kinder, deren Eltern zu Hause mehr als hundert Bücher stehen haben, einen Riesenvorsprung gegenüber allen anderen besitzen.“
Dann kann man diese Studie getrost in die berühmte Tonne kloppen. Mehr ist dazu eigentlich nicht zu sagen, bis auf den persönlichen Hinweis, dass z.B. mein Vater kein einziges Buch besessen hat und alles was wichtig war für seine 4 Kinder einfach nur vorlebte. Fleiß, Anstand, Pünktlichkeit, Höflichkeit, Verlässlichkeit und gutes Benehmen, gepaart mit einem bodenständigen Glauben und dem dazu notwendigem Durchhaltevermögen, ersetzen locker tausend Bücher und widerlegen eindrucksvoll o.g. Studien.