Darf man ein christliches Fest nicht mehr christlich nennen? Oder geht der Streit um den Martins-Umzug in Rheydt in eine ganz falsche Richtung?
„Sankt Martin ist ein christliches Fest“ – an diesem scheinbar selbstverständlichen Satz scheiden sich im Moment die Geister. Ausgesprochen hat ihn der Martins-Darsteller des Umzugs einer Schule in Niederkassel. Die Kurzform der Nachricht, und so geistert sie durch die Foren, ist die, dass er deshalb nicht mehr weiter für diesen Umzug tätig sein darf. Eine muslimische Mutter hätte sich über diesen angeblich ausgrenzenden Satz beschwert; die Veranstalter hätten sich eilfertig entschuldigt und den Mann rausgeschmissen.
Politisch unkorrekt?
Kein Wunder, dass dabei der Blutdruck steigt. Das Martins-Fest IST ein christliches Fest, was denn sonst? Der Mann hat Jesus in einem Bettler gesehen, den er vor dem Erfrieren gerettet hat. Wie viel christlicher – und im Hinblick auf die Heiligenverehrung katholischer – darf es denn sein? Und nur, weil er das gesagt hat, in Hörweite einer muslimischen Mutter und ihrer Kinder (der Bonner Generalanzeiger schreibt „für die in direkter Nachbarschaft wartende muslimische Mutter mit ihren drei Kindern nicht zu überhören“), die ebenfalls am Umzug teilnahmen und für Weckmänner in einer Schlange standen, kann er nun nicht mehr Sankt Martin sein? Darf man nicht mehr sagen, dass Sankt Martin ein christliches Fest ist, ist das schon politisch unkorrekt?
Aggressiv und hasserfüllt?
Das ist die eine Seite der Geschichte, die andere wird zwischenzeitlich auch berichtet und stellt sich ein wenig anders dar. Die Schwägerin der betroffenen muslimischen Mutter, die den Stein in den sozialen Medien erst ins Rollen gebracht hat, wird so zitiert:
„Der ‚gute Sankt Martin’ sieht meine kopftuchtragende Schwägerin an, die der deutschen Sprache mächtig ist und auch alles versteht, was der nette Mann von sich gibt, und sagt zu ihr mit einer Aggressivität und hasserfüllter Stimme, dass sie aber schon wisse, dass dies ein christliches Fest sei“, schreibt die Schwägerin bei Facebook. „Meine drei kleinen Nichten waren sehr erschrocken und wollten nicht mehr dort bleiben“, heißt es weiter.
Interpretationen
So liest sich diese Geschichte schon wieder ganz anders. Angesichts der Tatsache, dass ich nicht dabei war und die Interpretation von „Aggressivität“ und „hasserfüllter Stimme“ wohl auch eine persönliche ist, kann ich nicht wirklich beurteilen, was denn nun geschehen ist: Hat der Martinsdarsteller in einem wie auch immer gearteten Zusammenhang festgestellt, dass Sankt Martin ein christliches Fest sei – zum Beispiel weil sich die für Weckmänner anstehenden Eltern und Kinder beinahe an die Gurgel gegangen sind – oder hat er in der Menge der wartenden Menschen eine Muslima gesehen, und ihr mit Art der Ansprache und Wortwahl zu verstehen gegeben, dass sie nicht erwünscht sei? Unbestreitbar ein himmelweiter Unterschied.
Eines ist aber klar: Der heilige Martin wird von allen Seiten instrumentalisiert. Kinder basteln in den Schulen Laternen, die oft Themen wie Inklusion oder Umweltschutz aufgreifen oder allerlei Phantasiegebilde präsentieren, in aller Regel aber nichts mit dem Heiligen zu tun haben. Ansprachen werden gehalten, bei denen es um ein fröhliches Miteinander geht, aber nicht um eine genuin christliche Botschaft. Das alles auch nur dann, wenn man den Umzug nicht direkt zu einem Laternen- oder Lichterumzug umdeklariert, damit er nur ja nicht eine christliche Botschaft verbreite, die Andersgläubige angeblich ausschließt. Zu erklären, worum es bei dem Fest geht, erscheint offenbar den meisten zu mühsam – und viele haben wohl auch tatsächlich Angst, ob sie mit der Hintergrundbeschreibung nicht zu sehr abgrenzen.
Einladung zum Zeugnis
Dabei wäre es einfach: Natürlich sind auch Andersgläubige zum Martinsfest eingeladen; der heilige Mann hat den Bettler wohl auch nicht nach seiner Religion oder gesellschaftlichen Einstellung gefragt. Und so wie Martin dem Bettler geholfen hat, so dürfen sich heute Menschen aller Religionen und Weltbilder eingeladen fühlen, nachzuspüren, was einen wirklich christlichen Menschen zu einem solchen Handeln führt: „Was ihr dem geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“ (Matthäus 25,40). Im Armen, im Fremden, im Nächsten, sehen wir Christus, sollten es jedenfalls. Der heilige Martin handelte nicht anders als der Samariter in Jesu Gleichnis – jemand ist in Not, also hilft er, ohne Ansehen der Person. Und so laden wir als Christen Menschen zu unseren christlichen Festen ein, nicht nur aber auch um ein Zeugnis zu geben.
Dieses Zeugnis muss man aber auch geben können: Wenn ich aus lauter Rücksicht vor den Befindlichkeiten Anderer, den christlichen Hintergrund eines Festes, sei es das Martinfest, sei es Weihnachten, sei es Ostern, nicht mehr mitnennen kann, dann muss man es auch gar nicht mehr feiern. Und man muss das Zeugnis auch geben wollen: Nur weil jemand einen anderen Glauben hat, kann ich ihn nicht von christlichen Festen ausschließen wollen oder ihm das Wegbleiben nahelegen. Auch das ist etwas, das mit einem christlichen Fest nicht vereinbar ist (mal abgesehen von Einzelfällen in denen ein Anders- oder Nichtglaubender die christliche Botschaft verächtlich zu machen versucht, aber darum geht es hier nicht).
Skandalisierung greift zu kurz
Die Schlagzeile „Sankt Martin nach umstrittener Äußerung entlassen“ taugt also nicht zur Skandalisierung, einfach weil die Hintergründe nicht klar sind. Aber sie macht das Spannungsfeld deutlich, in dem wir uns als Christen in einem – ob gewollt oder ungewollt – multikulturellen Umfeld bewegen und zurechtfinden müssen. Was wir als Christen aus einer solchen Geschichte mitnehmen, haben wir selbst in der Hand: Das Schimpfen auf Political Correctness und die „Islamisierung“ der Gesellschaft einerseits und das Vorverurteilen eines womöglich unpassend auftretenden Sankt-Martins-Darsteller andererseits greifen in jedem Fall zu kurz.
ester
im Grunde zeigt sich an dem Vorgang das ganze Drama der langjährigen Verkürzung der christlichen Botschaft auf rein innerweltliche Nettigkeit, auf die Idee dass Christen die besseren Menschen zu sein haben, was definitiv verkehrt ist.
Man hat, über Jahrzehnte hinweg, das lässt sich leicht an der christlichen Unterhaltungsliteratur festmachen, die Christen als diejenigen dargestellt, die immer nett, immer freundlich, immer hilfsbereit, immer verständnisvoll zu sein haben und dazu diejenigen wären, die alle Probleme dieser Welt lösen können sollen.
Man hat die Christen unter einen gewaltigen Druck gesetzt, dass sie nie schlechte Gefühle, schlimme Gedanken, Neid, Zorn, haben sollen, dass sie alles und jedes verstehen, und sozusagen alle der Weise vom Berg und Mutter Theresa (als Metapher verstanden) in einem sind.
Man hat auch und gerade den Katholiken eingeredet, dass sie diejenigen sind, die Beichtstühle nicht nötig haben.
Das ist im Grunde Hochmut und er ist deshalb noch schlimmer als der Hochmut eines arroganten Großkopferten, weil er sich selber für demütig hält.
Im Grunde ist es kein Wunder dass nun die Nichtchristliche Welt vor uns steht und uns an unseren eigenen Aussagen misst.
Vielleicht hilft das zu mehr wahrer Demut und Rückbesinnung auf die eigentliche christliche Botschaft, die nämlich sagt, dass wir erlöst worden sind, aus dieser Welt und ihren Maßstäben.