Man konnte es erwarten, und doch hofften viele, ich auch, auf weniger dramatische Ergebnisse der Studie zum sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche.
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3.677 Opfer sexueller Vergehen in der katholischen Kirche in Deutschland (*) von 1946 bis 2014, 1.670 Kleriker als Täter, mehr als die Hälfte der Opfer unter 13 Jahre alt, die Opfer überwiegend männliche Minderjährige. Offenbar vernichtete oder manipulierte Personalakten, Versetzungen statt kirchenrechtliche Verfahren (nur bei einem Drittel der Taten), geschweige denn strafrechtliche Sanktionen. Und, so zitiert der „Spiegel“: Im Übrigen gebe es keinen Anlass zur Annahme, „dass es sich beim sexuellen Missbrauch Minderjähriger durch Kleriker der katholischen Kirche um eine in der Vergangenheit abgeschlossene und mittlerweile überwundene Thematik handelt“. Die Serie der Missbrauchsfälle dauerte bis zum Ende des Untersuchungszeitraums an.
Fakten und Interpretationen
Das sind die Fakten, die der „Spiegel“ aus der von der Deutschen Bischofskonferenz in Auftrag gegebenen Studie zum sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche in Deutschland vorab veröffentlicht hat. Die DBK plant die offizielle Veröffentlichung am 25. September … bis dahin dürften die Trümmer krachend auf die Köpfe der Bischöfe und – als Kollateralschäden – der engagierten Laien niedergegangen sein.
Man liest die Beiträge in „Spiegel“, „Zeit“ und „Welt“ und kann kaum fassen, was dort steht. Zumal es sich – im Gegensatz zur Pennsylvania-Studie – nicht um eine unabhängige Studie handelt sondern um eine von der DBK in Auftrag gegebene und mit Beteiligung von Kirchenverantwortlichen erstellte Untersuchung. Das bedeutet auf der einen Seite, dass man offenbar hinsichtlich der Ergebnisse auf dramatische Schlagzeilen keine Rücksicht genommen hat – was gut ist – man sich aber gleichzeitig Gedanken darüber machen muss, ob es über das bekannte „Dunkelfeld“ hinaus noch weitere Gründe gibt, die Zahlen eher noch für zu klein denn für zu übertrieben zu halten.
Man liest die Zahlen und ist schnell geneigt, die dahinter stehenden Schicksale zu vergessen. Kinder und Jugendliche, die missbraucht wurden und – offenbar – noch immer werden. Als ob das nicht schlimm genug wäre: Die Täter sind Priester, bei denen man als gläubiger Katholik doch eine besondere Nähe zu Christus vermuten würde. Wir alle wissen: Auch Priester sind Sünder, aber gerade diese Art der Sünde stößt jeden Menschen noch umso mehr ab, je mehr der Täter den Anschein von Gottesnähe erweckt. Man mag sich gar nicht vorstellen, was mit den Kinderseelen passiert, deren Körper nicht nur missbraucht wurde, sondern bei denen der Täter sich auch noch als „alter christi“ getarnt hat.
Seite 288 der Studie
Man mag es sich nicht vorstellen, aber man muss es! In der „Zeit“ kommentieren Evelyn Finger und Veronika Völlinger „Vielleicht hilft es, wenn die Bischöfe jetzt die Liste der Missbrauchstaten lesen, die an Kindern und Jugendlichen verübt wurden. Seite 288 der Studie: Berührung primärer Geschlechtsteile unter der Kleidung, Küsse auf den Mund, genitale Penetration, Masturbation an Betroffenen, Entkleidung Betroffener, Demütigung und Züchtigung, Oralverkehr, Fingerpenetration, Zeigen pornografischer Bilder… Die Beschuldigten haben mehrheitlich keine Reue gezeigt. Auch das kann man nachlesen. Vielleicht hilft es. Vielleicht.“ Man möchte sich – als Katholik und als Vater kleiner Kinder – angesichts dieser noch überschaubaren Beschreibung übergeben bei der Vorstellung, was sich hinter den Nennungen alles verbirgt.
Man kann es den beiden Kommentatorinnen nicht übelnehmen, dass sie die Ergebnisse auch zum Anlass nehmen, die Sexualmoral der katholischen Kirche und den Zölibat ins Visier zu nehmen. Ich bin selbst nach wie vor davon überzeugt, dass diese beiden Aspekte – einhergehend mit der sakramentalen Bedeutung der Priesterweihe – eher einen Schutz gegen Missbrauch darstellen denn diesen auszulösen vermögen. Dass aber die Welt darüber anders denkt, ist kein Wunder, umso notwendiger ist es, dass die Kirche endlich zu der Transparenz und zu der Konsequenz kommt, die notwendig wäre. Bestrafung der Täter, Anzeige an Strafverfolgungsbehörden, verbesserte Auswahl von Seminaristen und – ja, auch das wird sicher notwendig sein – verbesserte Kontrollmechanismen, auch gegenüber Bischöfen, bei denen wohl niemand davon ausgehen kann, dass die Taten ihnen vollständig unbekannt geblieben sind.
Verantwortliche
Auch hierzu zitiere ich, wenn es auch schmerzt, die „Zeit“: „Wie wahrscheinlich ist es, dass die Bistumsverantwortlichen, namentlich die Bischöfe, von den Verbrechen nichts wussten? Wie wahrscheinlich ist es, dass aus purer Unwissenheit so wenige Täter offen sanktioniert wurden, sei es nach Kirchenrecht, sei es nach weltlichem Recht? Antwort: Es ist sehr, sehr unwahrscheinlich.“ Was soll man widersprechen, wenn ein Ergebnis der Studie ist, dass in manchen Diözesen bis zu acht Prozent der gesamten Kleriker“ als mutmaßliche Missbrauchstäter aktenkundig geworden sind?
Sollte noch jemand geglaubt haben, der US-amerikanische Missbrauchsskandal sei weit weg, die katholische Kirche in Deutschland sei ein vergleichsweise sicherer Ort, sieht man sich widerlegt. Mag schon sein, dass es hier im Gros um alte Fälle geht, aber erstens ist das Studienergebnis offenbar eindeutig – Es hat nicht aufgehört! – und zweitens wird deutlich, dass es Täter auf allen Ebenen geben muss. Ich kann mir jedenfalls nicht vorstellen, dass man eine solche Studie veröffentlicht und mit dem gleichen „Personal“ eine Reinigung der Kirche angeht. Auf uns Laien wird auch in Deutschland eine Menge Arbeit in der Kirche zukommen. Es ist an uns, die Kirche zu bewahren. Das ist nicht neu, aber bisher hat man doch zumindest den Großteil der Bischöfe – bei allen theologischen Meinungsverschiedenheiten – an der eigenen Seite vermutet. Eine Illusion mehr, die gerade zerplatzt.
Gebet
Oh Gott, komm uns zu Hilfe. Herr, eile uns zu helfen!
(*) Ursprünglich war im Spiegel-Artikel von 3.677 Missbrauchsfällen die Rede, die Studie berichtet aber von 3.677 Opfern. Der Spiegel hat das zwischenzeitlich korrigiert.
Update: Bischof Ackermann zur Studie „Sexueller Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz“ (12.09.2018):
2018-142-Erklaerung-Bischof-Ackermann-MHG-StudieDer Beitrag in der „Zeit“: Das Ausmaß des Verbrechens
Der Beitrag im „Spiegel“: Missbrauchsstudie dokumentiert Tausende sexuelle Übergriffe
Das Thema bei kath.net: „Spiegel“ leakt vorab Ergebnisse der DBK-Missbrauchsstudie
Konrad Kugler
Solange die Details nicht bekannt sind, ist eine Diskussion nicht weiterführend.
So warte ich auf die Zahlen in Jahrgängen.
Wer hat schon von der Woodstockisierung Anfang der `70er gehört, wer weiß, daß um `70 eine Synode den Zölibat abschaffen wollte? Daß weit über 30 000 Priester bis `78 ihr Amt aufgegeben haben?
Wer hat schon vom „Geist des Konzils“ gehört?
Ich habe den mehr oder weniger großen Gegensatz zwischen Krawattenpfarrern, solchen in Räuberzivil und den anderen mit Römischem Kragen erkannt. Das sind in der Regel keine gewaltigen Regelverstöße, aber sie sind da. WoGo am Sonntag heißt jetzt halt Morgenlob. Die Gläubigen werden getäuscht. Kein Kunststück, Glaubenswissen < Walnuß.
Konrad Kugler
Verschwiegen wird offenbar weiterhin, daß 80 % der Fälle Taten von Schwulen sind.
Wie kann man als katholischer Priester ein widernatürliches Sexverbrechen begehen und am Morgen die Messe zelebrieren?
Leistet dazu der nachkonziliare Allerlösungswahn Beistand?
Liesl Karlstadt
https://www.tagesschau.de/inland/dunkelzifffer-kindesmissbrauch-101.html
Wie man diesem Link entnehmen kann, gibt es allein in Deutschland in 1 Jahr etwa 65.000 Missbrauchsfälle. Rechnet man das hoch auf 50 Jahre und ca. 190 Staaten, so kommt man weltweit auf über 300.000.000 (i.W. 300 Millionen) Missbrauchsfälle in den letzten 50 Jahren. Die meisten geschehen in Vereinen und in Verwandten- und Bekannten-Strukturen. Wem es wirklich um die Opfer geht, der muss sich auch intensiv um diese Täterstrukturen und deren Opfer kümmern. Hier im von der Kinderschutzkommission aufgezeigten Bereich finden wir über 99% der Täter und Opfer.
akinom
Die Konsequenz für mich kann nur heißen: Gebet auf turbo schalten! Aber die Wirksamkeit und meine Vorstellungskraft hört dort auf, wo Täter unbußfertig gestorben sind….
Wafthrudnir
Ohne etwas verharmlosen zu wollen, aber man muß schon beachten, daß außer richtigem Mißbrauch auch „Züchtigung und [völlig undefiniert] Demütigung“ mitgezählt wird.
Mein eigener Pfarrer erzählt gerne, daß er als Kind so schlimm gewesen wäre, daß ihn sein damaliger Pfarrer nur unter der Voraussetzung ministrieren ließ, daß ihm der Vater schriftlich die Erlaubnis zur körperlichen Züchtigung erteilte.
Auch wenn mein Pfarrer diese Geschichte nie ohne Lachen erzählt und trotz anscheinend zahlreicher Ohrfeigen selbst Priester wurde, würde er in der Statistik als Mißbrauchsopfer gezählt.
Gerd Franken
Wenn eine Ohrfeige als Missbrauch in den Statistiken auftauchen wird es unendlich schwer hier noch Wahrheit, Lüge und Täuschung auseinander zu halten. Ich selber war Zeuge, als mein Jugendpfarrer einen Messdiener ohrfeigte, als er ihn bei einer frechen Lüge ertappte. Wenn eine Ohrfeige oder das Ziehen an denselben den Tatbestand des Missbrauches erfüllt, dann wurde in den Familien missbraucht, dass sich die Balken biegen.