Papst Franziskus bespricht mit dem Bußakt in der Heiligen Messe ein Zeugnis persönlicher Einsicht des Gläubigen.
Einer der perfidesten Vorwürfe, der gegenüber der – insbesondere – katholischen Kirche erhoben wird, ist der der Schuldorientierung. Im Versuch nachzuweisen, dass die Kirche ihre „Schäfchen“ ja doch nur klein halten will, sucht man nach Hinweisen, wo diese auf ihre Mängel hingewiesen werden. Da geht es ganz schnell: Die Beichte, eigentlich das Sakrament der Vergebung, wird zu einem Schuldkomplex hochstilisiert. Da mögen durchaus auch alte schlechte Erfahrungen eine Rolle spielen, bei der der Beichtstuhl tatsächlich nicht als Ort der Vergebung sondern der Seelenfolter wahrgenommen wurde. Aber abgesehen davon: Statt auf die Vergebung legen Kritiker den Fokus auf die darin thematisierte Schuld. Das sei ungesund, beinahe pathologisch, und die Kirche halte daran fest, um mit Schuldgefühlen die Menschen zu quälen und an die Kirche zu binden.
Schuldkult oder Vergebung?
Für einen Fan der Kirche und der Beichte ist das natürlich Quark. Selbstverständlich gibt es pathologische Schuldgefühle – aber die sind in der Beichte gar nicht angesprochen, die sind ein Fall für eine geistliche Begleitung (wenn sie mit der Gottesbeziehung zu tun haben) oder den Psychologen, wenn sie wirklich krankhaft sind. In der Beichte dagegen geht es um die tatsächlich entstandene Schuld: Die gegenüber Gott, meinen Mitmenschen, mir selbst. Alles, was mich von Gott trennt – quasi als Kurzdefinition von Sünde – gehört hierher und erfährt Vergebung. Natürlich: Wer ohne Schuld bzw. Sünde ist braucht keine Vergebung, insofern hängt beides zusammen. Aber die Vergebung abzulehnen, weil sie mit der Schuld zusammen hängt ist in etwas vergleichbar damit, das Licht abzulehnen, nur weil es Schatten wirft.
Und trotzdem gebe ich zu, dass ich immer ein wenig auf die Seite schiele, wenn ich mit Kirchenfernen oder Protestanten eine Messe oder eine Komplet besuche, und es zum Schuldbekenntnis geht, über das Papst Franziskus in seiner Ansprache zur Audienz am 3.1.2018 gesprochen hat.
Das Schuldbekenntnis
Der Text geht so und wird durch die stehende Haltung das Schlagen auf die Brust noch verstärkt:
Ich bekenne Gott, dem Allmächtigen, und allen Brüdern und Schwestern, dass ich Gutes unterlassen und Böses getan habe – ich habe gesündigt in Gedanken, Worten und Werken,
(alle schlagen sich dreimal an die Brust) durch meine Schuld, durch meine Schuld, durch meine große Schuld.
Darum bitte ich die selige Jungfrau Maria, alle Engel und Heiligen und euch, Brüder und Schwestern, für mich zu beten bei Gott, unserem Herrn.
Seit der Liturgiereform nach dem II. Vatikanischen Konzil ist dieses „Confiteor“ („Ich bekenne“) kein obligatorischer Bestandteil der Heiligen Messe mehr, meist wird es durch den Gesang des „Kyrie eleison“ ersetzt, was ich aber persönlich schade finde, denn damit geht das eigentliche Schuldbekenntnis, die Anerkennung der Vergebungsnotwendigkeit, aus dem Bewusstsein verloren.
Niemandem etwas Böses
Drastisch allerdings ist das ganze schon, und wer auf der Suche nach Schuldorientierung ist, wird hier sicher fündig. Es geht schon mit der harten ersten Person Singular los: Nicht wir treten gemeinsam vor den Herrn und bekennen die Schuld – das ist ein sehr persönlicher Akt. Wie der Papst sagt (Zitat hier wie im Folgenden von „Die Tagespost„):
Ein jeder bekennt Gott und den Brüdern und Schwestern, „dass ich Gutes unterlassen und Böses getan habe – ich habe gesündigt in Gedanken, Worten und Werken“. Ja, auch in den Unterlassungen, also darin, es unterlassen zu haben, das Gute zu tun, das ich hätte tun können. Oft fühlen wir uns in Ordnung, weil ich – sagen wir es so – „niemandem etwas Böses zugefügt habe“. In Wirklichkeit genügt es nicht, dem Nächsten nichts Böses anzutun, es ist notwendig, sich dazu zu entscheiden, das Gute zu tun und die Gelegenheiten wahrzunehmen, ein gutes Zeugnis dafür zu geben, dass wir Jünger Jesu sind.
Vollkommen, heil, heilig
Auch hier wieder: Reicht es denn nicht, niemandem etwas Böses zuzufügen? Nein, ganz offenbar reicht das nicht. Wenn jemand das bislang getan hat, andere Menschen ständig belogen und betrogen hat, sie seelisch oder körperlich geschädigt hat, vehement gegen die Gebote verstoßen hat, dann ist das vielleicht ein erster Schritt. Aber nichts ausgefressen zu haben, macht noch keinen Heiligen, und genau das ist der Anspruch an einen Jünger Christi: Vollkommen, damit also heil oder eben heilig, zu sein, wie der Vater! Alles andere ist zu kurz gesprungen, das ändert auch nicht die Tatsache, dass das nur in Kombination mit Vergebung funktioniert, weil meine gefallene Natur mich immer wieder von dieser Gottebenbildlichkeit wegbringt.
Und dann das an die Brust schlagen …
Die Worte, die wir mit dem Mund sprechen, werden von der Geste begleitet, dass wir uns auf die Brust schlagen, während wir bekennen, dass ich gerade durch meine Schuld und nicht durch die der anderen gesündigt habe. Oft kommt es nämlich vor, dass wir aus Angst oder Scham mit dem Finger auf die anderen zeigen, um sie zu beschuldigen. Es kostet einen etwas, zuzugeben, dass man schuldig ist, doch es wird uns gut tun, es aufrichtig zu bekennen. Die eigenen Sünden bekennen.
Sorry, aber …
Das ist es, das bietet dann auch die Grundlage für Vergebung. Wer kennt sie nicht von sich selbst, die etwas zahnlosen Bitten um Entschuldigung bei anderen Menschen, nicht selten eingeleitet von einem „Sorry, aber …“, wobei mit dem „aber“ erläutert wird, warum ich eigentlich gar nichts dafür konnte, warum jemand anderes oder die Umstände verantwortlich zu machen seien. Zu Beginn der Messe stehe ich allerdings – wie in der Beichte – vor Gott, und hier helfen keine Ausflüchte, von denen ich im Grunde weiß, dass sie das sind. Ich hatte die Wahl, mich anders zu verhalten, niemand hat mich gezwungen Böses zu tun oder Gutes zu unterlassen. Wie die Amerikaner sagen: Nobody’s fault but mine!
Und wir stehen hier in guter Gesellschaft:
Die Heilige Schrift bietet uns leuchtende Beispiele von „Büßergestalten“, die nach der Sünde erneut zu sich gekommen sind und den Mut finden, die Maske abzulegen und sich der Gnade zu öffnen, die das Herz erneuert. Denken wir an König David und an die ihm zugeschriebenen Worte im Psalm: „Gott, sei mir gnädig nach deiner Huld, tilge meine Frevel nach deinem reichen Erbarmen“ (51,3). Denken wir an den verlorenen Sohn, der zum Vater zurückkehrt; oder an den Ruf des Zöllners: „Gott, sei mir Sünder gnädig!“ (Lk 18,13). Denken wir auch an den heiligen Petrus, an Zachäus, an die samaritanische Frau.
Sich an der Zerbrechlichkeit des Tons zu messen, aus dem wir gemacht sind, ist eine Erfahrung, die stärkt: während sie uns mit unserer Schwäche konfrontiert, öffnet sie uns das Herz, um um das göttliche Erbarmen zu flehen, das verwandelt und bekehrt. Und das ist es, was wir im Bußakt zu Beginn der Messe tun.
Einsicht
Die Vorbilder im Bekenntnis der eigenen Schuld und Fehlerhaftigkeit sind also durchaus nicht von schlechten Eltern, wobei mir im Zusammenhang mit dem Schuldbekenntnis vor allem der Zöllner aus dem Gleichnis gefällt. Er ist es, von dem Jesus sagt, dass er als Gerechter nach Hause zurückkehren konnte. Und wer würde das angesichts dessen, was sich im Laufe des Tages und der Wochentage so auf seinem Gewissen auftürmt nicht auch gerne tun können? Aber dazu braucht es die Einsicht und das Bekenntnis der eigenen Schuld.
Wer immer meint, er sei nicht verantwortlich, wer Schuld als solche durchweg pathologisiert, der wird nie die Befreiung der Vergebung Gottes erleben, der uns anschließend in der Heiligen Messe zur Kommunion einlädt, vor der wir noch einmal – wieder in der ersten Person Singular – formulieren: „Herr, ich bin nicht würdig, dass Du eingehst unter mein Dach. Aber sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund.“
Gemeinsam mit Jesus gegen die Schuld
Alleine komme ich gegen meine Schuld nicht an; versuche ich sie zu verdrängen, wird sie mich wieder einholen. Aber gemeinsam mit Jesus, der meine Schuld bereits mit auf’s Kreuz hinaufgetragen hat, kann ich mich „entschulden“. Und ich kann lernen, den schlimmsten Versuchungen besser zu begegnen, sodass meine Beziehung zu Christus immer besser werden kann.
Das alles hat mit Schuldorientierung nur am Rande zu tun. Viel eher geht es um eine realistische Selbsteinschätzung und die Möglichkeit, die Hilfe, die mir Gott anbietet, auch anzunehmen. Kritiker dieser angeblichen Fokussierung werden das nicht verstehen, und was sie brauchen ist darum auch unser Gebet und unsere Vergebung. Erleben Sie das erst mal, kann es vielleicht auch ihr Herz öffnen.
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Bild: By M. Bihn & J. Bealings (The New Bible Symbols) [Public domain], via Wikimedia Commons
Gero
Na, ist es nicht so wie bei allen Dingen, daß die Dosis macht, ob ein Ding ein Gift ist?
Ich sehe in der Buße sowohl die Möglichkeit, sich seiner Schuld zu entledigen, als auch die Versuchung desjenigen, der die Buße abnimmt, damit ungeheure moralische Macht auf den Beichtenden auszuüben.
Das eine schließt das andere ja nicht aus.
Und, je nachdem, mit welcher Konstellation ein Gläubiger in jungen Jahren in Kontakt kam, wird er die Angelegenheit als Fluch oder als Segen beurteilen.
Ich (hier ja eher als Spezialfall unterwegs) lehne die Buße so, wie sie in unserem 280-Seelen Dorf praktiziert wurde, ab.
Das hatte eher was von „Verantwortung abstreifen“, gepaart mit moralischer Geißel durch den Priester, der sich dadurch seine moralische Höherstellung über das gemeine Fußvolk sicherte.
Man kann das aber sicher auch anders interpretiert aufziehen.
Konrad Kugler
Wie schuldbewußt und wie reuig waren Sie damals? Die Antwort geht nur Sie etwas an.
Konrad Kugler
Kyrie ist ein Huldigungsruf an die Gottheit. Die heute allgemein übliche Nutzung ist ein Mißbrauch,ein Umgehen/Vermeiden des Schuldbekenntnisses. Ein Wellnes-Trick?
Ein ebenso großer Fehler ist die Unterlassung des Herausstellens von >und euch Brüder, für mich zu beten<
Überall geht es unter uns zu, Streit in den Familien, ideologische Verblö- äh Verblendung usw., aber wir pflegen die Fernstenliebe. Ach sie ist doch so praktisch.