Gilt die Religionsfreiheit für eine Religion, die Religionsfreiheit ablehnt? Claus Kleber springt mit seiner Diskussion dazu viel zu kurz.
Da hat Claus Kleber mal wieder in die … gegriffen: Den Katechismus der katholischen Kirche mit der Scharia verglichen, das erzürnt, wie ich finde zu Recht, nicht nur Katholiken sondern jeden, der etwas auf die christlichen Grundlagen unserer Gesellschaft hält. Allerdings ist da auch eine Menge künstlicher Aufgeregtheit im Spiel, denn erstens ist Kleber sicher nicht so dumm zu glauben, dass das, was darin stünde (in KKK und Scharia) sei doch irgendwie ähnlich und zweitens ging es in dem Interview auch gar nicht um den Vergleich dieser beiden Dokumente. Worum es aber ging ist etwas anderes: Mit seiner Nachfrage (die Diskussion mit der AfD-Vorsitzenden Alice Weidel ist bei kath.net gut wiedergegeben) machte er nämlich auf den springenden Punkt in der Debatte um den AfD-Bundestagsabgeordneten und Bewerber für das Amt eines Bundestagsvizepräsidenten, Albrecht Glaser, aufmerksam. Der hatte in einem Interview erläutert, dass, wenn eine Religion aufgrund ihrer Glaubenssätze die in der Verfassung garantierte Religionsfreiheit nicht respektiere, diese Religion diese Freiheit auch nicht für sich in Anspruch nehmen könne.
Scharia vor Grundgesetz?
Das ist eine politisch in der Tat spannende Frage und durch das Verdikt „islamfeindlich“ reichlich naiv und dümmlich beschrieben. Albrecht Glaser soll aufgrund dessen – nach dem Willen der meisten Parlamentarier der anderen Parteien – nicht Bundestagsvizepräsident werden, weil er damit die im Grundgesetz festgelegte Religionsfreiheit für Muslime in Frage stelle. Nun stellt sich die Frage, ob ein Scharia-Anhänger Bundestagsvizepräsident werden könnte, weil der ja ebenfalls die Religionsfreiheit – für alle anderen Religionen – ablehnt? Das dahinter stehende generelle Problem, so das Argument Alice Weidels, könne man formal nur auflösen, wenn Islamvertreter einen Eid auf unsere Verfassung leisten müssten. Und hier denkt sich der bauernschlaue Kleber, könne er einen Stich machen, indem er ihr in den Mund legte, dass dies bedeute, den Moslems das Recht auf Religionsfreiheit zu bestreiten. In Wahrheit ist das natürlich vergleichbar mit der Frage der Schlange im Paradies, ob Gott wirklich gesagt habe, Adam und Eva dürften von keinem der Bäume kosten – nicht mal eine Dreiviertelwahrheit. Worum es eigentlich geht, ist ja die Frage, ob die Religionsfreiheit auch für die Teile einer Religion gilt, die nicht verfassungskonform sind.
Wenn also ein Moslem heute sagt, er hänge zwar der Scharia an, das Grundgesetz stehe für ihn aber höher, und darum werde er die Religionsfreiheit für andere Religionen oder die Gleichberechtigung von Mann und Frau achten, dann wäre der Konflikt schon aufgelöst. Niemand wird ihn dann hindern zu beten, eine Moschee zu besuchen oder sonst wie seine Religion auszuüben. Zum Dschihad muss er sich allerdings ein anderes Land suchen – die Freiheit zum Kampf gegen Vertreter anderer Religionen hat in diesem Land niemand; das hat Verfassungsrang!
Grundgesetz, es sei denn Scharia?
Aber die Frage bleibt: Kann ein gläubiger Moslem einen solchen Eid wahrhaftig und ernsthaft leisten? Kann er das, wenn er tatsächlich glaubt, dass es Allahs Wille ist, dass sich die Frau dem Mann in der von der Scharia geforderten Weise unterwerfe? Kann er sich dann gegen Allah stellen – gegen Gott, auch wenn sein Verständnis von Gott für einen Christen noch so abstrus erscheinen mag? Kleber stellt das in Frage und versucht, Frau Weidel daraus einen Strick zu drehen: Das könne man doch von einem Moslem nicht verlangen! Und da sind wir – aus politischer Sicht – beim wirklichen Skandal. Der liegt nicht darin, dass Kleber Scharia und KKK vergleicht, der liegt darin, dass er insinuiert, dass man von Moslems nicht verlangen könne, die Verfassung zu achten (und auf sie einen Eid zu leisten), da sie ansonsten ihr Recht auf Religionsfreiheit einbüßten. Keine Ahnung, ob Herrn Kleber eigentlich klar ist, an welcher Lunte er da zündelt: Unterdrückung von Frauen, Verfolgung von Homosexuellen, Dschihad in Deutschland? Klebers These: Ja, wenn sie doch daran glauben!
Grundgesetz oder Katechismus
Umgekehrt ist Klebers Vergleich mit dem Katechismus aus katholischer Sicht trotzdem interessant. Selbst ein Vertreter des linksorientierten Staatsfernsehens wird am Ende ja nicht umhin kommen, diese Einschätzung auch auf andere Religionen auszuweiten – auch auf Christen und Katholiken. Für „uns“ ist die Situation im Moment noch einigermaßen bequem, weil im deutschen Grundgesetz (soweit ich den Überblick habe) nichts drin steht, was unserem Glauben widerspricht. Es gibt Gesetze bei denen man da Zweifel haben kann, aber das Grundgesetz atmet noch immer einen christlichen Geist, ist, wenn man so will, ein säkulares Dokument mit Gottesbezug. Darum haben auch deutsche Bischöfe kein Problem damit, konkordatsgemäß einen Eid auf die Verfassung zu schwören.
Was aber, wenn sich das mal ändert? Was, wenn zum Beispiel ein angebliches Recht der Frau auf eine Abtreibung mal Verfassungsrang bekommen sollte? Auszuschließen ist das nicht. Was, wenn tatsächlich mal in der Verfassung geregelt wird, dass es mehr als zwei Geschlechter gäbe und diese frei durch den Menschen wählbar sein sollen? Auch das nicht allzu sehr aus der Luft gegriffen. Und beides ist in keinem Fall mit dem Katechismus und dem katholischen Glauben vereinbar. Von aktuell noch abwegigen aber nicht auszuschließenden anderen Verfassungsänderungen wollen wir gar nicht erst reden.
Die katholische Antwort: Katechismus vor Scharia!
Bislang lautete die vorwurfsvoll gemeinte Frage an dieser Stelle immer: Du willst doch nicht Deinen „privaten“ Glauben über die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland stellen? Und die Antwort darauf musste schon immer lauten, Claus Kleber hat das jetzt nur in seiner Rolle als „Meinungsführer“ einer öffentlich-rechtlichen Nachrichtensendung vermutlich aus Versehen bestätigt: „Ja sicher, was denn sonst!?“ Atheisten und Säkularisten bekommen bei sowas Ausschlag, und aus ihrer Sicht ist das durchaus nachvollziehbar. Aber für einen Christen gilt, dass er zwar dem Kaiser geben wird, was dem Kaiser gehört, aber in jedem Fall Gott geben wird, was Gott gehört. Und die unwiderrufliche Loyalität eines Christen gilt immer in erster Linie Gott, eine eingeschränkte Loyalität kann einem Staat nur gelten, wenn der sich gottgemäß zeigt, sich insbesondere nicht selbst zu einem Gott macht.
Der gesellschaftliche Dissens lässt sich über ein kurzes Fernsehinterview nicht auflösen: Für einen Katholiken steht Jesus Christus, dessen Willen Bibel und Katechismus dokumentieren, über dem Grundgesetz, was nur so lange unkritisch ist, wie das Grundgesetz dem Katechismus nicht widerspricht. Ich nehme für mich in Anspruch, meinen Glauben über die Verfassung zu stellen. Ich negiere nicht mal den gleichen Anspruch der Moslems, ihren Glauben über die Verfassung zu stellen. Ich negiere aber ganz entschieden den Anspruch irgendeines Gläubigen anderer Religionen, seinen Glauben über den katholischen zu stellen. Die Verfassung ist mir aus der Glaubensperspektive ziemlich egal – die Bestrebungen anderer Religionen, die Freiheit meiner Religionsausübung einzuschränken, ist es aber nicht. Den Unterschied allerdings wird ein Herr Kleber mit seiner säkularen Brille vermutlich so schnell nicht verstehen.
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Gerd
Danke für diesen sehr erhellenden Artikel. Zu bemerken wäre noch, dass die deutschen Bischöfe sich zu der Aussage des Herrn Kleber grundsätzlich nicht äußern. Auf Anfrage von kath.net. Sie lassen uns mal wieder im Regen stehen, die Hirten. Dann hole ich mir meine Informationen eben aus dem Netz.
Gottes Segen
Gero
Verstehe ich nicht!
Nehmt doch Eure Fürsten mal in die Pflicht!
Das kann doch nicht sein, daß sich Kirchenmitglieder von ihren Vorständen derart brüskieren lassen.
Giallorosso
Falls das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber folgt (und damit seine bisherige Rechtsprechung aufgibt), dass eine Ehe auch zwischen zwei Personen gleichen Geschlechts geschlossen werden kann, verstößt die katholische Lehre alsbald gegen das Grundrecht aus Art. 6 GG.
Ebenso ist es trotz des Rechts auf Leben nach Art. 2 GG verfassungskonform, wenn der Gesetzgeber einer schwangeren Frau nach einer eingehenden Beratung die Abtreibung erlaubt. Durch die sich wandelnde Auslegung der Grundrechte ist eine Verfassungsänderung kaum notwendig, damit diese in Konflikt mit dem Katholizismus geraten (können).
Stefan S.
Käme es im Falle der Gleichstellung der sog. „Homoehe“ tatsächlich auch zu einem Rechtskonflikt?
Ich dachte immer diese Änderungen beträfen dann nur die staatliche Ehe.
Ehescheidung ist beim Staat doch auch möglich, man kann sogar danach immer wieder neu heiraten, wenn ich mich nicht irre, was die Römisch-Katholische-Kirche auch jetzt schon nicht akzeptiert und praktiziert.
Kirchfahrter Archangelus
Erfreulich, dass der zugrunde liegende Sachverhalt hier einmal ohne parteipolitische Begrenztheit wahrgenommen wird. Dominiert doch sonst eher ein seichter Schlagabtausch „Wir gegen die“, der an der Oberfläche des Themas bleibt.
Denkt man jedoch die Angelegenheit einmal tiefer durch, erkennt man folgendes: Wenn eine Religion (erstmal egal welche) sich als Offenbarungsreligion definiert, dann setzt sie unumstößlich voraus, dass der Schöpfer seinen Geschöpfen die ultimative Wahrheit geoffenbart hat. Jedes menschliche und somit fehlbare Konstrukt, sei es Philosophie, sei es eine Verfassungsurkunde, hat damit automatisch dahinter dieser unfehlbar geoffenbarten Wahrheit zurückzustehen. Widersprechen sich Offenbarung und menschliches Konstrukt, hat letzteres für den Gläubigen zwingend außer Acht zu bleiben, setzte sich doch andernfalls der fehlbare Mensch dem unfehlbaren Gott (zumindest) gleich, was mit dem System einer Offenbarungsreligion nicht vereinbar ist.
Bezieht man nun, wie der Autor, absehbare Weiterungen der aktuellen politischen Entwicklung wie etwa ein Recht auf Abtreibung (codiert: „reproduktive Rechte“, vgl. „https://de.wikipedia.org/wiki/Reproduktive_Gesundheit_und_Reproduktive_Rechte) mit in die Überlegungen ein, dann wird der Konflikt offenkundig. Betrachtet man die Vorgehensweise bei der sog. „Homo-Ehe“, dann müßte noch nicht einmal der Verfassungstext geändert werden, sondern man interpretiert es einfach „hinein“.
Bei aller christlichen Prägung der Mitglieder des Parlamentarischen Rates und dem Gottesbezuges in der Präambel des Grundgesetzes darf nicht übersehen werden, dass auch diese Verfassung, dem Grunde nach, im säkularen Denken der Aufklärung verankert ist. Geht doch die Staatsgewalt vom Volke aus und nicht von Gott. Quelle der Souveränität ist somit der Volkswille, nicht der Wille Gottes. Und der Volkswille wird und wurde von interessierter Seite immer als volonté générale interpretiert, also als Volkswille, „wie er zu sein hat“ – nicht wie er real bei den Staatsbürgern vorhanden ist (volonté de tous).
Und wie er aus Sicht der herrschenden Eliten zu sein hat, erleben wir ja gerade nachdrücklich.
Gero
Das Kleber ideologisch völlig vernagelt und dauerhaft beratungsresistent ist, weiß man doch aber.
Da ist Hopfen und Malz verloren. Mit solchen Leuten diskutiert man nicht.
Für mich ist seine Haltung eher geistige Erkrankung als Meinung.
Der Hadmut danisch hat ganz aktuell zu dem was geschrieben.
Hätte aber auch genausogut von mir sein können:
http://www.danisch.de/blog/2017/10/31/kleber-und-die-tatsachen/