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  1. Gero

    Hallo,

    ich möchte einmal eine Lanze für die Schubladen brechen.
    Auch gerne und falsch „Vorurteile“ genannt.

    Lebewesen haben in Jahrmillionen gelernt, aus vergangenen Erfahrungen auf die Zukunft zu schließen.
    Rascheln im Gras….man sieht aber nichts? Gefahr!
    Obwohl es vielleicht nur ein dicker Käfer ist.
    Jemand, der anders aussieht als man selbst? Anderer Stamm!
    Könnte Freund sein oder werden, kann aber auch den Schädel einschlagen wollen.
    Besser vorsichtig sein, weil im Fall „2“ irreversibel.

    Lassen Sie uns die Schubladen und Vorurteile doch einfach umbenennen.

    Denn sie sind in Wirklichkeit eigentlich selbst erfahrene oder von den Eltern übermittelte Handlungsmuster, die zur spontanen Schnellentscheidung und damit zum Überleben auch in zivilisatorisch hochgestellten Gesellschaften nötig sind.

    Jeder Personalchef, der seine Sache ernst nimmt, hat von Ihnen, 10 Sekunden nachdem Sie den Raum betreten haben, einen Eindruck, der mehr wiegt als alle Zeugnisse, die Sie mitbringen.
    Er sieht an Ihrer Körperhaltung, dem offenen (oder ausweichenden) Blick, dem Händedruck und der Art, wie Sie Sich setzen, welcher Typ Persönlichkeit Sie sind.
    Und ob Sie z.B. für administrative Arbeiten die Richtige sind, weil Sie Autorität mitbringen.
    Da spielen dann das vielleicht nur geliehene Kleid oder das Büttenpapier unter dem Lebenslauf nur eine geringe Rolle.

    Bei einem Kandidaten dagegen, der sich auf eine Stelle als Staplerfahrer bewirbt, wird er von vorneherein andere Kriterien gelten lassen und berücksichtigen.

    Ein Bekannter, den ich wegen seiner Bildung und seiner Lebenserfahrung sehr schätzte (er war Chefarzt einer großen Klinik; ein Mann, den ich eher zufällig von seiner privaten Seite her kennenlernen durfte), sagte mir, daß er sehr viel auf den ersten Eindruck hielte.
    Und das er sich mit dieser Einstellung nur wenige Male getäuscht, sie ihm dafür aber beruflich und privat viel Unbill habe vermeiden lassen.

    Und als Sie Ihren Mann das erste Mal gesehen haben, war es vielleicht nicht sofort der Blitz aus heiterem Himmel, aber ganz sicher auch kein Gefühl der Abneigung. Sondern vermutlich eher Interesse, gemischt mit Sympathie, der Sie durch weitere Begegnung nachspüren wollten.

    Benennen wir die Schubladen also um in das, was auch vor deutschen Gerichten Aussagekraft hat, nämlich in die dort so genannte „allgemeine Lebenserfahrung“.
    Sie ist nützlich und dient als Entscheidungshilfe in Situationen, in denen man keine Zeit zum Philosophieren hat, sondern sofort und aus dem Bauch heraus entscheiden muß.

    Der eigentliche Trick (und ich vermute auch, daß es das ist, worauf Sie mit Ihrem Beitrag hinaus wollten) ist, daß wir solche Schubladen nicht starr verwalten, sondern bereit sind, einzelne Dinge daraus zu entnehmen und in besser passende Fächer einzusortieren. Immer wieder und mitunter mehrfach mit den gleichen Dingen.
    Damit es wieder passt.

    Gerade sortiere ich 92er Bodies in den Sack mit der Aufschrift „Dachboden 92er Bodies“, obwohl die lange ganz oben in der Schublade lagen.
    Und das mit Berechtigung.

    • Thekla

      Lieber Gero,

      ich weiß nicht, ob Sie den Sinn des Artikels richtig verstanden haben. Petra hat es nicht explizit geschrieben, aber ich glaube, es ging ihr darum, dass wir dazu neigen, Menschen in Schubladen zu stecken und zu bewerten.

      So nach dem Motto: Diese Frau ist allein erziehend, nicht berufstätig und schickt ihr einziges Kind den ganzen Tag in die Kita, ergo: Sie hat ihr Leben nicht im Griff.

      Oder: Diese Frau ist verheiratet, hat zwei Kinder, die sie ab dem Alter von 1 Jahr vormittags in die Kita gegeben hat, geht arbeiten und verbringt ihre Nachmittage mit ihren Kindern. Ergo: Sie ist der klassische Mainstream und macht es in den Augen der Leute richtig.

      Ich mag den indianischen Spruch mit den Mokassins. Wir wissen nicht, welche Geschichte der Andere hat, welche Probleme er mit sich herumschleppt, welche Vorstellungen vom Leben er hat und warum er so handelt, wie er handelt.

      Was Sie von Ihrer Erfahrung des Personalchefs erzählen, geht in eine andere Richtung. Natürlich sind Menschen unterschiedlich, und man kann sie tatsächlich
      bis zu einem gewissen Grad in bestimmte „Typen“ einteilen, z. B. die vier Temperamente. Mit einer gewissen Lebenserfahrung merkt man sehr schnell, wie ein Mensch tickt. Solange das wertfrei geschieht, ist das auch vollkommen in Ordnung und sogar nützlich, weil man dem Menschen eine Aufgabe geben kann, die zu ihm passt.

      Ich bin Petra sehr dankbar für ihren Artikel. Als Christ beschäftigt man sich automatisch mit der Frage: Was ist richtig, was ist falsch? Und da passiert es leicht, dass man das Verhalten anderer bewertet. Und von der Bewertung des Verhaltens der anderen Person ist es nicht mehr weit bis zur Bewertung der Person selbst.

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