Machen wir uns nichts vor: Instrumentalisierungen von Katastrophen finden ständig statt. Das macht sie allerdings nicht weniger unappetitlich.
Manchmal reicht es schon, sich einfach mal in die Rolle von jemanden anderem zu versetzen um festzustellen, was geht und was nicht. Stellen Sie sich mal vor – ich weiß, das ist kaum möglich – Sie wären die Mutter oder der Vater der ermordeten Susanna und hätten nun die Ausschnitte aus der Bundestagsdebatte gesehen: Der AfD-Abgeordnete Thomas Seitz, der seine Redezeit für eine unabgestimmte Schweigeminute für Ihre Tochter nutzt, das Rumoren unter den Mitgliedern des Bundestages, die Zwischenrufe und das Einschreiten der grünen Vizepräsidentin des Bundestages, Claudia Roth. Und dann erleben Sie die Skandalisierung dieses Vorfalls von allen politischen Seiten.
Susanna und Aylan Kurdi
Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie es ist, die eigene Tochter zu verlieren, noch dazu auf diese Art. Aber ich bin sicher, ich hätte es nicht durchgehalten, mir das anzuschauen. Ich würde die Medien dieser Tage vermutlich sowieso meiden … und mich fragen, ob die Welt eigentlich nichts anderes zu tun hat, als ausgerechnet den Tod meiner Tochter, dessen Hintergründe und politischen Folgen zu diskutieren. Ich würde glaube ich sowohl Herrn Seitz als auch Frau Roth vor die Füße spucken: Ersteren, weil er die „Bühne“ für eine kalkulierte Provokation genutzt hat, letztere weil sie nicht in der Lage war, diesem „Schauspiel“ angemessen zu begegnen. Und allen versammelten Abgeordneten, weil ihnen in dem Augenblick der Tod meiner Tochter und die Trauer der Angehörigen vollkommen egal gewesen sind.
Politische Vorteile aus einer Katastrophe ziehen, das ist nichts Neues. Und je persönlicher es wird, umso mehr Wirkung erzeugt man. Das funktioniert aus allen Richtungen: Der ertrunkene kleine Aylan Kurdi am Strand: Was sonst sollte die Botschaft sein, als der unausgesprochene Vorwurf, dass „wir“ für seinen Tod mitverantwortlich seien, vor allem diejenigen, die für sichere Grenzen eintreten? Und jetzt eben die Schweigeminute für Susanne: Was sonst soll die Botschaft sein – im Bundestag, unabgestimmt und überraschend – als die, dass die Politik, die Regierung für ihren Tod mitverantwortlich sei? Und das Perfide ist: Man kann eine solche Instrumentalisierung niemals nachweisen, denn wer weiß schon, ob Thomas Seitz nicht tatsächlich so betroffen über den brutalen Mord war, dass seine Aktion doch spontan gewesen sein könnte? Allein: Ich glaube es nicht, ich glaube es niemandem, der damit am Ende politisch arbeitet.
Notwendige Instrumentalisierungen
Und trotzdem sind solche Instrumentalisierungen notwendig. Denn sie machen die Grenzen des Machbaren, sie machen die Grenzgebiete der Politik deutlich, an denen man nicht anders kann, als sich für ein Übel zu entscheiden. Das Bild von Aylan Kurdi war damals notwendig. Notwendig, um zu zeigen, dass die ertrunkenen Flüchtlinge und Migranten nicht nur eine gesichtslose Masse sind. Es sind Menschen, die dort gestorben sind, und mögen ihre Fluchtgründe noch so abwegig gewesen sein. Aylan Kurdi hat diesen Flüchtlingen ein Bild gegeben. Und die Diskussion über die Hintergründe seiner persönlichen „Flucht“ hat deutlich gemacht, wie wenig eindeutig Urteile über Einzelpersonen in der Flüchtlings- und Migrationskrise sein können.
Und Susanna: Dieser „Fall“ enthält alles an Zutaten, was in der Bundesrepublik in Richtung Asylverfahren und –politik schiefläuft. Der Täter ohne Asylgrund, nicht abgeschoben, mehrfach polizeilich aufgefallen, wie sich jetzt herausstellt unter falschem Namen und falscher Altersangabe, aber immer noch unter dem „Schutz“ des Landes stehend, dessen Werte er offenbar verachtet; soweit, dass er sogar in das Land zurück „flieht“ aus dem er aus augenscheinlich fadenscheinigen Gründen hierhergekommen ist. Der Mord an Susanne ist für sich genommen ein Einzelfall, aber einer, an dem exemplarisch deutlich wird, was schiefläuft. Und an dem deutlich wird, warum die verbale Verantwortungsübernahme durch die Bundeskanzlerin nicht ausreicht, die derartige Risiken „ihrer“ Migrationspolitik in Kauf nimmt …
Zahlen brauchen ein Gesicht
… und das ist schon wieder Instrumentalisierung. Diesmal von mir selbst. Man merkt, wie schwer es ist, nicht zu instrumentalisieren, wenn man über ein solches Thema schreibt. Es geht nicht, und ich glaube, das ist auch normal: Flüchtlingszahlen, Zahlen von tätlichen Angriffen, Zahlen ertrunkener Migranten, Todeszahlen aufgrund von Gewaltverbrechen: Sie sind allesamt nur Zahlen, aber Susanna hat ein Gesicht. Zahlen brauchen ein Gesicht, sonst wird ihre Bedeutung nicht deutlich genug. Zahlen brauchen ein Gesicht, sonst kann man sich hinter ihnen verstecken, sie mit anderen Zahlen vergleichen, ihre wahre Bedeutung verschleiern.
Ich kann – stellvertretend für alle, die sich mit dem Thema beschäftigen – Susannas Eltern und Freunde nur um Entschuldigung bitten für die Instrumentalisierung des Todes ihrer Tochter. Ich verspreche ihnen, für sie zu beten … und bin mir doch darüber im Klaren, dass der Tod des Mädchens eben auch eine politische Dimension hat. Die Eltern müssen die nicht sehen, und wir tun in ihrem Sinne alle gut daran, uns soweit als möglich zurückzuhalten mit ihrer Thematisierung. Aber diese Dimension ist da, und sie nicht aufzugreifen wäre wohl genau so zynisch wie die Instrumentalisierung selbst.
Gerd
Wenn die Instrumentalisierung dazu genutzt wird um die Wahrheit ans Licht zu bringen, ist sie immer notwendig. Man hat mir mal vorgeworfen das Rosenkranz-Gebet zu instrumentalisieren, weil ich den demonstrativ mit anderen vor einer Abtreibungspraxis gesprochen habe. Ob ich mich nicht in die Notlagen der Mütter versetzen könnte usw. Eine Instrumentalisierung kann zynisch sein, die Absicht dahinter darf es nicht. Wenn ich am Grab der ermordeten Susanne eine Minute des Schweigens einhalte, bin ich sicher auf der Seite der traumatisierten Eltern. Und selbst Claudia Roth, wäre sie anwesend würde dann ihre zynische Klappe halten. Was am Grab gilt, gilt im Bundestag nicht?
Konrad Kugler
Warum rotieren Sie denn hier so?
Thomas Seitz hat nur das wiederholt, was diese unerträgliche BT-Vizepräsidentin vorgemacht hat: Eine Schweigeminute für die im Mittelmeer Ertrunkenen (2015).
Die Verlogenheit sitzt links im BT. Und die Dreckigkeit. Und die Charakterlosigkeit ebenfalls. Die Mitte wird heute ausschließlich von der AfD vertreten.
Die Extremisten sind doch in SPD, Grünen und Linken, die andauernd gegen Ehe, Familie und Privateigentum kämpfen, ihren Haß gegen Kirche und Staat pflegen und das Land ändern, sprich ruinieren wollen.
Marxismus und Sozialismus sind Opium für das Volk. Und Wirksamkeit und Erfolg dieser umstürzlerischen (revolutionären) Ideen kommen vom Teufel.
[Von den ersten Toten dieser irren Ideologie wird in der Apostelgeschichte berichtet, wenn man davon ausgeht, daß Satan der Inspirator der Idee des Gemeineigentums war. Das Verhalten der Eheleute war ihr Tod. Keine Spur von Gottes Barmherzigkeit zu sehen. Barmherzigkeit, heute das ideologische Schlagwort für allen möglichen Blödsinn.]
Nun zu meiner realkatholischen Herzlosigkeit: Der kleine Kurdi wurde selbst Opfer einer Inszenierung und so politisch mißbraucht. Ich sah ihn bereits damals im Paradies (!). Vor dem steht immer noch der Engel mit dem Flammenschwert. Das hat mich getröstet.
Satan ist seit seinem Sturz ein Aktivist. Er war immer dabei. Auch bei der Kreuzigung (zur Präzisierung).
Lieber Herr Honekamp, darauf einen Dujardin!
Thomas Leske
Andere Menschen als Mittel zum Zweck einzusetzen (sie zu instrumentalisieren), kann noch nicht moralisch falsch sein ohne dass weitere Bedingungen hinzu kommen. Und man muss jemanden auch ohne seine Zustimmung als Mittel gebrauchen können, beispielsweise um ihn als Vorbild hinzustellen. Auch ein Mahnmal des unbekannten Soldaten instrumentalisiert diesen ganz offensichtlich.
Kant verbietet uns auch nicht pauschal, andere als Mittel zu gebrauchen, wir dürfen sie aber nicht *bloß* als Mittel gebrauchen sondern „jederzeit zugleich als Zweck“. Die Todesopfer macht es zwar nicht mehr lebendig, wenn man sie instrumentalisiert, aber es könnte doch in ihrem Sinne sein, weitere ähnliche Todesopfer zu verhindern. Es kommt darauf an, ob man ihnen unterstellen kann, sie würden sich mit einer bestimmten Opfergruppe identifizieren z. B. mit allen Migranten in Seenot oder allen Gewaltopfern. Oder vielleicht auch nur mit diejenigen Gewaltopfern, für die sich eine Mitschuld von Angela Merkel konstruieren lässt.
Karsten Dahlmanns
Wenn der Instrumentalisierungsvorwurf derart vage ist, daß er zu jeder Zeit und gegen jeden nur erdenklichen Sprechakt vorgebracht werden kann, spricht genau dies gegen ihn. Der Instrumentalisierungsvorwurf ist, philosophisch gesprochen, ein allzu wohlfeiles Argument, deshalb – im Wortsinne – nichts wert.
Außerdem lassen sich drollige Schleifen erwarten: Was, wenn jemand den Instrumentalisierungsvorwurf instrumentalisiert? Soll man dann Instrumentalisierungsvorwürfe gegen Instrumentalisierungsvorwürfe vorbringen?
Also: Abtun. Nicht ernstnehmen. Keine Zeit damit verschwenden.
Gerd
Instrumentalisierungsvorwurfsschleifen. Das hat was!
Gerd
http://www.kath.net/news/64148
Instrumentalisierung?