Unsere christlichen Glaubensbrüder in den Freikirchen haben eine Menge geleistet in der Mission. Wieso also nicht auch von ihnen lernen?
Freikirchen haben kein Lehramt, kennen keine Eucharistie und lehnen den Papst ab. Und sie sind schrecklich erfolgreich darin, Menschen zu einem sehr persönlichen Glauben an Christus, zu einer Beziehung mit ihm zu führen, sodass sie anschließend einen Weg der Umkehr wählen, der ihre bisherige Lebenssituation bisweilen – in positivem Sinne – aus den Angeln hebt. Diese stark verkürzte Sicht eines Katholiken auf die Freikirchen macht den Spagat deutlich, den Johannes Hartl in der sechsten These des Mission Manifest erläutert. „Wir danken allen Christen außerhalb der katholischen Kirche, die heute schon mit Hingabe missionieren, taufen und Menschen zu Jesus führen.“
Die „una sancta“
Ein solcher Satz will manchem Harcore-Katholiken (ich zähle mich selbst darunter, allerdings nicht in diese spezielle Gruppe) nicht über die Lippen komme. Wir sind doch die „una sancta“, außerhalb „unserer“ Kirche gibt es kein Heil – da kann doch der Erfolg der freikirchlichen Mission nur durch einen Pakt mit dem reformatorischen Teufel erkauft sein. Andererseits will aber Hartl die Leser des Mission Manifest – überwiegend vermutlich Katholiken – gar nicht zu Freikirchlern bekehren (er selbst ist Katholik und einer der in der Mission erfolgreichsten noch dazu) sondern nur den Blick öffnen, wie das die Freikirchler eigentlich machen, ob man von ihnen nicht doch manches lernen kann und an den Stellen, wo es sich rein um die Mission handelt und das Evangelium als Basis ausreicht, auch mit ihnen zusammen arbeiten kann.
In der Ökumene zeigt sich der Wunsch der Menschen nach Einheit in der Kirche, wobei man zugeben muss, dass Befürworter und Kritiker sich immer wieder in viel zu weit entfernt stehende Positionen begeben. Es geht gar nicht darum, als Katholik die protestantischen solas (sola scriptura, sola gratia, sola fide und solus Christus) zu übernehmen. Aber kann es nicht sein, dass mancher besser den Katechismus zu zitieren weiß als die Bibel? Dass ihm die Reinheit der Liturgie wichtiger geworden ist als der eigentliche Glaube? Damit soll nicht gemeint sein, den Katechismus in die Ecke zu feuern und liturgischen Missbräuchen die Türen zu öffnen (noch weiter als sie in vielen Gemeinden sowieso schon offen stehen), aber die Schwerpunkte sind zu überprüfen. Wenn ich also nicht an ein immer wieder zitiertes sola scriptura glaube, dann sollte ich mich dennoch dazu bekennen, dass auch nichts „sine scriptura“ geht. Und dass man in der Mission vielleicht doch eher auf die Schrift und ein persönliches Kennenlernen des Herrn setzen sollte als auf die korrekte Interpretation des Codex Iuris Canonici.
Mittel und Wege des Missionserfolgs
Das alles, was ich hier geschrieben habe, sind übrigens Gedanken, die mir bei der Lektüre von Hartels Beitrag im Mission Manifest aufgegangen sind, keine Zitate von ihm. Falls ich also an irgendeiner Stelle bislang grundfalsch und im Widerspruch zu ihm argumentiert habe, möge das nicht auf ihn zurückfallen. In jedem Fall sind aber seine Anregungen, von den Freikirchen zu lernen – über die Fokussierung auf Kernaussagen des Evangeliums, besonders der Errettung der Menschen durch den Opfertod Jesu, über die Installation von Kleingruppen bis hin zu christlich adaptierten Managementmethoden in der Leitung von Gemeinden – bedenkenswert. Nicht weil sie alle genuin christlich wären, sondern weil sie, für die Mission eingesetzt, ganz offenbar erfolgreich sind.
Klugheit ist gefragt
Bei diesen Überlegungen kommt mir auch immer wieder in den Sinn, dass Jesus ja nicht nur den Glauben lobt („Wenn euer Glaube auch nur so groß wäre wie ein Senfkorn …“, vgl. Lukas 17,6) sondern auch die Klugheit: „Seht, ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe; seid daher klug wie die Schlangen und arglos wie die Tauben!“ (Matthäus 10,16) oder „Und der Herr lobte die Klugheit des unehrlichen Verwalters und sagte: Die Kinder dieser Welt sind im Umgang mit ihresgleichen klüger als die Kinder des Lichtes.“ (Lukas 16,8).
Ist es also klug, sich schmollend hinter Kirchenmauern zu verschanzen, eine schöne Liturgie zu feiern und sich selbst mit dem Katechismus zu bestätigen, dass man richtig liegt, während draußen vor der Tür die Welt vor die Hunde geht? Rhetorisch ist diese Frage, aber ganz offensichtlich fällt eine ehrliche Antwort vielen doch nicht so leicht.
Best practice
Das Evangelium, so Hartl, hat „best practice“ verdient. Und es hat verdient, dass man es – so weit wie irgend möglich – in Einheit verkündet. Sich einzugestehen, dass man sich hinsichtlich der Mittel eben doch nicht im Besitz der alleinseligmachenden Wahrheit befindet, ist nicht leicht. Jeder hat lieber Recht als Unrecht. Aber wer wollte die Schlusssätze Hartls bestreiten:
Gerade aus dem Miteinander mit Freikirchen hätten Katholiken sehr viel zu lernen. Ihre Sprachfähigkeit, wenn es um den Kern des Evangeliums geht, ihre Zwanglosigkeit, Menschen zu einer Entscheidung aufzurufen und die Pragmatik in der Wahl Formen: Allein schon die wenigen hier genannten [Anm.: und im Vorfeld erläuterten] Punkte können einen wesentlichen Beitrag zu der Entwicklung der katholischen Kirche der deutschsprachigen Länder hin zu einem missionarischen Aufbruch leisten.
Ansätze dazu, wie Nightfever, Rebuilt-Gottesdienste, Prayerfestivals oder eben auch die MEHR-Konferenz, gibt es auch in der katholischen Kirche. Und auch aus deren Erfolg kann man lernen, dankbar für die Erfahrungen sein, anstatt sie kritisch zu beäugen.
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Bild: johnnyb – www.pixelio.de
Gerd
„anstatt sie kritisch zu beäugen.“
Wir sind aufgefordert alles zu prüfen um das Gute zu bewahren und das Schlechte zu verwerfen.
Papsttreuer
Natürlich muss man nicht alles machen, was bei anderen gemacht wird. Mit „kritisch beäugen“ ist aber eine innere Haltung bei einer solchen „Prüfung“ gemeint.
Gottes Segen!
Gerd
>>Gerade aus dem Miteinander mit Freikirchen hätten Katholiken sehr viel zu lernen. Ihre Sprachfähigkeit, wenn es um den Kern des Evangeliums geht,<<
Solange "wir" einen Theologen wie Ratzinger haben, dem es nun wirklich nicht an Sprachfähigkeit mangelt um den Kern des Evangeliums zu verkünden, können wir was genau von den Freikirchen "sehr viel" lernen, außer dass sie den Papst ablehnen?
Papsttreuer
Man könnte zurückfragen: Wenn wir einen Theologen wie Ratzinger haben, den ich persönlich gerade wegen seiner Sprachfähigkeit gegenüber allen gesellschaftlichen Gruppen sehr schätze, und es „uns“ trotzdem nicht gelingt, Menschen zu Christus zu führen, scheint doch irgendwas zu fehlen. Vielleicht reicht nicht ein Ratzinger, vielleicht stehen dessen theologischen Gegner im Weg, vielleicht bringen wir die wunderbaren Worte eines Kardinal Ratzingers einfach nicht zu denen, die das Ziel unserer Mission sein sollten. In der katholischen Kirche (nicht in den einzelnen Katholiken) liegt die Wahrheit – aber wieso kommt sie nicht da an, wo sie hin soll? Und jetzt bitte nicht auf die Gesellschaft schimpfen, die das ja alles nicht hören will. Es ist unser Job dafür zu sorgen, dass das Evangelium ankommt. Und ja, da kann man von Freikirchen lernen, nicht in den Inhalten der Botschaft aber in der Intelligenz der Vermittlung bei „religiös unmusikalischen“ Menschen.
Freikirchen wachsen, die katholische Kirche (von der offiziellen evangelischen Kirche ganz zu schweigen) schrumpft zahlenmäßig. Den Blick über den Tellerrand abzulehnen erscheint mir da sehr gewagt.
Gerd
Wenn eine Gesellschaft etwas nicht hören will, dann hat sie es schon gehört und abgelehnt. Da helfen keine besonders ausgeklügelten Strategien. Auf diese Gesellschaft kann man gar nicht schimpfen, sie hat ihre Entscheidung bereits getroffen. Nein, ich schimpfe nicht auf die Gesellschaft, sie hat alles was es braucht um das Evangelium zu hören und zu verstehen.
Wenn es unser Job ist, dass das Evangelium bei den Menschen ankommt, dann sollten wir die Folgen unserer Verkündigung nicht nach menschlichen Maßstäben messen. Warum kommt was nicht an? Was machen wir falsch? Was fehlt noch? Uns fehlt allerdings nichts. Wir haben alles in der Kirche was wir brauchen. Wir haben den Weg, die Wahrheit und das Leben. Ohne Überheblichkeit, wir haben alles was die Freikirchen nicht haben. Natürlich kann jeder begeistert über Jesus sprechen und ihn verkündigen. Das allerdings genügte dem Herrn damals und heute nicht. Er wollte eine Kirche in der alle eins sind. Er will die Verbindlichkeit seiner Lehre auf einem Felsen. Das sehen die Freikirchler, bei aller Begeisterung für ihren Jesus dann doch etwas anders. Darin sehe ich durchaus eine Gefahr und bin da eher skeptisch. Ich lasse mich von Gott natürlich gerne überraschen, ansonsten beäuge ich kritisch, ohne das zu meiner Grundeinstellung zu machen.
Gottes Segen auch für sie!
Andreas
Nun, man kann sich ja sicherlich über die Art der Ansprache auseinandersetzen, meiner eigenen Erfahrung nach ist Kirche für den gerade nicht organsierten eher überhaupt nicht da, nicht auffindbar, quasi inexistent, wenn man von den verfügbaren Serviceleistungen für das organisierte Lager einmal absieht.
Ich glaube nicht, dass – so deute ich die eine oder andere Stellungnahme hier – mehr will.
Menschen mit mehr Fragen und Zweifeln sind im Geschäftsprozess nicht vorgesehen, fallen schnell lästig und bleiben eben draußen.
Und vielleicht lehrt das etwas über die Wahrhaftigkeit dieses Glaubens.
Gerd
Lästig fallen. Dann sind wir schon mittendrin in der Mission.
Andreas
@Gerd: Tja, aber wenn der Suchende lästig fallen muss läuft das verkehrt herum oder?