Gott zu fürchten bedeutet nicht, Angst vor ihm zu haben. Menschen zu fürchten schon.
Gottesfurcht hat keinen besonders guten Ruf unter Gläubigen. Gott zu „fürchten“ klingt für viele nach Angst, nach „Drohbotschaft statt Frohbotschaft“. Dass die Furcht Gottes der Anfang der Weisheit ist (vgl. Psalm 111,10) wusste schon der Psalmist, aber offenbar ist das für die meisten nicht Grund genug, sich mal darüber Gedanken zu machen, wer eigentlich zu fürchten ist. Dabei muss man den Begriff der „Furcht“ nicht mal mit Angst synonym setzen. Angst habe ich – so möchte ich es mal unterscheiden – vor dem Unbekannten, vor dem nicht Kalkulierbaren. Angst kann man haben vor einem Erdbeben, einem Verbrechen etc.
Furcht als Korrektiv
Furcht dagegen kann auch ein Gefühl sein, dass etwas oder jemand so wichtig ist, dass ich seine Meinung, seine Worte oder seine Anweisungen in meine Handlungen einbeziehe, weil ich die Konsequenzen einer Zuwiderhandlung „fürchte“ (das ist keine Angst, denn die kenne ich im Zweifel, weiß aber in jedem Fall, dass es welche geben wird). Diese Konsequenzen können in der Reaktion des „Gefürchteten“ liegen oder darin, dass dieser mit einem Rat Recht haben könnte, und ein Abweichen davon mir anderweitig schadet.
So gesehen ist die Furch Gottes ein Korrektiv unseres Handelns, man könnte auch sagen, eine Unterstützung unseres Gewissens. Wenn das nicht anschlagen sollte, mir aber bewusst ist, dass ich mit meinem Tun gegen Gottes Willen handle, dann ist die Furcht dessen, was daraus resultieren könnte, durchaus hilfreich. Gott, so wissen wir auch, ist treu; er hält sein Wort (übrigens eine durchaus andere Einschätzung als sie der Islam trifft, der davon ausgeht, dass Gott in dieser Hinsicht nicht berechenbar wäre). Also müssen wir keine Angst vor unkalkulierbaren Reaktionen Gottes haben. Es liegt ziemlich klar auf dem Tisch was die regulären Konsequenzen unseres Handelns sind, auch Jesus hat das immer wieder betont und beispielsweise von den Heuchlern gesprochen, die dann irgendwann heulen und mit den Zähnen klappern.
Furcht & Barmherzigkeit
In gewisser Weise neu ist mit Jesus die Erfahrung von Barmherzigkeit: Unser Zuwiderhandeln gegen die Gebote Gottes, die eigentlich Angebote für ein gelingendes Leben sind, hat Jesus mit auf’s Kreuz getragen und uns damit erlöst. Wir sind nicht mehr hoffnungslos in Schuld verstrickt und können darum gleichzeitig Gott fürchten und ihn auch lieben. Denn ihm ist gar nicht an Strafe und Konsequenzen gelegen sondern daran, dass wir „das Leben in Fülle haben“. Gottesfurcht, etwas verkürzt dargestellt, ist damit ein Pendant zur Strafe Gottes, Gottesliebe (im Sinne einer Liebe zu Gott) ist dagegen das Pendant zu seiner Barmherzigkeit. Beides lässt sich aber nicht trennen, es gehört zusammen, wie es eben auch Gerechtigkeit und Barmherzigkeit in Gott tun.
Ab und an kommen Diskussionen darüber auf, ob die eine oder andere kirchliche Denkrichtung eher auf die Furcht/Strafe oder auf die Liebe/Barmherzigkeit fokussiert. Diese Diskussion ist auch gut so, weil das Gottesbild vernebelt wird, wenn einer der beiden Aspekte zu sehr in den Vordergrund gerückt wird.
Verantwortung vor … wem?
Denn so wie der Glaube an Gott nicht einfach nur aufhören kann, sondern durch etwas anderes ersetzt wird, so scheint auch die Gottesfurcht nicht einfach zu verschwinden. Denn offenbar ist uns Menschen irgendwie das Gefühl der Verantwortung in die Wiege gelegt. Wir sind nicht allein auf der Welt und können in unserem Handeln nicht so tun, als wären wir es. Wenn aber die Gottesfurcht – hier dann vielleicht zu interpretieren als das Bewusstsein unserer Verantwortung vor Gott – wegfällt und man sich nicht als Narziss einfach nur sich selbst gegenüber verantwortlich sieht, sind da sehr schnell Andere, die sich in den Vordergrund drängen. Das Korrektiv unseres Handelns ist dann nicht mehr die Gottesfurcht sondern die Furcht vor den Reaktionen der Menschen: Menschenfurcht!
Konsequenterweise müsste man die nun auch als der Angst näherliegend betrachten, denn im Gegensatz zu Gott erscheinen Menschen doch eher wenig kalkulierbar und verlässlich in ihren Reaktionen. Das wiederum führt dazu, dass man sich eher vorsichtiger gibt, als man es vielleicht sein müsste, was aber die negativen Reaktionen derjenigen, die sich beispielsweise irgendwie verletzt fühlen – vielleicht ohne, das wir das vorher hätten ahnen können –, nicht unterdrücken kann. Und wo wir bei Gott auch auf seine Barmherzigkeit vertrauen dürfen, weil er sie uns durch Christus ein für alle Mal geschenkt hat, sind wir bei anderen Menschen eher deren Launen und Tagesformen ausgeliefert.
Eitelkeit
Menschenfurcht, ein wenig weniger hart aufgefasst als der Wunsch, dem Anderen zu gefallen, auch bezeichnet als Eitelkeit, ist damit tatsächlich eine Sünde: Sie setzt einen oder viele andere Menschen als Maßstab, wo eigentlich Gott hingehören würde. Ich muss gestehen, dass Eitelkeit (in diesem Sinne, nicht in dem Sinne, dass ich unmäßig viel Zeit vor dem Spiegel verbringen würde) ein Thema ist, dass mich persönlich immer wieder einholt. Eitelkeit gebiert weitere Sünden – durch den Wunsch anderen zu gefallen oder das Bemühen, ihnen bloß nicht negativ aufzufallen, werde ich von Gott weg gelenkt und tue Dinge, die ich eigentlich nicht tun sollte. Heuchelei ist eine Frucht dessen.
Jeder mag in sich hinein hören, was er so regelmäßig zu beichten hat, und was dessen wirkliche Ursache ist. Im Film „Im Auftrag des Teufels“ drückt es der von Al Pacino gespielte Teufel recht eindeutig aus: „Eitelkeit! Meine liebste Sünde!“.
Wen fürchte ich mehr?
Das wiederum ist auch nachvollziehbar, weil diese Sünde teilweise so schwer zu identifizieren ist. Und darum gelingt es dem Teufel auch, mit diesem Rammbock von Sünde bis in die Kirche und unter ihre Gläubigen einzudringen. Die wenigsten Gläubigen, ich beziehe mich da selbst mit ein, reagieren angemessen, wenn unter Kollegen die Kirchen durch den Kakao gezogen wird oder wenn unter Freunden Lästerliches geredet und getan wird. Bloß nicht auffallen um nicht ausgeschlossen zu werden: Wen fürchte ich in solchen Situationen mehr – Gott oder die Menschen? Selbst vermeintlich gutes Handeln wird so zur Sünde: Helfe ich einem Menschen, weil es richtig und gut ist, das zu tun und ich in ihm Christus sehe, oder helfe ich ihm, um dafür gelobt zu werden?
Menschenfurcht in der Kirche
Und noch etwas ist hinterhältig an dieser Sünde: Am besten erkennt man sie an anderen: An Bischöfen, die das Kreuz ablegen, um nicht Anlass zum Widerspruch zu geben, an Würdenträgern, die sich im Namen von Toleranz und Nächstenliebe der Welt anbiedern, um keinen Einfluss zu verlieren, an der Institution Kirche, wenn sie drauf und dran ist, Glaubenslehren aufzugeben, weil diese den Menschen nicht mehr nachvollziehbar erklärt werden könnten.
Aber Vorsicht: Kritik an alldem ist erlaubt, aber nur wer ohne Sünde ist, werfe auf diejenigen den ersten Stein. Mit Blick auf meinen vorherigen Beitrag ist es Zeit, mir an die eigene Nase zu fassen: Bin ich so sicher, dass ich in vergleichbarer Situation anders handeln würde? Und ist es nicht eher ein Wunder und ein Zeichen der Liebe zu Gott, wenn es noch immer Unentwegte gibt, die sich nicht verbiegen lassen? Ich selbst nehme mich jedenfalls lieber nicht als gutes Beispiel für Demut, rechte Absicht und Gottesfurcht.
akinom
Was unterscheidet Gottesfurcht von Ehrfurcht?
DQ
Ein Beispiel:
EKD und Marx & Co machen sich für Bootsflüchtlinge stark. Meinetwegen. Aber im Bezug auf christlich getraute Ehepaare wird gerne akzeptiert, dass nach maximal drei Kindern das Boot als voll angesehen wird.
Gottesfurcht würde doch bewirken, dass die Ehepaare ihr hochheiliges Versprechen, die Kinder anzunehmen, die GOtt schenken will, auch ganz ernst nehmen.
Stattdessen ist da aus Menschenfurcht (in Bezug auf das nicht angenommene Kind im vielleicht wörtlichesten Sinn des Wortes!) eine fruchtlose Christenheit.
Konrad Kugler
Kritik ist notwendig!
Leider sind wir alle keine Engel, aber je höher die Position, desto notwendiger [nicht gehässiger!]