Der Fall Relotius ist ein Symptom … und der Mensch Relotius ein Opfer. Letzterem gilt unsere Barmherzigkeit, ersterem die entschiedene Gegenwehr.

Eigentlich hatte ich mich schon in die Weihnachtspause verabschiedet, aber zu einem solchen Medienskandal kann niemand schweigen, der selbst – wenn auch auf ganz, ganz kleiner Flamme – in diesem Zirkus dabei ist. Offenbar hat Claas Relotius, vielfach preisgekrönter und hoch gehandelter Journalist beim Spiegel, viele seiner Beiträge mindestens inhaltlich aufgehübscht, manche offenbar komplett erfunden. Wer heute die Nachrichtenseiten im Internet stöbert, kommt am Namen Relotius nicht vorbei.
Spiegel-Affäre
Dabei hat diese „Spiegel-Affäre“ durchaus unterschiedliche Komponenten, unterschiedliche Sichtweisen, die man untersuchen muss. Da ist einerseits mal die Tatsache, dass in den vergangenen Jahren Beiträge offenbar dann durch jedes journalistische Qualitätssicherungsraster gefallen sind, die ins Weltbild der linken „Meinungselite“ passten. Wer erinnert sich nicht an die (gefühlt) Dutzenden von Flüchtlingen, die Geldbörsen mit Tausenden von Euros gefunden und dem Besitzer wieder zurückgegeben haben. Für diesen journalistischen Unfug warte ich noch heute auf eine Entschuldigung der Redaktionen.
In diesem Fahrwasser ist auch Claas Relotius gefahren mit seinen Geschichten von syrischen Kindern, die nachts von Angela Merkel als Engel träumen und dem Jungen, der glaubt, wegen eines Kinderstreichs den Bürgerkrieg mit ausgelöst zu haben. In der Filmbranche würde man solche Geschichten als „Feel-good-Movies“ betrachten – eine Kunstform, die durchaus ihre Berechtigung hat, aber ganz sicher keinen Journalismus darstellt.
Der Fehler im eigenen Haus
Selbstkritisch stellt der Spiegel immerhin fest, dass man zwar hohe Ansprüche an sprachliche Qualität und auch an die Recherche habe, dazu gibt es im Haus explizite Prüfmechanismen, diese Systeme aber für einen vorsätzlichen Betrug nicht ausgelegt sind. Man versucht, falschen Quellen auf die Schliche zu kommen, Dokumente zu prüfen, um nicht in eine Falle wie die „Hitler-Tagebücher“ zu tappen. Dass die vorsätzliche Fehlerquelle allerdings im eigenen Haus sitzt, der Journalist an der eigenen Karriere arbeitet und nicht die Wahrheit zu dokumentieren sucht, darauf war man offenbar nicht eingestellt.
Wenn also der Journalist selbst zur Quelle wird, die dann entsprechend nicht – oder nicht ausreichend überprüft wird – dann kann jemand wie Claas Relotius von karierten Maiglöckchen berichten: Es wird ihm abgenommen! Und wenn er herzzerreißende Flüchtlingsgeschichten erzählt, dann wird er zusätzlich noch mit Preisen überhäuft. Interessanter Nebenaspekt dabei: Der Spiegel-Journalist Juan Moreno, der die Relotius-Machenschaften im Wesentlichen aufgedeckt hat (wohlgemerkt außerhalb der Prüfmechanismen der Redaktion) stand als Nestbeschmutzer lange im Feuer seiner Kollegen. Ob er wohl in Zukunft journalistische Preise überreicht bekommt für die Aufdeckung der Machenschaften und Möglichkeiten seiner Branche?
Einzelfall
Denn die weitere Frage, die man sich stellen muss: Ist Claas Relotius ein Einzelfall? Ich persönlich glaube nicht eine einzige der „Flüchtling findet 10.000 € und gibt sie dem Besitzer zurück“ Räuberpistolen. Und wenn die Mechanismen der Redaktions-QS in anderen Häusern ähnlich aufgebaut sind, wie beim Spiegel – und warum sollten sie? – liegt der Verdacht nahe, dass es in vielen Redaktionen Stars wie Relotius geben kann. Der Generalverdacht steht im Raum – und der Begriff „Lügenpresse“ feiert ein Comeback – dass Berichte exakt dann auf die Titelseiten kommen, wenn sie der eigenen politischen Richtung entsprechen, nicht wenn sie wahr sind.
Eitelkeit
Claas Relotius als Mensch ist in die Eitelkeitsfalle getappt. Und bei aller Schadenfreude dem Medium Spiegel und der Journalistenbranche (jedenfalls deren Mainstreamteil) sollten wir uns hüten zu glauben, gegen Eitelkeit und Stolz immun zu sein. Relotius ist (!) ein begabter Journalist, und man wird nicht falsch liegen, wenn man annimmt, dass er nicht schon seine ganze Karriere lang Geschichten einfach erfunden hat. Aber irgendwann hat er festgestellt, mit welchen Geschichten man Aufmerksamkeit erregt und Erfolge feiern kann. Es braucht schon einen starken Charakter, dann nicht nach exakt solchen Geschichten zu suchen und sie notfalls auch „herbeizuschreiben“.
Versuchungen
Kann ich mich davon freisprechen? Als Blogger schreibe ich nicht für mich selbst (dann könnte ich ein Tagebuch führen) sondern möchte gelesen werden. Und wie erreicht man höhere Klickzahlen? Aus meiner Erfahrung sind es zwei wesentliche Kriterien: Anzahl der Beiträge und deren Themen. Je mehr ich schreibe, umso höher gehen die Zugriffszahlen, mache ich eine Blogpause starte ich von einem deutlich geringeren Leserniveau wieder neu. Was läge da näher als einfach über irgendwas zu schreiben als gar nicht? Und wenn ich Rezensionen schreibe oder geistliche Betrachtungen, dann dümpeln die Zugriffe vor sich hin. Gesellschaftskritik zieht dagegen Leser an, Kritik an allzu progressiven Bischöfen erst recht, Migrations- und Genderkritik, einhergehend mit Medienkritik lässt die Zahlen steigen.
Was also tun, wenn ich viele Leser suche, quantitativen Erfolg haben und mir vor meinen Lesern auf die Schultern klopfen lassen möchte: Jede Menge solcher Themen „raushauen“. Und wenn das nicht reicht? Die Versuchung, dann auch mal das zu schreiben, was man nicht so genau durchblickt, eine Geschichte, deren Wahrheitsgehalt ich nicht nachvollziehen kann, trotzdem zu bringen, liegt direkt um die Ecke. Und wenn das Bloggen dann nicht nur mein Hobby sondern mein Broterwerb wäre und ich Sorge haben müsste, in eine berufliche und finanzielle Notlage zu geraten, wenn die Klickzahlen sinken? Ich traue mich jedenfalls nicht, zu behaupten, dass ich dann standfest wäre. Der Teufel ist ein Eichhörnchen!
Misstrauen und Demut
Wie also mit der Causa Relotius umgehen? Ich hätte zwei Ideen: Erstens nichts einfach nur zu glauben, was der Hauslinie eines Mediums entspricht … und – fast noch wichtiger – nichts einfach zu glauben, weil es meiner eigenen Einstellung entspricht (ist ja nicht so, als ob es nicht auch im konservativen „Lager“ Leitmedien gäbe, denen man nur allzu gerne glaubt): Das System ist das Problem, das System hat immanente Bösartigkeit in sich. Und zweitens: Mit Barmherzigkeit und Demut auf die Protagonisten schauen. Kann schon sein, dass sich ein Medienmensch mehr seiner Sendung als seiner Profession verpflichtet fühlt, lieber Propaganda betreibt als Journalismus. Aber den Menschen dahinter, heiße er nun Relotius oder Slomka, Kleber, Miosga, kann ich verstehen.
Tun wir uns als Christen selbst einen Gefallen und bekämpfen das System und nicht den Menschen. Relotius ist nicht der Feind, eine gesellschaftliche Stimmungslage, die solche Skandale zulässt, ist es. Und darum ist auch Skepsis angebracht, wenn Claas Relotius jetzt durchs Dorf getrieben wird. Vor ihn müssen wir uns stellen … und dafür kämpfen, zum Beispiel durch eigene publizistische Tätigkeit und durch Abstimmung durch die Mediennutzung, dass solche Skandale gar nicht erst auftreten können. Sonst steht der nächste Relotius schon in den Startlöchern mit „schönen“ Geschichten, die wir – oder jedenfalls viele – nur allzu gerne lesen wollen.
akinom
Beides kann fasch sein: Die Freude an „schönen Geschichten“ und die Freude an Skandalen. Hier geht es für jeden um die Scheidung der Geister. Legen wir es ehrlich in die Krippe!
Stefan Schmidt
Natürlich ist Herr Relotius jetzt nicht das absolut Böse, aber er hat sich zu verantworten für die Lügen die er veröffentlicht hat und auch die Verantwortlichen im Spiegel müssen das tun.
Letzten Endes aber haben Sie ganz Recht, Herr Honekamp.
Ihr letzter Satz ist sehr wichtig.
Man könnte Herrn Relotius jetzt opfern und all jene die eine ebensolche Strategie verfolgen, im Namen des Zeitgeists, lehnen sich entspannt zurück.
Stattdessen das System angehen. Ich kenne mich im Journalismus nicht gut genug aus um da Strukturen zu überblicken um einzuschätzen wo man was ändern muss, ich hoffe, dass es da genug Leute gibt die das können.
Was mir aber auffällt ist die politische Einstellung von Journalisten und der Umgang mit konservativen/rechten/Multi-Kulti-kritischen usw….. Medien.
Man sollte natürlich versuchen objektiv zu bleiben, aber so ganz kann man sich von seiner Einstellung, seiner Meinung nie trennen.
Und ich persönlich lese jeden Ihrer Beiträge sehr gerne, seit ich Sie Anfang letzten Jahres fand, auch wenn ich längst nicht jeden Beitrag kommentiere.
Grade die Mischung macht dieses Blog für mich interessant.
Glauben, Politik, Zeit-undTagesgeschehen, Familiäres, Wirtschaft, Ethik und und und und nicht zuletzt Rezensionen!
Weiter so! Vielen Dank für Ihre Arbeit hier im Blog.
Möge der Schöpfer Sie segnen und über Sie wachen.
Andreas
Nichts über Relotius von mir, da is alles gesagt worden.
Aber:
Dieser Staat finanziert beinharte Stasi-Schergen um Jagd auf andersdenkende zu machen und Hetzbroschüren gegen kleine Kinder zu verteilen.
Relotius ist gar nichts. Wir sind das Problem. Weil wir wieder das Böse geschehen lassen.
Gregor Kühn
Es wäre so einfach und reizvoll, ein paar Steine auf den Spiegel zu werfen – auf den
Spiegel, der schon oft mehr zerstört als aufgebaut hat und der es ganz gewiss verdient hätte, mal so durch die Jauche gezogen zu werden, wie er es so gerne gerade mit liberalen Konservative macht. Aber sie werfen keine Steine, sondern stellen sich ihrer eigenen versuchbaren Menschlichkeit. Gefällt mir – sehr sympatisch und mitten drin in der Bergpredigt.
akinom
Es ist ein Naturgesetz, dass ein Spiegel alles seitenverkehrt wiedergibt!