Heiligkeit muss das Ziel jedes Menschen sein. Dass das nicht so einfach ist sei zugestanden, das ist aber kein Argument, Jesus nicht auf diesem Weg zu folgen.
Es ist ja nicht so, als ob man es nicht wissen könnte: Das Ziel des Menschen, ob er es nun weiß oder nicht, ist es, Gott zu erreichen, mit ihm eins zu werden. Dass das zwar nicht unmöglich aber auch nicht ganz einfach ist, lässt sich aus den Worten Jesu von der schmalen Tür unschwer entnehmen. Und trotzdem dürfen wir alle hoffen auf die Barmherzigkeit Gottes, der uns eben nicht richten will sondern retten, weshalb er Jesus gesandt hat. Soweit so einfach … es wird allerdings komplizierter, wenn man den katholisch-gängigen Begriff eines Lebens, dass diesem Ziel angemessen ist, verwendet: Heiligkeit.
Mutter Theresa?
„Ich bin doch nicht Mutter Theresa“ schlägt einem als Antwort entgegen (und geht einem wenn ich ehrlich bin auch manchmal selbst durch den Kopf), wenn eine scheinbar übertriebene Selbstlosigkeit gefordert wird. Heiligkeit, das ist was für andere, was für ganz besondere Menschen, die eben von der Kirche heiliggesprochen werden. Das scheint Konsens und ist trotzdem von der Wahrheit meilenweit entfernt: Heiligkeit, ob es nun die einer Mutter Theresa oder eines anderen Heiligen ist, ist nicht leicht zu erreichen, aber dennoch eine Anforderung, eine Berufung für uns alle. Und genau darum geht es im am Montag erschienen Apostolischen Schreiben „Gaudete et exsultate – Über den Ruf zur Heiligkeit in der Welt von heute“, das Papst Franziskus offenbar am Herzen gelegen hat.
Denn dieses Schreiben hebt sich von seinem bisherigen sehr auf Barmherzigkeit und die Fokussierung auf die Pastoral formulierten Schreiben doch ziemlich ab. Während es – so habe ich es jedenfalls wahrgenommen – bei vielen päpstlichen Texten in der Vergangenheit eine Orientierung nach außen war, zu den „Rändern“, die seitens der Kirche und ihrer Gläubigen angesprochen werden sollten, sei es zur Mission oder zu den Übungen der Barmherzigkeit, ist es jetzt eher ein Blick nach innen, ein Blick, den der Gläubige auf sich selbst richten sollte, um zu sehen, wie er dem Anspruch an Heiligkeit gerecht wird. Die Ränder, an die wir uns bewegen müssen – ob es nun Armut oder Unglaube ist, der an den Rand drängt – hat natürlich auch hier seine Bedeutung, aber die Zielrichtung ist eine andere. Man könnte sagen: Wenn wir alle heilig wären, wäre das „Problem“ von Barmherzigkeit und Mission gleich mit erledigt.
Gaudete et exsultate
Sind wir aber in den meisten Fällen nicht, und das wissen wir auch selbst. Anstatt sich aber mit weniger zufrieden zu geben, beschreibt Papst Franziskus in seinem Dokument, was Heiligkeit ist – festgemacht an den Seligpreisungen der Bergpredigt –, warum wir alle dazu berufen sind – je nach seinen Umständen, denn in der Tat kann nicht jeder eine Mutter Theresa sein, jeder aber kann heilig werden –, was der Heiligkeit entgegensteht – die Häresien des Gnostizimus und des Neopelagianismus, die uns verführen, aber auch der Teufel selbst, über den der Papst eindringlich schreibt –, die Wege, mit denen man Heiligkeit erkennen und sie auch erreichen kann – vom Durchhaltevermögen über den Sinn für Humor bis zum eigentlich selbstverständlichen, aber doch oft vernachlässigten Gebet – und in welcher Weise dieser Weg zur Heiligkeit eben auch ein Kampf ist und Wachsamkeit und Unterscheidung erfordert.
Heiligkeit im Alltäglichen
Das ganze ist formuliert in Worten, die sich eindeutig an die Gläubigen richten, verständlich und an der Lebenswirklichkeit orientiert, zum Beispiel in diesem schönen Bild:
16. […] Eine Frau geht beispielsweise auf den Markt zum Einkaufen, trifft dabei eine Nachbarin, beginnt ein Gespräch mit ihr, und dann wird herumkritisiert. Trotzdem sagt diese Frau innerlich: „Nein, ich werde über niemanden schlecht reden.“ Das ist ein Schritt hin zur Heiligkeit. Zu Hause möchte ihr Kind dann über seine Phantasien sprechen, und obwohl sie müde ist, setzt sie sich zu ihm und hört ihm mit Geduld und Liebe zu. Das ist ein weiteres Opfer, das heilig macht. Dann erlebt sie etwas Beängstigendes, aber sie erinnert sich an die Liebe der Jungfrau Maria, nimmt den Rosenkranz und betet gläubig. Das ist ein weiterer Weg der Heiligkeit. Dann geht sie aus dem Haus, trifft einen Armen und bleibt stehen, um liebevoll mit ihm zu reden. Das ist ein weiterer Schritt.
Meine eigene Berufung
Nichts von dem, was wir da lesen, ist für einen Menschen unmöglich, aber es fordert trotzdem heraus, nicht schlecht über andere zu reden, das Kind nicht einfach vor dem Fernseher ruhigzustellen, sich nicht seinen Ängsten zu ergeben und an einem Bettler nicht einfach wortlos vorbeizugehen. Vielleicht, das schreibt Franziskus nicht, interpretiere ich aber so, ist meine Berufung zur Heiligkeit auch eine ganz andere und liegt gar nicht in erster Linie in der Aufopferung für andere. Denn:
14. […] Bist du ein Gottgeweihter oder eine Gottgeweihte? Sei heilig, indem du deine Hingabe freudig lebst. Bist du verheiratet? Sei heilig, indem du deinen Mann oder deine Frau liebst und umsorgst, wie Christus es mit der Kirche getan hat. Bist du ein Arbeiter? Sei heilig, indem du deine Arbeit im Dienst an den Brüdern und Schwestern mit Redlichkeit und Sachverstand verrichtest. Bist du Vater oder Mutter, Großvater oder Großmutter? Sei heilig, indem du den Kindern geduldig beibringst, Jesus zu folgen. Hast du eine Verantwortungsposition inne? Sei heilig, indem du für das Gemeinwohl kämpfst und auf deine persönlichen Interessen verzichtest.
Die Seligpreisungen als Basis
Insofern sind die beschriebenen Wege zur Heiligkeit auch eine Einladung, sich beispielsweise mit den Seligpreisungen zu beschäftigen und sie auf sich selbst zu beziehen: Was heißt es für mich „arm sein vor Gott“, „sanftmütig“ zu sein, zu „trauern“ (nebenbei nicht um der Trauer willen, sondern im Ertragen der Trauer), zu „hungern und dürsten nach Gerechtigkeit“ (und dies auch in meinem Leben umsetzen), „barmherzig“ zu sein, „ein reines Herz“ zu haben, „Frieden zu stiften“ oder „um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden“ (vgl. Matthäus 5,3-12)? Die Bedeutung dieser Worte ist für jeden anders, und es gilt, die eigene Berufung zur Heiligkeit umzusetzen.
Wie jedes päpstliche Schreiben ist darum auch „Gaudete et Exsultate“ („Freut euch und jubelt“) kein Text den man zur eigenen Erbauung liest und dann zur Seite legen kann. Er gehört immer wieder gelesen, betrachtet, die zitierten Bibelstellen nachgeschlagen und durchbetet. Auf diese Weise werden wir zu dem Schluss kommen, dass wir einerseits noch (überwiegend, ich kann ja eigentlich nur für mich sprechen) weit von Heiligkeit entfernt sind, andererseits ermutigt der Text aber auch, diesen Weg weiter zu gehen.
Keine Ausreden mehr
Nach der Lektüre sollte jedenfalls jedem Katholiken, der noch Zweifel hatte klar sein, dass auch er zur Heiligkeit berufen ist, und die Reaktion „Ich bin doch nicht Mutter Theresa“ bestenfalls eine ganz schlechte Ausrede dafür ist, Heiligkeit noch nicht erreicht zu haben. Oder, wie mir mal ein humorvoller Priester gesagt hat: „Wie peinlich ist es doch, dass wir noch nicht heilig sind.“
Hier geht es zum Dokument „Gaudete et Exsultate“
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Bild: fritz zühlke- www.pixelio.de
Liesl Karlstadt
Hans Urs von Balthasar, der führende deutschsprachige Experte des 20. Jh. für die Spiritualität der Heiligkeit,
wird von Franziskus in dem Apostolischen Schreiben wiederholt zitiert. Umso bemerkenswerter, weil Benedikt XVI. im Buch „Letzte Gespräche“ mit Peter Sewald von Balthasar als den Theologen bezeichnet, der ihn am meisten beeindruckt habe. Als Kardinal hielt Benedikt die Predigt bei der Totenmesse für von Balthasar. Von Balthasar löste bei seinem berühmten Beichtkind, der Ärztin Adrienne von Speyr, einen unerwarteten übernatürliche Gnadensegen dadurch aus, dass er ihr sagte: wir bieten Gott nicht unsere fromme Leistung an, sondern lassen uns in das Wirken Gottes durch den Glauben hineinnehmen. Dieser entscheidenden Wende ist auch das Schreiben von Franziskus auf der Spur.
akinom
Wenn ich an Mutter Teresa denke, dann immer zuerst an ihre Antwort, die sie einem Reporter auf die Frage gegeben hat, was sich am notwendigsten an der Kirche ändern müsse. Die Antwort lautete: „Sie und ich!“ Das ist doch nichts anderes als die „Heiligkeit im Alltäglichen“, die Papst Franziskus in „Gaudete et Exsultate“ einfordert.
Gerd
Dass jeder zur Heiligkeit berufen ist, war zu meiner Grundschulzeit Gegenstand des Religionsunterrichts. Eigentlich erzählt, zumindest mir, der Papst nichts Neues. Schön ist allerdings, dass er es erwähnt.