Was haben die Aufgabe des Begriffs vom christlichen Abendland und das Tragen einer Jogginghose gemeinsam? Mehr als man ahnen würde.
Manche Themen fliegen einem so zu, sie ergeben sich aus gehörten Vorträgen, gelesenen Büchern, Gesprächen mit Familie und Freunden. Manche dieser Themen lagen dann auch schon lange in irgendwelchen Synapsen und warteten nur darauf, endlich freigelassen zu werden. Manche dieser Themen sind so naheliegend, dass ich sie gerade deshalb leicht übersehe. Das hier ist so einer.
Denn wen interessiert schon, dass in unser alle Umfeld nicht nur der Glauben, sondern auch die gesamte Kultur vor die Hunde zu gehen droht? So ein Thema ist vermeintlich abgedroschen, aber dann fällt mir auf: Ich selbst habe es noch nicht durchdacht, und vermutlich geht es vielen anderen auch nicht anders. Darum dazu ein Versuch:
Christliches Abendland
Nehmen wir das Wort des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, dass er den Begriff „christliches Abendland“ nicht gerne verwende, weil der ausgrenzend sei. Wie ich gerade bei einem Vortrag von Matthias Matussek als Kommentar dazu richtigerweise gehört habe: „Na hoffentlich!“ Da ist ein Kardinal, einer, von dem manche meinen, es sei der oberste Priester in Deutschland (was er nicht ist), und der findet, Christentum und abendländische Kultur dürfe nicht ausgrenzen. Der gleiche Kardinal, der auf dem Tempelberg (zusammen mit seinem linksevangelischen Zeitgeistfreund) sein Kreuz ablegt, um niemanden zu provozieren, während ein paar Hundert Kilometer weiter Christen ihr Zeugnis mit dem Leben bezahlen. Politischer Opportunismus oder geistliche Bequemlichkeit?
Und weil diesem Kardinal das originär und abgrenzend, im besten und positivsten Sinne des Wortes, diskriminierende unseres Glaubens unangenehm ist, entsorgt er das Abendland gleich mit. Da unterscheidet er sich nicht von unserer Kanzlerin, der der Begriff der Nation, des deutschen, der selbst die Nationalflagge peinlich ist, die nur noch von denen spricht, die schon länger hier leben. Tausendjährige Kultur – wegen schlechter Umfragewerte von Kirche und Politik abgeschrieben. Braucht man das alles nicht mehr?
„Tradition ist die Demokratie der Toten“
Isaac Newton wird die Einsicht zugeschrieben, er wisse nur deshalb so viel, weil er als Zwerg auf den Schultern von Riesen stehe, die alle schon vor ihm den Boden für seine Erkenntnisse bereitet hätten. Die Mehrheit heute scheint eher von der Idee beseelt, sich endlich dieser lästigen Riesen zu entledigen und in Zukunft ein Zwergenleben knapp oberhalb der Grasnarbe zu führen. Tradition, tausendjährige Kirchengeschichte – das ist „rechts“ , dem haftet etwas Gestriges an. Vielleicht ist das auch der Grund, warum, wie Matussek beim eben erwähnten Vortrag und in seinem Buch „White Rabbit“ bedauernd feststellt, Gilbert K. Chesterton bei uns in Westeuropa keine besondere Wertschätzung erfährt. Chesterton beschreibt die Tradition so:
Die Tradition ist eine Ausdehnung des Wahlrechts. Tradition heißt, der unbekanntesten aller Klassen – unseren Vorfahren – Stimmen zu geben. Tradition ist die Demokratie der Toten.
Verleugnung der Wurzeln
Dahinter steht für mich auch die Einsicht, dass es uns nicht erlaubt ist, unsere Geschichte, unsere Erfahrungen, unsere Traditionen einfach so abzustreifen, weil wir damit unseren Vorfahren ihr Stimmrecht nehmen. Das heißt nicht, dass man heute alles noch so machen sollte, wie sie es gemacht haben, es bedeutet aber, dass wir die Erfahrungen unserer Ahnen ins Kalkül einbeziehen müssen, und uns einer Ablehnung von Erfahrung, nur weil sie in der Vergangenheit liegt, enthalten. Genau das geschieht aber, wenn wir unsere christlichen und abendländischen Wurzeln am liebsten verleugnen würden, nur weil es potenziell Stimmen bringt und es Teile der deutschen Geschichte gegeben hat, auf die wir nicht stolz sein können.
Doch selbst in diesen 12 Jahren des 3. Reichs gibt es Helden wie Claus Schenk Graf von Stauffenberg, ein in der Wolle gewirkter Konservativer, der – selbst kein Demokrat, aber damit durchaus auch ein Kind seiner Zeit – gesehen hat, wohin es führt, wenn sich ein Regime, wenn sich eine Kultur aller Regeln inklusive ihres Gewissens entledigt. Ich will damit nicht behaupten, dass Deutschland durch seine Geschichts- und Kulturvergessenheit in ein neues drittes Reich schlittert – die Ausschreitungen zwischen Links- und Rechtsextremisten, die Ablehnung jedweden politischen Kompromisses auf beiden extremen Lagern des politischen Spektrums, aber auch die gesellschaftliche Ablehnung der individuellen Verantwortung für das eigene Handeln deuten aber in diese Richtung.
Adel
An dieser Stelle ist es durchaus auch bedenkenswert, dass es mit Oberst Graf von Stauffenberg ein Adliger war, der sich seiner Familiengeschichte verpflichtet wusste. Es ist eben ein Unterschied, ob man meint, man sei nur sich alleine verpflichtet oder man habe ein Erbe zu achten. Das ist grundsätzlich nichts, was nur dem Adel vorbehalten wäre, dort aber ist es teilweise selbst heute noch in besonderer Art zu beobachten. Natürlich gibt es auch hier Ausreißer, aber es gibt vor allem diejenigen Beispiele, die aus einer inneren Verpflichtung heraus ihr Familienerbe, sei es bestehend aus Gütern oder nur noch aus der Kenntnis und Berücksichtigung der Geschichte, bewahren.
Was man dort beobachten kann (ich kenne persönlich Beispiele, aber denen wäre es wahrscheinlich unangenehm, über den grünen Klee gelobt zu werden), ist, dass ihre Vertreter durchaus in der Moderne angekommen sind, ohne die Historie zu vernachlässigen. Man lustwandelt nicht mehr in feine Seide gewandet durch den Schlossgarten, aber selbst in einfacher Kleidung ist ein solcher Mensch – wie gesagt, nicht beschränkt auf den Adel – in der Lage, Würde auszustrahlen. Man weiß, was man sich selbst, vor allem aber seinem Namen, seinen Vorfahren, ja selbst – daraus abgeleitet – seinem aktuellen Gegenüber schuldig ist.
Ehre
Ein Mensch, und jetzt verlasse ich endgültig wieder das Adelsbeispiel, der sich seiner persönlichen, seiner Familien- aber auch seiner Nationengeschichte einigermaßen bewusst ist, der denkt anders, der entscheidet anders und handelt anders. Man wird ihn – jenseits vielleicht pubertärer Eskapaden – nicht volltrunken auf der Straße sehen, man wird ihn nicht übermäßig fluchen hören.
Ein solcher Mensch erkennt – ganz unabhängig vom christlichen Glauben – seinen eigenen Wert und den seines Nächsten, und er verhält sich entsprechend. Er ehrt sich selbst, vor allem aber seine Geschichte und sein Gegenüber durch sein Verhalten. Das ist es, was man auch als Ritterlichkeit bezeichnen kann, wenn man selbst einem Gegner, und sei seine Position noch so gegensätzlich, niemals seine Würde aberkennt.
Kleider machen Leute
Und, ganz profan, wirkt sich eine solche Sicht auch auf Kleiderwahl und Auftreten aus. Ich selbst bin – ich habe da gelegentlich drüber geschrieben – Tempelritter, und trug kürzlich zu einem Vortrag meinen Ordensmantel. Ein anwesender anderer Geistlicher, Diakon aus der Dormitio-Abtei in Jerusalem, selbst im Habit, machte mich darauf aufmerksam, dass sich mit Anlegen des Mantels meine Körperhaltung verändert hatte.
Er meinte das durchaus positiv, denn durch das Tragen des Mantels, in gewisser Weise einer Uniform, tritt man noch mal in ganz anderer Weise aus seiner eigenen Persönlichkeit heraus und in die 900-jährige Geschichte der Tempelritter ein. In dieser Geschichte gab es Irrungen und Wirrungen, vor allem aber gab es einen Anspruch, sein Leben dem Glauben und seiner Verteidigung hinzugeben. In einem solchen Mantel kann man sich nicht auf einer Couch lümmeln.
Und jetzt: Jogginghosen im Graubereich der Sünde
Mit dem beschriebenen kulturellen und christlichen Anspruch verträgt es sich auch nicht, sich selbst zu Hause der Bequemlichkeit wegen in Schlabberklamotten zu bewegen. Denn, direkte Konsequenz, die Kinder werden diese Nachlässigkeit wahrnehmen und ihre ganz eigenen Schlüsse zu Fragen der „Aufrichtigkeit“ dazu ziehen. Spätestens bei Verlassen des Hauses ist es dann vorbei mit der Bequemlichkeit. Karl Lagerfeld soll mal gesagt haben „Wer einen Jogginganzug trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren.“ Was derjenige aber in jedem Fall verloren hat, ist sein Gefühl für Anstand und Wertschätzung dem anderen gegenüber.
Und er hat den Anspruch aufgebeben, seiner Familie, seinen Gemeinschaften, in denen er Mitglied ist, letztlich auch – wenn es ein Christ ist – der Kirche, seinem Glauben und den Gläubigen und Märtyrern der Geschichte Ehre zu machen. Ich will nicht so weit gehen, das Tragen einer Jogginghose (jenseits des Sports) als Sünde zu bezeichnen – aber ich bin überzeugt, wir bewegen uns damit schon in einen Graubereich hinein, der dazu führt, tatsächlich sündhaften Nachlässigkeiten den Weg zu bereiten.
Das geistliche Pendant zur Jogginghose
Ob Kulturvergessenheit beim Tragen einer Jogginghose oder bei der Aufgabe des Begriffs vom christlichen Abendland anfängt ist letztlich unerheblich. Ein solches Verhalten unterbindet Tradition, beschädigt das kulturelle Erbe und Gedächtnis unserer Gesellschaft und tut uns allen auf unterschiedlichen Ebenen nicht gut. Nicht mehr vom christlichen Abendland sprechen zu wollen ist darum das geistliche Pendant zum Jogginghose-Tragen auf dem Weg zum Bäcker – beides schadet unserer Gesellschaft in je eigener Weise. Wir sollten das, nein, wir müssen das lassen.
gerd
„Die Mehrheit heute scheint eher von der Idee beseelt, sich endlich dieser lästigen Riesen zu entledigen und in Zukunft ein Zwergenleben knapp oberhalb der Grasnarbe zu führen.“
Den Satz merke ich mir und werde ihn bei passender Gelegenheit „klauen“. Ein hervorragender Artikel, den ich sowas von unterschreibe.
akinom
Wir sollen uns – als Christ in den Adelsstand erhoben – unserem Familienerbe wirklich mehr verpflichtet fühlen. Ich denke auch dabei an verloren gegangenes Familienerbe von Firmen wie Krupp und ihre stolzen Angestellten, die Kruppianer die global Konzernen gewichen sind, die schaudern lassen
Der ganze Blogbeitrag spricht mir aus dem Herzen, besonders das Fazit:
„Ob Kulturvergessenheit beim Tragen einer Jogginghose oder bei der Aufgabe des Begriffs vom christlichen Abendland anfängt ist letztlich unerheblich. Ein solches Verhalten unterbindet Tradition, beschädigt das kulturelle Erbe und Gedächtnis unserer Gesellschaft und tut uns allen auf unterschiedlichen Ebenen nicht gut. Nicht mehr vom christlichen Abendland sprechen zu wollen ist darum das geistliche Pendant zum Jogginghose-Tragen auf dem Weg zum Bäcker – beides schadet unserer Gesellschaft in je eigener Weise. Wir sollten das, nein, wir müssen das lassen.“
Stefan Schmidt
Im Grunde ist doch jede Form der Existenz schon abgrenzend, auch jegliche Identität.
Herr Marx z.B. ist römischer Katholik und grenzt sich allein durch diese Tatsache schon von Religionen ab. D.h. nicht, dass er sich abschotten muss und von anderen Religionen nichts hören will, es heißt einfach, dass er sich FÜR den Katholizismus entschieden hat und damit auch GEGEN andere Religionen
In der Aussage „Ich bin…“ steckt auch implizit immer ein „Ich bin nicht…“, das ist nicht links, das ist logisch. (kleine Anspielung auf ein Meme)
Die traditionelle Weltsicht, sich als Glied in einer Kette von hunderten von Leben in hunderten von Jahren zu sehen ist für mich sehr wichtig.
Der Bezug zu den Ahnen, zur Nation, zur Kultur gibt uns einen Platz in der Welt und ein Fundament auf dem wir fest stehen.
Weshalb können wir teilhaben an dem was unsere Vorfahren geschaffen haben? Gar Stolz sein auf eigene Kultur und Familie? Obwohl wir dazu überhaupt nichts beigetragen haben.
Weil wir das alles nicht einfach so zur Kenntnis nehmen, sondern uns in die Kette der Tradition einreihen, Überliefertes leben und es weitergeben.
Klar ist aber auch, dass es in jeder Generation zu Änderungen kommt, Modifizierungen und Neuerungen, auf diese Weise bleiben die Traditionen, die Kultur nicht einfach statisch, sondern entwickeln sich, das bedeutet aber nicht, dass alles beliebig ist.
Allerdings habe ich schon seit langem ein Problem damit.
Spricht nicht Jesus davon, dass man sich selbst verleugnen soll und seine Familie? Man soll alles zurücklassen und nur ihm nachfolgen.
Auf den ersten Blick widerspricht das doch unserer Sicht auf Tradition.
Wie lässt sich das verstehen?
gerd
„Wie lässt sich das verstehen?“
Die von ihnen angesprochene Bibelstelle beschreibt das persönliche Verhältniss vom Jünger zu Christus in der besonderen Nachfolge. Will heißen, der Jünger verzichtet auf seine Familie bzw. auf die Gründung einer eigene Familie, auf Besitz und alle weltlichen Privilegien. Dabei kann ein Mensch, selbst der Jünger, seine Tradition nicht verleugnen.
Stefan Schmidt
Danke für die Antwort.
Also nur für die konkrete, historische Situation.
Irgendwie auch einleuchtend, schwer vorstellbar, dass Gott vorgesehen hat, dass wir alle auf dieser Welt als besitzlose Wandermönche leben.
Laurentius
Danke für diesen Beitrag! Es tut gut, wenn man liest, daß man mit seinem Denken und Fühlen nicht allein auf weiter Flur steht.
Patricia Steinkirchner
Hier kann ich jedes Wort unterschreiben. Das Elend beginnt nicht nur mit Jogginghosen, sondern überhaupt mit unangemessener Kleidung – man sehe sich beispielsweise einmal an, wie Lehrer (und natürlich Schüler erst recht) in den Unterricht kommen: gar nicht so selten in Jogginghosen, im Sommer gern in Shorts …
Dazu kommen der Verfall der Sprache im mündlichen und schriftlichen Gebrauch, die Unfähigkeit zum Kochen und gemeinsamen Essen, die Abwesenheit fast aller höflichen Umgangsformen usw. – man kommt an kein Ende!
Dr. Stefan Winckler
Es ist kein Zufall, dass die Zeitschrift des OMCT-Tempelritterordens, „Das neue NON NOBIS“, die vielfältige Verwahrlosung der Gesellschaft im Sommer 2018 zum Titelthema gemacht hat. Es dürfte einem immer größeren Teil der Bevölkerung unmöglich sein, „Bürgerlichkeit als Lebensform“ zu definieren oder gar vorzuleben. Was Äußerlichkeiten angeht: Im Sommer ist es beispielsweise besonders ekelerregend, auf der Straße und im Lebensmittelmarkt Menschen mit großflächigen Tätowierungen zu sehen. Störend ist auch die Sprachverwahrlosung, u.a. die verbreitete Fäkalsprache. Zu diesen Fehlentwicklungen haben zweifellos bestimmte Auswüchse der Unterhaltungsindustrie wie diverse Fernsehformate, beigetragen.
akinom
Sogar Babybäuche werden als Werbefläche vermietet!
Absalon von Lund
Vor einiger Zeit machte ich Exerzitien in einem Haus der Pallottiner. am Sonntag erschien der leitende Pater im originalen Ordensgewand und wir hatten den Eindruck, der Ordensgründer kommt persönlich herein. Das genaue Gegenteil ist die Jogginghose. Sie ist ein Beispiel für die Häresie der Formlosigkeit (Marin Mosebach), die uns heute überall begegnet und die damit verbundene innere Formlosigkeit. Adelsgewänder, Talare oder auch die Uniformen einer Bergmannskapelle signalisieren alle das Gleiche: Erhabenheit. Und die geht im Jogginganzug defintiv verloren!